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Architektursommer (4/4)
Soziale Architektur

Architektur könne sehr viel dazu beitragen, humanere und sozialere Lebensbedingungen etwa in Slums umzusetzen, sagte Andres Lepik, Direktor des Architekturmuseums München, im DLF. Am Beispiel von Projekten in Afrika erklärte er, wie wichtig eine Identifikation der Einheimischen mit den Bauten sei - und wie diese erreicht werde könne.

Andres Lepik im Gespräch mit Barbara Schäfer | 27.07.2014
    Der Architekt Francis Kéré begutachtet in dem burkinischen Dorf Gando den Baufortschritt an einem Bibliotheksgebäude.
    Der Architekt Francis Kéré begutachtet in dem burkinischen Dorf Gando den Baufortschritt an einem Bibliotheksgebäude. (picture-alliance / dpa / Florian Schuh)
    Barbara Schäfer: Der Architektursommer von "Essay & Diskurs" geht in die vierte Folge. Heute hören Sie ein Gespräch mit Andres Lepik, seit 1. Oktober 2012 der Nachfolger von Winfried Nerdinger als Direktor des Architekturmuseums und Professor für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis an der TU München. Andres Lepik, geboren 1961, studierte Kunstgeschichte und neuere deutsche Literatur und Sprachwissenschaft an den Universitäten Augsburg und München. Nach seiner Promotion an der Bibliotheca Hertziana in Rom über Architekturmodelle der Renaissance begann er 1994 seine wissenschaftliche und kuratorische Arbeit an den staatlichen Museen zu Berlin, wo er die Architektursammlung vom 20. und 21. Jahrhundert der Neuen Nationalgalerie leitete. Als Kurator konzipierte Lepik dort unter anderem Ausstellungen zu Renzo Piano, Rem Koolhaas und Oswald Mathias Ungers. Er wechselte an das Architecture and Design Department des MoMA, New York, wo er 2010 mit der Ausstellung "Small Scale - Big Change" für Aufsehen sorgte. Lehraufträge führten ihn nach Berlin und New York und er war Loeb Fellow an der Harvard University. Herr Lepik, drei internationale Ausstellungen in fünf Jahren, in denen Sie und Ihre Mitarbeiter sich mit sozialengagierter Architektur befasst haben, "Small Scale - Big Change" 2010 in New York, "Think Global, Build Social!" 2013 in Frankfurt und Wien, "Afritecture" in München 2013/2014, Untersuchungen zum sozialen Bauen auf internationalem Parkett. Was genau ist sozial engagiertes Bauen heute?
    Andres Lepik: Im Grundsatz ist die Frage natürlich sehr breit. Ich würde einfach mal versuchen, ein paar Punkte zu benennen, kurzzufassen: Es geht darum, dass heute auf der ganzen Welt verschiedene Architektinnen und Architekten sich sehr stark engagieren für gesellschaftliche Bereiche, die bisher von der großen Architektur nicht erreicht wurden. Aber, ich sage mal, Favelas, Slums, Informal Cities, wie es heute bei den Planern so heißt, also alles das, was im Grunde ungeplante Städte sind. Und das war ja, ich würde mal sagen, bis in die 90er-Jahre hinein ja auch kein wirklich öffentliches Thema. Was haben Architekten in der Favela zu suchen? Das war die Frage, die immer beantwortet wurde mit "Nichts" eigentlich. Und es ging aber dann doch in den 90er-Jahren, da hat es angefangen, eine ganz starke Umkehr dieser öffentlichen, aber auch akademischen Meinung, dass nämlich dieses Wachstum der Slums und der Favelas ja nicht mehr aufzuhalten ist und auch nicht mehr umzudrehen ist. Und je mehr die Städte wachsen, desto mehr werden auch die Slums wachsen. Und da stellt sich einfach die Frage: Wenn man es nicht wegbekommt, sozusagen das, was man da nicht schön findet, dann muss man vielleicht überlegen, wie kann man dort mit architektonischen Lösungen dafür sorgen, dass Menschen humanere, sozialere Lebensbedingungen gewinnen. Und da können Architekten sehr viel zu beitragen.
