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"Arbeitslosigkeit hat nichts mit der Weltkonjunktur zu tun"

Engels: Auch wenn Florian Gerster nicht mehr im Amt ist und ein Nachfolger an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit noch nicht feststeht, bleibt ein Ritual in jedem Monat gleich. Die Nürnberger Behörde legt auch heute die Arbeitslosenzahlen für den vergangenen Monat vor, also dieses Mal für den Januar. Nach Medienberichten sind demnach rund 230.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet gewesen als im Dezember. Im Vergleich zum Januar vor einem Jahr wären das aber rund 70.000 weniger Beschäftigungssuchende. Diese Zahlen sind noch nicht offiziell. Deshalb sind sie auch noch nicht im einzelnen zu bewerten. Fest steht aber wohl, dass wir auch in diesem Monat keinen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit sehen werden. Warum ist das so? Dazu wollen wir sprechen mit Professor Hans-Werner Sinn. Er ist Präsident des ifo-Instituts in München und nun am Telefon. Guten Morgen Herr Sinn!

    Sinn: Guten Morgen!

    Engels: Warum sehen wir keine Entspannung am Arbeitsmarkt?

    Sinn: Diese 70.000 weniger ist ein rein statistisches Artefakt, das darauf zurückzuführen ist, dass nach unserer Kenntnis etwa 100.000 Arbeitslose, die in Trainingsmaßnahmen involviert waren, seit 1. Januar nicht mehr als arbeitslos gezählt werden. Das bedeutet dann nach Adam Riese, dass wir einen Zuwachs der Arbeitslosigkeit hatten. Im Übrigen hat das Arbeitsamt seit April letzten Jahres seine Politik geändert und ist sehr viel strenger mit den Kriterien für die Auszahlung von Arbeitslosengeld mit der Folge, dass sehr viele Leute sich dann nicht mehr als arbeitslos gemeldet haben. Die Zahl der Stellen in Deutschland ist leider doch im letzten Jahr - und das wird jetzt so weiter gehen - dramatisch zurückgegangen.

    Engels: Bleiben wir bei der Statistik. Darauf wollte ich auch zu sprechen kommen. Wird durch solche Maßnahmen, wie Sie sie gerade beschrieben haben, die Arbeitslosenstatistik künstlich gedrückt?

    Sinn: Ja, das ist so und das hilft uns nicht weiter. Nach der Methode haben wir in den letzten 10, 15 Jahren immer gespielt. Auch Herr Blüm hat das früher prima verstanden, die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren, indem er die Leute in verschiedene Formen von Frühverrentungsmodellen gesteckt hat. Deutschland versteckt seine Arbeitslosigkeit und trotzdem wächst diese Arbeitslosigkeit immer weiter. Das ist eigentlich das Problem unseres Landes. Und woran liegt das? Das liegt an zwei Dingen. Es liegt einmal daran, dass die Weltkonjunktur halt in den letzten drei Jahren überhaupt nicht mehr lief. Davon waren wir berührt. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Erklärung. Der größere Teil der Erklärung ist, dass hier aus strukturellen Gründen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Arbeitnehmer immer weiter zurückgeht.
    Die Arbeitslosigkeit, die wir haben, ist ja 30 Jahre lang aufgebaut worden. 1970 hatten wir praktisch gar keine Arbeitslosigkeit, 150.000 nur. Der Zuwachs folgte über die Zeit einem linearen Trend. Dieser Trend hat wirklich gar nichts zu tun mit der Weltkonjunktur, sondern das ist unser eigenes Problem. Er hat vielleicht mit der Globalisierung zu tun, dass wir immer stärker bedrängt werden von Niedriglohnanbietern aus aller Welt, Asien insbesondere. Neuerdings kommt ja China hinzu. Es ist aber zum Teil auch hausgemacht und das hausgemachte Thema hat wiederum mit der Art zu tun, wie wir den Arbeitsmarkt regulieren. Ich denke hier insbesondere an die Gewerkschaften, die Tarifverhandlungen. Das System gibt den Gewerkschaften auch sehr, sehr viel Macht, die Löhne derer, die noch einen Job haben, teuerer zu machen zu Lasten derer, die noch in den Arbeitsmarkt hinein wollen. Die sind dann nicht richtig berücksichtigt. Das müsste man ändern. Es hat zu tun mit der ganzen Starrheit unseres Systems, zum Beispiel dem Kündigungsschutz. Da sagen ja viele Leute, Kündigungsschutz erhält Arbeitsplätze. Das tut er bei einem Unternehmen im Moment einmal, führt aber dazu, dass neue Unternehmen es kaum wagen, auf dem Markt aufzutreten, weil sie ja die Arbeitnehmer, die sie einstellen, nie wieder los werden. Auf die Dauer ist das denn also doch auch mehr Arbeitslosigkeit und nicht weniger.
    Und es hat zu tun mit der Rückwirkung des Sozialstaates auf den Arbeitsmarkt. Der Sozialstaat, der ja immerhin ein Drittel unseres ganzen Sozialproduktes für seine Zwecke absorbiert, der zahlt Geld aus, wenn ich es mal hart sagen darf, fürs Nichtstun. Das ist nämlich der so genannte Lohnersatz. Ob ich nun Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, auch Frühverrentung bekomme, das Geld fließt immer genau dann, wenn ich nicht arbeite, und hört auf zu fließen, wenn ich wieder arbeite. Das heißt also der Staat gebärdet sich hier wie ein großer Konkurrent auf den Arbeitsmärkten, der die privaten Unternehmen bedrängt und sie zwingt, hohe Löhne anzubieten, die eben höher sind als das, was der Staat hier zahlt. Dieser Konkurrent tritt neben den anderen Niedriglohnkonkurrenten auf den Weltmärkten auf und in dieser doppelten Konkurrenzsituation wird es halt immer schwerer, hier in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen.

