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Arno Orzessek
Symbolpolitik mit Gänsefüßchen

Eine historische Peinlichkeit nennt Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner die Entscheidung der "Bild", ab Sommer 1989 das Wort DDR nicht mehr in Anführungszeichen zu schreiben. Wozu unserem Glossisten Arno Orzessek ein Adorno-Zitat einfällt: "Dummschlau und selbstzufrieden lecken die Anführungszeichen sich die Lippen."

Von Arno Orzessek | 08.08.2019
Mathias Döpfner hält eine Rede.
Unter Mathias Döpfner wäre die DDR in der "Bild" noch ein bisschen länger die "DDR" geblieben (dpa)
Erst einmal vielen Dank an Mathias Döpfner! Denn seine Kritik an der Abschaffung der "DDR"-Gänsefüßchen bei Springer im Sommer 1989 erinnert ja vor allem daran, dass die Füßchen vorher über Jahrzehnte mit heiligem Ernst gesetzt worden waren. Ein Umstand, den wir jüngeren Leuten kurz erklären möchten.
Stellt euch Springers DDR-Gänsefüßchen bedeutungsmäßig am besten wie Elefantenfüße vor, und zwar trotzig stampfende. Es war nämlich so: Der Axel Caesar Springer, der das heutige Verlags-Imperium nach dem Krieg an den Start gebracht hatte, fand die DDR von Anfang an voll daneben. Aber einmarschieren und gleich wieder abschaffen, das war keine westdeutsche Option - Axel Caesar wusste das.
Als sich Axel Springer im Grabe herumdrehte
Also bekämpfte der kalte Krieger die real existierende DDR publizistisch - eben indem er sie in Elefantenfüße alias Gänsefüßchen setzen und so zumindest symbolpolitisch aus den Angeln heben ließ.
Man nannte den Mann - der laut einem "Stern"-Artikel von 2001 lässig angekündigt hatte: "Nach der Wiedervereinigung werde ich auf einem Schimmel durchs Brandenburger Tor reiten!" - schließlich genau so: nämlich den "Brandenburger Tor".
Indessen starb der Möchtegern-Schimmelreiter, vier Jahre bevor das Tor aufging - und dürfte sich am 2. August 1989 wie ein Propeller im Grabe umgedreht haben. Denn von diesem Tag an erschien die DDR in den Springer-Blättern plötzlich gänsefüßchenlos.
Was die "Süddeutsche Zeitung" vermuten ließ: "Selbst den Staatslenkern im real existierenden Sozialismus wird etwas fehlen, wenn sie zum ersten Mal ungeschützt in 'Bild' entdecken werden - die DDR, ganz nackt!"
Historische Peinlichkeit
Das war ziemlich lustig - ganz im Gegensatz zur aktuellen Bemerkung von Mathias Döpfner, der das Fortlassen der Gänsefüßchen pathetisch eine historische Peinlichkeit nennt. Was wiederum uns peinlich erscheint, und zwar peinlich für Sie, Herr Döpfner!
Ihr Haus hat doch jetzt den tollen Blog "inside.history", in dem Ihre Archivare Kamellen aus der Verlagsgeschichte präsentieren. Lassen Sie von denen doch mal Ihr Intelligenz-Blatt "Die Welt" vom 1. August 2009 herauskramen. Da steht klipp und klar: "Der Verzicht auf die Gänsefüßchen kam in der 'Welt' zur rechten Zeit."
Und warum zur rechten Zeit, Herr Döpfner? Weil sich für Ihren Verlag in den späten 80er Jahren in Polen und Ungarn neue Märkte eröffnet hatten - Märkte, die DDR-Gänsefüßchen in den Springer-Blättern überhaupt nicht dufte fanden. Ergo: Der Springer Verlag hat seine DDR-Gänsefüße abgehackt, um mehr Knete zu machen.
Aber jetzt frömmeln Sie im Rückblick herum, "dass es immer falsch ist, das Richtige zu leugnen. Und dass Prinzipien umso wichtiger werden, je unübersichtlicher die Zeiten sind". Sie warnen etwa davor, "chinesische Großaktionäre Schlüsselindustrien in Deutschland beeinflussen und irgendwann beherrschen zu lassen".
Prinzipien versus Finanzlage
Hmm, Herr Döpfner - wie passt Ihre Warnung eigentlich zu der Nachricht, dass die verfressene New Yorker Heuschrecke KKR gerade 27,8 Prozent der Axel-Springer-Aktien eingesammelt hat? Könnte es sein, dass Ihnen Prinzipien umso unwichtiger werden, je dürftiger die Finanzlage ist?
Aber nichts für ungut! In Ihrer Position kommt man ohne Selbstwidersprüche sicher nicht gut klar. Nur eins vielleicht noch, Herr Döpfner. Als wir über die DDR-Gänsefüßchen bei Springer nachdachten, fiel uns ein Spruch von Adorno ein, der leider ein bisschen uncharmant ist. Er lautet: "Dummschlau und selbstzufrieden lecken die Anführungszeichen sich die Lippen."