Donnerstag, 28. März 2024

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Arbeitswelt 4.0 - zur digitalen Zukunft der Arbeit (1/3)
"Die Beziehung Mensch-Maschine ist nicht emotionslos"

Wie sieht sie aus, die Arbeitswelt, in der die digitale Revolution Alltag geworden ist? Constanze Kurz ist Datenschutzexpertin und Pressesprecherin des Chaos Computer Clubs sowie Autorin der FAZ-Kolumne "Aus dem Maschinenraum".

Constanze Kurz im Gespräch mit Hans-Jürgen Heinrichs | 06.03.2016
    Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs
    Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Es stellen sich viele gesellschaftliche und kulturelle Fragen für die Zukunft der Arbeit, denn Information und Vernetzung, Globalität und Mobilität führen auch zum Verlust der traditionellen Berufe und der Jobs der Mittelschicht.
    Das unbestimmte Verhältnis von Freizeit und selbstbestimmter Arbeitszeit, die Utopie von Demokratie und Hierarchiefreiheit in Unternehmen und Transparenz und totale Überwachung machen Arbeit zu einem Experimentierfeld ohne definitive Antworten.
    Im Deutschlandfunk sagte Kurz, die sogenannte Industrie-4.0-Logistik habe längst Bereiche in der Büro- und Arbeitswelt erfasst. Das könne auch sehr hohen Druck auf jeden Arbeitnehmer ausüben, "weil permanent die eigenen Arbeiten, die man mit den Maschinen zusammen vollführt, vermessen werden; man muss sich ganz neuen Optimierungs- und Effizienzberechnungen unterziehen". Rund drei Viertel der Menschen haben im Job immer mit Rechnern zu tun. "Die Befürchtung, das ist in manchen Branchen natürlich sehr stark, ist, dass man selbst ersetzt wird durch ein Software-Produkt, durch einen Roboter oder durch eine Kombination davon." Auch Branchen mit einer hohen emotionalen Komponente, etwa in der Pflege, könnten teilweise maschinisiert werden, sagte Kurz.
    Die Digitalisierung der Gesellschaft sei kein schleichender Prozess mehr, sondern relativ heftig, sagte Datenschutzexpertin. Das zeigten beispielhaft die autonom fahrende Autos - das Tempo zwischen der Ankündigung von Firmen, Prototypen zu entwickeln, und der Einbindung in den normalen Straßenverkehr sei enorm. "Man muss vorsichtig sein, dass so was gesellschaftlich nicht umschlägt, dass man die Prozesse, die mit Technisierung zu tun haben, nicht dämonisiert, weil man merkt, dass mit Technologiewellen Ungerechtigkeiten verstärkt werden."

    Das Gespräch in voller Länge:
    Hans-Jürgen Heinrichs: Constanze Kurz, was wird aus den Menschen, die ihre Arbeit infolge der Digitalisierung verlieren? Neueste Zahlen sprechen von zu erwartenden mehr als fünf Millionen, vielleicht sogar sieben Millionen Arbeitslosen und etwa zwei Millionen neuen Stellen in der Folge von dem, was man Industrie 4.0 nennt. Das wäre meine Ausgangsfrage: Wie ist dieser Begriff entstanden? Spricht man zu Recht von einer neuen industriellen Revolution?
    Constanze Kurz: Ich denke, man sprich auf jeden Fall zu Recht von einer industriellen Revolution. Der Begriff Industrie 4.0 ist nur in Deutschland gängig. Haben sich ein paar Wissenschaftler ausgedacht während einer Tagung, und der hat sich dann festgesetzt. Der bezieht sich natürlich auf frühere Industrieveränderungen, die es gegeben hat, also eben genau drei, und auch die Umwälzungen, die verschiedene technologische Entwicklungen mit der Gesellschaft vollführt haben und mit der Art, wie Menschen arbeiten. Man meint, mit dieser Industrie 4.0 zum einen natürlich die Digitalisierung aller Prozesse im Arbeitsleben, man meint aber sicherlich auch die Sensorik, die heute in vielen Geräten, Maschinen, auch in Robotern enthalten ist und die ganzen Prozesse, die man dadurch neu gestaltet. Es ist ein sehr weiter Begriff, der letztlich häufig unter Chancen und Risiken diskutiert wird.
    Heinrichs: Vielleicht noch eine ganz aktuelle Frage zu dem Weltwirtschaftsforum in Davos: Hat das für Sie etwas Neues erbracht, zum Beispiel, welche Arbeitsplätze vor allem im positiven Sinne, aber auch eben im Arbeitsverlustsinne von dieser Veränderung der Industrie 4.0 betroffen sind?