    Schäfer: Der Begriff des sozialen Bauens ist ja vermutlich wesentlich älter als aus den 90er-Jahren stammend. Was bedeutet soziales Bauen architekturgeschichtlich?
    Lepik: Schon die architektonische Moderne hat in den 20er-Jahren sich extrem damit beschäftigt, wie man für das untere Einkommensniveau Häuser bauen kann, die günstig herzustellen sind, die industriell hergestellt werden können, trotzdem eine gute Form oder auch eine gute Gestaltung haben. Der zweite Kongress des Internationalen Architektenverbands CIAM 1929 fand in Frankfurt unter dem Titel statt: "Bauen für das Existenzminimum". Und da ging es ja ganz stark darum, dass diese Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg, die auch über lange Strecken gehalten hat, dass man versucht hat, mit den klügsten Architekten und den besten, sozusagen den Stararchitekten von damals, Mies van der Rohe und Le Corbusier und andere, Lösungen zu finden, wie man vor allen Dingen im großen Markt des unteren Einkommenniveaus gute und vernünftig gestaltete Lösungen findet. Und das hat sich auch immer weiter fortgesetzt. Nur ist es dann – ich verkürze jetzt etwas - in den Jahren, sagen wir mal bis in die 60er-, 70er-Jahre hinein, da hat sich das wieder so etwas verschliffen und es ist wieder vergessen worden, dass eigentlich die Moderne schon mit diesem sozialen Anspruch angetreten war.
    Schäfer: Wenn Sie heute Architekturstudenten überzeugen müssen, sozial zu bauen, wie muss man das machen. Muss man sie weglocken von Stararchitektur, von der Architektur der großen Namen?
    Lepik: Das ist ganz einfach. Man muss nur in der Architekturfakultät ein Entwurfsstudio anbieten, wo man eine Schule in Afrika baut und wo die Studenten mitarbeiten dürfen. Und da hat man sofort vier- oder fünfmal mehr Anmeldungen, als man Studenten nehmen kann. Wir haben das hier an der TU, beim Lehrstuhl Kaufmann etwa, der Holzbau macht, der sowohl in Tansania wie in Kenia für Slumkinder handwerkliche Entwicklungszentren baut. Und die Studenten aus München stehen da Schlange, um mitarbeiten zu können. Das Gleiche passiert in Aachen, es passiert in anderen Hochschulen hier in Deutschland, in Europa, in Österreich, auch in Amerika. Studenten heute wollen praktisch mitarbeiten und sie wollen sehen, dass das, was sie da tun mit ihrer Planung, auch einen realen, konkreten Wert für diese Gesellschaft heute hat.
    Schäfer: Können Sie das vertiefen: Es gab die Ausstellung "AFRITECTURE", "Bauen mit der Gemeinschaft" im Untertitel, eine ganz wichtige Aussage, die war bis zum Februar 2014 in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen und befasste sich mit sozial engagierter Architektur in Subsahara-Afrika. Wenn Sie die Studenten dorthin schicken, was tun die da, auf was stoßen die da auch in der Gemeinschaft dort vor Ort?
    Lepik: Die stoßen zum Teil auf Vorarbeiter aus Afrika, die dann mit den Studenten gemeinsam auch Handwerksgruppen zusammen leiten. Das heißt, da entstehen dann plötzlich so Dynamiken, dass weiße Studenten von schwarzen Vorarbeitern plötzlich quasi Befehle erhalten, was für beide Seiten ungewohnt ist, speziell jetzt auch für die afrikanischen Vorarbeiter. Dass aber gleichzeitig die Studenten wiederum auch Lösungen mitbringen, die dann dort wieder haften bleiben. Das können manchmal Detaillösungen sein, weil Holzverbindungen oder auch technische Lösungen, die dort vielleicht nicht bekannt sind, die sie aber mitbringen. Sodass da ein Lernprozess von zwei Seiten stattfindet. Auf der einen Seite eben was ganz anderes, als wenn Studenten jetzt hier in München quasi unter sich nur am Zeichentisch sitzen und jetzt dann plötzlich da in die Realität eintreten und Dinge vor Ort auf der Baustelle lösen müssen. Dann passieren natürlich interessante Lernprozesse, auch über die eigene Identität, was ist ein Architekt heute.
