Mittwoch, 08. Mai 2024

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Anti-Missbrauchs-Konferenz im Vatikan
"Nun kann sich keiner mehr herausreden"

Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sieht im Treffen zu den Missbrauchsfällen im Vatikan einen wichtigen Anfang. Gleichwohl müsse sich zeigen, was jetzt konkret folge, auch was die angekündigte Task-Force betreffe, sagte er im Dlf.

Thomas Sternberg im Gespräch mit Stefan Heinlein | 25.02.2019
Franziskus beugt das Haupt und faltet die Hände
Vier Tage lang haben sich dort die höchsten Würdenträger getroffen, um über das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche zu reden (AFP/Pool/Vincenzo Pinto)
Stefan Heinlein: Ein historischer Gipfel, vergleichbar mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, zumindest aber ein Treffen, das entscheidend ist für das Pontifikat von Papst Franziskus. Es fehlte nicht an Superlativen im Vorfeld des Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan. Vier Tage lang hatten sich dort die höchsten Würdenträger der Katholischen Kirche versammelt, um über das heikle Thema sexueller Missbrauch zu sprechen. Doch am Ende folgt auf die hohen Erwartungen nun eher Ernüchterung. Viele Worte, aber keine handfesten Beschlüsse zur Schuld und Sühne der Täter – so der Vorwurf der meisten Opferschutzverbände.
Am Telefon begrüße ich jetzt Thomas Sternberg. Er ist Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZDK). Grüß Gott, Herr Sternberg! Guten Morgen!
Thomas Sternberg: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Hohe Erwartungen, tiefe Enttäuschung, vielleicht Ernüchterung. Beschreibt das zutreffend Ihre Gemütslage nach dem Gipfel in Rom?
Sternberg: Nein, das tut sie nicht. Die tiefe Enttäuschung kann ich nicht so ganz verstehen. Das hängt auch ein bisschen daran, wie die Erwartungen waren. Es war kein Konzil, es war kein beschlussfassendes Gremium. Was da passierte war ein Kongress, und eins ist sicherlich richtig: Wir werden sehen müssen, was jetzt an konkreten Dingen noch kommt, wie diese Task Force aussehen wird und die anderen Punkte, die angekündigt sind. Aber dass hier zum ersten Mal auf weltkirchlicher Ebene dieses Thema gründlich behandelt worden ist und damit keine Bischofskonferenz weltweit mehr die Möglichkeit hat zu sagen, das ist ja bloß ein Problem der Iren, der Amerikaner, der Deutschen, was weiß ich - nein, es ist jede Bischofskonferenz betroffen und es ist ein weltweites Problem, das hier jetzt nicht mehr vertuscht und unter den Teppich gekehrt werden kann.
Sternberg, links im Vordergrund, dahinter Marx unscharf.
Thomas Sternberg (l), Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, und Kardinal Reinhard Marx (dpa / Rolf Vennenbernd)
"Kommt darauf an, wie Reformen umgesetzt werden können"
Heinlein: Es kann nicht mehr vertuscht werden, aber es fehlt an konkreten Maßnahmen. Das ist ja der Hauptvorwurf. Was macht Ihnen denn Hoffnung, dass nach diesem Gipfel sich tatsächlich etwas ändert in diesem Zusammenhang beim Thema Missbrauch? Es fehlt ja an konkreten Beschlüssen, ein Maßnahmenkatalog, Punkt eins, zwei, drei und so weiter.
Sternberg: Ja, das ist allerdings auch etwas komplizierter. Einmal sagte ich schon, es werden noch diese Maßnahmen vorgestellt werden. Da bin ich mal sehr gespannt, was da kommt. Aber es ist ja auch so, dass das dann in den Ländern sehr unterschiedlich im Moment funktioniert. Wir haben in Deutschland ja durchaus auch eine sehr intensive Bearbeitung des Themas und da sind ja auch eine ganze Menge von sehr wichtigen guten Ansätzen. Es wird jetzt darauf ankommen, wie wirklich konkrete Reformdinge vor Ort umgesetzt werden können, und wir werden da als Laien in aller Schärfe, in aller Deutlichkeit darauf dringen, dass hier wirklich konkrete Ergebnisse sichtbar gemacht werden. Und wenn dann Kardinal Marx in Rom über Verwaltung und über Gerichtsbarkeit und über Transparenz spricht, dann klingt das vielleicht, als wären das nebensächliche Themen; sie sind aber keineswegs nebensächlich. Da spricht er übrigens uralte Forderungen des ZDK auch an, dass es eine klare Verwaltungsordnung gibt, die wirklich dem Klerikalismus den Boden entzieht. Da findet vor allen Dingen Klerikalismus statt, in dem merkwürdigen Verschweigen, Verhindern, was in den vergangenen Jahrzehnten da so häufig passiert ist, auch eine Gerichtsbarkeit, an die man sich wenden kann, wenn man sich beschweren will, auch über seinen Bischof.