    Kurz: Ich glaube, wenn Davos ein Thema setzt, dann ist natürlich erst mal auch eine gewisse mediale Reaktion zu beobachten, dass man intensiver international über diese Problematiken spricht, dass ganze Bereiche von Berufen in sehr naher Zukunft wegfallen könnten, dass es natürlich dann Menschen gibt, deren Fähigkeiten überhaupt nicht mehr gebraucht werden und wie man das auffängt.
    Heinrichs: In naher Zukunft, was meinen Sie? In ein, zwei Jahren oder fünf Jahren?
    "Industrie 4.0 kann eine Entlastung sein"
    Kurz: Die nahe Zukunft, ja, drei bis fünf, also die man auch ganz gut abschätzen kann, wo Ökonomen gute Zahlen haben und relativ zuverlässige Prognosen abgeben können. Zum anderen ist natürlich auch klar geworden, dass in Davos nicht nur über diese Wirtschaft gesprochen wurde, sondern auch schon der Bildungsaspekt mit reinkam. Man hat gleich gesagt, man müsse damit auch die Schüler besser vorbereiten, ganze Ausbildungssysteme umgestalten.
    Heinrichs: Wenn wir über die Roboter, über künstliche Intelligenz, Automatisierung und Digitalisierung sprechen, ich habe den Eindruck - und in der letzten Zeit eigentlich immer stärker -, dass man über diese Prozesse auf sehr unterschiedliche Weise spricht. Zum einen so, als handle es sich um technisches Spielzeug, mit dem man mal so etwas ausprobiert, wie Kinder das machen, und das den Menschen auch lästige Arbeiten abnimmt und weniger störanfällig als der Mensch ist. Zum anderen aber blicken die Leute, die Wirtschaftsfachleute und, sagen wir mal, die etwas weiterdenkenden Gesellschaftstheoretiker doch sehr besorgt auf die Auswirkungen in der Arbeitswelt. Könnten Sie diese sich verändernden Arbeitsbedingungen beschreiben, und die betreffen ja nicht nur die Fabriken, sondern auch Büros und die Verwaltung?
    Kurz: Das ist, glaube ich, auch der genaue Unterschied, weswegen die Debatte sich jetzt verändert hat. Es ist eben nicht nur eine einfache Arbeit, teilweise schwere Arbeit, also körperlich schwere Arbeit oder gesundheitsgefährdende Arbeit, die versucht wird, über Roboter und Maschinen zu erledigen, sondern es sind eben auch kognitive Fähigkeiten von Menschen. Längst hat diese sogenannte Industrie 4.0 Logistik, Verwaltung, ganze Bereiche in der Büro- und Verwaltungsarbeit erfasst. Das merken natürlich die Leute in ihrem normalen Arbeitsleben. Das kann eine Entlastung sein, wenn man langweilige oder repetitive Arbeiten nicht mehr machen muss oder zum Teil abgenommen bekommt, aber es kann natürlich auch sehr hohen Druck ausüben, weil permanent die eigenen Arbeiten, die man mit den Maschinen zusammen vollführt, vermessen werden. Man muss sich ganz neuen Optimierungs- und Effizienzberechnungen unterziehen. Hier sind wieder die zwei Seiten gut sichtbar, und sie werden für die Menschen einfach greifbar, weil es im normalen Arbeitsleben passiert. Man muss sich, glaube ich, klar machen, dass derzeit ungefähr 75 Prozent der Menschen in ihrem normalen Arbeitsleben immer mit Rechnern arbeiten. Das ist also eine hohe Zahl, und da merkt man natürlich zum einen, wie praktisch das sein kann, aber zum anderen natürlich auch, wie viel Druck da aufgebaut wird. So ein Computer ist halt nicht schlecht, der braucht auch kein Urlaub, der wird nicht schwanger, er ist auch nie müde.
    Letztes Jahr waren Lern-Apps das Thema auf der Bildungsmesser didacta.
    Computer können viele Arbeiten einfacher machen. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Heinrichs: Noch nicht schwanger!
    "Wir sehen schon vollständig automatisierte Kliniken"
    Kurz: Ich glaube, es wird einfach unmittelbarer. Die Befürchtung, dass es in manchen Branchen natürlich sehr stark ist, dass man letztlich selbst ersetzt wird durch ein Softwareprodukt, durch einen Roboter oder eine Kombination davon.
