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Arno Schmidt, Hans Wollschläger: "Der Briefwechsel"
Kontrolle, Rücksichtslosigkeit und Wohlwollen

Aus Arno Schmidts Interesse an Hans Wollschlägers Zugang zu Interna aus dem Karl-May-Verlag, entwickelte sich ein überaus produktives Lehrer-Schüler-Verhältnis. In ihrem Briefwechsel lässt sich vor allem die changierende Schreibexistenz des großen deutschen Schriftstellers Arno Schmidt beobachten.

Von Guido Graf | 13.01.2019
    Arno Schmidt
    Der Schriftsteller Arno Schmidt (dpa)
    "Schön; machen wir’s so: Sie kommen, zwischen dem 27. und 30. 3. 1959, (eyn dreyfach Heyl der Eggsaggtitüde; aber wir wollen getrost – im Gegensatz zu gewissen bamberger Kreisen; (ich werde in Zukunft, wo es sich um waschhafte Unzuverlässigkeit handelt, den Betreffenden rauh anfahren las- sen: ›Was bambergert Er daher?!‹; ›Lasse Er itzt jedes Gebambergere und bekenne Er!‹) – wir ergo wollen uns, im Interesse einer begierig zuhorchenden Nachwelt, einer schlichten Genauigkeit in Namen, Orten und Daten (der Worte & Werke noch ganz zu geschweigen) befleissigen – das wird ohnehin mal ein schwermütiger Spaß werden, wenn unsere Correspondenz (wie es ja gar nicht ausbleiben kann) gedruckt erscheint, und die bewußten ›Edelmenschen‹ dann, bestürzt die Querhand vor der Stirn, ihr Porträt & das ihres Wirkens ratlos aus (dann wahrscheinlich schon ziemlich schadhaft gewordenen) ›Knopflöchern‹ bestarren."
    So beginnt Arno Schmidt im Februar 1959, ohnehin das Wendejahr seiner literarischen Entwicklung, einen Brief an den 21 Jahre jüngeren Hans Wollschläger, der damals noch Mitarbeiter des Karl-May-Verlags in Bamberg war. Den Blick auf die Nachwelt, so übermütig er hier auch geäußert wird, darf man bei Arno Schmidt getrost auch für bare Münze nehmen. Schon vor dem Krieg hat er seinem Jugendfreund Heinz Jerofsky geschrieben:
    "Hebe ja unsre Korrespondenz auf! Wir müssen die Nachwelt durch esprit rasend machen. Deine Karten sind leider wenig dauerhaft. Schreibe zumindest mit Tintenstift, aber schreibe."
    Dem jugendlichen Möchtegern-Autor mag man den Größenwahn nachsehen. Beim 45-jährigen Schriftsteller Arno Schmidt, der 1959 mit einigen Büchern zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gelten kann, muss man von verfestigten Phantasien ausgehen, und dienen sie auch nur als Schutzwall gegen die dürftige Realität eines Autors, der in permanent prekären Umständen lebt, Mitmenschen gegenüber eher feindselig gesinnt ist und sich eine die Lebensfassade aufrechterhaltende Selbstüberschätzung mit sehr speziellen Interessen sichert. In seinen in der Regel mit der Schreibmaschine getippten Briefen an Hans Wollschläger, für die er, der gelernte Lagerbuchhalter und Artilleriesoldat, fast immer auch Durchschläge anfertigte, konnte sich Arno Schmidt gut verschanzen und etwa Autorität als Experte für das Spätwerk Karl Mays beanspruchen. Das allein wäre vermutlich kein guter Grund, heute, aus der Perspektive der Nachwelt einen Briefwechsel zu lesen, indem es durchweg um Karl May geht, um biographische Details, um antiquarische Angebote und immer um ein verbissenes Gerangel mit dem Karl-May-Verlag um die Deutungshoheit über den "späten Karl May" und seine Zugehörigkeit zur "Hochliteratur". Es wäre vermutlich bestürzend langweilig, wenn man hier nicht einen Blick in die Kulisse einer ebenso bedeutenden wie fragilen Schreibexistenz werfen könnte.
    Eine fragile Schreibexistenz
    Das mag falsch und ungerecht klingen, geht es doch schließlich um einen Briefwechsel. Hans Wollschläger ist, als der Briefwechsel 1957 einsetzt, 22 Jahre alt. Schmidt ist eine Generation älter und damit als Autorität in dieser Beziehung gesetzt. Väterliches ist Schmidt zeitlebens nicht unterlaufen, doch die Rollenverteilung der beiden Korrespondenten als Lehrer und Schüler war schon früh klar und beiderseits akzeptiert. Wollschläger war ausgebildeter Musiker, beschäftigte sich, was er Schmidt gegenüber allerdings erst eine ganze Weile später zu erkennen gibt und ohne dass dieser damit sonderlich viel anfangen kann, intensiv mit Gustav Mahler und verdient sein Geld als freier Mitarbeiter des Karl-May-Verlags. Und genau über diese Funktion kommen Schmidt und Wollschläger auch in Kontakt.