Heinlein: Das ZDK wird weiter konkrete Schritte fordern, haben Sie gerade gesagt, Herr Sternberg. Da sind Sie ja im Einklang mit Papst Franziskus. Der hatte ja vor diesem Gipfel gesagt, es brauche jetzt nicht nur Worte, sondern konkrete Ergebnisse. Jetzt gibt es keine konkreten Maßnahmen. Hat der Papst sich nicht durchsetzen können mit seiner Forderung? Wurde er von seinen eigenen Kardinälen jetzt ausgebremst?
Sternberg: Das ist sehr schwer zu sagen. Vorhin im Bericht hat Herr Kleinjung selber darauf hingewiesen, dass man wohl offensichtlich eine Befürchtung hatte, dass es zu banal wurde oder dass es zu scharf wurde. Das ist eine sehr, sehr schwierige Sache, wenn Sie in einer solchen Weltkirche dieses Thema besprechen. Da gibt es Kardinäle aus Ländern, für die fällt eine Welt zusammen. Die können sich gar nicht vorstellen, dass in ihrem Land so etwas möglich wäre. Aber wie gesagt, dass das hier einmal mit aller Deutlichkeit, aller Schärfe auf dem Tisch kam – nun kann sich keiner mehr herausreden. Das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Und ich glaube, es ist auch wichtig, dass das Ganze in einen größeren Kontext noch mal gestellt wird.
"Das ist alles schon sehr, sehr ernsthaft"
Heinlein: Den Kontext hat der Papst ja selber gemacht und in seiner Predigt gesagt, Missbrauch, das ist nicht nur ein Problem der Kirche, sondern auch ein Problem in Familien, in Schulen, in Sportvereinen. Das wird von vielen Seiten als Ablenkungsmanöver interpretiert. Man zeigt mit dem Finger auf andere, eine Art Relativierung des Missbrauchs.
Sternberg: Da möchte ich auf den Satz hinweisen. Der Papst sagt ganz klar: Die weltweite Verbreitung des sexuellen Missbrauchs ist schmerzlich und schmälert auch nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche. Das ist immer gesagt worden, dass es gerade innerhalb der Kirche noch mal doppelt abscheulich ist. Aber es ist doch die Frage, wie reagieren wir überhaupt als Kirche, als Christenmenschen auf die Tatsache von Kinderprostitution weltweit, von Sextourismus, von Kinderpornographie im Netz und diesen anderen abscheulichen Dingen. Wie geht man eigentlich damit um. Das verlangt zunächst einmal eine saubere ordentliche Aufarbeitung der Dinge, die im Raum der Kirche selber passiert sind. Das ist völlig klar. Das ist auch ganz wichtig jetzt. Aber es geht natürlich darüber hinaus und wir müssen uns fragen, wie können wir uns einsetzen für den Schutz der Menschen und auch den Schutz der Kinder.
Heinlein: Ich würde gerne an dieser Stelle, Herr Sternberg, den deutschen Opferschutzverband Eckiger Tisch zitieren. Das Ganze sei ein schamloser Versuch des Papstes, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderungen anzugehen. Herr Sternberg, verstehen Sie die Wut und die Enttäuschung der Opfervertreter über den Papst und diesen Gipfel?
Sternberg: Vor allen Dingen habe ich den Eindruck, dass hier Twittermeldungen wie so oft etwas forsch und etwas schnell über den Tisch kommen. Ich möchte das eigentlich in dieser Form gar nicht kommentieren. Eins würde ich allerdings zurückweisen: Dass hier sich die Kirche dem Problem stellt und auch gestellt hat in der Tagung, dass man sich wirklich intensiv damit beschäftigt hat, das zeigt ganz eindeutig ein Blick auf die Abläufe, auch auf die Gottesdienste, auch auf die Schuldanerkenntnisse. Das ist alles schon sehr, sehr ernsthaft und sehr gut gewesen. Ich muss sagen, da gibt es dann Begrifflichkeiten, die gehören da einfach nicht hin.
Heinlein: Wäre es dennoch vielleicht besser gewesen, die Opfer noch stärker einzubinden in diesen Gipfel?
Sternberg: Die Opfer sind eingebunden worden. Es gab immer wieder Opfererklärungen auch in der Tagung. Kardinal Marx hat noch etwas mehr gemacht: Er hat sich noch mehr mit denen getroffen. Da hätte man sicherlich mehr machen können, das ist ohne Frage. Insofern kann man Defizite natürlich da benennen. Aber ich glaube, es gibt keinen Anlass für eine solche Fundamentalkritik, die das Ganze jetzt in Bausch und Bogen ablehnt. Ich glaube, diese Tagung, diese Konferenz hat ihren Ort gehabt. Man wird sehen müssen, was jetzt dabei rauskommt an diesen konkreten Dingen aus Rom. Und es wird darauf ankommen, was wir auch in den Ländern, in den Bischofskonferenzen verbindlich für die gesamte Bischofskonferenz durchsetzen können. Können wir wirklich das, was der Kardinal zu seinen Themen Transparenz, Gerichtsbarkeit und Ähnlichem gesagt hat, können wir das wirklich erwarten, dass wir das in den nächsten Monaten, maximal nächsten fünf Jahren in Deutschland umgesetzt vorfinden werden. Da habe ich nach wie vor meine Zweifel, ob das gelingt und ob das klappen kann. Aber ich hoffe, dass jetzt Mut gemacht worden ist, dass die Bischofskonferenzen auch als Bischofskonferenz dieses Thema noch beherzter, und zwar noch einheitlicher und gemeinsamer angehen.