    Heinrichs: Sie haben eben von den kognitiven Prozessen kurz angedeutet, dass wir die mit berücksichtigen müssen. Ich denke, dass Sie damit auch einbezogen haben die emotionalen Prozesse, weil die sind - wenn ich zum Beispiel daran denke, dass ein Roboter in der Krankenpflege einen Helfer ersetzen soll, wie der zum Beispiel einen Austausch, ein Gespräch, und der entscheidende Faktor, nämlich die Empathie wegfällt, wie er es ersetzen soll -, also das würde ich gerne, dass Sie die Folgen der Automatisierung, dass Sie die noch etwas genauer charakterisieren.
    Kurz: Es hat natürlich mehrere Ebenen, wenn man darüber nachdenkt, wie wir zusammen arbeiten und wie wir uns über Arbeit definieren. Das eine ist natürlich, dass sich Menschen nicht nur zum Broterwerb einer Arbeit hingeben, sondern sie darüber auch Sinn schöpfen in ihrem Leben. Das kann sich natürlich sehr verändern, wenn man plötzlich unmittelbar mit Maschinen zusammenarbeitet, gerade auch, wenn man in Berufen arbeitet, die sich mit Menschen beschäftigen. Wenn Sie jetzt das Beispiel etwa von Pflegerobotern haben, sehen wir derzeit in der Medizin, Hospitälern, ja schon Kliniken, die vollständig automatisiert werden. Da hat man Reinigungsroboter, da hat man Roboter, die Medikamente den Patienten bringen, man hat Desinfektionsroboter und so weiter, aber die eigentliche Pflege ist sicherlich noch entfernt. Dennoch, man sieht in einigen Bereichen, dass auch Roboter solche Fähigkeiten durchaus simulieren können. Ich würde es jetzt simulieren nennen, weil das nicht wirklich mit Emotionen zu tun hat. Und zwar kann man ganz gut beobachten bei so Maschinen und Robotern, die man als Spielzeuge, wie so eine Art Hunde- oder Katzenersatz verkauft und wie sehr schnell Menschen auch Bindungen zu diesen Robotern haben, so wie man natürlich beobachten kann, dass Menschen eine emotionale Bindung zu ihrem Mobiltelefon haben können, weil man jeden Tag diesen digitalen Helfer dabei hat. Ich halte es auch nicht für unmöglich, dass diese Bereiche teilweise maschinisiert werden.
    Die demente Eleonore Mayer hält in einem Pflegeheim in Senden einen Roboter in einem Robbenfell. 
    Ein Roboter und eine Pflegebedürftige in einem Altenheim. (dpa / picture alliance / Stefan Puchner)
    Heinrichs: Aber Simulation heißt hier im Wesentlichen Lernprozess, also das, was man eingibt, kriegt man auf irgendeine Weise zurück.
    "Alle Berufsfelder sind in irgendeiner Weise betroffen"
    Kurz: Es ist schon ein bisschen mehr. Es ist eine Reaktion und auch eine Lernfähigkeit. Man muss sich vorstellen - wir nehmen mal so ein Spielzeug: Sie haben nicht nur ein sich bewegendes Etwas, ähnlich wie so ein Hund, sondern dieses bewegende Etwas hat auch noch Sensoren, es merkt, wenn es angefasst wird, es lernt, über Stimmen und Reaktionen zu reagieren auf verschiedene Arten von Personen. Da kann man sich schon gut vorstellen, dass ein Mensch darauf auch reagiert. Wir haben natürlich im normalen Arbeitsumfeld auch soziale Prozesse: Wir haben Kollegen, mit denen setzen wir uns auseinander. Das kann man auch beobachten selbst bei Industrierobotern, die erhalten oft Namen, die werden in gewisser Weise vermenschlicht, wir haben den Effekt, dass sehr viele Roboter mit Gesichtern und Augen gebaut werden, obwohl das gar nicht notwendig wäre, dass man so eine menschenähnliche Gestalt macht. Man merkt, dass die Beziehung Mensch-Maschine natürlich nicht emotionslos ist.
    Heinrichs: Jetzt zumindest vonseiten des Menschen nicht.