    Wollschläger wird rasch zum Lieferanten von Informationen und auch von unter Verschluss gehaltenem Archivmaterial zu May. Damit befeuert dann Schmidt wiederum seinen publizistischen Feldzug gegen den Karl-May-Verlag. Den jungen Schriftsteller Hans Wollschläger nimmt Schmidt erst später wahr. Und immerhin nimmt er ihn irgendwann so ernst, dass er Versuche unternimmt, ihn an den ein oder anderen Verlag zu vermitteln. Allerdings ohne Erfolg. Immerhin, so könnte man im Nachhinein, erwächst aus gemeinsamen Übersetzungsprojekten wie etwa der Werkausgabe Edgar Allan Poes später Wollschlägers Ruf als Übersetzer von Rang, vor allem durch seine, heute auch nicht mehr unumstrittene Version des Ulysses von James Joyce. All das spielt neben May natürlich auch eine Rolle in diesem Briefwechsel. An der Zentrierung der Korrespondenz auf Arno Schmidt ändert sich aber eigentlich nie etwas. Nach Wollschlägers erstem Besuch 1958 notiert Schmidt für sich:
    "1630–2230 Wollschläger: 1.73, dürr, 23, sehr hinfällig + überzüchtet; junger Mensch mit vielen Plänen; nicht unsympathisch (aber sympathisch eben auch nicht!). Ich schenke ihm eine Anzahl meiner Bücher; er verspricht intime May-Materialien dafür."
    So deutlich wird Schmidt in seinen Briefen nie. Doch der Tauschhandel, der hier vereinbart wird, hat Bestand. Dahinter entsteht ein Spannungsverhältnis aus habitueller und geschäftlicher Distanz und einem zumindest zeitweiligem Anschein von Intimität. Denn Schmidt sieht in Wollschläger nach mehreren Treffen neben seiner Maulwurffunktion auch ein mögliches Objekt literaturpädagogischer Versuche. Erst im Rückblick hat Wollschläger das genau und selbstkritisch erkannt:
    "Ich war in dem schrecklichen Alter, wo man noch der unsicher einzige ist, der verschwommen sieht, was er sein wird, und die fehlende Kontur dauernd durch großspurige Gestikulation ersetzt werden muss. … Vielleicht hat er, Schmidt, sein eigenes Jugendfuchteln in meinem wiedererkannt - und sich zur fördernden Geduld entschlossen? … Er erwartete etwas von mir, und das führte in den Folgejahren zu einer Auszeichnung, die im Förderlichen doch oft auch erdrückend war und meinem Realitätssinn nicht guttat."
    Dabei hat Schmidt andere Besucher in seiner literarischen Buchhaltung ebenso rücksichtslos verarbeitet. Gegenüber Wollschläger gefällt er sich aber von 1959 an bis in die zweite Hälfte der 60er-Jahre hinein als die durchaus wohlwollende, aber immer wieder auch fordernde und mahnende Autorität. Seine Ratschläge beziehen sich natürlich aufs Taktieren im Karl-May-Verlag, aber auch auf ganz private und alltägliche Dinge. Bevor Schmidt, abgetaucht in die Arbeit an seinem Großwerk "Zettel’s Traum", Ende der 60er-Jahre aufhört Briefe zu schreiben, gibt es noch zahlreiche Hilfestellungen an Wollschläger zum Überleben im Literaturbetrieb. Ganz gleich ob es um Übersetzungsfragen geht oder um Vertragsverhandlungen mit Verlagen, die Mehrfachverwertung kleiner Aufträge für Zeitungen und Rundfunk: immer ist die eigene literarische Praxis Vorbild. Dass hier vieles von dem, was doch aus der Not geboren wurde, als Leitfaden angeboten wird, bleibt ein blinder Fleck. Wollschläger bekennt sich zunächst ausdrücklich zu seiner Schüler-Rolle und bedankt sich:
    "für das, was Sie und Ihre Arbeiten mir bedeuten: für das, was ich von ihnen lernen kann. Es ist seltsam und erstmalig für mich: eigentlich bin ich in dieser Hinsicht kaum einem Lebenden verpflichtet; meine Quellen liegen sämtlich - im wörtlichen Sinne - bereits irgendwo begraben."
