Donnerstag, 28. März 2024

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Anti-IS-Kampf
Wadephul (CDU) für Militär-Einsatz im Mittleren und Nahen Osten

Das "Gejammer" über einen amerikanischen Rückzug aus Syrien sei groß gewesen, sagte der CDU-Politiker Johann Wadephul im Dlf. Für die Sicherheitslage Europas sei es zukünftig wichtig, über eigene Militäreinsätze im Mittleren und Nahen Osten nachzudenken.

Johann Wadephul im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.02.2019
    Johann David Wadephul (CDU) spricht im Bundestag.
    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul (CDU) glaubt nicht, dass der "IS" schon besiegt ist (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Johann Wadephul von der CDU. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Wadephul.
    Johann Wadephul: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Trump sagt also, vielleicht werde die amerikanische Regierung schon kommende Woche bekannt geben, dass der IS, der sogenannte, im Irak und in Syrien besiegt sei. Teilen Sie diese Einschätzung?
    Wadephul: Nein, die teile ich nicht. Die ist viel zu optimistisch. Es ist ja gerade eben zu Recht gesagt worden, dass wir weiterhin etwa 2.000 Kämpfer dort vermuten. Diejenigen, die noch kämpfen, sind die erfahrensten, die am besten ausgebildeten IS-Kämpfer, die mit Brutalität vorgehen. Insofern ist das viel zu optimistisch. Außerdem haben wir festgestellt, der IS geht wieder zurück auch in seine ursprüngliche Kampfform eines Untergrundkampfes, eines Guerilla-Kampfes, und deswegen gilt weiter das, was wir eigentlich die ganze Zeit gesagt haben. Wenn man den IS besiegen will, dann braucht man einen langen Atem, zunächst natürlich sicherheitspolitisch, militärisch ganz konkret auch in Syrien, im Irak. Übrigens auch noch woanders, in Syrien und in anderen Staaten ist er auch noch aktiv. Das darf man alles nicht vernachlässigen. Und natürlich braucht man eine politische Strategie, und die müssen wir jetzt suchen.
    "Man darf den "IS" nicht unterschätzen"
    Heckmann: Wir bleiben trotzdem jetzt mal beim Fall Syrien. Der amtierende amerikanische Verteidigungsminister Shanahan hat aber gesagt, der sogenannte Islamische Staat, also die Terrororganisation in Syrien, sei aus mehr als 99,5 Prozent des von ihm gehaltenen Territoriums vertrieben worden, und in ein paar Wochen werden es hundert Prozent sein. Wo also ist das Problem? Oder stimmen diese Zahlen aus Ihrer Sicht nicht?
    Wadephul: Natürlich stimmen die Zahlen. Der Kampf ist seit 2014 geführt worden, und, das muss man ja auch einmal sagen, es war ein erfolgreicher Kampf. Wir haben uns beteiligt, 73 andere Staaten haben sich beteiligt, fünf internationale Organisationen haben sich beteiligt. Es gab viel Unkerei, ob das richtig sei, ob das gerechtfertigt sei, ob das notwendig sei. Es war gerechtfertigt. Es bedroht nicht nur die Menschen dort, es bedroht indirekt natürlich auch, das haben wir in der Flüchtlingskrise gemerkt, Europa in seinem Kern, in seinem Zusammenhalt auf das Entschiedenste. Deswegen war das Engagement richtig, deswegen ist viel erreicht. Aber man darf diese Organisation nicht unterschätzen. Sie nennt sich "Staat", hat fast auch in einer gewissen Phase fast auch staatsähnliche Ausprägungen erreicht. Aber sie ist eine Terrororganisation, die zum Untergrundkampf entschlossen ist.
    Heckmann: Aber, Herr Wadephul, wenn man sich die Zahlen anguckt, dann fragt man sich ja schon, wie groß soll denn die Gefahr sein, dass der IS sich wieder breitmachen kann?