    Kurz: Sicher. Wir haben keine Form von Maschine derzeit, die tatsächlich in der Lage wäre, eine Form von menschlichem, emotionalem Verstehen auch nur zu simulieren. Es gibt natürlich eine ganze Menge Forschung dazu, ob eher Berufsfelder, die typisch sind für Frauen, betroffen sind. Es lässt sich wohl erst mal festhalten, dass alle Berufsfelder in irgendeiner Weise betroffen sind. Nun gibt es in Europa bestimmte Berufsfelder, die eben von Frauen häufiger ausgeübt werden und da auch mit einer durchschnittlich schlechteren Bezahlung, denn die Bezahlung der Arbeiter ist natürlich eine ökonomische Frage für - man versucht zu investieren im Roboterbereich, man nimmt sich natürlich Kennzahlen und versucht, eine Investition von Software oder von Maschinen und Robotern möglichst zu berechnen und zu sagen, na ja, vielleicht in fünf oder sechs oder sieben Jahren mit diesen Kennzahlen, wo man die normalen Arbeiter mit hineinberechnet, rentiert sich eine Maschine, ein Roboter -, und insofern sind natürlich Frauen auch mehr betroffen, da sie in der Regel schlechter bezahlt werden und die Ersetzung sich eher lohnt. Zum anderen muss man wohl sagen, bei den kognitiven Fähigkeiten, also vor allen Dingen Software, die menschliche Tätigkeiten ersetzt, dürfte es wohl ausgeglichener sein, aber natürlich sind die Berufsfelder weltweit, in denen Frauen dominieren, sehr unterschiedlich verteilt. Das ist ja in Europa oder Asien nicht gleich, und wir reden natürlich wieder von Prognosen. Man schätzt gewisse Dinge ab.
    Das Google Car: ein selbstfahrendes Auto im Test.
    Das Google Car: ein selbstfahrendes Auto im Test. (picture alliance / dpa / Google Handout)
    Heinrichs: Constanze Kurz, wird es nicht so sein, dass die Digitalisierung schleichend immer stärker in unsere Lebenswelt eindringt und wir uns an Eingriffe gewöhnen, die uns einmal Angst gemacht haben?
    "Das ist kein langsamer Prozess mehr"
    Kurz: Zum einen denke ich, dass die Digitalisierung im Wesentlichen bei den Menschen auch angekommen ist, auch im Gefühl des Arbeitslebens, im Zusammenleben, also der Prozess, dass wir in eine digitale Gesellschaft übergegangen sind, im Privaten wie im Beruflichen, haben viele Menschen, denke ich, sehr klar begriffen einfach durch ihren Alltag. Auch, wenn man jetzt die etwa die Industrieroboter oder so betrachtet, ist das ja im Prozess von mehreren Jahrzehnten mittlerweile. Es gibt nur eine technologische Wende in der Weise, dass eine Verbilligung der Technik passiert ist in den letzten Jahren, also sehr viel einfacher ist, Leistung, überhaupt Computertechnik, Speicher und so weiter zu benutzen, einfach, weil man weniger investieren muss, ist billiger geworden. Es gab natürlich auch eine ganze Menge Durchbrüche bei der Sensorik: Geräte können heute relativ preiswert Sensorik tragen, weswegen es einen gewissen Schwung gibt nach vorn. Keine wirklich kontinuierliche Entwicklung, sondern große Bereiche werden erfasst. Ich glaube, die meisten Menschen merken es am deutlichsten bei den selbstfahrenden oder stark unterstützt fahrenden Autos. Natürlich gibt es da eine ganze Branche von mehreren hunderttausend Menschen - Taxifahrer, Kurierfahrer, LKW-Fahrer -, die natürlich unmittelbar merken, dass das, was sie beruflich können, was ihre Fähigkeit ist, in Zukunft vollständig oder teilweise ersetzt wird durch Maschinen. Das ist nur so ein Beispiel, aber da wird es, glaube ich, sehr deutlich, weil Menschen sich dafür sehr interessieren - gerade hier in Deutschland ist ja das Auto immer so ein besonderes Diskussionsthema -, und zum anderen, weil man merkt, wie schnell hier die Veränderung vor sich geht. Von der Ankündigung etwa, dass die ersten Firmen solche Fahrzeuge auf die Straßen bringen, jetzt mittlerweile bis zu Systemen, die bereits autonom im normalen Straßenverkehr fahren dürfen, Testprototypen oder eben auch Google, wo mittlerweile mehr als zwei Millionen Meilen gefahren wurden. Man merkt eben, dass es kein langsamer Prozess mehr ist. Der ist gerade nicht schleichend, der ist relativ heftig.
    Heinrichs: Ihre Antwort beruhigt mich nicht. Im Gegenteil, sie bestärkt mich eben eher darin in dieser Befürchtung. Auch Ihre Formulierung, dass die Digitalisierung übergegangen sei in die Lebenswelt, in die Arbeitswelt und dass die Menschen begriffen haben, aber das Begreifen spart ja gerade das Moment der Angst aus. Ich fand es jetzt ganz interessant, dass Sie auf die Angst nicht eingegangen sind.
