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Armin Thurnher: "Fähre nach Manhattan"
Noch einmal im Summer of Love

Von Bregenz nach New York, das war 1967 ein großer Sprung für einen frischgebackenen Abiturienten. Im Big Apple ging es hoch her, zwischen Kunst, Literatur und dem Protest gegen Vietnamkrieg und Rassendiskriminierung. Armin Thurnher erinnert sich in seinem neuen Roman an die eigene Jugend.

Von Eberhard Falcke | 04.02.2019
    Buchcover: Armin Thurnher: "Fähre nach Manhattan. Mein Jahr in Amerika"
    Reise zurück ins Jahr 1967 (Buchcover: Zsolnay Verlag, Foto: imago stock&people/Rudolf Gigler)
    So etwas könnte leicht schief gehen. Schließlich erscheint es auf den ersten Blick weit hergeholt, wenn ein älterer Herr, der sich zu seinem siebzigsten Geburtstag mit einem neuen Buch bemerkbar machen will, ein halbes Jahrhundert zurückblickt und ausgerechnet die Erinnerungen an sein Studienjahr in den USA hervorkramt. Aber glücklicherweise fehlt dem österreichischen Publizisten und Herausgeber Armin Thurnher zum schlichten Fehlschlag das Talent. Seine Vergangenheitsbesichtigung "Fähre nach Manhattan" führt zwar in eine bestens kartographierte, schon reichlich beschriebene Gegend, aber trotzdem vermag er die Erfahrungen seines jugendlichen Alter Ego mit Schwung und in frischem Ton zu vergegenwärtigen.
    So wird schon gleich zu Anfang des Buches das Prickeln spürbar, mit dem der Achtzehnjährige dem Studienaufenthalt in Sichtweite der New Yorker Skyline entgegensah. Allerdings waren die amerikanischen Befreier von der Naziherrschaft, die sich nun als Schutzmacht gegen den Kommunismus sahen, darauf bedacht, ihre Förderung nicht an die Falschen zu verschleudern. Darum wurde der frischgebackene Abiturient vorab nicht allein auf seine sprachlichen Fähigkeiten geprüft:
    "Im Zentrum stand ein Test meiner politischen Ansichten. Wer beim Sechstagekrieg im Recht war, das gehörte zu den einfacheren Fragen. Was ich zum Vietnamkrieg zu sagen wisse. Ich wusste wenig und ergriff umso leidenschaftlicher Partei für Israel und die USA."
    Der europäische Kulturmensch auf dem Rasen
    Im August 1967 landete der junge Thurnher in New York, wo ihn das Taxi zu seiner Enttäuschung weit um die Wolkenkratzer von Manhattan herumfuhr, um ihn auf Staten Island im Campus des Wagner College abzusetzen. Der Jüngling in der großen Welt war bereit zum Staunen, zugleich fehlte es ihm aber nicht an Selbstbewusstsein. Er war gut beim Tennis, er konnte den bulligen Footballspielern des College-Teams zeigen, wie man mit dem Innenrist einen Ball ins Tor knallte, er erwarb sich schnell Anerkennung als geschickter Techniker auf dem Fußballplatz, und sogar am Klavier konnte er als alteuropäischer Kulturmensch punkten. Nur mit seinem todschicken Schnürlsamt-, also Cordanzug vermochte er niemanden zu beeindrucken.
    Das erste Hippie-Outfit
    Schon gar nicht die bildschöne, blitzgescheite Brooke, mit der er seine erste Überfahrt nach Manhattan absolvierte, um sie beim Einkaufen von Perlen für ihr Hippie-Outfit zu begleiten. Sie brachte ihn auch gleich auf den neuesten Stand hinsichtlich der rasant anschwellenden Protestkultur, durch welche die Verhältnisse im amerikanischen Imperium angeklagt und gründlich in Frage gestellt wurden:
    "Hast du von der Aktion an der Börse gehört?"
    "Ich habe von Wirtschaft keine Ahnung", sagte ich wahrheitsgemäß. "Gestern an der Wall Street, das war nicht Wirtschaft, sagt Brooke. Das war Gegen-Wirtschaft. Abbie Hoffman und ein paar andere haben Dollarscheine von der Galerie geworfen."
    Einem Freund droht Vietnam
    Gekommen, um die Größe der westlichen Führungsmacht zu erfahren, traf der Studienanfänger auf ein Land in jugendlichem Aufruhr: die Flower-Power-Hippies, die schwarze Bürgerrechtsbewegung, der Protest gegen den Vietnam-Krieg, der Marsch der Hunderttausend zum Pentagon im Oktober 1967. Zur Verkörperung des politischen Protests wurde für Thurnher sein Zimmerkamerad Bruce, durch den er auf einen dramatischen Unterschied ihrer jeweiligen Situation gestoßen wurde: Während der Österreicher in der Annahme, dass ein Kriegseinsatz nicht zu befürchten war, sich freiwillig zum Bundesheer gemeldet hatte, drohte seinem amerikanischen Kommilitonen die Entsendung auf die Schlachtfelder von Vietnam. Auf einmal sah sich der Student auf dem stillen College-Campus ganz unvorbereitet mit den heiß laufenden Konflikten seines Gastlandes konfrontiert. Und mit der Fähre nach Manhattan kam das große Metropolenerlebnis noch hinzu.
    "Hier überflutet mich Jetztzeit. Ein Gemisch aus Schweinerei und Gewalt, Perversion und Macht, Geschwindigkeit und Rücksichtlosigkeit, Zeitgenossenschaft und trotz drängender Theater- und Kinowerbung keine Spur von dem, was ich Kultur nennen würde. Ich fühle, wie diese rauschende Stadt nach mir greift und mir eingibt: Hier bist du, wo es passiert. "
    Staunen und Begeisterung
    Armin Thurnher beschreibt all das, als wolle er sagen: Mit einer umfangreicheren Autobiographie will ich nicht dienen, aber dieses Kapitel aus meiner Entwicklungsgeschichte möchte ich Euch doch schon gerne erzählen. Zumal er mit seinem Rückblick an die Memorabilien zum 50. Jahrestag von 1968 anschließen kann. Den Eindruck, dass er zu den Kronzeugen jener Zeit gehören möchte, vermeidet er auf kluge Weise.

