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Antisemitisches Mobbing
Vorwürfe gegen Leitung der Berliner Kennedy-Schule

Der Fall von antisemitischem Mobbing an einer Berliner Eliteschule sorgt für Aufsehen. Immer mehr Vorwürfe richten sich gegen die Schulleitung, die offenbar lange untätig blieb und das Opfer nicht ausreichend geschützt haben soll.

Von Claudia van Laak | 30.06.2018
    Die John-F.-Kennedy-Schule in Berlin
    Fall von antisemitischem Mobbing: John-F.-Kennedy-Schule in Berlin (dpa)
    Sie arbeitet schon einige Jahre lang als Kinder- und Jugendpsychiaterin in Berlin, doch einen solch erschreckenden Fall hat Christine Pressel noch nicht erlebt. Der 15-jährige jüdische Junge, der vor einigen Wochen zusammengebrochen ist und seitdem nicht mehr die deutsch-amerikanische Kennedy-Schule besucht, ist ihr Patient. Seine Eltern haben die Ärztin von ihrer Schweigepflicht befreit.
    Christine Pressel berichtet, "dass er in der Umkleidesituation von mehreren in die Ecke gedrängt wurde, in so einem Bedrohungsszenario auch, und dann eine E-Zigarette angezündet wurde und ihm der Rauch entgegengeblasen wurde und gesagt wurde, jetzt denk mal an Deine Verwandten, die vergast wurden."
    Mitschüler malten Hakenkreuze auf Zettel, steckten sie ihm während des Unterrichts zu. Sie machten Judenwitze, als - so wörtlich "fette Schwuchtel" und "schlechter Jude" wurde der 15-Jährige diffamiert. [*1] Und das nicht nur ein paar Monate lang, wie bislang bekannt.
    Christine Pressel: "Also ich habe den Jungen vor zwei Jahren kennengelernt, damals ging es auch um Ausgrenzungserleben, um Mobbing. Damals war es noch nicht so ausgeprägt."
    Mitschüler und Lehrer wollen nichts mitbekommen haben
    Aber doch so gravierend, dass sich die Eltern damals entschlossen, gemeinsam mit ihrem Sohn eine Kinder- und Jugendpsychiaterin aufzusuchen. Christine Pressel findet es besonders erschreckend, dass keine Mitschülerin, kein Mitschüler ihrem Patienten half, dass niemand seinen Eltern etwas erzählte oder die Mütter und Väter ebenfalls schwiegen. Genau wie die Lehrer, die nichts mitbekommen haben wollen. Brian Salzer, Leiter der deutsch-amerikanischen Kennedy-Schule:
    "Als Schule fühlen wir uns schlecht, dass wir in dieser Situation sind. Uns tut es sehr leid, dass einer unserer Schüler so belästigt worden ist, dass er antisemitisch und homophob gemobbt wurde. Das ist überhaupt nicht zu akzeptieren, das ist gegen unsere Ziele und gegen unsere Standards."
    Psychiaterin beklagt fehlenden Schutz des Opfers
    Die Eltern des Betroffenen und auch seine Ärztin informierten sofort nach dem Zusammenbruch des Jungen die Schulleitung und die Berliner Senatsbildungsverwaltung. [*2] Das Wichtige in so einem Fall sei, das Opfer zu schützen.
    "Dass die Haupttäter aus der Klasse genommen werden, von der Schule unter Umständen verwiesen werden, in Nachbarklassen gesetzt werden, damit das Opfer eben einen Schulplatz hat. Das ist hier leider versäumt worden."
    "Wie haben weder zu spät reagiert noch zu spät recherchiert. Unglücklicherweise passierte es zu einer Zeit, in der wichtige Veranstaltungen in der Schule stattfanden, die wir nicht versäumen durften. So schnell wir konnten, haben wir ein Treffen mit allen Beteiligten organisiert", so verteidigt sich Schulleiter Salzer
    Schulleitung "pädagogisch und politisch unfähig"
    Das Internationale Auschwitz-Komitee fordert inzwischen seinen Rücktritt. Die Schulleitung sei pädagogisch und politisch unfähig – so heißt in einer Mitteilung von Holocaust-Überlebenden. Der Vorfall sorgt für Aufsehen, auch der Präsident des Zentralrats der Juden sowie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußerten sich besorgt. Antisemitismus sei oft da, wo man ihn nicht vermute, sagte Felix Klein dem RBB:
    "Leider sind die Lehrer oft nicht in der Lage, adäquat zu reagieren. Das liegt auch daran, dass es keine systematische Befassung gibt mit dem Komplex Antisemitismus und Rassismus, das muss geändert werden."
    Die Eltern des betroffenen Jungen und seine Ärztin erhalten immer mehr Hinweise von Eltern, Lehrern und Schülern auf kritikwürdige Zustände an der Kennedy-Schule. Christine Pressel erzählt von Hakenkreuzschmierereien auf dem Schulhof – zwei Wochen habe es gedauert, bis sie entfernt worden seien.
    [*1] Auf Bitte der Mutter des Betroffenen haben wir den ursprünglichen Satz klarer gefasst.
    [*2] Wir haben einen Satz gelöscht, weil er die nicht belegbare Interpretation einer Aussage enthielt.