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Archiv für die Kunst der Sinti und Roma
Von Franz Liszt bis Flamenco

Seit Jahrhunderten leben Sinti und Roma in Deutschland und Europa, oft wurden sie verfolgt und diskriminiert. Dennoch haben sie die europäische Kunst und Kultur maßgeblich beeinflusst. Zu sehen ist das demnächst in einem digitalen Archiv für die Kunst der Sinti und Roma.

Von Nele Rößler |
    Der britische Künstler mit Roma-Herkunft Daniel Baker posiert in der Ausstellung "Houses as Silver as Tents" in der Zacheta National Gallery of Art in Warschau, Polen.
    Daniel Baker war 2007 am ersten Pavillon der Sinti und Roma auf der Biennale in Venedig beteiligt. (EPA / Leszek Szymanski)
    Ein großer Teppich, zwei Mal zwei Meter groß, darauf eine Karte von Europa. An der Wand daneben hängen Teppichklopfer. Es ist ein Kunstwerk von Daniel Baker, einem Künstler mit Roma-Hintergrund, der in Großbritannien lebt.
    "Das basiert darauf, dass Roma immer wieder in Teilen von Europa unwillkommen waren. Es soll so eine Art Reinigung darstellen, das Entstauben steht symbolisch dafür, dass man die Roma nicht da haben will, sie nicht akzeptiert."
    Die Installation des 57-Jährigen wurde in einer Galerie in Budapest ausgestellt. Jetzt soll sie außerdem im digitalen RomArchive Einzug halten - als Teil einer internationalen Sammlung für Kunst und Kultur der Sinti und Roma.
    "Unwissen der Mehrheitsgesellschaft"
    Im Oktober 2018 soll das Archiv online gehen. Eine der Initiatorinnen des Projektes ist die Kulturveranstalterin Isabel Raabe. Das Archiv soll in den Sprachen Deutsch, Englisch und Romanes geführt werden. Neben Kunst würden auch historische Dokumente und wissenschaftliche Texte gezeigt, kündigt Isabel Raabe an.
    "Jede Kunstsparte hat ihren eigenen Archivbereich - also Tanz, Musik, bildende Kunst, Theater usw. Außerdem haben wir zwei Archivbereiche, die sich mit wissenschaftlich-geschichtlichen Themen auseinandersetzen. Eine mit dem Holocaust an den Sinti und Roma und die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma."
    Auf die Idee, ein digitales Archiv für Sinti und Roma zu gründen, ist Raabe gemeinsam mit Franziska Sauerbrey gekommen. Die beiden Frauen führen ein Büro für kulturelle Angelegenheiten.
    "Die Wiege des Projekts liegt im Grunde in der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma 2012 hier in Berlin. Da haben wir beide damals das kulturelle Rahmenprogramm unterstützt. Da sind wir letztlich in Berührung gekommen, sowohl mit dem Reichtum der Kultur und dem Unwissen in der Mehrheitsgesellschaft. Das hat uns nicht mehr losgelassen. Und wir haben gedacht, dass ist ein wichtiges Anliegen."
    Sagt Raabe. Aber was ist überhaupt die Kultur der Sinti und Roma, die seit Jahrhunderten in vielen Ländern Europas leben?
    Kunst und Geschichte der Sinti und Roma
    Natürlich gebe es nicht nur die eine Kultur der Sinti und Roma, sagt Raabe.
    "Es gibt nationale Eigenheiten, Identitäten, wir haben die spanischen Gitano, wir haben die rumänischen Roma, die Irish Traveller aus Großbritannien, die ganz unterschiedlich sind. Also eine große Heterogenität, die sich auch in den Sammlungen widerspiegelt."
    Und vieles ist in die jeweiligen nationalen Kulturen eingeflossen. Der Einfluss der Sinti und Roma auf die europäische Kulturgeschichte sei groß, sagt Sauerbrey.