    Sein Staunen, seine Begeisterung und seine innere Bewegtheit von damals lässt er sich aber auch heute nicht nehmen. Im Gegenteil. Wenn er seine Erfahrungen von damals wieder vergegenwärtigt, dann scheint es fast so, als würde sich die spontane, zuweilen noch ahnungslose Erlebnisfreude des jungen Thurnher mit der wissenden Sprachkraft des älteren in munterer Allianz verbinden. Und so erzählt der Ältere im Präsens, als seien alle zeitlichen Distanzen aufgehoben. Das ist ein cleverer Trick, durch den aller Staub vom Vergangenen weggeblasen und unmittelbare Lebendigkeit erzeugt wird:
    "Ich verstehe die Hippies. Drop out, tune in, rufen sie. Ich stehe noch mit beiden Beinen im System, weil ich keine halben Sachen mag. Oder bin ich nur ein bisschen feig?"
    Von Poeten, der College-Bohème und Andy Warhol
    Thurnher malt sein Bildnis als junger Mann nicht hipper als er war. Viele Dinge, von denen er hier erzählt, weil sie damals Thema waren, bekam er nur durch Hörensagen mit. Er war zwar nahe dran am Big Apple, aber nicht direkt dabei. Umso neugieriger lauschte er den Berichten des Literaturdozenten über die großen Zeiten, als Robert Lowell und Frank O‘Hara bei Auftritten im College miteinander konkurrierten und das Künstlerpaar Willard Maas und Marie Menken sich in Alkoholräuschen dermaßen fetzte, dass Edward Albee die beiden zum Vorbild für sein Bühnenstück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" nehmen konnte. Die New York Poets, die Beat Poets, die Black Mountain Poets, waren zwar schon auf dem Weg zur Legende, aber immer noch aktuell. Und die Factory von Andy Warhol hatte Hochkonjunktur. Im Rückblick erzählt Thurnher mit Passion von all dem als einer, der heute natürlich mehr weiß, ohne seinen damaligen Status eines Greenhorns in der Neuen Welt zu verheimlichen:
    "Schwarzes, unermessliches Ausmaß meiner Ahnungslosigkeit. Jede Fahrt mit der Fähre ist eine Expedition in unbekanntes Terrain, jeder Artikel, jedes Gedicht eine neue, dunkle Quelle. Und alles und immer zum ersten Mal."
    Genau das ist es, was Armin Thurnhers "Fähre nach Manhattan" zu einer lohnenden Lektüre macht: Es wird uns hier farbig und plastisch vor Augen geführt, was das Amerikaerlebnis für einen jungen Europäer in den sechziger Jahren bedeuten konnte.
    Armin Thurnher: "Fähre nach Manhattan. Mein Jahr in Amerika"
    Paul Zsolnay Verlag, Wien. 208 Seiten, 20 Euro.