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Arktis
Drahtseilakt zwischen Klimawandel und Wirtschaft

Das Eis in der Arktis taut - mit Folgen für das Klima. Dadurch könnte in Zukunft auch ein neuer Seeweg entstehen, der Asien, Europa und die USA miteinander verbindet. Das sorgt für Begehrlichkeiten. Auch mögliche Bodenschätze spielen eine Rolle im Wettstreit am Nordpol.

Von Andrea Rehmsmeier | 18.09.2019
Ein Eisbär klettert in der Arktis von Eis zu Eis.
Die Arktis gewinnt immer mehr an Bedeutung - laut Prognosen könnte die sogenannte Nordostpassage dann auch im Winter ohne Eisbrecher befahrbar sein (dpa/Florian Ledoux/ HotSpot Media)
Gletscher, Eisbären, Forscher, die in Astronauten ähnlichen Thermoanzügen durch Schneetreiben stapfen. Und immer wieder die imposante "Polarstern", die sich ihren Weg durch Eisschollen bahnt. Am 20. September wird der deutsche Forschungseisbrecher vom norwegischen Tromso aus in See stechen - zur "größten Expedition ins Herz der Arktis", verkündet der Image-Film des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, kurz AWI. Am Nordpol wird ein internationales Forscherteam Daten über den Klimawandel auf dem Nordpolarmeer sammeln. Stolze 140 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Die Hälfte davon wird von deutschen Forschungsgeldern getragen, den Rest teilen sich 16 weitere Nationen.
Doch nicht nur in Deutschland steht hinter dem Klima-Engagement eine größere Arktis-Agenda. Denn seit das Meereis zurückweicht, hat sich die unwirtliche Weltgegend in einen viel versprechenden Wirtschaftsraum verwandelt, mit attraktiven Schiffsrouten und unverbrauchten Rohstoffvorkommen.
"Mosaik", der Name der Expedition, steht für: "Multidisziplinäres, driftendes Observatorium des arktischen Klimas". Die Expedition soll ein Jahr dauern, von September 2019 bis Oktober 2020. Fünf Eisbrecher und über 16 Forschungsinstitute aus 19 Nationen sind beteiligt. Etwa 300 Wissenschaftler werden sich über das Jahr verteilt in der Zentralarktis aufhalten."
Referentin Anja Sommerfeld, Projekt-Koordinatorin von "Mosaik", steht vor einer Hörsaal-Leinwand im Potsdamer AWI-Gebäude und erklärt Temperaturtabellen. Etwa 40 junge Wissenschaftler aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa haben sich hier zur Potsdam Summer School versammelt, um sich über den Klimawandel auszutauschen.
Mögliche Gasreserven und Ölvorkommen nördlich des Polarkreises
Welche Folgen die Klimaerwärmung für das Polarmeer hat, ist bislang kaum erforscht. Das Wenige aber, das bekannt ist, gibt Anlass zur Besorgnis. Anja Sommerfeld:
"Die Eisdecke in den Sommermonaten hat sich halbiert. In den 80er-Jahren erstreckte sie sich über etwa sieben Millionen Quadratkilometer, derzeit sind es vielleicht noch drei oder dreieinhalb Millionen Quadratkilometer. Aber wir verstehen das arktische Klimasystem noch nicht besonders gut, unsere Modelle zeigen die Entwicklungen in der Arktis nur sehr unscharf. Da fehlen uns die Daten."

Die Arktis: Jahrhunderte lang haben sich nur die Rentiernomaden und ein paar wetterfeste Forscher für die Kältekammer der Erde interessiert. Doch seit der Eispanzer weicht, schreibt sie Schlagzeilen – als Fieberthermometer der Erde, Aufmarschgebiet der Streitkräfte, El Dorado der Rohstoffkonzerne. Im Jahr 2008 stellte eine amerikanische Studie die These auf, nördlich des Polarkreises könnten 30 Prozent der unentdeckten globalen Gasreserven und 13 Prozent der Ölvorkommen lagern.
Die Bohrlizenzen waren schnell vergeben, und die Arktis schien auf dem besten Weg zum Industriegebiet zu werden - mit neuen Schifffahrtsrouten und einer gut ausgebauten Infrastruktur aus Häfen, Seenotrettungsstationen und Terminals zur Verflüssigung von Erdgas. Aber Fernsehbilder von kollabierenden Eisbergen, Warnungen vor tauenden Permafrostböden und möglichen Kippeffekten haben die Aufbruchsstimmung schnell wieder verdorben. In den Medien ist die Arktis heute beides zugleich: schnell wachsender Wirtschaftsraum und das Fanal einer herannahenden Klimakatastrophe.
