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Arbeitsexperte: Opel-Krise hat kaum Einfluss auf Region

Remme: Von Lohnkosten und Managementfehlern haben wir viel gehört in den letzten Tagen. Der Kahlschlag bei Opel in Bochum hätte aber in der Region Auswirkungen weit über das Werk hinaus. Am Telefon ist Franz Lehner, Präsident des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Herr Lehner, in Bochum wird wieder gearbeitet - wir haben es gehört. Glauben Sie, diese Verhandlungen können die Lage der Belegschaft wirklich noch substantiell verbessern, oder ist das weitgehend Kosmetik und die Jobs sind weg?

Moderation: Klaus Remme |
    Lehner: Nein, ich glaube nicht, dass es weitgehend Kosmetik ist. Ich glaube, dass für Opel schon klar ist, dass man Managementfehler nicht einfach auf diese Weise bereinigen kann, ohne für die Marke, die ja eh schon gewisse Marktprobleme hat, Nachteile zu erzeugen. Ich glaube nicht, dass es die Angst vor dem Streik ist, die Opel bewegen wird, aber der Aufschrei in der Region im großen Maße ist, glaube ich, wichtig gewesen.

    Remme: Auf diese Region wollen wir zu sprechen kommen. Wir wollen vor allem über die mittel- und langfristige Zukunft sprechen. Aber wenn wir jetzt noch mal kurz bei der momentanen Krise bleiben. Welche Auswirkungen hätten denn die Entlassungspläne über das Werk hinaus für die Region?

    Lehner: Ich glaube nicht, dass es sehr große Auswirkungen auf die Region hätte, zumindest nicht real, vielleicht auf das Bewusstsein, dass man wieder das Gefühl hat, es geht bei uns nicht voran. Real, glaube ich, hängt nicht sehr viel mehr an Opel dran. Große Teile der Opelzulieferer kommen von außerhalb der Region. Also man sollte die regionalen Effekte nicht überschätzen. Es wird diese Region nicht dramatisch treffen und die Kraft dieser Region auch nicht beeinträchtigen.

    Remme: Sie sind Experte in Sachen Strukturwandel, und bei dem Wort und bei dem Ort Gelsenkirchen denkt jeder natürlich sofort an Kohle und Kumpel. Sehen Sie Parallelen zwischen dem Niedergang des Bergbaus und dem aktuellen Schwierigkeiten der Branche?

    Lehner: Ja, natürlich. Das ist im Grunde genommen die gleiche Geschichte einfach nur ein paar Jahre später in der neuen Industrie. Das ist sozusagen das Naturgesetz des Strukturwandels. Die hochentwickelte Länder verlieren immer dort Beschäftigung, wo andere ohne Weiteres auch hinzukommen können, und sie gewinnen nur dort Beschäftigung, wo sie anderen voraus sind, wo sie mehr Wissen, mehr Technologie, bessere Arbeitskräfte einsetzen können, bessere Märkte haben. Wir werden das immer wieder erleben, dass wir in solchen Altindustrien, die nur noch über Kosten, über Preise im Wettbewerb stehen, und nicht über Innovation, verlieren werden. Deswegen müssen mir versuchen, viel mehr innovative Unternehmen hineinzuziehen. Das ist nicht eine Frage von Altindustrie im Sinne von Stahl oder Autos. Beim Stahl gibt es ganz moderne, innovative Entwicklungen vom Bereich Automobilzulieferung, die beispielsweise Thyssen und Krupp sehr stark machen. Die Frage ist, schafft man es ganz nach vorne zu kommen mit Technologie, mit Wissen, mit Qualifikation?

    Remme: Nun sagt der Wirtschaftsminister, dies ist bei Leibe keine Standortkrise. In Sachen Automobilbranche ist Deutschland der beste Standort der Welt.

    Lehner: Das sehe ich auch so. Schauen Sie, die Lohnkosten sind gerade in der Automobilbranche ja weit unter 20 Prozent. Bei Opel liegen sie, wenn ich richtig informiert bin, bei 16 Prozent. Also daran kann es nicht mehr liegen. Wenn man sich jetzt mal vorstellt, Opel würde 10 Prozent seiner gesamten Belegschaft entlassen, dann würde man etwa 1,6 Prozent de Kosten senken können. Wenn man überlegt, was das alles an Sozialplänen ausmacht, dann kann man sich vorstellen, das ist kein gutes Geschäft. Aber wenn man dagegenhält, was man mit besserer Produktivität einsparen könnte, dann zeigt sich, dass Opel einfach auf dem falschen Weg ist.