    Schäfer: Was zeichnet das gemeinschaftliche Bauen weiterhin aus? Geht es auch um die Orte, wo gebaut wird, die Materialien, mit denen gebaut wird, die Menschen, mit denen gebaut wird?
    Lepik: Ein Faktor, der immer wieder eine wichtige Rolle spielt bei all den Projekten, die ich gezeigt habe in der Ausstellung, ist dieses Thema der Partizipation. Diese Beteiligung der späteren Nutzer am Prozess der Planung oder eben zum Teil auch am Prozess des Bauens selbst. Manchmal eben bei Planungen kann es vorkommen, dass eine Architektin irgendwie in Ghana ein Kinderzentrum bauen will, aber natürlich die ganze Ortsgemeinschaft dazu einspannen muss, weil die da natürlich mitarbeiten sollen, um sich auch mit diesem Projekt am Schluss zu identifizieren. Das heißt, da wird im Vorfeld schon mit denen gesprochen, wo soll vielleicht dieses Kinderzentrum für AIDS-Kinder gebaut werden. Man sucht gemeinsam in dem Ort, man spricht über gemeinsame Traditionen, man sucht Materialien aus, die vielleicht vor Ort günstig vorhanden sind, man versucht, Arbeitskraft, die speziell in solchen Entwicklungsländern sehr günstig ist, mit einzubinden und zu sagen, warum sollen wir schweres Gerät auch für teuer Geld in ländliche Regionen schaffen, wenn wir dort sehr günstige Arbeitskräfte haben und mit dem Geld vielleicht lokale Arbeitskräfte stimulieren können? Da fängt es an. Und es geht dann eben weiter bis zu dem Prozess, dass man sagt, jetzt in dem konkreten Bauprozess, wenn die Materialien da sind, dass man Handwerker anlernt, ausbildet, dass man ihnen Lösungen zeigt, die sie vielleicht auch später für sich oder für eigene Projekte verwenden können. Und in diesem Prozess, wenn der lokal verankert ist, entsteht eine Identifikation, die ganz anders ist, als wenn man nur Technologien abwirft oder abstellt, die von der lokalen Bevölkerung nicht gepflegt oder später gar nicht repariert werden kann, weil sie mit den Sachen nicht umgehen können. Das ist der Prozess, der dazu führt, dass dann am Schluss eine Identifikation vor Ort mit der Architektur stattfindet und dass auch die Menschen dann mit diesen Gebäuden ganz anders umgehen.
    Schäfer: Sind die afrikanischen Architekten, die Sie kennen, mit denen Sie dort zusammenarbeiten, in Deutschland ausgebildet?
    Lepik: Teils, teils. Einmal Francis Kéré, den inzwischen ja alle sehr gut kennen wegen seines Operndorfs, was er mit Christoph Schlingensief gemacht hat in Burkina Faso. Der zum Beispiel an der TU in Berlin studiert hat und sich dort quasi zum Architekten hat ausbilden lassen, aber jetzt nach wie vor seit seinem ersten Projekt in Afrika natürlich sehr breit tätig ist mit seinen Arbeiten. Oder der andere Architekt, den wir auch in der Ausstellung in München gezeigt haben, Kunlé Adeyemi, der war lange Jahre, neun Jahre Büropartner von Rem Koolhaas in Rotterdam und jetzt ist ein Teil seines Büros wieder nach Lagos gegangen und hat dort die ersten Projekte begonnen. Das sind manchmal solche Prozesse, dass Architekten erst ins Ausland gehen, studieren und wieder zurückkommen, weil viele Architekten, die in Afrika ausgebildet sind, natürlich ... Es gibt nicht so viele Schulen, die auch in diese Richtung denken bisher.
