Donnerstag, 18. April 2024

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Anklage gegen Martin Winterkorn
"Ein rechtlicher Rubikon ist überschritten"

Die Anklage gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn bedeute eine neue Qualität in den Diesel-Klagen, sagte Dlf-Wirtschaftsredakteur Klemens Kindermann. Man befinde sich jetzt im Strafrecht. Die Vorstellung, der ehemals mächtige Manager könne hinter Gitter kommen, sei ein Albtraum für den Konzern.

Klemens Kindermann im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 15.04.2019
Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Volkswagen.
Unter öffentlicher Beobachtung: Einkommensmillionär und ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Volkswagen Martin Winterkorn (Bernd von Jutrczenka/dpa)
Sina Fröhndrich: Wie ist diese Anklage gegen Winterkorn einzuordnen?
Klemens Kindermann: Der zuständige Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe spricht von einem wichtigen Zwischenschritt. Es ist aber für den Autokonzern doch viel mehr. Denn mit dieser Anklage in Deutschland ist doch gewissermaßen ein rechtlicher Rubikon überschritten worden. Bisher ging es im Dieselskandal vielfach um Anlegerklagen, um Zivilklagen oder um Musterfeststellungsklagen. Letztere, kann man sagen, sind ja eigentlich wegen VW erst möglich geworden: Verbraucherschützer können gegen Unternehmen klagen, stellvertretend für viele direkt Betroffene.
Jetzt aber geht es um Kopf und Kragen von Verantwortlichen. Das ist eine neue Qualität. Wir sind jetzt im Strafrecht und dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wird tateinheitlich ein besonders schwerer Fall des Betruges, ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sowie Untreue vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig weist vorsorglich sogar schon auf den Strafrahmen für Betrug in besonders schwerem Fall hin – nämlich sechs Monate bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.
Fragen der Reputation und des Images
Fröhndrich: Was bedeutet die Anklage für den VW-Konzern?
Kindermann: Frau Fröhndrich, das ist schon psychologisch wirklich eine Zeitenwende. Alleine die Vorstellung, dass dieser mächtige Mann, Martin Winterkorn, der die Geschicke des größten europäischen Autokonzerns über viele Jahre steuerte, eines Tages hinter Gittern kommen könnte, ist ein Albtraum für VW und für die Hunderttausenden Beschäftigten.
Winterkorn war eine derart selbstbewusste, man könnte auch sagen: dominante Persönlichkeit, die wenig Widerspruch zuließ, aber eben einen enormen ökonomischen Erfolg erzielte, dass er doch prägend war für die jüngere Geschichte von VW. Rückblickend wird man an die ökonomischen Erfolge Fragezeichen machen müssen, weil VW ja doch viel Geld verloren hat durch den Dieselskandal - alleine durch Anlegerklagen bisher gut 27 Milliarden Euro.
Aber möglicherweise viel wichtiger sind hier Fragen der Reputation und des Images. Und wir kennen auch noch nicht die Namen der anderen vier Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat im Dieselskandal Anklage gegen fünf Beschuldigte vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts erhoben. Darunter ist Winterkorn, aber es ist auch die Frage, wie hochrangig die anderen Manager sind und ob hier sozusagen gegen mehrere in der Führungsspitze vorgegangen wird, was noch schlimmer wäre: eine Anklage gegen die frühere Führungsmannschaft.
Anklage kommt zu einem schlechten Zeitpunkt
Fröhndrich: Könnte sich die Anklage auf die Geschäfte von VW auswirken?
Kindermann: Ja, durchaus. Das mag Zufall sein, aber die Anklage kommt ausgerechnet in der für Volkswagen – man kann sagen - wichtigsten Woche des Jahres: Die Automesse in Shanghai ist die Leitmesse der Automobilindustrie in Asien und sie beginnt diese Woche. Eine Messe der Superlative beim letzten Mal – sie findet alle zwei Jahre statt – mit mehr als einer Million Besuchern, mitten im wichtigsten Automarkt der Welt.
Dazu muss man sagen: In China ist Martin Winterkorn ein sehr bekannter Mann. Er hat sich dort stark engagiert, ist im Grunde derjenige, der die führende Stellung von VW in China vorangetrieben hat. Winterkorn hat wegen China den Vorstand von VW umgebaut und einen neuen Vorstandsposten extra für China geschaffen. Mittlerweile liefert die Kernmarke von VW fast jedes zweite Auto in China aus.
Die Chinesen lieben Traditionen, legen Wert auf Vertrauen und langjährige Geschäftsbeziehungen. Wenn jetzt gegen so jemanden wie Martin Winterkorn in Deutschland Anklage erhoben wird, dann ist das ein Schlag für VW, auch wenn Winterkorn gar nicht mehr Chef ist. Schlechter hätte VW in diese wichtige Woche auf dem wichtigsten Automarkt nicht gehen können.