    Remme: Aber wenn so viel Geld in Deutschland damit verdient wird und jeder siebte Arbeitsplatz davon abhängt, warum dann über Strukturwandel nachdenken?

    Lehner: Wir müssen deshalb über Strukturwandel nachdenken, weil die anderen Länder aufholen. Sie können heute Autos fast überall in der Welt mit hoher Qualität produzieren. Die Zeiten, wo man Autos bei uns gebaut und sie in die ganze Welt geliefert hat, gehen ein Stück weit vorbei. Die Unternehmen gehen dort hin, wo ihre Märkte sind. Wir werden den Automobilbau in Deutschland halten können in dem Maße, in dem unsere Märkte attraktiv sind, aber nicht weil wir ein besonderer Standort sind. Es gibt auch andere Standorte, die gut sind. Also wir sind kein schlechter Standort, aber wir sind auch nicht mehr einer, der so herausragt, dass er nichts zu befürchten braucht.

    Remme: Das Ruhrgebiet hat zur Zeit eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von 13 Prozent. Die Bevölkerungszahl dort nimmt ab. Ist das ein erfolgreiches Beispiel für Strukturwandel?

    Lehner: Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann nicht. Aber wenn man sich anschaut, was hinter den Zahlen ist, dann schon. Wir hatten vor 30 Jahren im Ruhrgebiet keine einzige Universität. Es hat Zeit gebraucht, bis um die Universitäten herum etwas Spannendes entstanden ist, aber es ist etwas Spannendes entstanden: Medizintechnik in Bochum, Biomedizin und Mikroelektronik in Dortmund. Da zeigt sich ein neues Ruhrgebiet, ein Ruhrgebiet, das auf dem Weg ist zu einer so genannten wissensbasierten Volkswirtschaft, und da waren wir erfolgreich. Das wird noch ein paar Jahre dauern, bis sich das in Zahlen niederschlägt. Die neuen Unternehmen, die sich um diese Technologiezentren herum bilden, sind noch klein und werden erst über viele Jahre hinweg wachsen. Aber in zehn Jahren wird sich hier die Situation grundlegend verändert haben.

    Remme: Wenn dieser Wandel nun bevorsteht, auch in Sachen Automobilbranchen, was kann man dann lernen vom weitgehenden Ausstieg aus dem Bergbau?

    Lehner: Dann kann man einfach lernen, dass man investieren muss in die Entwicklung von Branchen, die technisch, wissenschaftlich weit vorne sind, die im Ruhrgebiet hervorragende Märkte finden.

    Remme: Beispiele?

    Lehner: Gesundheitswirtschaft zum Beispiel, Umweltwirtschaft. Umweltwirtschaft war in den achtziger Jahren und heute noch ein richtiger Jobproduzent. Gesundheit wird es in den nächsten Jahren sein.

    Remme: Welche Vision haben Sie denn für das Ruhrgebiet langfristig?

    Lehner: Meine Vision ist, dass wir unser Kernproblem jetzt angehen, nämlich die geringe Attraktivität, die unsere Städte noch haben. Wir müssen die Innenstadtattraktivität und die Attraktivität als Wohnort fördern, dass viele Menschen hierher kommen. Wir haben die Chance, weil wir enorm viele Grünflächen haben. Wir haben viele Wohnungsleerstände, und das kann man nutzen, um Wohnungen zu modernisieren. Also meine Vision ist, das wird eine in sich zusammenwachsende Metropolenregion sein mit einem sehr starken Markt, die aus dem Altern der Bevölkerung richtig Gewinn macht, weil sie die Wirtschaftskraft des Alterns richtig umsetzt. Es wird eine Region sein, die durch Lebensqualität Geld verdient.

    Remme: Klingt ja ein bisschen nach Freizeitpark?

    Lehner: Ein Stückweit ja. Freizeit spielt bei den Menschen immer eine größere Rolle. Menschen werden immer mehr Geld ausgeben für Lebensqualität und nicht nur für materielle Bedürfnisse. Wir im Ruhrgebiet können etwa das Bedürfnis Gesundheit, aber auch das Bedürfnis Bildung, wodurch sich die Lebensqualität erhöht, durchaus befriedigen und daraus Geld machen, ebenso gut wie aus der Industrie, und wir können das verbinden. Gesundheit ist das Thema der nächsten zehn, zwanzig Jahren. Gesundheit treibt Biotechnologie an, Medizinforschung usw. Am Thema Gesundheit hängt unheimlich viel Hightech in den nächsten Jahrzehnten.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.