    Wadephul: Das US-Militär sagt selbst, wenn man nachließe und den militärischen Druck zurückzöge, dann würde der IS innerhalb von sechs bis maximal zwölf Monaten wieder zu alter Stärke zurückkommen.
    Heckmann: Das sagt das Pentagon.
    Wadephul: Das sagt das Pentagon.
    Heckmann: Da gibt es offenbar unterschiedliche Einschätzungen?
    Wadephul: Wir erleben einfach, dass es in den Vereinigten Staaten von Amerika in der Administration sehr unterschiedliche Einschätzungen gibt. Wir teilen diese Fachansicht des Pentagon, dass man militärisch jetzt nicht zurückweichen kann, und wir haben relativ wenig Verständnis für die mutigen und weitreichenden Tweets des amerikanischen Präsidenten. Zum Glück werden sie nicht alle so heiß gegessen wie gekocht. Der Senat teilt übrigens unsere Auffassung auch. Er hat mit einer übergroßen Mehrheit, übrigens fast auch alle Republikaner im Senat, gegen einen vorzeitigen Abzug der Amerikaner aus Syrien gestimmt und damit, weil er eine große außenpolitische Macht hat, auch dem amerikanischen Präsidenten ein bisschen die Hände gebunden. Also wir haben am Ende dann doch außenpolitisch, sicherheitspolitisch in den Vereinigten Staaten von Amerika Partner, mit denen wir weiter zusammenarbeiten können, bei aller Unsicherheit, die dieser Präsident in der Außenpolitik auch in dieser Region weiter verursacht.
    Heckmann: Sie haben es gesagt, der amerikanische Senat hat, auch mit den Stimmen der Republikaner, muss man ja dazusagen, gegen einen schnellen Truppenabzug gestimmt. Am Dienstag war das. Wenn das Abgeordnetenhaus dann auch zustimmt, müsste Trump ein entsprechendes Gesetz unterschreiben. Sie denken also, dass es am Ende gar nicht zu einem schnellen Abzug kommen könnte am Ende?
    Wadephul: Ich glaube schon, dass das alles überdacht worden ist mittlerweile. Wir haben vom ersten Tag an erlebt, dass der Sicherheitsberater Bolton und jetzt auch Außenminister Mike Pompeo, der ja auch vorhin zitiert worden ist, versucht haben, diese frühe Ankündigung von Trump zu entschärfen, auch zu korrigieren. Pompeo ist in die Region gereist, hat in Kairo eine wichtige Rede gehalten und betont, der Kampf würde fortgesetzt. Denn die Irritation, insbesondere unter den verbündeten arabischen Staaten mit sunnitischer Mehrheit und auch einer entsprechend geprägten Führung, war sehr groß. Man muss immer sehen, der IS ist eine Terrororganisation, die im sunnitischen Raum dieser Region einen Resonanzboden findet. Und das politische Werk besteht eigentlich darin, ihn nicht nur militärisch zu bekämpfen, sondern diesen Resonanzboden wegzunehmen, das heißt, den Sunniten in der Region, das heißt konkret in Syrien, im Irak. Und das gelingt nur mit den Nachbarstaaten, den arabischen Nachbarstaaten, dass wir sie einbinden.
    "Europa ist bisher nicht bereit, dort einen eigenen militärischen Beitrag zu leisten"
    Heckmann: Aber er muss auch militärisch bekämpft werden, da sind sich ja offenbar alle einig. Sie haben gerade selbst gesagt, man braucht einen langen Atem bei der Bekämpfung des sogenannten IS. Sie sehen die Gefahr, dass er sich wieder ausbreitet in Syrien, aber auch im Irak. Aber ist das nicht ein bisschen Bigotterie? Weil Deutschland wäre auch nicht bereit, in die Bresche zu springen, wenn die Amerikaner abziehen, oder?