Goliat Ölfeld in der Barentssee
Goliat-Plattform in arktischem Umfeld (picture-allicance / dpa / Terje Mortensen)
Vor allem Gas wird bisher gefördert
Ist es realistisch und sinnvoll, die Bodenschätze am Grund des tosenden Polarmeeres zu heben – dem angestrebten Ausstieg aus den fossilen Energiequellen zum Trotz? Auf der Potsdam Summer School ist zu dieser Frage die britische Geologin Marianne Pascale Bartels geladen, die derzeit am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung forscht.
"Öl und Gas wird in unserem Energiemix noch Jahrzehnte lang eine Rolle spielen, bis der Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft geschafft ist, besagen Prognosen. Und natürlich gibt es Staaten, die dieses Öl und Gas in der Arktis fördern. Das werden sie auch weiterhin tun. Wie also können wir diese Wirtschaftstätigkeit nachhaltiger gestalten, mit Rücksicht auf den im Wandel befindlichen Lebensraum?"
Derzeit wird in der Arktis vor allem Gas gefördert, insbesondere dort, wo der Golfstrom das Wasser ganzjährig eisfrei hält. Ob es dabei bleibt, ist offen. Vorerst hat die so genannte Schiefergas-Revolution den Konzernen einen Strich durch ihre arktische Rechnung gemacht: Mithilfe der Fracking-Technologie hat Amerika immense Quellen für unkonventionelle fossile Treibstoffe neu erschlossen. Und auch der vergleichsweise niedrige Weltmarktpreis für Öl hat Fördervorhaben bislang unrentabel gemacht.
Dazu kommen die hohen Risiken: Nicht nur Umweltschützer warnen eindringlich vor den Folgen einer Ölhavarie im Eismeer. Die Forscherin Marianne Pascale Bartels weiß: Eine Bohrinsel, die in der Dunkelheit der Polarnacht, bei Eisstürmen und lebensfeindlichen Temperaturen mit einem Eisberg kollidiert, ist auch für die Konzerne selbst ein Albtraum.
"Dafür gibt es keine Lösung, selbst wenn man neueste Best-Practice-Technologien nutzt. Das haben wir ja am Deepwater-Horizon-Unglück im Golf von Mexiko gesehen: Solche Unfälle kommen trotzdem vor. Das kann auch in der Arktis so kommen. Und die Frage ist: Sind wir auf so etwas vorbereitet?"
Hohe Risiken für einen Ausbau der Förderung
Die Erschließung der Arktis: ein Drahtseilakt. Dennoch gibt es weiterhin Pläne, die Bodenschätze am Grund des Eismeeres zu heben. Gerade im August ist US-Präsident Donald Trump mit dem Versuch gescheitert, Grönland von den Dänen zu kaufen. Seine Förderpläne in Alaska wurden von einem Gericht gestoppt. Anders in Russland: Das Land, das flächenmäßig den größten Anteil an der Arktis besitzt, hat 2013 in der Petschorasee seine erste kommerzielle Ölplattform in Betrieb genommen. Protestierende Greenpeace-Aktivisten wurden damals kurzerhand inhaftiert.
Und auf der Halbinsel Jamal werden mit hohem Tempo Öl- und Gasfelder erschlossen, Häfen und Gasverflüssigungsterminals gebaut. Den Löwenanteil der arktischen Energierohstoffe fördert Russland bislang zu Lande. Der Transport zu den Abnehmerländern in Ostasien und Europa aber gelingt in den Sommermonaten schon heute teilweise per Schiff.

Noch ist die Eisbildung unberechenbar, die Rettungskapazitäten sind unzureichend und es fehlt an arktistauglichen Transportschiffen. Das aber könnte sich bald ändern, glaubt Vladislav Sokolenko vom Primakov-Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen. Er ist aus Moskau nach Potsdam angereist ist. Dann würde eine große Vision Wirklichkeit werden: Der nördliche Seeweg – die legendäre Nordostpassage, die seit Jahrhunderten von sich reden macht – wäre frei. Und Russland wäre Herr über eine attraktive internationale Handelsstraße, die die Märkte Ostasiens und Europas auf direktem Weg verbindet.