    Schmidt unterstreicht sich, wie in vielen von Briefen seiner Korrespondenten, diese Passage in dem Brief fein säuberlich mit einem Lineal. Höflich und freundlich im persönlichen Umgang erlebt ihn Wollschläger. Dagegen aber steht dann aber ein permanenter Wutdruck bei Schmidt, der sich dann schriftlich, zunächst in Tagebuch oder Protokollblättern entlädt. Von innerer persönlicher Freiheit erzählt das nichts Gutes. Allerdings kommt man, dies beobachtend, doch auch dem auf die Spur, was Karl May eigentlich hier tatsächlich für eine Rolle spielt.
    Tarnung als Prinzip
    Vor dem Krieg hatte der junge Schmidt versucht, im Karl-May-Jahrbuch seine erste Veröffentlichung unterzubringen, mit der ‚Entdeckung’, dass May eine Figur seines späten Romans "Im Reich des Silbernen Löwen" Friedrich Nietzsche nachgebildet hätte. Der kurze Aufsatz wurde von dem "kleinen, häßlichen Verlag", wie Schmidt ihn schon 1933 in einem Brief nannte, nicht gedruckt. Die Werke Karl Mays, zumal die späten, hat Schmidt immer dechiffrierend gelesen, ganz so, wie später seine eigenen Bücher gelesen wurden. Tarnung als Prinzip, Maskerade als System teilt er Wollschläger schon in einem der ersten Briefe unfreiwillig prophetisch als Konstanten seiner schriftstellerischen Arbeit mit:
    "Dann mischen sich Spieltrieb, Rachegelüst, Freude an der Verlarvung, Interesse an der Erprobung solch künstlerischer Möglichkeit … derart intensiv, daß es zur größten Gefahr wird, Thema und Verfahren tot zu reiten."
    Nach dem Krieg nimmt Schmidt erneut Kontakt auf, doch schon bald entwickelt sich eine ebenso lustvoll wie erbittert geführte Fede gegen die editorischen Fehler des Verlags und die hagiographische Verunstaltung der Werke. Dieser Feldzug findet erst mit zwei Büchern sein Ende: Schmidts May-Buch "Sitara und der Weg dorthin" von 1963 und in gewisser Weise auch Wollschlägers May-Biographie von 1965. "Sitara" ist für Schmidt nach jahrelangem publizistischen Anrennen in Zeitungen und Radioprogrammen die ultimative Zertrümmerung des Hauses, das ihm einst den Einlass verwehrte. Natürlich steht das Buch auch für eine literarische Sprachverpuppung im psychoanalytischen Bastelstil, für die in Schmidts später Poetologie prägende Selbstentdeckung, dass alles Sprechen und Schreiben von sexuellen Konnotationen unterfüttert ist. Bald darauf wird diese noch austestende, vorläufige Konstruktion mit "Zettel’s Traum" zum überdimensionalen Drahtverhau ausgebaut. Doch der großangelegte Versuch in "Sitara", Karl May als Homosexuellen zu entlarven, soll endlich eine Rechnung begleichen. Zwar stellt Schmidt seine "Studie über Wesen, Werk & Wirkung" als humoristisch dar und auch Wollschläger spricht in einer Rezension von einem "urkomischen Buch". Später, nach Schmidts Tod 1979, nennt Wollschläger aus der Distanz "Sitara" eine "mörderischer Schwulenhatz". Komisch - auch in den Briefen -ist Schmidt bisweilen, wenn es ihm gelingt, die Fallhöhe zu seinen eigenen Defekten mindestens sprachlich transparent zu machen. Wie sehr aber buchhalterische Formulierungen, schwiemelige Witze und manchmal auch pure Aggression nicht nur in "Sitara" ein eigenes Gewicht bekommen, wird ebenso deutlich. In einem Brief von 1961 meint Schmidt einmal:
    "das Geküsse der MAY’schen Helden war mir schon in meinen Jungenjahren immer anstößig."
    Das inhumanste Buch
    Die stilistisch und thematisch rückwärtsgewandten Erzählungen, die Schmidt vor und während des Krieges schrieb und zu Lebzeiten nie veröffentlichte, die tiefe Hassliebe zum Phänomen Karl May und das eigene Gefühl, nicht die verdiente Anerkennung zu erhalten, bilden dann die biographische Kulisse für das spätere lustvolle Einpeitschen in "Sitara". In einer Rede von 1989 bezeichnete Hans Wollschläger "Sitara" als "gewaltig ausgebrochene Lebens-Äußerung", als phantastische, wenn nicht gar halluzinierte Selbstdarstellung.
