Dienstag, 19. März 2024

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Anspiel - Die Vagabund Klezmerband
Musik aus der Situation heraus

Klezmer oder besser: jiddische Musik ist eng mit dem Judentum verbunden. Ein junges Ensemble pflegt diese Musik mit Leidenschaft und hat auf seinem Debütalbum traditionelle und neue Werke kombiniert. Die Bassistin der Vagabund Klezmerband erklärt im Gespräch, worauf es ihnen vor allem ankommt.

Sophie Corves im Gespräch mit Jonas Zerweck | 04.08.2021
Acht junge Menschen sitzen auf einem erhöhten Betonsockel, halten ihre Instrumente von Kontrabass über Violine bis Klarinette in der Hand und schauen größtenteil lachend nach rechts leicht aus dem Bild.
Die Vagabund Klezmerband gibt ihr Album-Debüt mit "Wandering Steps". (Paula Winterberg)
Jonas Zerweck: Zwei neue Alben haben wir uns angeschaut, um ein drittes soll es jetzt noch gehen. Das allerdings legt einen etwas anderen Schwerpunkt auf das große Thema "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Es geht um Klezmer oder besser um die Musik, die wir heute Klezmer nennen. Eigentlich beschreibt der Begriff die Musikerinnen und Musiker, die jiddische Musik spielten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich dann zunehmend der Begriff Klezmer gegenüber dem der jiddischen Musik durch. Sie stammt vor allem aus dem aschkenasischen Judentum, also dem, das in Mittel-, Ost- und Nordeuropa verbreitet ist. Deshalb hat diese Musik auch viele Einflüsse, aus den Volksmusiken dieser Region, also von Polen über Ungarn, Rumänien, Bulgarien bis hin nach Russland. Die Musikerinnen und Musiker auch Klezmorim genannt haben nämlich nicht nur zu den jüdischen Festen gespielt, sondern auch bei allen anderen Festen. Sie waren als Musizierende sehr geschätzt und wurden dann auch eingeladen, dort zu spielen. Viele waren auch ständig unterwegs, reisende Musikerinnen und Musiker also. Dementsprechend heißt das Ensemble, über deren neue CD wir jetzt sprechen, auch die Vagabund Klezmerband. Anfang Juli ist deren Debütalbum "Wandering Steps" erschienen und darüber spreche ich nun mit der Kontrabassistin des Ensembles Sophie Corves.
Frau Corves, Klezmer oder jiddische Musik das hat ja eine sehr lange Tradition und ist gleichzeitig auch eine sehr lebhafte Musik. Ich meine nicht nur im musikalischen Ausdruck, sondern auch darin, dass sie sich ständig weiterentwickelt. Sie sind jetzt ein sehr junges Ensemble, das ist Ihre Debüt-CD. Wie gehen Sie denn mit dieser Musik um? Wie wollen Sie mit ihr weiterarbeiten als Ensemble?
Corves: Genau. Sie haben ja schon angesprochen, dass der Kern ganz weit zurückliegt. Vielleicht kann man dazu auch noch ergänzen, dass die Musik z.B. auch mit den Auswanderern mit nach Amerika getragen wurde, dort ganz viele neue Einflüsse bekommen hat und dann auch über das Klezmer-Revival in den 1970er Jahren auch nochmal ganz neu wiederentdeckt wurde. Wir als Ensemble haben diese Musik eigentlich auch auf ganz unterschiedliche Weise für uns entdeckt und uns dann zusammengefunden. Jeder gibt da seinen persönlichen Teil mit rein und passend zu unserem Namen oder dieser Einstellung möchten wir ein Stück von uns in diese Musik hereingeben und die Musik weitergeben an andere Menschen. Denn das ist ja Volksmusik, wie Sie schon sagten, die ist ganz menschennah und wir haben immer das Gefühl bei Konzerten, dass da für jeden etwas dabei ist, dass die Musik auf eine bestimmte Art und Weise Menschen anspricht.

"Emotionen an Menschen weitergeben"

Zerweck: Also geht es ganz viel auch ums Musikmachen im Hier und Jetzt? Gar nicht so sehr die Musiktradition, die dahinter hängt, sondern es geht auch viel ums Musikmachen im im Moment?
Corves: Genau. Wir haben natürlich ein paar traditionelle Stücke dabei, die wir aber auf unsere ganz eigene Art noch mal neu arrangieren, auch vielleicht ganz neu interpretieren. Aber vor allem geht es uns darum, dass wir diese Emotion, die wir in den einzelnen Stücken spüren, auf unsere Art und Weise und auch auf eine Art und Weise, wie man sie vielleicht jetzt im Jahr 2021 spielt oder wie wir sie im Jahr 2021 spielen, an Menschen weitergeben und damit hoffentlich Leute berühren.
Zerweck: Ich nehme Klezmer als eine sehr leidenschaftliche Musik wahr in beide Richtungen: Auf der einen Seite das sehr Fröhliche, sie zwingt einen fast zum tanzen. Und auf der anderen Seite ja oft auch dieses sehr Leidende, sehr wehklagende. Wie entsteht diese große Leidenschaft musikalisch? Was müssen sie machen, damit diese Leidenschaft sich so stark transportiert in der Musik?
Corves: Ich glaube, das ist auf jeden Fall Musik, die man nicht einfach so herunterspielen kann. Es ist auch Musik, die traditionellerweise gar nicht nach Noten gespielt wird, sondern einfach frei nach Gehör bzw. auch frei aus dem Gedächtnis heraus. Deswegen entstehen Stücke bei uns ganz oft auch im Zusammenspiel, aus der Situation heraus. In jedem Konzert ist dann ein Stück auch noch mal ganz neu auf seine eigene Art und Weise.

