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Anspruch auf Facharzttermin
Nicht alle Patienten erfüllen die Voraussetzungen

Das lange Warten sollte ein Ende haben: Seit Anfang des Jahres haben Patienten einen Anspruch auf einen Termin beim Facharzt innerhalb von vier Wochen – wenn sie eine als dringlich gekennzeichnete Überweisung haben. Doch einige Patienten bleiben außen vor.

Von Anja Nehls | 19.08.2016
    Eine Überweisung zum Radiologen
    Über die Servicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung sollen Patienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen. (dpa / Arno Burgi)
    Heute wollen Lisa-Marie Walter und Phillip Grunow von ihrem Hausarzt nur schnell ein Rezept abholen. Nach ein paar Minuten stehen sie wieder vor der Tür. Hier geht alles zügig, die Praxis ist bestens organisiert. Auch wenn mal eine Überweisung zu einem Facharzt nötig wird, kümmert sich der Hausarzt darum, dass es für seine Patienten beim entsprechenden Kollegen einen kurzfristigen Termin gibt.
    "Ich hatte ich einen eingewachsenen Zehennagel und das war dann doch schon ein bisschen dringender. Da hat er gesagt: Ja klar, morgen, übermorgen haben Sie einen Termin."
    "Ich war beim Orthopäden, zwei Tage später habe ich einen Termin bekommen. Mit Überweisung musste ich nicht mehr lange warten. War ein dringender Fall."
    Für den Allgemeinmediziner Stefan Bernhardt ist das eine Selbstverständlichkeit. Er stellt Überweisungen aus und gibt auf Wunsch Empfehlungen von Kollegen, wo es in der Regel zeitnah Termine gibt. Bei wirklich dringenden Fällen nimmt er die Sache gleich selbst in die Hand: "Letzte Woche Freitag hatte ich einen Patienten mit einer unklaren Tumorsache, da habe ich dann natürlich sofort den anderen Kollegen angerufen und dann hat der Patient am Dienstag einen Termin. Vorher erzählte er mir: Wenn er normal dort anriefe, bekäme er erst in drei Monaten einen Termin. Anders ist es zum Beispiel beim MRT, also Magnetresonanztomographie-Untersuchungen, wenn die Patienten sagen: Ich habe zwei Praxen angerufen und erst in vier Monaten einen Termin gekriegt. Da sage ich immer: Wir haben so viele Praxen in Berlin, da müssen Sie sich auch mal ans Telefon setzen und eben nicht nur zwei, sondern vier oder fünf anrufen. Und dann kriegen sie auch normalerweise schnell einen Termin."
    Terminvermittlung nur in dringenden Fällen
    Das allerdings hatten Patientenvertreter aufgrund von Beschwerden vieler Patienten, die zum Teil monatelang warten mussten, bezweifelt. Seit Beginn des Jahres sind deshalb die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, Termin-Servicestellen zu betreiben. Diese vermitteln Patienten innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt – allerdings in der Regel nur, wenn die Patienten eine mit Dringlichkeit gekennzeichnete Überweisung haben.
    Uwe Kraffel von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin sieht das so: Von der neuen Regelung sind nicht wirklich viele Patienten betroffen. Im ersten Halbjahr hätten sich in Berlin 7.000 Patienten an die Termin-Servicestelle gewandt, 2.500 erfüllten die Voraussetzungen und bekamen einen Facharzttermin.
    "Die am stärksten nachgefragten Gebiete sind bei uns die Neurologen, gefolgt von den Kardiologen und den Gastroenterologen. Bei den Gastroenterologen ist das sehr nachvollziehbar, weil sie über die Darmkrebsvorsorge sehr oft von neuen Patienten angesprochen werden. Bei den Neurologen ist das ein bekanntes Problem, dass die eigentliche Nachfrage nach Neurologen größer ist als das Angebot." Nur die Hälfte der vermittelten Termine wurde am Ende tatsächlich wahrgenommen.
    Das Bundesgesundheitsministerium will die Arbeit der neuen Terminservicestellen erst in einem Jahr auswerten und das Ganze bis dahin auch nicht bewerten. Hausarzt Stefan Bernhardt wünscht sich statt einer Termin-Servicestelle lieber ein elektronisches, arztpraxenübergreifendes Terminvergabesystem. Ähnlich wie bei einem Hotelbuchungssystem oder beim Berliner Bürgeramt könnten Patienten dann per Computer sofort sehen, welcher Arzt noch kurzfristige Termine frei hat.
    Senioren bleiben außen vor
    Uwe Kraffel von der Kassenärztlichen Vereinigung hat noch einen weiteren Punkt: Er kritisiert die sogenannte Bedarfsplanung, die für die Ärzte regelt, wie viele Fachärzte es in welcher Gegend geben soll: "Die historische Erfahrung zeigt, dass jede Art der Planwirtschaft natürlich immer an Grenzen stößt und zu Mangelversorgungen führt. Solange wie wir eine Bedarfsplanung in Deutschland haben, wo die Anzahl der Ärzte begrenzt ist, werden wir auch Mangelerscheinungen haben."
    Patienten, die einen stark nachgefragten Facharzt brauchen, lassen sich bei der Suche allerdings durchaus mal helfen: "Ich habe eine Krankenkasse, die haben einen Terminservice, da habe ich Glück gehabt. Beispielsweise bei meiner Tochter brauchte ich kurzfristig einen Kardiologentermin und die haben mir das dann organisiert."
    Probleme, einen Facharzttermin zu bekommen, haben vor allem ältere Leute: Sie erfüllen oft nicht die Voraussetzungen für eine Vermittlung durch die KV – weil sie keine mit Dringlichkeit gekennzeichnete Überweisung haben, sie können nicht mit dem Internet umgehen und sind wenig mobil. In Berlin hilft zwar der weiterhin bestehende Gesundheitslotsendienst der KV bei der Suche nach einem Arzt, den Termin muss sich aber dabei immer noch jeder selbst besorgen. Über 20 Prozent der Berliner Arztpraxen haben auch terminoffene Sprechstunden, dabei sind jedoch erhebliche Wartezeiten in Kauf zu nehmen.