    Schäfer: Was müssen denn junge deutsche Architekten oder auch Studierende der Architektur über koloniale und postkoloniale Strukturen und Architekten wissen, um dort zu vermeiden, eventuell wieder in ein solches Baudenken über einen ganz anderen Ort auf der Erde zu fallen?
    Lepik: Das Wichtigste ist immer, dass man ganz sorgsam erst mal das Ohr an die Bevölkerung hält und erst mal fragt, was sind da eigentlich für kulturelle Netzwerke vorhanden, was sind für kulturelle Identitäten vorhanden. Und das kann von Ort zu Ort total unterschiedlich sein. In Eritrea zum Beispiel gibt es einen sehr großen Stolz auf diese Modernisierungswelle, die die Italiener in der Kolonialzeit dorthin gebracht haben. Da werden sozusagen die Gebäude der italienischen Kolonialzeit immer noch als Leuchttürme der Modernisierung gesehen.
    Schäfer: Beschreiben Sie die mal!
    Lepik: Das sind zum Teil Tankstellen, die dort gebaut wurden von den Italienern in den 30er-Jahren, die heute noch einfach auch als Symbol dieses Aufbruchs einer Nation gesehen werden, und insofern positiv. In anderen Ländern, in Nigeria etwa, in Lagos weiß ich nur, dass viele von den kolonialen Bauten heute abgerissen werden, nicht weil sie sozusagen nicht geschätzt werden, sondern einfach ... Sie werden nicht mehr geschätzt, deswegen werden sie abgerissen, aber eigentlich, weil man nachverdichtet und weil man viel höhere Häuser bauen will. Deswegen werden die kolonialen Architekturen einfach weggerissen, weil man sie nicht als einen wirklichen Teil des kulturellen Erbes betrachtet. Was natürlich schade ist, weil zum Teil, ob jetzt vom Senegal oder anderen Ländern angefangen, natürlich qualitativ hochwertige Architektur der Moderne immer noch dort existent ist. Aber in einigen Ländern wird das einfach nicht als ein Erbe gesehen.
    Schäfer: Was ich gesehen habe in dieser Ausstellung, waren sehr viele Bauten mit Ziegeln, mit strohartigen Dingen für Dächer, sehr luftige Architektur natürlich. Wenn ich dort lerne und mitmache an dieser Art von Architektur, was bringe ich damit eigentlich zurück nach Europa?
    Lepik: Speziell die Lehmarchitektur bekommt ja jetzt auch in Europa plötzlich wieder eine neue Bewertung. Und das ist ganz wichtig. Denn gerade in Afrika, wenn Architekten dort kommen und sagen, wir müssen mit Lehm bauen, weil das ist die ökonomischste und ökologischste Bauweise, dann sagen natürlich die Menschen auf dem Land, so dumm sind die ja nicht: Ja, ihr kommt jetzt, um uns die primitive Lehmbauweise wieder beizubringen, aber ihr selbst baut mit Stahl, Glas und Beton! Also, ihr wollt uns das vorenthalten! Und deswegen finde ich es sehr wichtig, wenn jetzt zum Beispiel wieder Architekten wie Martin Rauch aus dem Vorarlberg, der wohnt in seinem eigenen Haus, was er komplett aus dem Lehm gebaut hat, was er aus der Erde genommen hat ... Wenn jemand also wie Martin Rauch derzeit wieder Aufträge jetzt auch kriegt im großen Maßstab, etwa jetzt jüngst von Herzog/de Meuron hat er für Ricola diese Kräuterlagerhalle gebaut aus Lehmbauweise. Und es steht jetzt in der Schweiz, was natürlich ein Leuchtturmprojekt ist wieder für Lehmbauweise, auch hier bei uns. Und mit solchen Projekten kann man auch wieder dann natürlich in den exkolonialen Ländern sagen, das ist auch eine Bauweise, die wir selbst auch wieder praktizieren und sie wieder wertschätzen. Nur, ich glaube, in dieser Wertschätzungsform kann man das auch vermitteln, dass das richtig ist.
