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Antisemitismus an Schulen
"Viele Lehrkräfte sind damit überfordert"

Antisemitische Einstellungen an Berliner Schulen setzen sich laut einer Umfrage immer mehr durch. Viele Lehrer seien mit dem Thema überfordert, sagte der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Tom Erdmann, im Interview mit dem Dlf. Ihnen würden Zeit, Ressourcen und Fortbildungen fehlen.

Tom Erdmann im Gespräch mit Kate Maleike |
    Schatten zweier Kinder auf einem Schulhof. Auf dem Boden ist ein Hüpfspiel mit Kreide aufgezeichnet.
    "Du Jude" wird laut einer Umfrage des American Jewish Committee unter Berliner Lehrkräften immer häufiger als Schimpfwort auf Schulhöfen benutzt. (dpa / picture alliance / Heckler Pierre)
    Kate Maleike: "Du schwule Sau", "du Opfer", "du Jude" – Beschimpfungen wie diese sind auf Schulhöfen keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: sie nehmen offenbar zu, vor allem in Richtung Israel. Das belegt jetzt eine Umfrage, die das American Jewish Committee unter Berliner Lehrkräften gemacht hat. Sascha Adamek hat nachgefragt.
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    Und ein Vertreter vieler Lehrkräfte in Berlin ist jetzt am Telefon Tom Erdmann, der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. Hallo, Herr Erdmann!
    Tom Erdmann: Guten Tag!
    Maleike: Im Frühjahr hatte der Fall eines Schülers in Berlin für Aufsehen gesorgt, der wegen Judenmobbings die Schule verlassen hat. Jetzt kommt diese Umfrage, die wieder zeigt, dass Schulen ein großes Problem haben. Da muss doch jetzt endlich was passieren.
    Erdmann: Ja, das Thema Antisemitismus in Schulen ist in der Tat ein Problem, dessen wir uns alle annehmen müssen. Viele Lehrkräfte sind allerdings damit auch überfordert. In dem Beitrag war ja zu hören, dass Schülerinnen und Schüler, die Judenbeleidigung unter Israelkritik verstecken, das ist eigentlich eine Überforderung auch für Lehrkräfte, die sich ja auch mit dem Thema Nahostkonflikt dann beschäftigen müssen, sich selber auseinandersetzen müssen. Dafür ist in den Schulen häufig zu wenig Zeit. Diese Zeit müssen die Lehrkräfte aber auch bekommen.
    Nur vereinzelte Fortbildungen für Lehrer
    Maleike: Schreiten denn die Lehrkräfte an den entscheidenden Stellen auch ein?
    Erdmann: Wir können natürlich nicht in jede der 700 bis 800 Berliner Schulen hineinschauen, aber Lehrkräfte werden immer häufiger auch bei Beleidigungen wie "du Jude" oder wenn das Wort "schwul" als Beleidigung benutzt wird, schreiten viele Lehrkräfte in der Tat ein, sodass ich da meinen Kolleginnen und Kollegen in der Regel wenig Vorwürfe machen kann.
    Maleike: Was würden Sie denn brauchen, wenn Sie sagen, wir müssen das Problem angehen, sind aber mit unserem Besteck, was wir im Moment haben, überfordert?
    Erdmann: Die Fortbildung zum Thema Antisemitismus, aber auch generell Anerkennung von Vielfalt muss von der Senatsbildungsverwaltung mehr angeboten werden. Momentan gibt es über die regionale Fortbildung - also das ist die Fortbildung, die Lehrkräften von Seiten des Senats angeboten wird - praktisch gar keine Angebote, sondern das ist bei privaten Trägern aufgehoben, allerdings auch das jüdische Museum bietet da Fortbildungen an, mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und so weiter, diese ganzen Fortbildungen müssen zumindest auf einem Portal so gebündelt werden, dass Lehrkräfte, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen – und hier an der Stelle fast alle meine Kolleginnen und Kollegen das auch wollen –, die müssen gut zugänglich sein.
    Maleike: Verstehen wir Sie richtig, dass diese Fortbildungen zurzeit nicht zugänglich sind?
    Erdmann: Diese Fortbildungen sind sehr vereinzelt nur zu finden. Es gibt kein Portal, wo man diese Fortbildungen wirklich zentral auf einen Click oder zwei Clicks finden kann. Das wäre zumindest ein erster Schritt, Fortbildungen leicht auffindbar zu machen. Nur Lehrkräfte, die sich wirklich ganz stark dahinterklemmen, die finden diese Fortbildungen. Das wäre zumindest ein erster Schritt, dass diese Fortbildungen gebündelt werden, damit wir dieses Thema auch wirklich gemeinsam angreifen können, denn das ist nicht akzeptable, was hier teilweise auf Berliner Schulhöfen oder auf anderen deutschen Schulhöfen an Beleidigungen passiert.