"Es gibt Prognosen, denen zufolge es zwischen 2035 und 2042 möglich sein wird, die Nordostpassage auch im Winter ohne Eisbrecher zu befahren. Das wird definitiv die Wirtschaftsstruktur des Gütertransports zwischen Europa und Asien verändern. Die Häfen zu bedeutenden Umschlagplätzen für den Gütertransport auszubauen, das würde im Interesse Chinas und der arktischen Regionen liegen. Darum ist es wirtschaftlich so bedeutend."
Blick auf die zu Russland gehörende Bolschewik-Insel. Im Vordergrund Packeis, im Hintergrund ist die Landschaft schon aufgetaut und schlammig.
Blick auf die zu Russland gehörende Bolschewik-Insel. Im Vordergrund Packeis, im Hintergrund ist die Landschaft schon aufgetaut und schlammig. (dpa/Hinrich Bäsemann)
Moskau untermauert sein Interesse mit Militärmanövern
Neue Seewege und ungehobene Bodenschätze: Sein Interesse an der Arktis untermauert Moskau mit Militärmanövern und speziell ausgebildeten Kampfkommandos. Gerade vor einigen Tagen gab das Verteidigungsministerium die Stationierung von hochmodernen S-400 Raketen auf dem Archipel Novaja Semlja bekannt. Luftabwehrraketen dieses Typs sollen auch an anderen arktischen Standorten stationiert sein. Insbesondere wegen ungeklärter Besitzansprüche in der Zentralarktis befürchten Beobachter, dass der hohe Norden zum neuen internationalen Krisenherd werden könnte. Im Jahr 2015 hat Präsident Vladimir Putin bei den Vereinten Nationen Russlands Gebietsansprüche auf weite Teile des Nordpolarmeeres erneuert. Aber auch Dänemark und Norwegen beanspruchen Teile der bislang internationalen Gewässer für sich. Die Entscheidung liegt jetzt bei einer UN-Kommission.
Sokolenko als Wissenschaftler will solche politischen Themen nicht kommentieren. Er selbst sieht die Arktis keineswegs als Konfliktraum. Im Gegenteil: Er verweist auf die bewährte Zusammenarbeit in international besetzten Gremien, wie etwa im Arktischen Rat mit Sitz in Tromso. Dort entscheiden die acht Anrainerstaaten zusammen mit den Dachorganisationen der indigenen Arktis-Völker über die Rahmenbedingungen der Arktis-Erschließung: über Schifffahrt und Rohstoffförderung, Klima- und Umweltschutz, Seenotrettung und Havariemaßnahmen. Und auch aus der Welt der Wissenschaft kann Sokolenko nur Gutes berichten.
"Natürlich spielen diese politischen Angelegenheiten irgendwie eine Rolle – bei der Regierung und in den Behörden. Wir Wissenschaftler scheren uns einfach nicht darum. Wir nehmen an vielen internationalen Kooperationen teil – und das ist gut! Je mehr Länder mitforschen, desto mehr Daten haben wir zur Verfügung."

Wie sind die wirtschaftlichen Perspektiven des arktischen Raums wirklich? Wie hoch ist das Konfliktpotenzial, wie hoch die Klima- und Umweltrisiken? An diesen Fragen ist auch der Nicht-Arktis-Staat Deutschland interessiert – und das längst nicht nur, weil die Deutschen bis auf weiteres auf Erdgas aus den Anrainerstaaten Norwegen und Russland angewiesen sein werden. Die deutsche Schiffbau-Industrie profiliert sich mit arktistauglichen Wasserfahrzeugen, deutsche Firmen sind an arktischen Bauprojekten beteiligt, viele beliebte Speisefische haben im Nordpolarmeer ihre Kinderstube.
Für eine unabhängige Einschätzung der Situation im Nordpolarmeer ist die Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover zuständig, kurz: BGR. Sind die arktischen Bodenschätze tatsächlich so attraktiv, dass die konkurrierenden Gebietsansprüche von Russland, Dänemark und Norwegen einen internationalen Konflikt heraufbeschwören könnten? Christoph Gaedicke, Experte für Energierohstoffe in der Polarregion, beruhigt: Alle bekannten Vorkommen lagern in den Hoheitsgebieten von Arktis-Anrainer-Staaten, innerhalb der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone vor ihren Küsten.
"Russland, Norwegen da vor allen Dingen, aber auch USA, oder Kanada, da ist es noch nicht ganz bekannt. Das heißt: Die neuen Grenzen, die möglicherweise gezogen werden, haben auf die bekannten Rohstoffvorkommen überhaupt keine Auswirkung. Und das ist beruhigend, denn es wird nicht den Kampf um die Arktis geben."
Zu sehen ist eine Luftaufnahme des Grönländischen Eisschilds aus dem Jahr 2014.
