Freitag, 29. März 2024

Archiv

Arbeiterfußball in den 20er-Jahren
Vom Anspruch, den Gegenspieler zu respektieren

Sie richteten ihre eigenen Meisterschaften aus und setzten sich für Fairplay ein - bis ihre Bewegung von den Nazis zerschlagen wurde. Die Wanderausstellung "Der andere Fußball" startet im Deutschen Fußballmuseum und zeigt die Geschichte des deutschen Arbeiterfußballs.

Von Eduard Hoffmann | 27.10.2018
    Das undatierte Foto zeigt einen Torwart beim Wegfausten eines Eckballs während eines Fußballspiels in den zwanziger Jahren.
    Das undatierte Foto zeigt eine Fußballszene in den zwanziger Jahren. (picture alliance / dpa / Ullstein Bild)
    Wenn der Deutsche Fußball-Bund heute zu Respekt oder Fairness aufruft, dann entgegnet der Bielefelder Sporthistoriker Dr. Eike Stiller: "Klasse, dass ihr‘s macht, aber vergesst doch bitte nicht, dass 1920/22 all diese Ideen schon mal formuliert waren und Menschen mit genau diesem Anspruch versucht haben, ihren Sport zu betreiben und gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit vorzugehen und auf ehemalige Feinde zuzugehen. Da gibt es lange Traditionen, auf die wir verweisen können - lasst uns diese einfach nutzen."
    Das alles versuchten schon die Arbeiterfußballer zwischen 1918 und 1933 zu verwirklichen. Während der national-konservative DFB mit rauem Spiel eher Wehrertüchtigung betrieb als Fairplay, setzten die im Arbeiter-Turn-und-Sportbund organisierten sozialistischen und kommunistischen Fußballer auf Brüderlichkeit und Solidarität, Friedenserziehung und Völkerverständigung. Sie pflegten ein körperloses, schnelles und offensives Spiel, ohne knallhartes Tackling oder Wegrempeln des Gegners. Eigene Regeln, wie das Verbot von Torwartattacken, sollten die Gesundheit der Spieler schützen.
    "Das hat etwas damit zu tun", so Eike Stiller, "dass die Arbeiterfußballer den Anspruch hatten, die Gesundheit ihres Gegenspielers grundsätzlich zu respektieren, weil letztendlich darin auch immer der Klassengenosse und Kollege erkannt wird, der eine Familie zu Hause hat und seinen Körper braucht, um damit Geld zu verdienen. Das sind halt Amateure."
    Erster Austausch mit dem ehemaligen Erzfeind Frankreich
    Mit zahlreichen Objekten und Fotos, Publikationen und Presseberichten gibt die Wanderausstellung "Der andere Fußball", vom 29.10.-04.11.2018 im Deutschen Fußballmuseum, einen tiefen Einblick in die kurze, aber spannende Geschichte des Arbeiterfußballs. Schon ab 1920 spielten die Arbeiterfußballer eigene Bundesmeisterschaften aus, und 1924 reiste eine Auswahl nach Paris und reichte den Franzosen versöhnlich die Hand. Es war der erste offizielle Sportaustausch mit dem Erzfeind Frankreich nach dem ersten Weltkrieg, erklärt Eike Stiller:
    "Sechs Jahre nach dem ersten Weltkrieg in Paris - das war sicherlich kein einfacher Weg und sie haben dort einen sehr herzlichen und freundlichen Empfang erlebt. Zu einer solchen Geste war der DFB halt erst Anfang der 1930er Jahre fähig."
    1932 organisierte die Sozialistische Arbeitersport-Internationale die erste Fußball-Europameisterschaft. 15 Mannschaften nahmen teil. Die deutsche Auswahl konnte nur ein Spiel machen. Die Nazis zerschlugen nach der Machtübernahme 1933 alle konfessionellen und politischen Sportverbände. Da zählte der Arbeiter-Turn-und Sportbund eine Dreiviertel Million Mitglieder. Der Deutsche Fußball-Bund konnte gleichgeschaltet weiter bestehen und war nach 1945 alleiniger Verband im bundesdeutschen Fußball.
    Den nationalsozialistischen Machthabern, erklärt Eike Stiller, habe der DFB 1933 ein deutliches Signal gegeben, als er öffentlich erklärte: "Wir haben mit den ganzen Sozialdemokraten und Kommunisten nichts zu tun und wir sorgen auch dafür, dass weder Juden noch Arbeiter-, ehemalige Arbeitersportler bei uns im Verband offiziell Mitglied werden."
    Von den Nazis zerschlagen
    DFB-Vereine hatten allerdings von Anfang an versucht, gute Arbeiterfußballer abzuwerben. Mit attraktiven Arbeitsstellen oder besseren Wohnungen lockten sie die verarmten Proletarier ins bürgerliche Lager. 1932 wechselte auch der prominente Hamburger Torjäger Erwin Seeler, Vater von Uwe Seeler, vom Arbeiter-Club Lorbeer 06 zur bürgerlichen Victoria 1893.
    Erwin Seeler war einer der Spieler, denen oftmals von den Arbeitersport-Funktionären Starkult vorgeworfen wurde, wenn sie sich von den Zuschauern für ihre überragende sportliche Leistung feiern ließen. In einem Interview erinnerte sich Seeler daran, einmal verbotenerweise einen Pokal für seine Mannschaft angenommen zu haben: "Ich sag, der war doch für‘n Verein, nicht für mich - 'ja aber trotzdem, du hättst den nicht annehmen dürfen'. So war das im Arbeitersport, so schlimm war das da. Die haben mich nicht gesperrt, aber ich hatte eine Verwarnung."
    Die Ausstellung ist ein wichtiges Stück Erinnerungskultur, eine "spannende Nische", wie es Museumschef Manuel Neukirchner formuliert. "Das Deutsche Fußballmuseum beleuchtet die gesamte deutsche Fußballgeschichte, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Und da spielt gerade so ein Thema wie der Arbeiterfußball eine ganz entscheidende Rolle. Als wir gefragt worden sind, ob wir so eine Ausstellung machen, haben wir sehr, sehr gerne da zugestimmt."
    Das hat jedoch drei Jahre gedauert. Und dem Wunsch des Paderborner Kreises nach einer längeren Sonderausstellung hat man schließlich eine Absage erteilt. Eike Stiller kann damit leben: "Entscheidend ist, dass diese Sportbewegung, die Arbeiterfußball-Bewegung, gezeigt wird. Ich habe gelernt, wenn ich im Rahmen von Erinnerungskultur etwas verändern will, dass ich mich darauf einstellen muss, dicke Bretter zu bohren."