Eigenkompostionen und Neuarrangements

Zerweck: Sie haben gerade gesagt, dass sie selber auch Stücke schreiben, dass sie aus der Improvisation heraus entstehen. Sie sind die Kontrabassistin, sorgen also für das, sagen wir mal stabile Grundgerüst aus Puls, Rhythmus und auch Fundament für die Harmonien. Sehr typisch für den Klezmersound sind ja auch die Klarinetten, die dann über diesem Gerüst sozusagen liegen, deren Klang auch oft an die menschliche Stimme erinnert. Also das darf auch im besten Sinn dreckig klingen. Also es darf jauchzen, es darf jammern, es darf jubeln. Wenn Sie jetzt neue Stücke schreiben wie kann man sich diesen Kompositionsprozess im Detail vorstellen?
Corves: Es gibt so zwei unterschiedliche Wege, könnte man sagen. Wir haben paar Stücke, die wurden tatsächlich von einzelnen Musiker*innen aus unserer Band extra für uns arrangiert oder auch komponiert, wie auch unser Stück Wandering Steps von Sophie Kockler unserer Bassklarinettistin. Das ist dann natürlich ein Stück, was schon vorgedacht ist. Dann gibt es aber auch traditionellen Stücke, wo wir uns eigentlich die Melodie nehmen und teilweise sind da auch Begleitharmonien schon dabei, wie sie überliefert wurden. Im Proberaum probieren wir das dann gemeinsam als Band erst einmal aus, haben viele Idee und versuchen die irgendwie unterzubringen. Daraus entstehen dann unsere Arrangements. Das ist manchmal ganz chaotisch, verändert sich dann aber auch über eine lange Zeit noch.

"Ganz wichtig ist der direkte Austausch mit Menschen"

Zerweck: Und wie haben Sie denn das Album dramaturgisch aufgebaut? In der Mischung aus den alten überlieferten Stücken, im Jazz würde man vielleicht Standards sagen, und sozusagen Ihren neuen Kompositionen? Gab es da Leitgedanken, wie Sie das Album dramaturgisch aufgebaut haben?
Corves: Man könnte vielleicht erstmal direkt sagen: Mit dem ersten Stück sind wir groß geworden. Das ist das Bukovina Freylekh und von Anfang an schon dabei und hat sich immer wieder verändert. Ich könnte mir vorstellen, dass wir das unterbewusst deswegen auch an die erste Stelle gesetzt haben. Ansonsten war uns wichtig, dass wir immer auch einen Wechsel haben zwischen diesen etwas moderneren Kompositionen, die wir umarrangiert haben, oder halt Eigenkompositionen von uns und dann aber auch diesen traditionellen Stücken. Wir waren da aber auch sehr im Austausch mit unserem Produzenten Professor Bernd Ruf, der uns da Tipps gegeben hat und haben die einfach oft gehört. Das war dann letztendlich die Reihenfolge, die uns am besten gefallen hat. Aber die weicht auch ab von unseren Konzertprogramm.
Zerweck: Auf einen anderen Aspekt der Musik würde ich gern noch eingehen und nochmal zurückkommen auf die Klarinetten, die ja auch sich anlehnen an den Gesang des Chasan, also der Vorbeter in einer jüdischen Gemeinde. Der Klezmer ist für sich eine säkulare Musik, aber da gibt es sozusagen eine Art Verbindung. Spielt das Religiöse für Sie als Ensemble oder auch für Sie persönlich in der Musik trotzdem irgendwie eine Rolle?
Corves: Wir sind alle nicht jüdisch, haben keinen jüdischen Hintergrund. Uns ist aber schon wichtig, dass wir im Austausch sind mit jüdischen Personen. Wir spielen z.B. jetzt Anfang August auf einer Synagogen-Einweihung. Dort wurden wir eingeladen und dort möchten wir gerne auch noch ein bisschen gezielter in Kontakt treten mit den Menschen, mit ihnen sprechen, was denn traditioneller Weise auf so einer Festivität gespielt wurde. Denn solche Hintergründe können wir uns natürlich nur anlesen, uns darüber informieren. Aber ganz wichtig ist natürlich da der direkte Austausch mit Menschen, die das vielleicht heutzutage noch als ihre religiöse Kultur erleben und gar nicht nur über diesen musikalischen Weg.