    "Also beispielsweise der bekannte Einfluss der ungarischen Volksmusik, sehr von Roma geprägt, auf Franz Liszt. Aber auch Flamenco, wesentlich von den Roma geprägt, weiter entwickelt, inzwischen hauptsächlich bekannt als spanisches Kulturgut."
    Schüler stehen am 08.04.2016 in Berlin an der Gedenkstätte für die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Das Denkmal liegt im Tiergarten direkt neben dem Bundestag und wurde nach einem Entwurf des Künstlers Dani Karavan gestaltet. Im Rahmen des "Roma Day" bitten Sinti und Roma um Solidarität in Europa.
    Die Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gilt als Wiege des Projekts. (Kay Nietfeld/dpa)
    Doch wie kommt es, dass ausgerechnet zwei Frauen, die nicht zur Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma gehören, ein solches Projekt auf den Weg bringen? Für Sauerbrey und Raabe ist klar: Das Romarchive soll von Sinti und Roma-stämmigen Kuratoren aufgebaut und betreut werden.
    "Es geht in diesem Projekt um Selbstpräsentation. Also es geht darum, dass Sinti und Roma selber ihre eigene Geschichte erzählen. Gegengeschichten kreieren zu dem, was die Mehrheitsgesellschaft ihnen angedichtet hat, die Fremdzuschreibung."
    Mehr als eine Datensammlung
    Misstöne gab es trotzdem. Der Zentralrat der Sinti und Roma fühlte sich zunächst übergangen.
    "Wir haben das am Anfang, mit einem kritischen Blick beguckt", sagt Zentralratsmitglied Herbert Heuß. "Auch deshalb, weil wir in die Entwicklung des Projekts nicht eingebunden waren. Das hätten wir durchaus begrüßt, wenn es da früher Informationen gegeben hätte." (*)
    Mittlerweile sitzt der Präsident des Zentralrats, Romani Rose, im Beirat von RomArchive, das von der Kulturstiftung des Bundes bezahlt wird. Eigentlich, räumt Heuß ein, hätte man selber auf die Idee kommen müssen. Der Zentralrat konnte das Projekt dann aber doch durch einige Anmerkungen zum Konzept und den Künstlern beeinflussen.
    Eine einfache Ansammlung von Daten werde das RomArchive nicht sein. Wer will, könne sich durch 1.000 Jahre Kulturgeschichte klicken, erklärt Sauerbrey. Man werde dort zum Beispiel Informationen zum postkolonialen Diskurs finden, wenn man auf einen Brief klicke, den eine KZ-Insassin geschrieben hat.
    "Dieser Brief wird gezeigt im Archiv, er wird kontextualisiert, er wird auch eingesprochen im Archiv. Dann ist man vielleicht bei Ceija Stojka, die selbst eine Holocaust-Überlebende war, aber auch eine Malerin, eine Sängerin. Dort kann man sich klicken zur nächsten Archiv-Sparte - postkolonialer Diskurs in der bildenden Kunst."
    Visuelle Darstellung statt politischer Diskussion
    Für Künstler mit einem Roma-Hintergrund wie Daniel Baker ist das RomArchive nicht nur eine Möglichkeit, Kunst auszustellen.
    "Es ist sehr sinnvoll, weil es der Öffentlichkeit, aber auch den Roma-Communities selbst ermöglicht, die Roma-Kultur und auch die Roma selbst kennenzulernen. Und das durch einen visuellen Weg, was oft mehr Verständnis bringt, als eine politische Diskussion. So wird unsere Vergangenheit gezeigt und gleichzeitig zeigt das Archiv den Weg in unsere Zukunft."
    Vielleicht irgendwann auch analog: Denn auf lange Sicht hoffen die Initiatorinnen, dass es nicht nur bei einem Internetprojekt bleiben wird.
    (*) In einer früheren Version des Beitrags war dieser O-Ton länger; wir haben ihn auf Wunsch des Betroffenen gekürzt.