Luftaufnahme des Grönländischen Eisschilds (imago / Westend61)
Gaedicke schätzt rentable Vorkommen als niedrig ein
Gaedicke selbst schätzt die auf rentable Weise förderbaren Vorkommen eher als niedrig ein – allein schon deshalb, weil hohe Umweltauflagen viele Projekte von vorne herein unwirtschaftlich machen dürften. Am Grund des Polarmeeres lagert vergleichsweise wenig Erdöl, schließt der Rohstoffexperte aus den Daten von BGR-eigenen Studien. Doch auch die Erdgas-Funde könnten, gemessen an den Hoffnungen, die die viel zitierte amerikanische Studie geweckt hat, enttäuschend ausfallen.
"Beispielsweise in Grönland wurde gesagt: Da ist ein sehr, sehr großes Potenzial. Im westlichen Teil von Grönland und auf den Shelf-Gebieten, der Baffin-Bay wurden dann Lizenzrunden vergeben, und man ging mit viel Geld rein, mit viel Erwartung. Und es hat sich dann doch herausgestellt, dass das Potenzial, was eigentlich erwartet wurde, sich nicht bestätigt hat."
Solange der Weltmarktpreis für Energierohstoffe niedrig ist, werden wohl viele Förderlizenzen ungenutzt bleiben, glaubt Gaedicke. Aber was, wenn er steigt? Wird dann der vielfach vorhergesagte Wettlauf um die Arktis beginnen?
"Kaffeesatzleserei. Würde ich nicht prognostizieren können. Ich glaube eher nicht, weil wir genügend Lagerstätten noch haben, die viel leichter zu erschließen sind, viel günstiger zu erschließen sind. Die Nachfrage von Erdöl wird in den nächsten Zehnerjahren zurückgehen. Und dadurch wird das gar nicht notwendig sein."
Deutschland ist ständiger Beobachter im Arktischen Rat
Wirtschaftsraum mit Zukunft - oder Milliardengrab für überambitionierte Investitionsprojekte mit hohem Konfliktpotenzial und kaum verantwortbaren Umweltrisiken? Die Bundesregierung hat die Hoffnungen und Befürchtungen der Arktis-Erschließung auf eine elegante Formel gebracht: "nachhaltig nutzen". In den Arktis-Leitlinien, die sie im August 2019 herausgegeben hat, fordert sie rechtsverbindliche Regelungen, verbesserte Rahmenbedingungen für eine sichere und umweltverträgliche Seeschifffahrt und höchste Umweltstandards beim Abbau von Bodenschätzen.
Martin Weiß, Leiter des Referats für bilaterale und regionale Zusammenarbeit im Bundesumweltministerium, hofft, dass sich Deutschland damit Gehör verschaffen kann - dort, wo die Rahmenbedingungen für die polaren Aktivitäten ausgehandelt werden: im Arktischen Rat. Als Nicht-Arktis-Anrainer haben die Deutschen dort zwar kein Stimmrecht, aber immerhin den Status als ständige Beobachter.

"Und deswegen hat es ein Stück weit einen strategischen Charakter, dass Deutschland sehr stark an den Umweltthemen arbeitet, weil das Themen sind, wo man als Beobachter tatsächlich einen guten und einen willkommenen Beitrag leisten kann im Arktischen Rat. Anders, als wenn man jetzt versuchen würde, in geopolitische Kernthemen reinzureden, ja. Da würden dann die ständigen Mitglieder im Arktischen Rat dann sicherlich eher skeptisch darauf reagieren."
Dass auch Deutschland an dem prognostizierten Wirtschaftspotenzial teilhaben will, daran lassen die Arktis-Leitlinien keinen Zweifel. Sie werben mit dem deutschen Knowhow bei Erdgasverflüssigung und dem Bau von eisgängigen Transportschiffen; sie betonen das steigende Interesse am Arktis-Tourismus und die Bedeutung von Erdgas als Übergangsenergie.
Doch die Bundesregierung spricht sich auch für Ziele aus, die im Arktischen Rat durchaus Kontroversen auslösen könnten: Für strenge Regularien und die Einrichtung von Schutzgebieten und gegen die Nutzung von Schiffen mit Atomantrieb und den Einsatz von Schweröl als Treibstoff. Für einen Staat, der im Arktischen Rat kein Stimmrecht hat, sind solche Forderungen ein diplomatischer Drahtseilakt. Und der kann nur gelingen, glaubt Weiß, wenn Deutschland dort als kompetenter Ansprechpartner ernst genommen wird.