    "Wir müssen Technik aktiv gestalten"
    Kurz: Ich glaube, sie ist auf jeden Fall vorhanden. Das hat man in der Historie auch bei den anderen Technologiewellen sehen können. Man muss, glaube ich, auch relativ vorsichtig sein, dass so was gesellschaftlich nicht umschlägt, dass man die Prozesse, die mit Technisierung zu haben, nicht plötzlich dämonisiert, weil man merkt, dass mit Technologiewellen Ungerechtigkeiten verstärkt werden, also sozialer Art. Dass man ohnehin eine gewisse Stigmatisierung hat beim Arbeitsplatzverlust ist heute schon so, dass man sich dafür rechtfertigen muss, dass man ersetzt wird durch eine Maschine, obwohl erst mal prinzipiell nichts Schlechtes darin ist, wenn uns eine Maschine oder eine Software Arbeit abnimmt. Das ist ja toll, weil da könnte man ja arbeitsfrei haben. Leider sind die sozialen Umstände nicht so, dass es nicht vor allen Dingen eine ökonomische Angst wäre. Die Ersetzung bedeutet eben einen Arbeitsplatzverlust und einen ökonomischen Abstieg möglicherweise. Daher kommt ja die Angst.
    Heinrichs: Diese Gefahr sehe ich im Augenblick eigentlich überhaupt nicht, dass die Euphorie für die technischen Prozesse umschlägt in Dämonisierung. Ich denke, dieser Prozess ist eher in der Vergangenheit gewesen. Im Augenblick sehe ich es eher so, dass die Euphorie fast sich verselbstständigt hat und dass die Menschen wie selbstverständlich manche Dinge benutzen, wie diese Überwachungsapparaturen in den Autos, um den Verkehr vor sich zu sehen und wie das alles ausgenutzt werden kann für eine Verwertung der persönlichen Daten. Vielleicht kann ich meine Überlegungen noch etwas präzisieren: Wenn ich sehe, dass man künstliche Intelligenz bei Maschinen bewundert, weil die Maschinen weniger Fehler machen als wir und nicht ermüden und uns Arbeit abnehmen - das haben Sie eben ja auch gesagt, als sei der Mensch nur ein auf Effizienz angelegtes Wesen -, unsere Fehler und Konflikte und unser Glück, unser Leid, das sind doch entscheidende Grundlagen der Conditio Humana und auch unsere Art, miteinander zu leben, zu reden, uns aneinander abzuarbeiten und schließlich unser Wunsch, etwas zu verstehen und unbewussten Regungen auf die Spur zu kommen – das geht doch großen Teils oder geht das nicht alles verloren?
    Kurz: Ich glaube, man muss zweierlei unterscheiden: Technik kann man gestalten, und ich glaube, daran muss man auch aktiv arbeiten. Ansonsten gestaltet nämlich letztlich das, was man ökonomische Rahmenbedingungen nennt, wie wir mit Technik leben, wie sie uns umgibt und wie sie auch unser Arbeitsleben formt. Sie sprachen eben diesen Bereich an, wo ich eher so ein bisschen Bequemlichkeit und praktische Dinge sehe bei der Digitalisierung der Gegenstände des Alltags und natürlich der Kommunikation, dass Menschen auch sehr unkritisch darauf blicken auch trotz dieses Riesenüberwachungsskandals. Das würde ich teilen als Einschätzung, aber ich glaube, im Arbeitsleben läuft diese Form der Digitalisierung all der Prozesse anders. Man hat da eher den Effekt, dass der Mensch sehr viel stärker vermessen wird, dass man wirklich jede Regung, jede Kommunikation, die er während der Arbeitszeiten macht und möglicherweise auch noch ein Bewegungsraster vermisst, und derjenige, der davon betroffen ist sehr viel stärker, merkt, wie ihn das gängelt, wie er sich stärker vergleichen muss. Ich glaube, die Angst und auch eine gewisse Ablehnung gegen neue Technologiewellen ist im Arbeitsplatzbereich eher noch höher. Sie beschreiben diesen Umgang mit Technik. Auch dieser, ich nenne es jetzt mal, der Spaßfaktor und Entertainmentfaktor mit Technik ist sicherlich im Privatbereich sehr viel stärker. Natürlich: Jeder, der sich lange mit Technik beschäftigt, wünscht sich immer, dass Menschen sich stärker damit auseinandersetzen, was Technik mit einem macht und auch zwischenmenschliche Bedingungen ändert, aber man muss schon auch sehen, dass hier sehr viel gestaltet ist von PR, von Wirtschaftsinteressen, die Dinge verkaufen wollen und so weiter.
    Eine US-Drohne vom Typ MQ-1 Predator beim Landeanflug
    Eine US-Drohne vom Typ MQ-1 Predator beim Landeanflug (picture alliance / dpa / Foto: Tsgt Effrain Lopez)
    Heinrichs: Wir sehen ja, was aus dem Spaßfaktor werden kann, wenn Drohnen zum Beispiel eingesetzt werden.
