Freundliches Augenzwinkern hinter einer Nickelbrille, ein großer Schnauzbart, schwarzer Cowboyhut, großes Halstuch und Trekkingschuhe – der 63-Jährige sieht aus wie einer, der in der Welt und in der Natur, in Wüste und Weiten zu Hause ist. Den Nahen Osten findet er besonders interessant:
"Jeden Tag neu spannend, weil ich jeden Tag mehr von dieser Kultur des Gastlandes kennenlerne. Es ist schon eine sehr kulturträchtige Landschaft, in der es einem als Archäologen nie langweilig wird."
Kaum einen Fleck in der arabischen Welt, den der Mainzer Wissenschaftler noch nicht gesehen hat.
"Also meine Karriere hier im Nahen Osten fing in Damaskus an als Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts, dann schloss sich ein Aufenthalt in Jordanien an, dann Rückkehr nach Deutschland mit einzelnen Projekten im Jemen und Syrien und parallel dazu war ich in Libyen tätig, abgesehen von anderen mehrfachen Reisen nach Saudi-Arabien, Algerien, Tunesien – all diese Länder kenne ich ganz gut."
Hinter einem rostigen Tor, ein wenig unscheinbar, steht ein kuppelartiger Bau, leicht zu übersehen. Für Thomas Weber ist das ein Gebäude ein Schatzkästchen, wie er sagt – ein Stück erhaltene Menschheitsgeschichte, das zu einer Zeitreise einlädt: Ein altes Thermalbad – aus der Zeit der Umayyaden – mit Umkleidekabinen, Springbrunnen, Dampfbad und einer historischen Fußbodenheizung.
"Wir reden jetzt vom achten Jahrhundert, aus der Zeit Karls des Großen, da befinden wir uns jetzt. Am Rande der Wüste, aber im Altertum war das eine große Domäne mit zoologischen Gärten, ein sogenannter Paradeisos, das Paradies. Das war ein großes Gartengebiet, mit Wäldern, mit exotischen Tieren, mit Giraffen und dem was sie auf den Mosaiken sehen."
Das ist es, was Weber an seiner Arbeit liebt: Die Möglichkeit, auf Zeitreise zu gehen – durch das Wissen und die eigene Phantasie: "Am meisten fasziniert mich, dass man sich vor dem geistigen Auge in die Zeit zurückversetzen kann und das vieles plausibel wird, wenn man die Sachen innerlich nacherlebt. Ohne Fantasie können Sie kein guter Archäologe sein, Sie müssen nur die Fantasie richtig zügeln – das ist die Kunst!"
"Die Stadt ist deshalb so einzigartig, weil man sie als Ausgangspunkt der Kamel-Karawanen nutzte, deshalb auch der Name Umm el Jimal, was bedeutet, die Mutter der Kamele. Die ganzen Karawanen sind dort angekommen, haben gelagert und sind dann weiter nach Damaskus gezogen. Dieses Umm el-Jimal ist deshalb interessant, weil wir da sehr gut nachvollziehen können, wie sich Zeltarchitektur schrittweise in Stein übersetzt hat. Diese Häuser, in ihrer Anordnung völlig wirr, erklären sich dadurch, dass die Zeltbauweise der Beduinen sozusagen die Prototypen der späteren Steinhäuser gewesen sind."
Wir sind angekommen, gehen durch ein großes Tor. Nur drei Kilometer trennen uns jetzt noch von der syrischen Grenze. Der Wind wirbelt den Wüstensand hoch, bläst uns ins Gesicht, es ist stürmisch. In der Ferne predigt ein Imam. Um die zieht sich ein hoher Zaun – zum Ärger von Thomas Weber.
"Ja, das ärgert mich. Weil Zäune immer etwas Trennendes haben. Wir wollen ja, dass die Bevölkerung sich mit ihren Ruinen identifiziert. Und wie kann man sich mit etwas identifizieren, wo eine Mauer drum gebaut wird, wo Stacheldraht ist und wo Eintritt verlangt wird?"
"Das hier könnte man sagen: Ein Wehrkloster. Charakteristisch: Der große Turm. Und auf den Stuckpaneelen sind griechische Inschriften aufgetragen: 'Christus ist der Sieger', 'Mit dem Kreuz werden wir siegen'. Solche Formulare finden Sie dort. Wir haben viele Orte, dazu gehört auch Umm el-Jimal, in denen wir in frühislamischer Zeit große Kirchenbauprojekte haben. Hier in Umm el-Jimal gibt es 19 Kirchen und nur zwei Moscheen!"