    Schäfer: Also, es gibt also durchaus eine gegenseitige Befruchtung: Man versucht, den Fehler zu vermeiden, alles dort hinzutragen an Wissen und dann eigentlich mit leeren Händen zurückzugehen und wieder von Neuem anzufangen.
    Lepik: Genau. Es ist ein Exchange of Knowledge, ein Austausch von Wissen, der dann immer stattfinden muss. Und deswegen ist es auch sehr kompliziert. So einfache Lösungen kann man natürlich nicht darstellen. Es gibt nicht die One-Size-Fits-All, die eine Lösung, die überall passt, sondern man muss an jedem Ort überlegen, was passt hier genau und was ist es im Grunde, was kulturell, sozial, ökonomisch, ökologisch wirklich vertretbar ist. Und das ist ein langwieriger Prozess, das ist viel schwieriger, als quasi mit einem standardisierten Modell in ein Gelände zu fahren und zu sagen, eine Schule sieht immer so aus und ein Kindergarten sieht immer so aus. Das ist das, was eben nicht funktioniert.
    Schäfer: Welche Rolle spielt denn Afrika überhaupt im internationalen Architekturdiskurs? Denn Geld ist vermutlich keins vorhanden, die Prestigeprojekte finden in China oder in arabischen Ländern statt. Was bleibt für Afrika, was bleibt für Sie, wenn Sie sich dort engagieren?
    Lepik: Afrika entwickelt sich im Augenblick ja in vielen Ländern sehr, sehr schnell und ökonomisch auch sehr gut. Man darf das ja nicht unterschätzen. Wir hören manchmal natürlich diese negativen Nachrichten immer nur als Erstes, so was im Südsudan jetzt passiert etwa. Aber auf der anderen Seite, ein Land wie Nigeria hat einfach ein unglaublich starkes Wirtschaftswachstum, teilweise stärker als in Europa zurzeit. Die haben ein großes Bevölkerungswachstum. Die haben eine extreme Dynamik, was da passiert, da gibt es sehr viele Bodenschätze. Deswegen interessieren sich auch die Chinesen im Augenblick sehr stark für Afrika. Und Europäer haben sich in vielen Punkten nur noch mit der Entwicklungshilfe dort eingebracht, aber irgendwie wirklich eine wirtschaftliche Förderung oder eine wirtschaftliche Zusammenarbeit findet kaum statt. Deswegen ist auch diese Architektur von Afrika, glaube ich, hier in Europa weitgehend unbekannt.
    Schäfer: Aber wer überzeugt die afrikanischen Gemeinden dann, so zu bauen und die Hilfe - also jetzt auch materielle oder Know-how-Hilfe - der TU München anzunehmen?
    Lepik: Das sind immer einzelne persönliche Verbindungen, die dort stattfinden, also von Hochschule zu Hochschule oder von Einzelinitiativen. Also hier etwa dieses Handwerkerzentrum für die Slumkinder in Nairobi, das ist hier auch von einer grünen Expolitikerin Ruth Paulick mit angestoßen worden, zusammen mit dem dortigen Initiator. Das sind auch solche persönlichen Verbindungen. Aber manchmal schlägt es dann Wellen. Und wenn so ein Zentrum fertig ist, kommen andere und sagen, so was wollen wir auch. Das ist also eigentlich dann, das sind so diese ...
    Schäfer: Und machen vor Ort Gelder dafür frei.
    Lepik: Versuchen, dann auch wieder Förderungen zu finden, teilweise vor Ort oder teilweise auch eben wieder von Förderern von außen.