    "Killer Robots" werden zu wenig thematisiert
    Kurz: Es gibt Bereich in dieser Technisierung und Digitalisierung der Welt, die natürlich ganz furchtbare Folgen haben können. Es gibt ja nicht nur Roboter, die Werkstücke zusammenschrauben, sondern wir haben mittlerweile Roboter, die daraufhin gebaut werden mit dem Ziel, einen Menschen zu töten - so genannte "Killer Robots". Die Forschung im militärischen Bereich ist natürlich wie immer frei von jeglichen ethischen Überlegungen. Da sind Drohnen zum Beispiel, was Sie genannt haben, natürlich sicherlich auch furchtbar. Wir erleben diese Flugroboter, will ich sie jetzt mal nennen, seit über einem Jahrzehnt, die irgendwo ihre Bomben abwerfen. Ich finde es sehr schade, dass diese Grenzbereiche der Roboterisierung sehr wenig öffentlich debattiert werden. Wahrscheinlich sind sie nicht sehr nah an den Menschen. Viele Menschen in Europa können sich nicht vorstellen, dass diese Flugroboter über ihren eigenen Häusern kreisen. Deswegen wird darüber sehr wenig debattiert.
    Heinrichs: Bis sie es dann selbst erleben, irgendwie im Umland von Bremen plötzlich, wenn so eine Drohne das Leben fast unmöglich macht.
    Kurz: Man kann natürlich als aufmerksamer europäischer Beobachter über solche Geschichten lesen. Es gibt ganze Initiativen, die auch versuchen, anderen Nationen klarzumachen, wie es ist, unter solchen Drohnen zu leben, aber ich finde, die öffentliche Debatte ist da immer noch leider nicht so wie ich es mir wünsche. Man muss sich klar machen, dass dieses Jahr, jetzt ist das Jahr, wo auch andere Länder als die USA solche Drohnen haben werden. Das wird die Diskussion international natürlich verändern.
    Heinrichs: Haben Sie den Eindruck, dass die Verantwortlichen, die solche Prozesse der Digitalisierung und Automatisierung wesentlich vorantreiben, dass die auch ihre eigene kritische Instanz noch aktivieren oder ist das rein auf Effizienz, auf Fortschritt, auf ökonomische Verbesserung angelegt?
    "Die größten Wellen dieser Roboterisierung werden in China passieren"
    Kurz: Jetzt könnte mannatürlich so ein bisschen zynisch sagen, dass viele politische Prozesse, die mit der Regulierung solcher Technologien zu tun haben, sicherlich sehr viele ökonomische Fragestellungen in den Vordergrund rücken - das ist, glaube ich, so ein bisschen der Zeitgeist - und dass es wenige Politiker gibt, die über die Legislaturperiode hinaus darüber nachdenken. In der Industrie selber sind natürlich Überlegungen nach Optimierung und Effizienz nun mal typisch, tagestypisch. Dennoch glaube ich, dass zumindest in der Diskussion, wie sie jetzt begonnen hat und hoffentlich durch die Statements und die Veröffentlichungen von Davos, es noch mal in eine andere Richtung geht. Wir werden natürlich nicht nur in Europa darüber reden. Ich hatte das vorhin schon kurz erwähnt: Die größten Wellen dieser Roboterisierung und Automatisierung werden in China passieren, die nicht ein paar zehntausend, sondern Millionen Roboter installieren werden in den nächsten wenigen Jahren. Es wird keine europäische Diskussion sein. Ich darf mal hinzufügen, im Grunde, wenn das so liefe, wie man sich das idealtypisch vorstellt, bräuchten wir alle sehr viel weniger arbeiten, hätten viel mehr Freizeit und könnten uns schönen Dingen widmen.
    Heinrichs: Ich bin gar nicht sicher, ob die Menschen darauf vorbereitet sind, dass sie mit ihrer neuen freien Zeit sinnvoll umgehen oder ob sie nur Partner langweilen und nerven.
    Kurz: Man kann wieder historisch gucken: Wenn man jetzt sieht, dass die Menschen in den letzten paar hundert Jahren kontinuierlich weniger arbeiten, mehr Freizeit haben und weniger hart arbeiten müssen und angenehme soziale Regeln dazu bekommen haben, etwa Urlaub und Sonntags frei, dann wäre natürlich die Möglichkeit technologisch, dass sich diese stete Kurve an weniger Arbeiten jetzt plötzlich zu einem "Wir arbeiten nur noch fünf Stunden am Tag" verändert, sicherlich sehr gesellschaftsverändernd.