    Engels: Drei Dinge haben Sie angesprochen: Kündigungsschutz, Tarifstarre und eben die Folgen des Sozialstaates. Das würde mehr Arbeitsplätze verhindern. Nun hat es auf der anderen Seite doch Reformen gegeben. Greifen diese Hartz-Reformen, die ja so viel beschworen wurden, nicht?

    Sinn: Na ja, das war doch im Wesentlichen eine interne Reform der Bundesanstalt für Arbeit. Wenn man die effizienter macht, dann führt das ja noch nicht dazu, dass mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Es gibt eine für die Deutschen will ich mal sagen etwas bittere Wahrheit, an der wir überhaupt nicht drum herum kommen. Wenn es mehr Jobs geben soll, dann muss der Lohn billiger werden. Die Lohnkosten müssen fallen. Um dieses Thema hat sich Hartz ja total gedrückt. Da finden Sie überhaupt nichts in dem langen Gutachten. Da wollte man also Wege finden, irgendwie die Situation zu verbessern, ohne an den Kern des Problems überhaupt nur anzustoßen. Das lag daran, dass die Gewerkschaften eben auch in seiner Kommission vertreten waren und Ökonomen gar nicht. Also mit Hartz kommen wir da überhaupt nicht weiter.

    Engels: Das heißt Ihre Patentrezepte lauten: die Tarifautonomie einschränken und den Kündigungsschutz lockern?

    Sinn: Ja und ich finde es noch wichtiger, am allerwichtigsten, dass wir einen aktivierenden Sozialstaat schaffen, also einen Sozialstaat, der den weniger leistungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft hilft, aber nicht mehr wie heute unter der Bedingung, dass sie sich aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, sondern unter der Bedingung, dass sie mitmachen. Stichwort Zuzahlung statt Lohnersatz, Lohnzuzahlung. Wenn das so ist, dann ist der Sozialstaat ein Partner auf dem Arbeitsmarkt und kein Konkurrent mehr. Die Leute sind dann nämlich bereit, auch für niedrigste Löhne zu arbeiten, weil sie ja wissen, sie kriegen vom Staat noch was dazu, und der Zielerreichungsgrad der Sozialpolitik wird durch so etwas vergrößert, weil zwar die Löhne im unteren Bereich niedrig sind, aber in der Summe aus diesen Löhnen und der Zuzahlung des Staates dann doch ein Einkommen entsteht, das höher ist oder mindestens genauso hoch ist wie das, was man heute bekommt mit einer Menge Arbeitslosigkeit.

    Engels: Und bevor diese Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, greifen, werden wir auch keine Entspannung am Arbeitsmarkt bekommen?

    Sinn: Wir werden natürlich eine kleine Entspannung kriegen. Die Konjunktur zieht jetzt wieder an. Aber die Konjunktur ist ja nur so das Auf und Ab, die Schwankungen des Auslastungsgrades des Produktionspotenzials. Unser Problem ist, dass das Produktionspotenzial insgesamt zu wenig wächst, dass zu wenig neue Arbeitsplätze entstehen. Durch die Verbesserung des Auslastungsgrades, die wir in diesem Jahr nach unserer Einschätzung kriegen, wird es in der zweiten Jahreshälfte auch eine gewisse Belebung am Arbeitsmarkt geben. Nur was auch immer jetzt passiert, selbst wenn wir einen Super Boom bekommen und der Auslastungsgrad geht gegen 100 Prozent, dann wird es immer noch bestimmt 3,8 Millionen Arbeitslose geben.

    Engels: Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts in München. - Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!