    Schäfer: Was Sie eben angesprochen haben, dass es eine Art Bevölkerungsboom, aber auch wirtschaftlichen Boom gibt in bestimmten afrikanischen Ländern, das gab es in den 60er-Jahren schon mal. Auf der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig, die in diesem Jahr von Juni bis November stattfindet, haben die skandinavischen Pavillons sich der afrikanischen Unabhängigkeit nach nordischen Vorbildern gewidmet, "Forms of Freedom" heißt ihr Pavillon und er widmet sich insbesondere den Ländern Tansania, Kenia und Sambia. Denn dort hat man in den 60er-Jahren den Wunsch an die skandinavischen Länder gestellt, ihnen bei der Neuerfindung der Architektur zu helfen und sich von kolonialen und postkolonialen Zusammenhängen zu befreien. Was ist Ihrer Einschätzung nach daraus geworden?
    Lepik: Das ist eine wichtige Ausstellung und auch, finde ich, ein ganz spannender Dialog, der da jetzt angestoßen wurde von den nordischen Ländern. Eben nicht diese postkoloniale Architektur, die dann auch gewünscht und geliefert und gebaut wurde, einfach jetzt sozusagen den Ländern, die sie gewünscht haben, zu überlassen, sondern jetzt wieder den Diskurs aufzugreifen und zu sagen, wie geht es jetzt weiter, what's the next step, also. Wo gehen wir jetzt hin mit dieser Lektion, die da immer stattgefunden hat? Und das ist ein Prozess, der, glaube ich, von beiden Seiten im Augenblick wieder gesucht wird. Ich glaube, es war eine länger Zeit eher so, dass durch diesen wirtschaftlichen Aufschwung in vielen Ländern natürlich so eine eigene Identität gesucht wurde, aber jetzt auch wieder die Frage aufkommt, wie können wir mit der Hilfe von solchen hochwertigen Architekturschulen, wie sie da eben in den nordischen Ländern sind, wie können wir da wieder anknüpfen, vielleicht eine neue Entwicklung unserer Architektur?
    Schäfer: Und in den skandinavischen Ländern damals war es ja eine ganz sozialdemokratische Idee, die dahinter stand. Ist die im Moment irgendwo zu finden?
    Lepik: Afrika ist riesengroß, da passen andere Kontinente zusammen rein. Es gibt einige Länder, die, glaube ich, im Augenblick sehr aktiv nach anderen Lösungen suchen. Und dazu gehören, glaube ich, diese drei, also Tansania, und auch Ruanda zum Beispiel im Augenblick ist sehr stark interessiert, auch eine neue Ausbildung der Architekten anzustoßen und ein neues Programm aufzulegen, um Architekten jetzt nicht nur nach den kolonial geprägten Curricula der Studentenausbildung zu prägen, sondern vielleicht auch mal neue Fragestellungen ins Studium einzubringen. Da entwickelt sich an einigen Orten sehr viel.
    Schäfer: Welche könnten das sein, welche Fragestellungen?
    Lepik: In Ruanda gibt es dieses Kigali Institute of Technology, das ich auch besucht habe. Und da werden eben Architekten aus Europa - Italiener zum Teil wie Tomà Berlanda und andere - eingeladen, die ohnehin im Lande an solchen Hilfsprojekten oder solchen sozialen Projekten engagiert sind, mitzuarbeiten an einem neuen Lehrplan. Und man merkt - ich habe mit Studenten dort auch gesprochen - dann plötzlich auch ein ganz anderes Interesse an den eigenen Fragestellungen. Dann geht es eben nicht mehr darum, diese Dubaiisierung, die zum Teil ja in Afrika jetzt gerade stattfindet, weiter fortzusetzen, sondern dieses Dubai als ständiges Vorbild, diese glitzernden Hochhäuser, die dann von Stararchitekten gebaut werden, das wollen ja viele Großstädte in Afrika jetzt auch reproduzieren, dieses Bild ... und da passiert jetzt aber doch an einigen Schulen - nicht viele vielleicht, aber an einigen - eine Gegenbewegung.
