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Ansprüche an künstliche Gelenke
Stabil, langlebig und verträglich

400.000 Patienten bekommen jährlich in Deutschland einen künstlichen Gelenkersatz implantiert. Durch den modernen Lebenswandel sind die Ansprüche gestiegen: Sportbelastungen müssen ausgehalten werden und viel Bewegung, auch bei älteren Patienten. Welchen Einfluss das Material und der chirurgische Eingriff selbst auf die Qualität haben, darüber haben Fachleute beim Kongress der "Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik" und des "Bundesverbandes Medizintechnologie" diskutiert.

Von Mirko Smiljanic | 10.11.2015
    Modell eines künstlichen Kniegelenks
    Modell eines künstlichen Kniegelenks (imago/Garcia)
    Joggen mit künstlichen Hüftgelenken? Fußball spielen mit künstlichen Knien? Medizinisch mag das fragwürdig sein, die Wünsche vieler vor allem jüngerer Patienten gehen aber in genau diese Richtung, so Professor Carsten Perka, Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité Berlin.
    "Die Ansprüche haben sich dramatisch geändert. Während 1980 sicherlich noch das schmerzfreie Laufen und das schmerzfreie Sitzen ein Ziel der Behandlung war, geht es heute um immer extremere Sportarten, die mit der Prothese noch ausgeübt werden sollen."
    Künstlicher Gelenkersatz zählt zu den erfolgreichsten orthopädischen Therapien. Trotzdem müssen nach einer mittleren "Standzeit" von 15 Jahren bis zu zehn Prozent der Endoprothesen gewechselt werden. Zwei Faktoren beeinflussen ihre Lebenserwartung: das Material der Endoprothesen und die Qualität des operativen Eingriffes. Bei der Entwicklung neuer Materialien hat sich in den letzten Jahren viel getan. Je nach Alter und Bewegungsprofil der Patienten steht eine breite Palette fast ausgereifter Prothesen aus Metallen, Kunststoffen und Keramiken zur Verfügung.
    Künstliche Gelenke nur Kompromisse
    Fast ausgereift deshalb, weil künstliche Gelenke immer nur Kompromisse sind zwischen den Ansprüchen des Patienten und der Stabilität ihrer Knochen. Natürlich können Ingenieure extrem belastbare künstliche Hüften konstruieren, leider nur lassen die sich nicht mehr in den Knochen verankern, der ja einen vorgegebenen Durchmesser hat. Fast ausgereift aber auch deshalb, weil es an einem anderen Punkt hapert.
    "Wir haben heute für viele der Beanspruchungen, die im Alltag vorkommen, keine Testverfahren, mit denen wir das vorher realisieren können, das heißt, die Testverfahren, die als Standard zugelassen werden, sind über meist Jahrzehnte etabliert. Veränderungen sind extrem zeitraubend, das heißt, die Testverfahren, die wir heute verwenden, sind eigentlich auf das Belastungsniveau der frühen 1990er-Jahre ausgerichtet."
    Ob eine Knieprothese auf Dauer Yogaübungen übersteht – eine wichtige Frage im aktuellen Yogaboom – weiß niemand, weil es noch nie untersucht wurde. Weitaus besser ist die Datenlage beim zweiten Faktor, der den langfristigen Erfolg des Eingriffes garantiert: die Qualität der Operation, genauer: die Fähigkeiten des Chirurgen.
    Chirurgen müssen Material und Prothesen kennen
    "Sitzt das Produkt wirklich richtig drin? Ist die Pfanne richtig positioniert? Da gibt es sogenannte Safety-Zonen, das ist natürlich was relativ Komplexes. Teilweise bekommt er Unterstützung von Navigationssystemen, aber es gehört natürlich sehr, sehr viel Erfahrung dazu, die Erfahrung ist im Prinzip das A und O da drin."
    Erfahrung – so Heinrich Wecker, stellvertretender Sprecher des Exekutivkomitees des "Deutschen Endoprothesenregisters" – erfordert vom Chirurgen aber Übung.
    "Er muss die Zeit haben, dass er trainiert wird auf diese entsprechenden Produkte, und da haben wir das Problem, dass wir gewisse ökonomische Zwänge haben, das heißt, der Arzt hat nicht mehr so viel Zeit für Fort- und Weiterbildung."
    Die genauen Gründe für das Versagen künstlicher Gelenke sind in vielen Fällen allerdings gar nicht bekannt. Abhilfe soll ein Endoprothesenregister schaffen, das jedes implantierte Gelenk dokumentiert.
    "Wir haben einmal die Diagnose, wir haben die Dokumentation, wie eingebaut wurde, wir haben natürlich dann, wenn es zu einer Revision kommt, wenn ausgebaut werden muss, aus welchem Grund auch immer, dann können wir ganz genau analysieren, was waren die Gründe, was war die Ursache dafür?"
    In Großbritannien ist das Endoprothesenregister wesentlich weiter ausgebaut als in Deutschland. Dort können Patienten nachschauen, welche Klinik und welcher Chirurg die geringsten Komplikationsraten haben. Das klingt gut, hat aber einen unangenehmen Nebeneffekt. Um die Komplikationsraten niedrig zu halten, bevorzugen viele Chirurgen risikoarme Eingriffe, Patienten mit komplizierten Fällen müssen sehen, wo sie bleiben.