Karin Fischer: Am 27. August ist er mit seiner Vespa auf Sizilien verunglückt, jetzt ist er an den Folgen des Unfalls im Krankenhaus von Catania gestorben: der italienische Startenor Salvatore Licitra. Das Jahr 2002 markiert seinen Durchbruch in der internationalen Szene, als er kurzfristig für Luciano Pavarotti an der Met in New York einsprang. Danach hat er an großen Häusern gesungen, an der Mailänder Scala unter Riccardo Muti, in Zürich, Los Angeles oder Wien. Damals wurde er sogar als neuer Pavarotti, oder jedenfalls einer von dessen möglichen legitimen Nachfolgern gehandelt. Frage an Thomas Voigt: War er das, hätte er es sein können?
Thomas Voigt: Das ist immer dieses Spiel mit den Nachfolgern: die neue Callas, der neue Pavarotti und so weiter. Das zeigt auch die Verzweiflung fast oder Hilflosigkeit eines Teils der Presse, wie man eben mit neuen Stimmen, mit neuen Künstlern umgeht. Sofort so ein banales Etikett zu kriegen, ist wirklich einfallslos. Pavarotti ist bis heute, wage ich mal zu behaupten, ohne Nachfolger geblieben. Bei Salvatore Licitra gab es allerdings in besten Momenten so ein paar Farben, ein paar Anklänge an Pavarotti, und ich glaube, daher kommt das auch, dass man auch in Lexika geschrieben hat: Pavarotti-Nachfolger. Das ist zum Beispiel deutlich zu hören in seiner ersten großen Aufnahme, eine Live-Aufnahme vom Troubadour, mit der die Spielzeit 2000/2001 an der Mailänder Scala eröffnet wurde, und daraus hören wir mal einen Ausschnitt.
Voigt: Salvatore Licitra als Manrico in Verdis "Il Trovatore", eine Live-Aufnahme von der Mailänder Scala vom 7. Dezember 2000 unter der Leitung von Riccardo Muti. Da kam Licitra das erste Mal in die Schlagzeilen, weil es war Folgendes: Diese berühmte Stretta des Manrico, "Di Quella Pira" - deutsche Version "Lodernd zum Himmel sehe ich die Flammen" -, die ist ja bekannt für zwei Cs: einmal ein interpoliertes bei der zweiten Strophe und ein abschließendes brillantes, Chor und Orchester überstrahlendes hohes C. Meistens ist es ein H, weil es eh transponiert ist, aber gut, es gilt als C. Und Muti, wie so oft puristisch, hat gesagt, nein, nein, das steht nicht in der Partitur, das hat Verdi nicht geschrieben, das hat die böse, schlimme Tradition da hinzugefügt, wir machen das ganz rein. Und was sollte Licitra machen als neuer Sänger? Der war ja gerade zwei Jahre auf dem Markt. Der hat natürlich nicht gesagt, nein, ohne mich, sondern der hat das so gemacht, wie der Dirigent wollte, und hat sich dafür eine Prügel abgeholt von der Galerie. Es gibt ja in der Scala immer eine Gruppe, der man nichts recht machen kann. Es gab einen Buh-Sturm der Entrüstung, das kam natürlich in die Zeitungen. Und als dann der Mitschnitt herauskam, dachte man, oh, wie haben die denn das gemacht, wie kriegt man die ganzen Buhs und so weg. Ja, Zauberwerk der Technik. Es sind Bravos nach dieser Stretta in der Aufnahme.
Fischer: Mit Licitra ist einer der bekanntesten jungen Tenöre Italiens gestorben, ein Land, das traditionell verrückt ist nach Tenören. Was war denn das Bezeichnende an seiner Stimme?
Voigt: Das Bezeichnende war eben, wenn die Stimme genau getragen hat und frei war von allem, dass er dann wirklich in diesen Momenten so eine Qualität hatte, die an Pavarotti erinnerte. Aber wenn die Stimme nicht ganz ausgeglichen war und in der Höhe nicht so frei und vor allen Dingen, wie der Sängerpapst Jürgen Kesting schreibt, er nicht die vokale Fantasie eines Pavarotti hatte, blieb das eben in Ansätzen stecken. Also er war ein Hoffnungsträger und man dachte, na ja, wenn er das noch ein bisschen ausbaut oder die Stimme noch ein bisschen freier macht, die Höhe freier macht, dann geht das in die Richtung. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Ich meine, es gibt Troubadour-Aufnahmen, auch von ihm, wo er das C oder das H singt und wo die Spitzentöne da sind, aber nicht in dieser Qualität und auch nicht auf der richtigen Tonhöhe manchmal. Das war nicht ganz so das, was man sich erwartet hatte - leider.
Fischer: Sie haben ja schon angedeutet gerade, dass der Hype um einen Sänger heute ja immer auch ein bisschen ein gemachter Hype ist, Plattenfirmen und Agenturen mischen da mit. Was macht denn einen Tenor zum Startenor?
Voigt: Ja, was macht es? Sicherlich nicht nur die Spitzentöne. Da kommt so vieles zusammen. Aber Tenor ist so eine Klasse für sich, das haben schon Komponisten immer wieder gesagt: wisst ihr denn nicht, dass der mit keinem anderen Stimmtyp vergleichbar ist. Das singende Erotikon, hat man auch den Tenor genannt. Ich glaube, dass ab dieser bestimmten Frequenz, wo man nicht mehr mit der Kopfstimme singt, sondern mit dem ganzen Körper, also die hohen Töne mit dem ganzen Körper stützt, kommt eine erotische Qualität des Klanges, die einen großen Teil des Publikums, Männlein wie Weiblein, fasziniert.