    Schäfer: Sie haben am 17. Juli eine neue Ausstellung im Architekturmuseum in München eröffnet, "The Good Cause. Architecture of Peace". Eben fiel das Stichwort Ruanda, darin geht es um Wiederaufbau in Krisen- und Kriegsgebieten. Was gibt es zu sehen?
    Lepik: Es geht erst einmal in dieser Ausstellung darum, zu zeigen, dass natürlich, während Konflikte laufen wie in Syrien oder in anderen Kriegsgebieten dieser Welt, zum Teil hohe Aufmerksamkeit da ist für das, was passiert, teilweise auch hohe Spendenaufkommen zu erzielen sind, die dann aber in dem Moment, wo die Krise oder die Kriegssituation da ist, zum Teil gar nicht wirklich sinnvoll eingesetzt werden können. Und dass aber dann, wenn ein solcher bewaffneter Konflikt zu Ende geht, im Grunde die öffentliche Aufmerksamkeit verschwindet und dann eigentlich erst die Arbeit beginnt für das, was Architektur auch leisten kann und muss. Nämlich Wiederaufbauarbeit, und zwar auch Wiederaufbau an dem sozialen Wiederaufbau, also, wie kann man ethnisch getrennte Städte oder ethnische Konflikte, die eben zu Krieg geführt haben, wie kann man vielleicht auch mit Begegnungsstätten, mit Sportplätzen, mit öffentlichen Einrichtungen schrittweise wieder gegenseitiges Vertrauen schaffen. Und das ist ein sehr schwieriges Thema, da gibt es auch keine einfachen Antworten. Aber wir versuchen, mit dieser Ausstellung einmal das Szenario zu zeigen, erst mal, was passiert, wie viele Kriege gibt es überhaupt seit 1945, oder gibt und gab es, oder anhaltende Konflikte ...
    Schäfer: Weltweit.
    Lepik: Weltweit. Und dann zum anderen auch deutlich zu machen, was jetzt in den letzten Wochen wieder verstärkt durch die Presse geht, welchen Beitrag leistet eigentlich auch Deutschland bei friedenserhaltenden Maßnahmen. Und wir sind da ja in Deutschland sehr eng in vieler Hinsicht mit den Konflikten dieser Welt verknüpft im Sinne von Aufklärungsarbeit oder anderen Dingen. Und da spielt natürlich dann am Ende auch die Architektur eine ganz bedeutende Rolle, denn die ist ja das, was dann am Schluss stehen bleibt hoffentlich.
    Schäfer: Können Sie uns ein Beispiel nennen von einer gelungenen Architektur oder vielleicht auch Stadtplanungs-, Platzplanungsmodell?
    Lepik: Ein Beispiel, was in der Ausstellung gezeigt wird, ist in Ruanda dieses Football for Hope Center. Das ist ein ganz kleines Fußballzentrum eigentlich, was dort geschaffen wurde, um in einem Stadtgebiet, in dem sehr viele Menschen am unteren Rand des Einkommens leben, es ist nicht ganz ein Slum, aber, sagen wir mal, kurz davor, und da sind immer noch ethnische Konflikte. Heute darf ja in Ruanda keiner mehr über diese Zuordnung zu Hutu oder Tutsi sprechen, aber unter dem Tisch, unter der Hand ist natürlich diese Thematik immer noch präsent. Und hier wird für die Kinder dieser Umgebung, weil das eben sehr dicht besiedelt ist, ein Fußballzentrum geschaffen, was eben den Fußball ins Zentrum stellt von Konfliktbewältigung, von Aggressionsabbau. Das heißt, wenn hier auf dem Fußballfeld Situationen entstehen, die natürlicherweise beim Fußball entstehen, die Aggressionen auslösen, dann wird hinterher in einem kleinen Zentrum darüber gesprochen, da wird darüber geredet, wie und warum sind diese Konflikte entstanden. Und dann wird versucht, diese Dinge schrittweise durch den Sport wieder auszugleichen. Und gleichzeitig – und das hat der Architekt dort, Killian Doherty, der aus Irland kommt, was ja auch ein sehr gespaltenes Land gewesen ist, mit einem kleinen Ausbildungszentrum, da wird den Kindern nicht nur Fußball und Aggressionsabbau beigebracht, sondern auch Sprachunterricht. Die bekommen da auch Englischunterricht, um vielleicht später auch einen anderen Zugang zu anderen Beschäftigungen oder zu anderer Arbeit zu finden. Das ist vielleicht ein Beispiel mit sehr einfachen Mitteln, also auch wieder mit handgefertigten Ziegeln, die die Gemeinschaft selbst hergestellt hat, die die Gemeinschaft gemeinschaftlich gebaut hat. Das heißt, die Menschen haben dort auch eine Identifikation mit diesem kleinen Gebäude und diesem Sportplatz. Das wirkt auf verschiedenen Ebenen.
