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Antikörperstudie in Kupferzell
RKI: "Symptombezogenes Testen ist sehr vielversprechend"

Eine neue Studie des Robert Koch-Instituts kommt zum Ergebnis, dass über 80 Prozent der an Corona-erkrankten Menschen im ehemaligen Hotspot Kupferzell mindestens ein Symptom hatten. Diese Erkenntnis könne sich über Kupferzell hinaus übertragen lassen, sagte Projektleiterin Claudia Santos Hövener im Dlf.

Claudia Santos Hövener im Gespräch mit Ralf Krauter |
Claudia Santos-Hövener am Rednerpult, in Hintergrund eine Tafel mit der Aufschrift des Robert Koch-Instituts
Das RKI hat im ehemaligen Corona-Hotspot Kupferzell ein "Corona-Monitoring" durchgeführt. Projektleiterin Claudia Santos-Hövener präsentierte die ersten Ergebnisse (dpa / Marijan Murat / picture-alliance)
Die Kleinstadt Kupferzell mit gut 6.000 Einwohnern im schwäbischen Hohenlohekreis war im März ein Hotspot der Corona-Pandemie. Das Virus hatte sich nach einem Kirchenkonzert verbreitet. Das Robert-Koch-Institut testete dort im Mai und Juni über 2.000 Bewohner mittels einer repräsentativen Zufallsstichprobe auf Antikörper gegen das neue Coronavirus und präsentierte erste Eckdaten der Studie:
Im Verlauf der Studie wurden keine akuten Infektionen festgestellt. Die Forscher fanden aber heraus, dass die Dunkelziffer bei Corona-Infektionen bei 3,9 liegt - also fast viermal so hoch ist wie die zuvor gemeldeten Fälle. Diese sei aber nicht auf das gesamte Bundesgebiet umrechenbar, sagte RKI-Projektleiterin Claudia Santos-Hövener im Deutschlandfunk. Die Dunkelziffer hänge sehr vom Infektionsgeschehen vor Ort ab, von den Testungen und den Maßnahmen. Diese hätten in Kupferzell gut gegriffen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Bei rund einem Drittel der Erwachsenen mit positivem SARS-CoV-2-Test konnten keine Antikörper nachgewiesen werden. Das bedeute aber nicht, dass keine Immunität bestehe, sagte Santos-Hövener.
Grafik zu einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) im ehemaligen Corona-Hotspot Kuperzell
Grafik zu einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) im ehemaligen Corona-Hotspot Kuperzell (Dlf)
Ralf Krauter: Wie nahm das Unheil in Kupferzell im März seinen Lauf?
Claudia Santos-Santos-Hövener: Es war so in Kupferzell nach den Informationen des Gesundheitsamtes, dass einige Skireisende zurückgekehrt sind, das waren, glaube ich, fünf oder sechs Personen, die dann sozusagen das Virus eingetragen haben in die Gemeinde. Dann gab es in Kupferzell ein Kirchenkonzert mit verschiedenen Chören, die dort aufgeführt haben, wo relativ viele Übertragungen stattgefunden haben. Dann ist es so, dass relativ schnell Maßnahmen ergriffen wurden, um das Ganze auch einzudämmen.
Fast viermal so viele Infektionen nachgewiesen als bisher bekannt
Krauter: Sie wollten bei dieser Studie herausfinden, wie sich das Infektionsgeschehen dort vor Ort entwickelt hat und wie viele Menschen letztlich betroffen waren. Wie sind Sie vorgegangen, Sie haben ja über 2.200 Menschen dort im Mai und Juni untersucht und getestet. Welche Fragen haben Sie denen gestellt und welche Tests mussten die über sich ergehen lassen?
Santos-Hövener: Wir haben erst mal eine repräsentative Stichprobe aus dem Einwohnermeldeamtsregister gezogen und haben Personen ab 18 Jahre eingeladen. Und Sie sagten schon, 2.203 sind es genau, die haben dann mitgemacht. Die Teilnehmenden sind dann zu uns gekommen. Wir hatten einen Untersuchungsbus, in dem sie, nachdem sie aufgeklärt wurden, untersucht wurden. Das heißt, wir haben einmal Blut abgenommen, um daraus Antikörpernachweise bestimmen zu können und wir haben einen Rachenabstrich gemacht, um auch akute Infektionen nachweisen zu können.