"Dieses umweltpolitische Engagement Deutschlands ist schon sehr willkommen. Und eben auch diese sehr starke wissenschaftliche Kompetenz, die Deutschland mitbringt mit der großen Forschungsinfrastruktur, die wir haben mit "Polarstern" und anderen gut aufgestellten Instituten. Und das ist ein bisschen unsere Eintrittskarte in die Familie im Arktischen Rat."
Das Forschungsschiff "Polarstern" liegt bei einer seiner Reisen in der Antarktis an einer Eiskante. 
Die "Polarstern" - erstmals wird ein voll ausgerüstetes Forschungsschiff in der Arktis überwintern (picture alliance / Stephan Schoene)
Wissenschaftler starten mit der "Polarstern" in die Arktis
Noch liegt das Forschungsschiff "Polarstern" in Tromso vor Anker. Doch am 20. September beginnt die einjährige Expedition zum Nordpol. In Potsdam trifft Expeditionsleiter Markus Rex die letzten Reisevorbereitungen. Er selbst wird insgesamt sieben Monate auf der "Polarstern" verbringen – zusammen mit rotierenden Wissenschaftlerteams aus 17 Nationen.
"Im politischen Bereich ist es ein sehr konfliktträchtiger Raum und es wäre sehr schwierig, Leute da zu einer gemeinsamen Aktivität zusammenzuholen. Uns in der Wissenschaft eint die gemeinsame wissenschaftliche Frage. Alle diese Nationen haben verstanden, dass wir besser verstehen, wie das mit dem arktischen Klima weitergeht. Und dazu müssen wir die arktischen Klimaprozesse besser verstehen."
Wie beeinflusst der Klimawandel die Polarmeere, und welchen Einfluss hat der rasante Rückgang des Meereises auf das Weltklima? Das sind die großen Fragen, die Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen gemeinsam beantworten wollen. Denn die Zukunftsprognosen sind düster, sagt Expeditionsleiter Rex.

"Das kann ganz schön gruselig werden. Es ist ein absolut plausibles Szenario, dass wir in 30 Jahren im Sommer eine eisfreie Arktis haben. Stellen Sie sich das mal vor: Sie können in Hamburg mit einer Segeljolle zum Nordpol segeln, eine Flasche Sekt aufmachen, anstoßen und wieder zurück segeln. Da, wo früher Generationen von Polarforschern im Eis umgekommen sind in dem Versuch, diesen Nordpol zu erreichen. Die Auswirkungen auf das Klimasystem sind gar nicht richtig erfassbar. Wir sind dann so weit außerhalb des Klimasystems, das uns bekannt ist als Menschheit, dass wir gar nicht mehr so genau wissen, was dann für den Rest des Planeten in so einem Szenario passiert. Das ist ein deprimierender Ausblick, muss man schon sagen."
Mit "Mosaik" ist gelungen, was sonst allzu oft an konkurrierenden Interessen scheitert: Die internationale Staatengemeinschaft arbeitet zusammen für den Klimaschutz. Russland wird mit drei Eisbrechern und einem Flugzeug die Versorgung sicherstellen, auch Schweden und China stellen Eisbrecher zur Verfügung.
Wenn dann die Winterkälte einsetzt und auch der stärkste Schiffsantrieb das Packeis nicht mehr durchbrechen kann, wird die Polarstern mit der natürlichen Strömung weiterdriften. Auf dem Eis, das das Schiff umgibt, werden die Wissenschaftler ihre Messstationen aufbauen. Sie werden die ersten und vielleicht auch die letzten sein, die den Nordpol als intakten Lebensraum gründlich erforschen können: mit Eisstürmen, mit Minus-Temperaturen bis 45 Grad - und mit bewaffneten Patrouillen für den Eisbär-Schutz. Expeditionsleiter Rex:
"Wir haben darüber hinaus bis zum Horizont reichende Infrarotkameras an Bord, die vom höchsten Punkt des Schiffes die ganze Zeit den Horizont beobachten und schauen, ob da irgendetwas Warmes sich bewegt. Und wir wissen, wo unsere Teilnehmer sind. Und wenn da hinten keiner ist, dann wird es wohl ein Eisbär sein. Und dann kommen alle Leute zurück zum Schiff, so dass unser Hauptkonzept der Eisbärverteidigung ist, keine Begegnung zuzulassen. Dann ist der Eisbär sicher und wir auch."
Ein Eisbär sitzt auf einer kleinen Eisscholle
Ein Eisbär sitzt auf einer kleinen Eisscholle (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)