    Schäfer: Herr Lepik, Sie haben Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert und über Architekturmodelle in der Renaissance promoviert, wenn ich das richtig nachgelesen habe, Sie waren Kurator für Kunstausstellungen und Architekturgeschichteausstellungen, auch für das Werk von Architekten. Wie schätzen Sie die Wirkung solcher Ausstellungen ein? Ähnliche Fragen stellen sich ja bei Literaturausstellungen zum Beispiel. Irgendwie bleibt das immer theoriehaft und hinter dem Kunstanspruch, zu zeigen, große Bilder oder überhaupt Sichtbares zu zeigen, zurück, oder?
    Lepik: Wir haben bei "AFRITECTURE" angefangen, die Besucher stärker einzubinden in die Kommentierung dessen, was wir da zeigen und was wir tun. Jeder kennt ja Besucherbücher aus Museen, die meistens irgendwo am Ende in der Ecke stehen. Und keiner traut sich, da was reinzuschreiben. Oder keiner weiß genau, was er da sagen soll. Wir haben das zum Anlass genommen, bei jedem dieser 26 Projekte, die wir gezeigt haben, eine konkrete Frage an unsere Besucher zu stellen und dann ein Besucherbuch immer unmittelbar da hinzulegen, um dem Besucher die Möglichkeit zu geben, das zu kommentieren oder vielleicht die Frage auch zu verändern. Was als ein Experiment gestartet ist, war ein extrem großer Erfolg. Wir haben einige Tausend Kommentare bekommen zu unseren Fragen. Und jetzt haben wir eigentlich eher das Problem der Auswertung. Wir haben uns also sozusagen mehr Antworten geschaffen, als wir selbst lesen können im Augenblick. Aber wir wollen es schrittweise versuchen, abzuarbeiten und auszuwerten. Und da sind ganz einfache Fragen dabei gewesen, etwa die Frage, kann ein kulturelles Gebäude eine Nachbarschaft verändern? Und da kommen sehr interessante Antworten raus und auch sehr interessante Kommentare, wo Menschen, die in unsere Ausstellung gehen, über eigene Erfahrungen sprechen oder Anregungen geben. Und das wollen wir heute zurücktragen an die Architekten, die diese Projekte gemacht haben.
    Schäfer: Andres Lepik, Direktor des Architekturmuseums der TU München, im Gespräch. Vielen Dank!
    Lepik: Danke für das Gespräch!
    Schäfer: "Architecture of Peace" ist ein langfristiges internationales Forschungsprojekt in Zusammenarbeit vieler Partner. Die dazugehörige Münchner Ausstellung "The Good Cause. Architecture of Peace" zeigt einerseits Fallstudien von Rekonstruktion in Afghanistan, dem Kosovo, Südafrika, Ruanda, Israel und Palästina, und widmet sich andererseits der Realität von geteilten Städten, beispielsweise Belfast und Nikosia. Die Ausstellung ist bis zum 19. Oktober 2014 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
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