Fans strömen nach einem Fußballspiel auf einer Treppe im Abendlicht zur U-Bahnstation Froettmaning.
COVID-19: Wie man Herdenimmunität erreicht
Um die Coronakrise in den Griff zu bekommen, braucht es nach Meinung vieler Wissenschaftler eine Herdenimmunität. Was ist damit gemeint und warum führt beim Kampf gegen das Coronavirus wohl langfristig kein Weg daran vorbei?
Dann gab es am Studientag eine Kurzbefragung, wo es um vorhergehende SARS-CoV-2-Infektionen ging und Testungen, um Symptome und auch um Bildung und ein paar demographische Charakteristika. Und im Nachhinein haben wir noch sehr ausführlich zu Gesundheitszustand, zu Krankheitsverläufen, aber auch zu Risikofaktoren befragt und auch zu soziodemographischen Charakteristika, sodass wir dann hoffentlich, das haben wir bis jetzt noch nicht ausgewertet, dann noch mehr Aussagen machen können über mögliche Risikopopulationen.
Krauter: Kommen wir auf die Ergebnisse zu sprechen, was verraten denn jetzt diese Antikörpertests? Wie viele Menschen in Kupferzell haben bereits eine Corona-Infektion hinter sich?
Santos-Hövener: In dem Verfahren, wir haben hier einen regulären Antikörpertest verwendet und haben dann im Labor von Herrn Drosten, im Konsiliarlabor für Coronaviren noch einen Bestätigungstest bei allen positiven Befunden gemacht. Nur mal, damit Sie wissen, was die Referenz ist. Und 7,7 Prozent aller Kupferzellerinnen und Kupferzeller haben eine Infektion bereits durchgemacht, das konnten wir anhand der Diagnostik nachweisen. Und da sehen wir leichte Unterschiede nach Geschlecht und auch nach Altersgruppen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Krauter: 7,7 Prozent, ich habe im Vorfeld noch mal geguckt, bei der vielbesprochenen Heinsberg-Studie war diese Quote dann bei 15,5 Prozent, also in Kupferzell ein bisschen niedriger.
Santos-Hövener: Ja, sie ist nicht ganz vergleichbar, weil wir wirklich ein anderes diagnostisches Verfahren verwendet haben, und im Rahmen von Heinsberg keine Neutralisationstests durchgeführt wurden. Hätten wir alle unsere reaktiven und positiven Antikörperbefunde ohne die Bestätigungsdiagnostik genommen, wären die auch bei knapp 13 Prozent gewesen. Aber weil wir hier zusammen mit Professor Drosten arbeiten, haben wir uns auf die Falldefinition, die auch vom Konsiliarlabor vorgegeben wird, geeinigt.
Dunkelziffer nicht auf ganz Deutschland umrechenbar
Krauter: 7,7 Prozent hatten das Virus also schon und ihr Immunsystem zeigt noch die Spuren davon. Jetzt ist ja die spannende Frage, wie viele von diesen 7,7 Prozent wussten überhaupt nicht, dass sie das Virus schon gehabt haben?
Santos-Hövener: 50 Personen hatten schon ein vorheriges positives Ergebnis, die wussten, dass sie eine Infektion durchgemacht haben - wirklich nur 50 Teilnehmende. Und 167 waren im Endeffekt die, bei denen ein Antikörper nachgewiesen wurde. Das heißt, wenn man das hochrechnet auf die gesamten gemeldeten Fälle, ist die Dunkelziffer bei 3,9. Das heißt, 3,9-fach so hoch wie die gemeldeten Fälle in Kupferzell.
Krauter: Das ist ja eine spannende Zahl, weil diese Dunkelziffer immer eine wichtige Rolle spielt, wenn es um die Antworten der Epidemiologen geht, wie sich das Infektionsgeschehen weiter entwickelt. Inwiefern ist denn dieser Faktor 3,9, den Sie jetzt für Kupferzell errechnet haben, umrechenbar auf das Bundesgebiet?