    Heinrichs: Constanze Kurz, wir haben jetzt über die ökonomische Effizienz, über die möglichen Gefahren gesprochen, und es gibt aber auch eine - wobei ich nicht ganz genau weiß, wie ich das einschätzen soll -, dass Verantwortliche manchmal davon sprechen, dass der industrielle Produktionsprozess und die Bedingungen human gestaltet werden sollen. Ich bin da skeptisch, was man darunter zu verstehen hat, und tatsächlich ein größerer Freiraum für die individuelle Lebensgestaltung, wie das manche sehr positiv sehen, ob der tatsächlich entsteht. Wie hat man sich das vorzustellen, wenn das nicht nur ein Klischee und so ein mal in die Runde geworfenes Wort ist - human -, was kann das heißen?
    "Viele Menschen wünschen sich ja eine sinnstiftende Arbeit"
    Kurz: Es gibt eine parallele Diskussion zu dieser Industrie-4.0-Diskussion, die mich um die - manche nennen es auch Arbeiten 4.0, aber ich möchte den Begriff nicht weiter breittreten -, um diese Flexibilisierung der Arbeitszeiten, um sogenannte Homeoffice, aber auch um den Erreichbarkeitsdruck und auch seit den letzten zwei Jahren um Regeln, die sich große Unternehmen geben, um diesen Druck wieder zu lindern der ständigen Erreichbarkeit. Diese Debatte läuft eigentlich parallel und hat auch ein bisschen zu tun mit den Veränderungen in Bezug auf feste Arbeitsverhältnisse, also die sogenannten Heerscharen von Leiharbeitern oder jedenfalls solche, die Zeitverträge haben oder kurzfristige Anstellungen, die läuft eigentlich parallel zu der um den Mindestlohn, die ja im letzten Wahlkampf relativ stark war.
    Heinrichs: Unterschiedlich in den verschiedenen Ländern oder sehen Sie das sehr gleichmäßig verteilt?
    Kurz: Nein, mein Eindruck ist, dass in den Ländern, wo diese sogenannte Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse durchgeführt oder stärker durchgeführt wurde, da ist die Debatte einfach größer, weil immer mehr Menschen diese nicht-langfristigen Arbeitsverträge haben und so eine Patchwork‑Arbeitsbiografie, und die läuft eigentlich parallel, und man kann da auch viele Vorteile sehen. Ich glaube, gerade Familien sehen darin welche oft, weil sie ihr eigenes Arbeitsleben besser organisieren können, aber es gibt natürlich auch Branchen, wo man sehr deutlich merkt, dass das zu einer Selbstausbeutung führt. Hier gibt es auch wieder, wie im Bereich der Roboterisierung, eine Menge Chancen. Was wäre denn human, wenn ich darauf noch mal zurückkommen kann? Human ist doch eigentlich eine Arbeit, die mir zum einen Sinn gibt, die mich auch ein bisschen definiert - viele Menschen wünschen sich ja eine sinnstiftende Arbeit -, aber zum anderen auch, die mein Privatleben, meine Bedürfnisse und die meine Familie mit inkludiert. Da haben wir natürlich in Deutschland - muss man mal ehrlich sein -, wenn man das mit anderen Industrieländern vergleicht, eine gute Ausgangsbasis, einfach weil die Mitbestimmung relativ stark ist, weil wir relativ gute - also auf dem Papier zumindest - Beschäftigtenrechte haben. Insofern würde ich mir natürlich wünschen, dass in der Diskussion darum Deutschland durchaus Vorreiter sein kann, um auch Regeln zu schaffen, sagen wir mal, für fünf oder zehn Jahre, wenn man in die Zukunft blickt. Vor allen Dingen wird es aber da - da muss ich wohl ehrlich sein - auch um Umverteilung gehen, denn bisher wird Arbeit mit menschlicher Arbeit besteuert und nicht Arbeit von Maschinen. Insofern muss man sich natürlich fragen, wer ist denn der Gewinner dieser ganzen Industrie 4.0.
    Heinrichs: Ihre Überlegungen haben mich doch noch mal bestärkt darin, dass das gesellschaftliche Umfeld eigentlich für die entsprechenden Umgestaltungen mitverantwortlich ist. Wenn die Gesellschaft kein humanes Handeln vorlebt, dann wird es sich auch entsprechend wenig in den Unternehmen durchsetzen.