    Wadephul: Ja, da haben Sie recht. Ich würde zweierlei dazu sagen. Das eine ist, wir sind in der Region aktiv, wir fliegen noch derzeit Aufklärungsflüge über Syrien und leisten insofern einen entscheidenden Beitrag dazu, dass jetzt die endgültige militärische Auseinandersetzung mit dem IS auch erfolgreich sein kann.
    Heckmann: Aber wir haben keine Bodentruppen. Von der Position aus kann man den Amerikanern leicht einen langen Atem empfehlen.
    Wadephul: Wie gesagt, ich wollte gleich was dazu sagen, einen Satz bitte noch. Wir haben ein Mandat im Irak. Ich halte den Irak für den Schlüsselstaat, den wir beeinflussen können in der Region, den wir stabilisieren. Das Mandat wollen wir – das ist jedenfalls Auffassung der Unionsfraktion, und ich hoffe, die Sozialdemokraten werden das teilen – fortsetzen, weil wir den Irak stabilisieren müssen. Wenn wir den nicht stabilisiert bekommen, können wir sozusagen in der Region fast – ich will nicht sagen, alles vergessen, aber dann wird es besonders schwierig. Aber richtig ist, das war Ihr Punkt, Europa ist zu wenig bereit, auch dort tatsächlich sich zu engagieren. Das Gejammer in Europa über einen amerikanischen Rückzug war und ist groß, aber Europa ist bisher nicht bereit, dort einen eigenen militärischen Beitrag zu leisten, obwohl das unsere –
    Heckmann: Das müsste sich ändern aus Ihrer Sicht?
    Wadephul: Ich glaube schon, dass wir nicht bei diesem Einsatz, aber für die Zukunft darüber nachdenken müssen, dass wir auch solche Einsätze machen. Wir tun das in Mali, wir tun das in Afrika. Das ist auch vor unserer Haustür. Aber der Mittlere und Nahe Osten hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheitslage in Europa, das müssen wir alle erkennen. Wir haben das gemerkt – ich habe die Flüchtlingskrise erwähnt, die ist ja nicht aus dem Nichts heraus gekommen, sondern die Ursache war dieser schreckliche Bürgerkrieg. Und wenn wir in Zukunft uns vor so etwas schützen wollen, dann muss Europa bereit sein, auch militärisch sich in dieser Region zu engagieren.
    Heckmann: Europa und auch Deutschland.
    Wadephul: Selbstverständlich. Deutschland versteht sich als europäische Nation. Wir definieren Außen- und Sicherheitspolitik europäisch, gemeinsam mit unseren Partnern. Und dazu darf man dann nicht nur Worte formulieren, sondern muss auch zu Taten bereit sein.
    Heckmann: Dazu müsste dann aber auch ein bisschen der Militärhaushalt erhöht werden. Jetzt gab es die Meldung, dass bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden soll. Vereinbart waren eigentlich Richtung zwei Prozent. Macht man sich da nicht wieder einen schlanken Fuß?
    Wadephul: Nein, wir machen uns keinen schlanken Fuß. Wir müssen natürlich der Haushaltslage insgesamt Rechnung tragen. Aber Sie haben recht. Die Meinung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, dass wir dieses Ziel früher erreichen müssen. Ich meine, dass wir 2021 1,5 Prozent erreichen müssen. Das ist haushaltspolitisch machbar. Wir stehen in der Konkurrenz zu anderen politischen Entscheidungen: Was will man an Steuersenkungen machen, was will man an Leistungen übernehmen, die für die Bundesländer oder für die Kommunen von Bedeutung sind? Ich bin der Meinung, die Bundesrepublik Deutschland muss als Bundesstaat zunächst einmal ihre außen- und sicherheitspolitische Verantwortung wahrnehmen. Das ist Kernaufgabe des Staats. Und wenn diese Sache priorisiert worden ist und 1,5 Prozent 2021 erreicht wären, dann kann man auch kommunale oder Länderaufgaben im Bildungsbereich übernehmen. Darüber müssen wir in Deutschland eine ganz offene Debatte führen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.