    "Wäre dies nicht so, stünde nicht die Wesens-Tragödie dieses sehr großen Autors über seinem Thema hier, so müßte nun die Kritik am Detail beginnen. Das ginge aber katastrophal für ihn aus und am Ende bliebe nur noch ein Mordversuch; es wäre das inhumanste Literatur-Buch, das ich kenne."
    Bald nach "Sitara" wird der Briefwechsel merklich dünner und bricht dann Ende der 60er-Jahre vollständig ab. So wie Wollschläger Distanz gewinnt, dann lieber eigene Wege verfolgt als die Schülerperspektive zu verlängern, so wenig ist nach dem Ende der Korrespondenz von Schmidt zu erwarten, aus seiner Selbstinszenierung noch herauszutreten. Was Schmidt als Lehrer in seinen Briefen vermittelt, sind vor allem Überlebenstechniken, die zu alltäglichen Gewohnheiten geronnen sind. Ganz ähnlich den zahlreichen ähnlichen Schilderungen in seinen Romanen und Erzählungen. Ein Erfahrungskomplex wird stilisiert und an die Stelle der Erlebnisse als Wehrmachtssoldat und der realen Vertreibung aus Schlesien treten Imaginationen einer Flucht des Geistes, des Intellektuellen aus den Anstrengungen des alltäglichen Broterwerbs. Schreibtischhoheit und existenzielle Angefasstheit stützen sich hier gegenseitig. Das Zwangssystem Wehrmacht, das Mitmachen-Müssen, das Nicht-allein-sein-können, die rohe und sexualisierte Sprache schließlich - und darauf kommt Schmidt immer wieder, nicht nur in "Zettel’s Traum" zurück -, die Angst vor tatsächlichen sexuellen Übergriffen bedeuten für ihn eine immer noch gegenwärtige Bedrohung, die nicht vergessen werden kann:
    "Jéder=Dér aus dem 6=Kriege somatisch=heil=heimkehrte, ist trótzdem als psi=&=S=Invalide zu betrachten und zu behandeln."
    Wie diese Kombination aus Angst und Erfahrung zur Transformation eingesetzt werden kann, hat Schmidt vor "Zettel’s Traum" vor allem an Karl May erprobt. Mit wohliger Abscheu präsentiert er während der Arbeit an "Sitara" in einem Brief an Wollschläger eine Anekdote aus der Kriegszeit:
    "Noch ein paar Ergänzungen SITARA: bekommen Sie ja keinen Minderwertigkeitskomplex, daß Sie ‚nichts merkten‘! Das ist eine reine ‚Sache der Erfahrung‘. (und hat gar nichts mit ‚inn=genius‘ zu tun). Wenn Sie erst einmal 7 Jahre Soldat + Kriegsgefangenschaft werden überlebt haben, dann ‚kennen‘ Sie die betreffenden Typen sofort am guten Klang! (Wenn beim bloßen ‚Brote=Abladen‘, wo die Meisten stumpf mit=zählen: "4=u=zwanz’g; 5=u=zwanzg" auf einmal 1 ruft: "Paß auf, Bübchen: Ich werf’ Dich tot!" - tcha, dann wissen Sie, wes Geistes Kind der ist! Nämlich genau des Geistes, der, lustvoll=wriggelnd, hin schreibt: ‚Ich komm gern!: freiwillig!: Mit Vergnügen! … Neugierig bin ich auf den ersten Streich: ob ich da schrei‘?! … Der mit dem großen Hammer!!!’. Also das ist so ‚echt‘ …!)."
    So engagiert Schmidt hier schreibt und dabei auch gleich die später in "Zettel’s Traum" und den folgenden Büchern praktizierte Schreibweise elaboriert, so wenig überraschend kommt das. Was Schmidt bei Freud aufschnappt, führt ihn auch vorher schon auf die Spur. In diesem Briefwechsel lässt sich das als poetologische Selbsterfindung nachlesen.
    Schriftstellergattinnen
    Beim nächsten Besuch verzeichnet Schmidts Protokoll anders als sonst nicht nur viele Einzelheiten zu Karl May, sondern dieses Mal auch Ausführliches zu Wollschlägers Familie sowie eben auch zu seiner "‚Braut‘", die auch im Karl May Verlag arbeitet. Ihr Äußeres wird detailliert beschrieben:
    "Ist wohltuend bescheiden und kindlich=jünger. Macht guten Eindruck; (obwohl ich sie natürlich zuweilen zu schockieren scheine). Schon ‚beaufsichtigt‘ sie ihn, a la ‚reine del’alcohol‘. / Ermüdet gegen 2 und 3 Uhr früh; obwohl sie, aus Ehrerbietigkeit nichts zu bemerken wagt. … Hilft zuweilen; (aber wohl erst wenig?)."