    "Lehrkräfte brauchen mehr Zeit, um sich damit auseinandersetzen zu können"
    Maleike: Genau, das sind empörende Befunde. So wurde es ja auch gerade im Beitrag genannt. Fühlen Sie sich von der Politik da alleingelassen?
    Erdmann: Wir machen der Politik an der Stelle keinen großen Vorwurf, außer, dass wir uns wünschen als Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft", die Fortbildungen zentral auf ein Portal zu bündeln. Lehrkräfte brauchen Zeit, um sich auch mit dem Thema Israel und Nahostkonflikt auseinandersetzen zu können, damit sie sich damit beschäftigen. Momentan ist im aktuellen Rahmenlehrplan das Thema globale Konflikte und Konfliktlösung nur im Fach Politik der Klasse 9 und 10 zu finden. Das ist aber eine Frage für alle Jahrgänge. Dafür brauchen die Lehrkräfte Zeit, um sich damit auseinandersetzen zu können, um eben zu offenbaren, dass eine Beleidigung, "du Jude", keine Israelkritik ist, sondern das ist blanker Antisemitismus.
    "Der Islamunterricht muss aus diesen Hinterhofmoscheen heraus"
    Maleike: Was muss passieren, wenn Berlin in sechs Wochen wieder aus den Schulferien kommt?
    Erdmann: Ich glaube nicht, dass wir innerhalb von sechs Wochen das Thema Antisemitismus auf Berliner Schulhöfen lösen können. Das kriegen wir auch nicht in zwei Jahren hin, aber im Beitrag war ja zu hören, dass viele Schülerinnen und Schüler im Moscheeverein lernen, im Islamunterricht lernen. Der Islamunterricht muss aus diesen Hinterhofmoscheen heraus, er muss in die staatlichen Schulen, unter staatliche Aufsicht gestellt werden, damit er eben nicht mehr im Hinterhof passiert, sondern da unter guter staatlicher Aufsicht und auch unter der Aufsicht der Schulleitung und offener Islamunterricht stattfindet, denn der Islam kann natürlich, wie alle Religionen auch, eine sehr offene Religion sein, eine sehr tolerante Religion, und das ist sie ja auch. Nur, was in Hinterhofmoscheen passiert, ist oftmals nicht gut für die Schülerinnen und Schüler, das trägt zur Radikalisierung bei. Wenn das in der normalen staatlichen Schulen passiert, dann ist da schon sehr viel und uns allen geholfen.
    "Nicht weghören, wenn sie Worte 'schwul' oder 'du Jude' als Beleidigung hören"
    Maleike: Und was wünschen Sie sich jetzt von den Lehrkräften?
    Erdmann: Ich wünsche mir von allen Lehrkräften - viele machen das ja, wie erwähnt, schon -, aber ich wünsche mir von allen Lehrkräften, dass sie nicht weghören, wenn sie Worte schwul oder "du Jude" als Beleidigung hören. Das ist ein erster Schritt, zu zeigen, das lassen wir hier bei uns nicht zu. Wir wollen hier friedlich miteinander leben und aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seiner Religion oder seiner Herkunft, das wollen wir nicht als Beleidigung verstanden wissen, das wollen wir nicht als Beleidigung hören. Das wünsche ich mir von Lehrkräften, dass wir uns alle hierfür mehr sensibilisiert werden.
    Maleike: Und wer ist jetzt aus Ihrer Sicht am meisten gefordert?
    Erdmann: Das ist eine Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Also wir als Gewerkschaft leisten unseren Teil, dass wir auch eigene Fortbildungen dazu anbieten. Die Senatsbildungsverwaltung muss als ersten Schritt alle Fortbildungen zentralisieren und zumindest leicht zugänglich machen, und natürlich muss das auch ein Thema in den Schulen sein. Zudem brauchen wir allerdings dafür auch Ressourcen. Schulen brauchen dafür Zeit. Das können wir nicht als Aufgabe verstehen, die einfach noch mal zusätzlich on top kommt zu allen Aufgaben, die die Schule bereits zu leisten hat. Also Schulen brauchen Ressourcen, damit sie sich dieser wichtigen Aufgabe, die sie haben, sich dieser wichtigen Aufgabe auch stellen können.
    Maleike: Tom Erdmann war das von der GEW in Berlin hier in "Campus und Karriere" zu den zunehmenden Diskriminierungen an dortigen Schulhöfen. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Erdmann: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.