Fischer: Herzlichen Dank, Thomas Voigt, für diese Würdigung des Tenors Salvatore Licitra.
Thomas Voigt: Das ist immer dieses Spiel mit den Nachfolgern: die neue Callas, der neue Pavarotti und so weiter. Das zeigt auch die Verzweiflung fast oder Hilflosigkeit eines Teils der Presse, wie man eben mit neuen Stimmen, mit neuen Künstlern umgeht. Sofort so ein banales Etikett zu kriegen, ist wirklich einfallslos. Pavarotti ist bis heute, wage ich mal zu behaupten, ohne Nachfolger geblieben. Bei Salvatore Licitra gab es allerdings in besten Momenten so ein paar Farben, ein paar Anklänge an Pavarotti, und ich glaube, daher kommt das auch, dass man auch in Lexika geschrieben hat: Pavarotti-Nachfolger. Das ist zum Beispiel deutlich zu hören in seiner ersten großen Aufnahme, eine Live-Aufnahme vom Troubadour, mit der die Spielzeit 2000/2001 an der Mailänder Scala eröffnet wurde, und daraus hören wir mal einen Ausschnitt.
Voigt: Salvatore Licitra als Manrico in Verdis "Il Trovatore", eine Live-Aufnahme von der Mailänder Scala vom 7. Dezember 2000 unter der Leitung von Riccardo Muti. Da kam Licitra das erste Mal in die Schlagzeilen, weil es war Folgendes: Diese berühmte Stretta des Manrico, "Di Quella Pira" - deutsche Version "Lodernd zum Himmel sehe ich die Flammen" -, die ist ja bekannt für zwei Cs: einmal ein interpoliertes bei der zweiten Strophe und ein abschließendes brillantes, Chor und Orchester überstrahlendes hohes C. Meistens ist es ein H, weil es eh transponiert ist, aber gut, es gilt als C. Und Muti, wie so oft puristisch, hat gesagt, nein, nein, das steht nicht in der Partitur, das hat Verdi nicht geschrieben, das hat die böse, schlimme Tradition da hinzugefügt, wir machen das ganz rein. Und was sollte Licitra machen als neuer Sänger? Der war ja gerade zwei Jahre auf dem Markt. Der hat natürlich nicht gesagt, nein, ohne mich, sondern der hat das so gemacht, wie der Dirigent wollte, und hat sich dafür eine Prügel abgeholt von der Galerie. Es gibt ja in der Scala immer eine Gruppe, der man nichts recht machen kann. Es gab einen Buh-Sturm der Entrüstung, das kam natürlich in die Zeitungen. Und als dann der Mitschnitt herauskam, dachte man, oh, wie haben die denn das gemacht, wie kriegt man die ganzen Buhs und so weg. Ja, Zauberwerk der Technik. Es sind Bravos nach dieser Stretta in der Aufnahme.
Fischer: Mit Licitra ist einer der bekanntesten jungen Tenöre Italiens gestorben, ein Land, das traditionell verrückt ist nach Tenören. Was war denn das Bezeichnende an seiner Stimme?
Voigt: Das Bezeichnende war eben, wenn die Stimme genau getragen hat und frei war von allem, dass er dann wirklich in diesen Momenten so eine Qualität hatte, die an Pavarotti erinnerte. Aber wenn die Stimme nicht ganz ausgeglichen war und in der Höhe nicht so frei und vor allen Dingen, wie der Sängerpapst Jürgen Kesting schreibt, er nicht die vokale Fantasie eines Pavarotti hatte, blieb das eben in Ansätzen stecken. Also er war ein Hoffnungsträger und man dachte, na ja, wenn er das noch ein bisschen ausbaut oder die Stimme noch ein bisschen freier macht, die Höhe freier macht, dann geht das in die Richtung. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Ich meine, es gibt Troubadour-Aufnahmen, auch von ihm, wo er das C oder das H singt und wo die Spitzentöne da sind, aber nicht in dieser Qualität und auch nicht auf der richtigen Tonhöhe manchmal. Das war nicht ganz so das, was man sich erwartet hatte - leider.
Fischer: Sie haben ja schon angedeutet gerade, dass der Hype um einen Sänger heute ja immer auch ein bisschen ein gemachter Hype ist, Plattenfirmen und Agenturen mischen da mit. Was macht denn einen Tenor zum Startenor?
Voigt: Ja, was macht es? Sicherlich nicht nur die Spitzentöne. Da kommt so vieles zusammen. Aber Tenor ist so eine Klasse für sich, das haben schon Komponisten immer wieder gesagt: wisst ihr denn nicht, dass der mit keinem anderen Stimmtyp vergleichbar ist. Das singende Erotikon, hat man auch den Tenor genannt. Ich glaube, dass ab dieser bestimmten Frequenz, wo man nicht mehr mit der Kopfstimme singt, sondern mit dem ganzen Körper, also die hohen Töne mit dem ganzen Körper stützt, kommt eine erotische Qualität des Klanges, die einen großen Teil des Publikums, Männlein wie Weiblein, fasziniert.
Fischer: Herzlichen Dank, Thomas Voigt, für diese Würdigung des Tenors Salvatore Licitra.