Zwischen den Ruinen – fröhliches Kinderlachen. Circa 30 Kinder toben auf einem Platz zwischen den archäologischen Stätten, spielen ausgelassen. Syrische Flüchtlingskinder und jordanische Kinder kommen hier am Wochenende zusammen, um die historischen Überbleibsel ihrer Heimatregion zu entdecken, zu lernen, wie es damals war, gemeinsam zu spielen und zu essen. Die Archäologie-Klassen hat Thomas Weber ins Leben gerufen, zusammen mit seinem Kollegen, dem jordanischen Archäologen Muafak Hasar. Auch Ahmed Beikram, ein syrischer Englisch-Lehrer und selbst Flüchtling, ist bei dem Projekt dabei. Die drei begrüßen sich herzlich.
Der Gedanke des Projektes: Syrische und jordanische Kinder zusammenzubringen und bei ihnen ein Bewusstsein zu wecken, wie reich die Region – ihre Heimat – an Kulturschätzen ist.
"Wir wollen die Kinder dazu bringen, dass sie sich mit dem gesamten Ort identifizieren, den gesamten Ort als Teil ihrer Heimat begreifen. Indem wird sie einfach über die Hintergründe informieren, sodass sie Bescheid wissen. Wir wollen, dass sie die Denkmäler als einen ureigensten Besitz begreifen. Nicht den Besitz einer Antikenbehörde, nicht des Tourismusministeriums, nicht etwas, was Touristen ablichten und wieder verschwinden, sondern einen Besitz, der in ihnen ruht, mit dem sie täglich umgehen können und zu dem sie etwas sagen können. Und zugleich erhalten sie die lebenslange Patenschaft für einen Stein, oder für ein Haus hier in dieser Siedlung, um sie zeitlebens daran zu erinnern, das ist unser Stein, einhergehend mit einem Schutz der Denkmäler."
"Deshalb setzen wir möglichst früh an, um klar zu machen, dass Baudenkmäler in der Regel nicht von religiösen Maximen und Propaganda abhängen, sondern sie sind ein Ausdruck von Menschen. Wir wollen, dass die Kinder spüren, dass die Baudenkmäler zu ihrer eigenen Identität gehören und daher erhaltenswert sind."
Den Kindern hat der Archäologe Mouafak heute etwas ganz besonderes mitgebracht: Einen Erdbebensimulator. Denn die Region hier Erdbeben geplagt – ein schweres Erdbeben zerstörte Umm el-Jimal vor hunderten Jahren – und macht die Ruinenstadt zu dem, was sie heute ist.
Das wollen die Archäologen den Kindern vermitteln. Der Erdbebensimulator erinnert an einen großen Plattenspieler – nur, dass auf der großen runden Fläche keine Schallplatten liegen, sondern bunte Bauklötze. Begeistert bauen die Kinder eine Stadt aus Bauklötzen, Türme, Häuser, Brücken.
Dann legt Mouafak den Schalter um. Das Gerät beginnt zu summen und zu brummen, die Platte bewegt sich, wackelt hin und her, verschiebt sich – wie bei einem Erdbeben. Die ersten Bauklötze fallen herunter, Steine purzeln hin und her – am Ende bricht die ganz kleine Bauklotzstadt in sich zusammen
"Daran werden sie sich immer erinnern", sagt Archäologe Mouafak. "Dieser praktische Unterricht ist hundertmal besser als abstrakte Lehre im Klassenzimmer. Das hier behalten sie, werden sie noch ihren Kindern erzählen, dass sie wissen, wie ein Erdbeben funktioniert." Doch die Erschütterungen, die die Kinder hier kennen, haben oft noch einen ganz anderen Hintergrund.
Auch sein Freund Mehanad kommt aus dem Krieg – der Elfjährige hat seine Mutter in Syrien verloren, sie starb bei einem Luftangriff. Der Vater floh mit Mehanad und seinen kleinen Geschwistern nach Jordanien.
"Es war so schön in Syrien. Ich kann mich an alles noch genau erinnern. An die Häuser und Straßen, an alle meine Freunde und meine Onkel und meine Schule – die Schule war gut, dort habe ich viel besser gelernt als hier."