Heinlein: Herr Sternberg, als Präsident des ZDK müssen Sie ja sehr nah dran sein an den Gemeinden, an den katholischen Verbänden und Laienvertretern. Was erwarten Sie? Wie sehr wird dieser Gipfel den Glauben vieler Katholiken an ihre Kirche jetzt wieder festigen oder vielleicht sogar, wenn es schlecht läuft, erschüttern?
Sternberg: Das ist sehr schwer zu sagen. Dieser sehr, sehr starke Vertrauensverlust, wirklich diese Kritik, die bis in den innersten Bereich unserer Kirche geht, das lässt sich nicht mal mit einer Konferenz, mit einer Sache beheben. Ich glaube, die Rückgewinnung von Vertrauen ist etwas, was ein sehr, sehr langfristiger, sehr gründlicher Prozess ist. Da müssen viele, viele Schritte kommen, die glaubwürdig sind, um dieses Vertrauen wieder herzustellen und wieder zu fundieren. Das ist nicht mal eben mit einer einzigen Sache gemacht und das geht auch nicht innerhalb von Wochen. Ich glaube, wir haben hier eine Erschütterung, die sehr, sehr weit geht. Das haben hier übrigens auch die Bischöfe erkannt. Auch in den Bistümern ist das erkannt. Und ich glaube, es wird einer gemeinsamen Anstrengung aller, sowohl der katholischen Männer und Frauen als Gläubige wie der Amtsträger, wie der Ehren- und Hauptamtlichen bedürfen, um dieses Vertrauen bei den Menschen wieder zu gewinnen, wieder herzustellen. Ich glaube, die Konferenz in Rom war ein Schritt dahin, ohne dass das eine Beschlusskonferenz gewesen wäre.
Heinlein: Es wird noch ein langer Weg, bis das Vertrauen zurück ist, Herr Sternberg. Können Sie aktuell verstehen, dass manche katholische Familien zumindest überlegen, ob sie ihre Kinder jetzt gefahrlos in kirchliche Ferienlager schicken, oder ob sie als Messdiner oder Chorknaben in der Kirche aktiv werden?
Sternberg: Wie gesagt, die Abscheulichkeit dieser ganzen Dinge soll überhaupt nicht relativiert werden. Nur ich meine, das ist natürlich ein Problem, was wir in unserer Gesellschaft ganz generell haben. Wo können wir sicher sein, dass Kinder geschützt sind? – Ich glaube, dass hier im kirchlichen Bereich eine solche Sensibilität auch für die Frage jetzt da ist, dass hier das, was vor allen Dingen ja in den 70er-, 80er-Jahren geschehen ist, sich in dieser Weise heute nicht mehr wiederholen kann, obwohl die Taten andauern. Das will ich überhaupt gar nicht vertuschen. Aber dass man jetzt sagen müsste, man muss eine generelle Besorgnis haben, seine Kinder in die Jugendarbeit und Kinderarbeit der Kirche zu schicken, das geht dann wirklich und deutlich zu weit.
Heinlein: Sind minderjährige Messdiener oder Chorknaben nach diesem Gipfel sicherer in den Kirchen aufgehoben als zuvor?
Sternberg: Ich glaube, dass nicht nur der Gipfel, der ganze Prozess, der seit 2010 ja schon läuft, diese Erschütterung in der Kirche hat dazu geführt, dass die Sensibilität in dieser Frage sehr, sehr viel größer geworden ist. Das ist sehr viel deutlicher und klarer. Ich glaube, das ist ja gerade auch die Notwendigkeit dieser schmerzhaften öffentlichen Prozesse, dass man sich dieser Frage stellt. Das hat damals Klaus Mertes gemacht, als er in Berlin die Vorgänge am Canisius-Kolleg öffentlich machte. Da haben viele gesagt, ist das nicht Nestbeschmutzung, was da passiert. Nein, das muss sein. Diese Transparenz ist notwendig, ist ein schmerzhafter Prozess, durch den man muss, um damit aber die Möglichkeit zu schaffen, sich künftig noch besser dagegen zu wappnen.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Thomas Sternberg. Ich danke ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.
Sternberg: Danke schön auch! Auf Wiederhören, Herr Heinlein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.