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Armenien und Russland
Proteste in Jerewan ohne großes Echo

Russland hat in Armenien immer noch viel Einfluss: Die russische Luftwaffe unterhält eine Basis in der früheren Sowjetrepublik. Russische Konzerne liefern Gas und Strom. Eine Strompreiserhöhung war jüngst Anlass für wochenlange Proteste in der Hauptstadt Jerewan - doch die sind inzwischen abgeklungen.

Von Bernd Grossheim | 14.07.2015
    "Die Polizei versucht, eine Demonstration gegen eine Strompreiserhöhung zu zerschlagen"
    "Die Polizei versucht, eine Demonstration gegen eine Strompreiserhöhung zu zerschlagen" (AFP )
    Ein ganz besonderer Protest: Junge Leute ziehen mit Wasserpistolen und Eimern durch die armenische Hauptstadt Jerewan und spritzen Polizisten nass. Die Beamten scheinen von der neuen Art der Konfrontation überrumpelt und lassen die Aktion zu.
    Noch vor drei Wochen war es andersherum. Da setzte die Polizei auf dem Baghramian-Boulevard Wasserwerfer ein, um die Demonstranten zu vertreiben, die gegen die Erhöhung der Strompreise protestierten. Zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren steigt die Stromrechnung.
    Strom wird in Armenien vom russischen Konzern Inter RAO geliefert. Er kontrolliert mehrere ausländische Energiefirmen. Vorstandsvorsitzender ist Igor Setschin, ein enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er ist außerdem Chef der staatlichen Ölfirma Rosneft. Russland beherrscht nicht nur den Strommarkt in Armenien. Das Gas kommt von Gazprom. Die russische Armee steht mit einem Kontingent in Armenien und kontrolliert die Grenze zum Iran und zum NATO-Mitglied Türkei.
    Kritik am Einfluss von Russland auf Armenien
    Die Künstlerin Susanna Gyulamiryan spricht von kolonialen und postkolonialen Verhältnissen in ihrem Land.
    "Es gibt die Forderung, dass wir uns aus dieser postkolonialen Situation herausbewegen. Wir werden im Moment wieder von Russland kolonialisiert. Natürlich trägt auch die armenische Regierung Verantwortung, weil sie den Hauptteil der strategisch wichtigen Versorgung verkauft hat. Elektrizität ist unter russischer Kontrolle. So etwas muss aber in der Hand des Staates sein. Das ist absolut wichtig. Im Moment sehen wir ein oligarchisches System aus Russen und Armeniern. Und das muss verstaatlicht werden. Das könnte im Moment eine der wichtigsten Forderungen sein."
    Staatschef Sargsjan bot an, die Strompreiserhöhung könne abgefedert werden. Das lehnten die Demonstranten ab. Der stellvertretende Energieminister Harutyanyan versuchte es mit einem Appell an die Bürger.
    "Wir haben ein Unterstützungspaket geschnürt, um die Kosten der Preiserhöhung für die ärmeren Leute erträglicher zu machen. Ich möchte allen Menschen versichern, dass die Regierung eine Menge gemacht hat und weiter macht, um künftige Preiserhöhungen zu vermeiden und auch die Forderungen der Bevölkerung zu verstehen. Die Regierung war sehr offen und ist den Menschen entgegen gekommen und hat die Forderungen der Protestierenden erfüllt, indem sie die Preiserhöhung verschoben und die Belastung übernommen hat."
    Einer der armenischen Aktivisten, Babken Dergrigorian meint, die Regierung habe den Protest nicht verstanden.
    "Ich glaube, der stellvertretende Energieminister sieht das Problem überhaupt nicht. Er versteht noch nicht, worum es dieser Bürgerbewegung geht, wenn er davon spricht, dass es sich um ein soziales Problem handelt. Und das Problem ist nicht gelöst, wenn man staatliche Unterstützung aus dem Haushalt nimmt, denn der wird von den Steuerzahlern gespeist, von den Bürgern. Wie man es auch dreht, das Geld kommt immer von den Armeniern. Die Tatsache, dass der stellvertretende Minister das nicht versteht, zeigt, was das eigentliche Problem ist. Die Regierung hat den Bezug zur Realität verloren und weiß nicht, worum es in Armenien geht: Transparenz und Verantwortlichkeit."
    Demonstrationen erstmal eingestellt
    Inzwischen sind die meisten Demonstranten nach ihrem wochenlangen Protest aus der Jerewaner Innenstadt verschwunden. Die Barrikaden auf dem Baghramian-Boulevard wurden geräumt. Danach trafen sich noch einmal mehr als 1.000 Menschen auf dem Freiheitsplatz vor der Jerewaner Oper, doch demonstriert wird nicht mehr.
    Die Pessimisten unter den Protestlern sagten, es habe keinen Sinn mehr, gegen das armenische System mit einem Geschäftsmann Sargsjan als Präsidenten auf die Straße zu gehen. Man ziehe eh den Kürzeren. Die Optimisten erklärten dagegen, die Probleme in Armenien seien geblieben. Die Demonstrationen gegen die Staatsmacht seien eine gute Übung gewesen. Für das nächste Mal seien sie besser gerüstet, sie hätten gelernt und neue Ideen. Offenbar gehört dazu auch der Protest mit Wasserpistolen.