"Wir müssen uns um sie kümmern wie um unsere eigenen Kinder. Wir haben hier unsere eigene Art zu unterrichten, wir sind nicht streng, sondern machen viele Späße zusammen, damit sie spielerisch lernen. Man muss immer an ihr Alter denken und an ihre Situation. Heute bin ich Archäologe, aber ich war selbst mal ein Kind hier aus dem Dorf. Mit neun Jahren bin ich hier rumgelaufen, zwischen den Ruinen, hab mir die Steine angeschaut und versucht, das zu verstehen. Und so hab ich beschlossen, Archäologie zu studieren – und heute bin ich für diese Stätte hier verantwortlich."
Magst du den Ort hier – kommst du gerne hierhin? Wollen wir von dem elfjährigen Mehanad wissen, der seine Mutter verloren hat. "Ja, das ist ein schöner Ort. Ich hab hier viel über das Kulturgut gelernt. Und: Es hilft mir."
Für Thomas Weber ist das Projekt mit den Kindern einer der Höhepunkte seiner Arbeit. Sein Mitarbeiter Ahmed bringt es auf den Punkt:
"Wir müssen ihnen beibringen, dass sie in einer sehr geschichtsträchtigen Region leben. Wo so viele Zivilisationen und Kulturen gelebt haben. Für die Römer war das hier die Kornkammer ihres Imperiums. Diese Gegend war so reich, sie ist so alt. Davor müssen wir Respekt haben. Wir müssen uns dementsprechend verhalten. Wir waren mal großartig – lasst es uns versuchen, wieder großartig zu sein! Lasst uns unsere Kultur wieder aufbauen!"
Ahmed, der selbst aus Syrien stammt und auch als Flüchtling in Jordanien lebt, ist überzeugt: Projekte wie diese sind entscheidend, um der syrischen Gesellschaft wieder Hoffnung zu geben – trotz der schrecklichen Ereignisse in ihrer Heimat.
"Es macht einen hoffnungslos, überall Tod, Zerstörung, das Gefühl, dass ein Menschenleben nichts mehr zählt. Und dann entsteht dieses Gefühl der Mutlosigkeit: Ich kann nichts ändern. Das ist das wahre Desaster – das Gefühl in der syrischen Gesellschaft, dass wir alle denken, wir können nichts machen, es ändert sich nichts. Und wenn alle glauben, dass wir nichts ändern können, dann ändert sich auch nichts. Das müssen wir schaffen, die Überzeugung wiederherstellen: Wenn jeder es versucht, dann schaffen wir eine Veränderung."
"Wir Archäologen registrieren ja die Baudenkmäler in zerstörtem Zustand. Und versuchen, das Bild, dass diese Baudenkmäler im Altertum angaben, wiederherzustellen. Wir versuchen, den Kindern das Gefühl zu vermitteln, dass alles reparabel ist, alles Materielle ist reparabel, dass die Schäden natürlich immer sichtbar bleiben, aber das auch diese Schäden Teil einer Geschichte sind, die vorüber geht. Wir haben in der vergangenen Woche zerschlagene Gefäße wieder restauriert. Die Kinder verstanden, wozu diese Gefäße dienten, dass jetzt aber Risse drin sind, die wir so akzeptieren müssen.
Also im Prinzip eine Metapher für die gesamte syrische Gesellschaft? "Exakt, so würde ich es sehen. Es ist eine Metapher, die für alle Gesellschaften gilt, die unter diesen schrecklichen Ereignissen zu leiden hatten, wir als Deutsche hatten das ja 1945 auch. Und aus dieser historischen Erfahrung wollen wir den Kindern Mut geben, dass das Leben lebenswert ist, auch in einer zerstörten Heimat, wenn sie zurückkommen. Und dass wir mit vereinten Kräften wieder eine Umwelt schaffen, in der es sich lohnt zu leben und zu arbeiten."
Am Ende des Tages nimmt ein kleines syrisches Mädchen die Hand von Thomas Weber und schaut ihn an. Dann fragt sie andächtig auf Arabisch:
"Hast du das Licht erfunden, Mr. Thomas?" Von Thomas Edison hat sie in der Schule gehört. "Nein, das habe ich nicht", sagt Thomas Weber schmunzelnd. "Macht nichts", sagt die Kleine und läuft fröhlich spielend davon.