    Es gibt vermutlich kaum härtere Prüfungen zu absolvieren. Als Wollschläger niedergeschlagen ist, weil Schmidt ausführlich die ersten seiner Poe-Übersetzungen kritisiert, wird Schmidt grundsätzlich und bezeichnet seine Einwände als "schicklich verlarvte Warnung", Wollschläger solle nicht zu viel auf einmal und vor allem nicht allein arbeiten:
    "auf Dauer muß Ihre Frau mit heran; alpha) der reinen Arbeitslast wegen; und beta) aus noch einem anderen Grunde: infolge unsrer unverschämten Suprematie im Fach tritt bei Künstlerfrauen grundsätzlich Persönlichkeitsverlust ein, der in Verbitterung & gerichteten Ärger ausmünden muß. Da ist es nun nicht mehr als recht & billig (& ‚nützlich’ obendrein) wenn das Ventil des ‚Ersten Lesers‘ geöffnet wird; d.h. Wenn die Damen uns die Buchstaben nachrechnen dürfen - in Übersetzungen; (in die eigenen Bücher lasse auch ich mir nicht hineinreden). Sie werden sich noch wundern, was Die uns da so alles zu hören geben. … Bei einiger Schulung lernt Ihre Frau das, verlassen Sie sich darauf, ganz unangenehm schnell!"
    Wollschlägers höfliche Antwort zeigt, dass er mittlerweile mit solchen Ratschlägen umzugehen weiß.
    "Sie haben ja Recht, und die bloße Kalkulation ist auch bislang nie der eigentliche Hinderungsgrund gewesen: was Madame mir an Arbeit abnehmen könnte, würde gewiß am Ende nicht weniger eintragen als das KMV-Gehalt (immer gesetzt, es mangelt nicht an Aufträgen): und sie würde es gern tun, viel lieber als die gegenwärtige Plackerei im Höchsten der Häuser . . . Aber bislang hat uns einfach unsere Wohnungssituation immer wieder von dem Entschluß abgebracht : ich kann schlicht nichts zustande bringen, wenn parallel im gleichen Raum noch eine Maschine klappert – (sicher, Sie haben das jahrelang ertragen müssen – aber es wird auch dadurch kein geringeres Unglück)"
    Vor 25 Jahren habe ich die über 1.000 Seiten dieses Briefwechsels gelesen, um meine Dissertation darüber zu schreiben. Heute scheint es mir merkwürdiger denn je, wie jemand mit derartiger Sprachsensibilität wie Arno Schmidt sich sein ganzes Leben lang auf geradezu hinzersetzende Weise nicht nur für Karl May, sondern auch sonst für zahlreiche weitere Autoren meisterlicher Einfalt begeistern konnte. Es führt nicht sonderlich weit, diese Irritation wieder auf seine eigenen literarischen Texte rückzukoppeln. Wohl aber erzählt es einiges über Schmidts Anstrengungen, sich gegen jede Irritation und Kritik abzudichten. In den raren Momenten, in denen Wollschläger vorsichtig Kritisches ihm gegenüber äußerte, wird Schmidt zwar nicht unbedingt unfreundlich, zieht sich aber in sich zurück und wird wortkarg. Mitteilsam und geradezu offen kann er allein in der Rolle des Lehrers werden. Ansonsten alle Menschen und ihre Produktionen abzulehnen, war Ausdruck eines infantil gegründeten, regressiv motivierten Größenwahns.
    Arno Schmidt war ein einsamer Mensch. Die dauernde Anspannung in Gesellschaft von anderen, das Hochkonzentrierte haben auf die meisten den Eindruck von Souveränität vermittelt. Dass dahinter ein unglücklicher, immer ängstlicher und irritierter Mensch stand, wird erst aus der Distanz deutlich. Das gilt für diejenigen, die mit ihm persönlich zu tun hatten, und das gilt auch für Lektüren, die einen wachsen lassen. Die Anstrengung, das Unangenehme, der ganze Aufwand, der einem Verstecken und Verbergen, dem Sich-Schützen diente, steht hier in jeder Zeile.
    Arno Schmidt. Der Briefwechsel mit Hans Wollschläger. Innerhalb der Bargfelder Ausgabe als Band 4 der Arno Schmidt Briefedition im Suhrkamp Verlag erschienen. 1035 Seiten kosten 68,- Euro.