Antoine Leiris' Leben ist der Stoff, aus dem antike Tragödien sind. Doch der Moment, wenn im Theater der Vorhang fällt, ist überhaupt erst der Beginn seines autobiografischen Berichts. Denn "Danach, das Leben" handelt von der Zeit nach der Katastrophe, nach dem Kampf von Affekt und Vernunft.
Die Frage, die sich der französische Autor in seinem zweiten Buch stellt, ist also die Frage nach der Erfindung eines neuen Lebens. Und tatsächlich ist das, was der junge Vater erlebt hat in der Zeit nach dem Tod seiner Frau und der Veröffentlichung seines ersten Berichts "Meinen Hass bekommt ihr nicht", per se auch absolut erzählenswert:
"Er hatte gesehen, wie auf der Bühne sein Leben gespielt wurde, schöner, als es gewesen war, auch größer, tatsächlich riesengroß. (...) Und schließlich fasste er einen Zorn gegenüber demjenigen, der ihn spielte, demjenigen, der ihm, so dachte er, sein Leben gestohlen hatte."
Eifersucht auf die eigene Figur
Es ist die Erfahrung einer extremen Ich-Entfremdung, die in "Danach, das Leben" anklingt. Ein nur drei Seiten langer Textentwurf ist in den aus der Ich-Perspektive geschriebenen Bericht eingeschoben. Und in diesem Entwurf fühlt ein Schriftsteller seine reale Existenz von der fiktiven Figur des Vaters aus seinem ersten Buch erdrückt. Dabei ist er selbst derjenige, der diese Figur erschaffen hat. Schon Marguerite Duras hatte in Interviews zu ihrem autobiografischen Roman "Der Liebhaber" von diesem eigenartigen Phänomen der Eifersucht auf die eigene Figur berichtet.
Doch anstatt dieser fundamentalen Erfahrung, die wie ein Hintergrundrauschen unter dem gesamten Text liegt, tatsächlich nachzugehen, verliert Antoine Leiris sie sofort wieder aus dem Blick. Das ist umso ärgerlicher, als er dort weitermacht, wo er drei Seiten zuvor aufgehört hat: Bei der ausufernden Erzählung von allzu Vordergründigem. Details aus dem Alltag eines alleinerziehenden Vaters, der in Fragen des Haushalts und der Erziehung auf sich selbst zurückgeworfen ist und dessen Überforderung sich in Sätzen wie "An manchen Abenden wäre ich gern genauso gestorben wie sie. Verschwinden. Alles hinwerfen." Bahn bricht.
Überfrachtete Bilder
Zur erzählerischen Schwäche von "Danach, das Leben" kommt dann noch ein sprachliches Problem. Wie Satzzeichen streut Antoine Leiris sprachliche Bilder über seinen Text. Diese Bilder sind im besten Fall überfrachtet, im schlimmsten Fall komplett unverständlich. Warum bloß vergleicht der Autor einen Röntgenraum mit der "Kontrollzentrale eines Kernkraftwerks aus der Zeit der Sowjetunion"? Und weshalb leuchten die Augen seines Sohnes "wie der Himmel über Paris am Nationalfeiertag"? In Frankreich denkt man bei diesem Satz unweigerlich an die alljährliche Flugzeugparade, die den Himmel über Paris in den Nationalfarben erstrahlen lässt. Aber Kinderaugen, die wie die Trikolore blau-weiß-rot leuchten? Und auch das durch den Staatsfeiertag herbeizitierte Pathos ist hier eher störend. Manche Metaphern sind so schief, dass sie direkt zum logischen Kurzschluss führen, wie hier: "Ich bin zugleich das springende Kind und die Arme, die es in Empfang nehmen."
Doris Heinemann hat sich in ihrer Übersetzung dafür entschieden, sprachliche Ungenauigkeiten aus der französischen Umgangssprache eins zu eins ins Deutsche zu übertragen, sodass im Text Sätze stehen wie der folgende: "Von Panik ergriffen, schicke ich allem, was ich an Müttern und künftigen Müttern kenne, Textnachrichten". Einen Gefallen hat die Übersetzerin dem Buch, das sprachlich ohnehin schon auf wackeligen Füßen steht, damit sicher nicht getan.
Strategie gegen islamistischen Terror - "Sicherheitsbehörden müssen nahtlos zusammenarbeiten"Eine Lektion aus den Attentaten von Paris 2015 sei, dass europäische Geheimdienste und Sicherheitsbehörden ihre Informationen teilen müssen, sagte der Terrorismus-Experte Peter Neumann im Dlf. Es gebe aber auch positive Beispiele der Zusammenarbeit.
Vor dem Attentat
Erst im letzten Drittel von "Danach, das Leben" öffnet Antoine Leiris den Blickwinkel und gestattet sich nun, in längeren Passagen auch von der Zeit vor dem Attentat zu erzählen. Und dann klingt sein Bericht plötzlich nicht mehr so:
"Ich schaue aus dem Fenster. Staub fällt auf die Straße unten. Wie ein Körper, der sich aufdrängt und entblößt, aufreizend und quälend, beginnt dichte Feuchtigkeit vom glühend heißen Asphalt aufzusteigen."
"Ich schaue aus dem Fenster. Staub fällt auf die Straße unten. Wie ein Körper, der sich aufdrängt und entblößt, aufreizend und quälend, beginnt dichte Feuchtigkeit vom glühend heißen Asphalt aufzusteigen."
Sondern so:
"2005 ist meine Mutter in eine ihrer üblichen depressiven Phasen eingetreten. Sie nahm eine Mischung aus Alkohol und Medikamenten zu sich. Sie schlief mit brennender Zigarette ein. Ihr Bett fing Feuer. Von den Antidepressiva, den Schlafmitteln und dem Gin war sie derart benommen, dass sie sich nicht bewegen konnte."
Mit einem Minimum an Worten skizzierte Szenen von beeindruckender visueller Kraft. Doch sie kommen am Ende dieses mit schiefen Bildern überfrachteten Berichts zu spät. Und so hat man auf der letzten Seite von "Danach, das Leben" nur eine vage Idee davon, wie Antoine Leiris die inhaltliche und sprachliche Verarbeitung der antiken Tragödie, die sein Leben ist, hätte gelingen können.
Antoine Leiris: "Danach, das Leben".
Aus dem Französischen von Doris Heinemann
Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M., 192 Seiten, 18 Euro.
Aus dem Französischen von Doris Heinemann
Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M., 192 Seiten, 18 Euro.