Santos-Hövener: Der ist nicht umrechenbar, weil die Dunkelziffer natürlich auch sehr vom Infektionsgeschehen vor Ort abhängt, von Testungen und unterschiedlichen Maßnahmen, die ergriffen wurden. Und diese 3,9 sind wirklich bezogen auf eine sehr betroffene Gemeinde, deswegen kann man den Faktor nicht übertragen. Was man vielleicht übertragen kann, ist, dass von den Personen, die einen positiven Befund hatten, also einen positiven Antikörpernachweis, hatten 83 Prozent tatsächlich ein oder mehrere Symptome. Das heißt, dass die Strategie eines symptombezogenen Testens sicherlich sehr vielversprechend ist.
16 Prozent der Menschen mit positivem Befund ohne Symptome
Krauter: Das heißt, gut 16 Prozent hatten dann aber wirklich keinerlei Symptome, das heißt, die wussten gar nicht, dass sie in irgendeiner Form krank waren?
Santos-Hövener: Genau, das kommt bei uns heraus, dass 16,2 Prozent gar keine Symptome hatten.
Krauter: Eine andere Zielsetzung Ihrer Studie war ja auch, herauszufinden, bei wie vielen Patienten letztlich ein lebensbedrohlicher Verlauf eintritt. Was sagt denn die Kupferzell-Studie da?
Santos-Hövener: Das werden wir beantworten können, wenn wir die Nachbefragung ausgewertet haben, denn da haben wir wirklich nach dem Krankheitsverlauf auch gefragt. Ich nehme an, dass die Fallzahl gering sein wird und dass es da sicherlich gut sein wird, die Daten der viel betroffenen Gemeinden, die wir untersucht haben oder untersuchen werden, gemeinsam zu betrachten.
Maßnahmen in Kupferzell haben gegriffen
Krauter: Ziel der Studie war es auch, verschiedene Maßnahmen zum Infektionsschutz letztlich zu bewerten bezüglich ihrer Wirksamkeit. Welche Ergebnisse können Sie da schon ziehen?
Santos-Hövener: Ich denke, was wir sagen können, ist, dass in Kupferzell die Maßnahmen gut gegriffen haben. Zum einen war es so, dass, als wir dort vor Ort waren, wir überhaupt keinen positiven Erregernachweis mehr hatten. Das heißt, der Ort war zu dem Zeitpunkt wirklich mit dem Infektionsgeschehen schon durch für den Moment. Das war, glaube ich, auch eine ganz wichtige Information auch für die lokalen Akteure.
Und dann kann man sicherlich auch sagen, dass die Kontaktbeschränkungen, das Absagen von Veranstaltungen und so weiter auch dazu geführt haben, dass wir nicht noch eine höhere Prävalenz haben, sodass die Menschen sich gut isoliert haben, die betroffen waren, und nicht so viele Menschen dann wiederum angesteckt haben.
03.07.2020, Baden-Württemberg, Reutlingen: Blutabnahmeröhrchen stehen in einem Testzentrum des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung für eine bundesweite Corona-Antikörper-Studie in einem Rack. Das Institut hat eine Studie mit bundesweit rund 60 000 Probanden begonnen. In einer ersten Runde ist demnach vorgesehen, bis zu 3000 erwachsene Einwohner des Landkreises Reutlingen zu testen. Foto: Marijan Murat/dpa | Verwendung weltweit
Populationsimmunität: Was besagen Antikörperstudien?
Seroepidemiologische Studien sollen zeigen, wie viele Menschen in der Bevölkerung schon eine Infektion mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben. Weiterhin unklar ist die Verbreitung von T-Zell-Immunität.
Krauter: Verrät Ihre Studie auch schon etwas darüber, wie lange die Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 anhält?
Santos-Hövener: Nein, das können wir nicht sagen. Wir haben festgestellt, wir hatten ja 50 Personen, die angegeben haben, schon einen positiven Befund vor der Studie gehabt haben, und von denen war bei 28,2 Prozent der Personen, die keine Antikörper mehr hatten. Aber nur die Abwesenheit von Antikörpern bedeutet nicht, dass die Menschen nicht immun sind. Und Immunität ist natürlich auch ein sehr geladener Begriff, wir wissen ja noch nicht, wie lange diese anhält und ob und wann oder ab wann Re-Infektionen auch möglich sein können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.