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António Costa in Portugal
Gewinnertyp von Mittelinks

Ein wackliges Bündnis schloss der Sozialist António Costa in Portugal vor vier Jahren mit mehreren Linksparteien: Als "Klapperkiste" wurde die Koalition verspottet. Doch die fährt so gut, dass Costa bei den Wahlen am 6. Oktober auf Sieg setzen kann. Auch subventionierter Nahverkehr soll dabei helfen.

Von Tilo Wagner | 30.09.2019
Portugals Ministerpräsident Antonio Costa in Brüssel
Offene Art, ungebrochener Elan: Portugals Ministerpräsident António Costa (AFP/Ludovic Marin)
In der Metro-Station Pontinha an der Lissabonner Stadtgrenze hat sich auf dem Bahnsteig eine kleine Menschenmenge versammelt. Drei Dutzend Männer und Frauen tragen Aufkleber und halten Fähnchen in die Luft – mit einem Symbol im Zentrum: Eine weiße, geballte Faust auf rotem Untergrund. Es ist das Empfangskomitee der Sozialistischen Partei Portugals für ihren Vorsitzenden António Costa. Seit 2015 steht der gelernte Jurist an der Spitze einer Minderheitsregierung, die sich zum ersten Mal in der portugiesischen Geschichte auf drei kleinere, radikalere Linksparteien gestützt hat. "Geringonça" wird das ungewöhnliche Bündnis von den Portugiesen genannt – übersetzt: Klapperkiste.
"Die Klapperkiste hat eigentlich sehr gut funktioniert und Gutes für das Land gebracht", sagt eine junge Frau aus dem Empfangskomitee von Costas Partei. "Costa hat eine gute Mischung hinbekommen. Er hat eine klassische Linkspolitik gemacht, und sich gleichzeitig an die Haushaltsvorgaben der EU gehalten. Der politische Erfolg und die Stabilität in Portugal sind deshalb im Ausland sehr anerkannt", meint ein Mann in weißem Hemd.
Und eine ältere Frau ist überzeugt: "Er ist der Beste. Er hat gute Arbeit gemacht. Er hat uns die Dinge zurückgegeben, die uns während der Krise weggenommen wurden."
Reform des öffentlichen Nahverkehrs
Plötzlich wird es hektisch. Eine Metro fährt ein. Kameramänner, Journalisten, Parteifunktionäre und Sympathisanten suchen einen Platz vorne am Bahnsteig. Die Tür öffnet sich. Costa tritt heraus und bahnt sich mit seiner Entourage aus Ministern, Bürgermeistern, Staatssekretären und Parlamentsabgeordneten einen Weg durch die Menge. Sein kurzes, krauses Haar mag sich in den Regierungsjahren schneeweiß gefärbt haben, doch der 58-Jährige geht mit ungebrochenem Elan und seiner offenen, unkomplizierten Art auf die Pendler zu, verteilt Wahlwerbung und hält ein durchaus unbefangen wirkendes Schwätzchen mit zwei Studentinnen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Portugal wählt - Mit der Klapperkiste in den Aufschwung".
In den öffentlichen Verkehrsbetrieben der portugiesischen Hauptstadt fühlt sich Costa wohl. Das liegt nicht nur daran, dass er als Sohn eines indisch-portugiesischen Schriftstellers und einer Lissabonner Feministin in der Hauptstadt aufwuchs. Zwischen 2007 und 2015 war er ihr Bürgermeister. Und eine seiner wichtigsten sozialen Maßnahmen an der Spitze der sozialistischen Regierung betraf nun den öffentlichen Nahverkehr: Mit über 100 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt lässt Costa eine deutliche Tarifsenkung für Monatskarten in Lissabon und anderen portugiesischen Städten finanzieren.
"Den Klimawandel können wir nicht mit Worten aufhalten, sondern nur mit Taten. Deshalb haben wir vor vier Jahren damit begonnen, eine tiefgreifende Reform des öffentlichen Nahverkehrs einzuleiten. Zunächst haben wir die Zuständigkeit für die Verkehrsbetriebe von der Zentralregierung in die Verwaltung der Städte und Metropolenregionen übertragen. Zweitens haben wir die Tarife deutlich gesenkt, und das hat sich ausgezahlt. Die Zahl der Fahrgäste hat sich in den vergangenen Monaten spürbar erhöht: Um 29 Prozent in Porto, und um 30 Prozent in Lissabon. Und schließlich investieren wir nun in den Ausbau und die Verbesserung der Verkehrssysteme."
Eine mit dem typisch portugiesischen Azulejo-Kacheln dekorierte Metrostation in Lissabon
Portugals Regierungschef António Costa hat eine Tarifsenkung für Monatskarten in Lissabon und anderen portugiesischen Städten durchgesetzt (Imago/Xinhua)
Wahlkampf im Vorstadtzug
Nur wenige Stunden nach einem Fernsehduell mit seinem stärksten Widersacher Rui Rio von der Mitte-Rechts-Partei PSD ist António Costa früh morgens aufgestanden und hat sich in die überfüllten Vorstadtzüge gesetzt. Zur Stoßzeit ist er in S-Bahn und Metro durch die Lissabonner Peripherie getingelt, um sich ein Bild von der sogenannten "Revolution" im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt zu machen.
"Für mich ist es ganz wichtig, dass ich mich mit den Leuten unterhalten kann. Unser Leben in der Großstadt ist sehr hektisch, da bleibt zumindest die Zeit, die wir im Zug verbringen, um mit den Menschen in Ruhe zu reden und zu erfahren, was ihnen nicht gefällt und was wir besser machen sollen."
Und, fragt eine portugiesische Fernsehjournalistin, haben sich die Leute denn beschwert?
"Natürlich. Die Leute sind zwar sehr zufrieden, dass die Monatskarten billiger sind. Aber sie beschweren sich, dass es zu wenige Züge gibt und die Verbindungen schlecht sind. Das Problem kennen wir. Und wir versuchen, kaputte Züge schneller zu reparieren. Außerdem wollen wir neue Züge kaufen. Aber das ist nicht so, wie wenn man ein Auto kauft. So ein Prozess dauert drei bis vier Jahre."
Gute Wirtschaftsdaten
Der Sozialistenchef verweist auf den katastrophalen Zustand, in dem sich die öffentlichen Verkehrsbetriebe nach den Krisenjahren und dem von der EU auferlegten Sparzwang befunden hätten. Er hat Recht. Aber er verschweigt, dass seine Regierung auch erst drei Jahre nach dem Amtsantritt die ersten neuen Züge bestellte - auch, weil die öffentlichen Investitionen stark zurückgefahren wurden, um die Staatsfinanzen in ein Gleichgewicht zu bringen.
Glaubt man den Umfragen, ist dem bestgelaunten António Costa der Wahlsieg an diesem Sonntag nicht mehr zu nehmen. Dafür sind die Wirtschaftsdaten einfach zu gut: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 6,5 Prozent und damit so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr. Der Tourismus boomt, die Wirtschaft wächst - trotz der schlechteren Stimmung auf wichtigen Absatzmärkten in Frankreich oder Deutschland.
Sollte seine Partei nach dem erfolgreichen Experiment mit einer links steuernden Klapperkiste auch ein Vorbild für die kriselnde Sozialdemokratie in Europa sein? António Costa gibt sich bescheiden: "Wir werden niemandem Ratschläge geben, aber wir sind froh, wenn wir als gutes Beispiel gelten."