    "Wir werden wohl eher die Datenopfer sein"
    Kurz: Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen, und zum anderen gehört aber noch ein Aspekt dazu aus meiner Sicht: Eine humane Arbeit ist auch eine solche, die mich dafür in einer Höhe entlohnt, die mir ein humanes Leben ermöglicht, also meine Bedürfnisse mit meiner Hände Arbeit oder mit meines Kopfes Arbeit erfüllen kann. Der Aspekt gehört natürlich letztlich dazu.
    Heinrichs: Constanze Kurz, wagen Sie eine Prognose zu Industrie 4.0? Können wir tatsächlich den Versprechungen glauben schenken, unsere Daten würden unter bestimmten Bedingungen anonymisiert und nach einer bestimmten Zeit gelöscht?
    Kurz: Ich fürchte, was diesen Ausblick betrifft, bin ich nicht allzu positiv. Natürlich ist man, glaube ich, relativ … Man hängt sich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man auf die Zukunft in zehn Jahren blickt und sagen wird, dass wir im Arbeitsleben von Software und Maschinen umzingelt sein werden, dass dadurch aber natürlich auch Unmengen von Daten über uns, über unsere Kommunikation, über unsere Transaktionen, über unseren Umgang mit Maschinen anfallen werden. Meine Befürchtung ist - und es gibt ganz gute Anhaltspunkte, diese Befürchtung zu haben -, dass wir im Bereich der IT-Sicherheit, also auch der Möglichkeit, diese Daten in der Hoheit derjenigen, die diese Daten geben - nämlich wir -, zu behalten, ausgesprochen gering sind. Wir stehen jetzt seit einigen Jahren vor einer eklatanten IT-Vertrauenskrise, die damit zu tun hat, dass wir zum einen wissen, dass nicht etwa Diktatoren, sondern dass die westlichen Regierungen uns auf allen Ebenen abhören, die damit zu tun hat, dass nach diesem langen Skandal keine wirklichen Folgen passiert sind, politische Folgen, die ein Umdenken zumindest andeuten würden. Zum anderen haben wir natürlich auch - muss man auch als Informatiker ganz deutlich sehen - strukturelle Probleme in der Informatik, in der IT, in der Art, wie wir Software benutzen und bauen, wie wir damit auch ökonomisch umgehen, dass Software Fehler hat, wie wir vor allen Dingen aber auch die Daten letztlich sehen. Hier möchte ich darauf verweisen, wenn ich auf das letzte Jahr blicke, wie plötzlich unser Wirtschaftsminister, unser Verkehrsminister, unsere Bundeskanzlerin von diesem Datenreichtum, ich möchte fast sagen, schwafeln, die so tun, als wenn wir diejenigen sind, wir sozusagen die neuen Ölfelder sind, wir sind die Datengeber, und der neue Reichtum droht uns. Wenn man da mal ein bisschen analysiert, wie es wirklich aussieht, wird man merken, dass wir da wohl eher die Datenopfer sein werden und dieser Datenreichtum, A, nicht bei uns bleibt und, B, auch sehr, sehr schwierig von der IT-Sicherheit her zu kontrollieren sein wird.
    Heinrichs: Meine Schlussfrage betrifft noch einmal das veränderte Menschenbild und ob wir in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht von einem anderen Typus oder einem anderen Modell oder einem anderen Ideal des Menschen ausgehen müssten, der all diese Faktoren mit beinhaltet, über die wir jetzt gesprochen haben.
    Hüpfen wir mit Exoskeletten durch die Städte?
    Kurz: Mich freut natürlich, dass es eine Diskussion wieder darum gibt. Gibt es natürlich schon lange. Als ich junge Studentin war, da hat man immer die älteren Wissenschaftler präsentiert bekommen, die sich auch schon in der Informatik immer mit solchen Fragen beschäftigt haben, die über das Arbeitsleben noch weit hinausgehen, denn die Technik wird auch in unsere Körper wachsen. Man sieht schon heute, es gibt eine Menge Technik, die die Menschen unterstützt: Man kann sich bionische Hände oder Arme vorstellen, man kann sich aber auch vorstellen, dass es nicht eine Ersetzung ist von Körperteilen, sondern eben auch eine Optimierung. Werden wir in 20 Jahren mit leistungsfähigen Exoskeletten durch die Städte hüpfen, und wer die nicht hat, gehört zum Datenproletariat? Da sind eine Menge Fragen, die aber, glaube ich, immer aufkommen, wenn man sehr stark in Abhängigkeit von Technik lebt. Das ist, glaube ich, ein Fakt, der so schnell nicht mehr weggehen wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das ganze Gespräche können Sie auch sechs Monate im Audio-Player nachhören.
    Teil 2 am 13.03.2016
    Teil 3 am 20.03.2016