Dienstag, 14. Mai 2024

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Asienexperte erwartet sinkenden internationalen Einfluss der USA

Nach Einschätzung des China-Experten Oskar Weggel sind die Tage der USA als Weltmacht gezählt. Spätestens 2049 werde China beim Bruttoinlandsprodukt an den USA vorbeigezogen sein, sagte der Wissenschaftler vom Institut für Asienkunde in Hamburg. Angesichts des rasanten Wirtschaftswachstums in China müsse der Westen fürchten, den Anschluss zu verlieren.

Moderation: Dirk Müller | 20.04.2006
    Dirk Müller: "Wir haben keine Probleme mit Deutschland. China ist für uns doch viel wichtiger." So wird in einem amerikanischen Wochenmagazin ein hoher Beamter aus dem Weißen Haus zitiert, der nicht offiziell genannt werden will. Wenn dies denn so richtig ist – und nur Wenige zweifeln daran -, dann ist das heute ein besonders wichtiger Tag in Washington, denn der chinesische Präsident Hu Jintao trifft George Bush. Dabei wird es nicht nur um Außenpolitik gehen wie Iran, Irak und der Nahe Osten, sondern vor allem auch um die Wirtschaft, um die Handelsbeziehungen. Denn kaum ein Land wird den USA zu einem so bedrohlichen Konkurrenten einerseits auf dem Weltmarkt, aber auch im eigenen Land wie das Reich der Mitte.

    Am Telefon ist jetzt Professor Oskar Weggel vom Institut für Asienkunde in Hamburg. Guten Morgen!

    Oskar Weggel: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller:! Herr Weggel wir haben es eben gehört. Wenn das denn alles so gut schmeckt, wird bald mehr Starbuck's-Kaffee in China verkauft als in den Vereinigten Staaten?

    Weggel: Na ja, natürlich müssen die Amerikaner befürchten, dass die Chinesen sie nachahmen, und wenn es dazu eines Beweises bedürfte, dann braucht man nur nach Taiwan zu schauen. Das war, als ich beispielsweise dort studiert habe in den 60er Jahren, noch ein richtiger Agrarstaat. Heute dagegen ist es, was High-Tech anbelangt, die Nummer drei in der Welt gleich hinter den USA und Japan. Diese konfuzianische Kultur ist eine Lernkultur, und man saugt Wissen und Know-how von anderen Ländern wie ein Staubsauger auf.

    Müller: Heißt Lernen auch Klauen und Kopieren?

    Weggel: Ja. Lernen war im Wesentlichen in der Tradition Nachahmung eines Meisters. Es ist die größte Ehre überhaupt, die einem Menschen widerfahren kann, wenn er von anderen als Vorbild betrachtet und damit nachgeahmt wird. Etwas ironisch ausgesagt könnte man auch sagen. Es ist ja eine Ehre für euch Westler, wenn wir euch und nicht irgendwelche andere nachahmen. Das heißt, man empfindet in der chinesischen Kultur überhaupt keine Schande nachzuahmen, und es bedarf eines langen, langen Lernprozesses – und das haben die Beispiele Süd-Korea und Taiwan gezeigt -, dass die Leute es nicht nur kapieren – kapiert haben sie es natürlich sofort -, sondern dass sie es auch in den inneren Schichten begreifen, dass es ein westliches individuelles Eigentum gibt, das nachzuahmen sträflich ist.

    Müller: Sehen wir, Herr Weggel, doch dann einmal den Handel aus der westlichen Brille. Ist China unfair?

    Weggel: Ja, es ist unfair. Und es wird auch noch lange Zeit unfair sein. Es wird Kopieren auf Teufel komm raus, und eine Grenze wird erst dann erreicht sein, wenn Chinesen eines Tages Chinesen nachahmen, wenn sie sich also sozusagen innerhalb der eigenen Grenzen ein Bein stellen. Solange nur der Westen nachgeahmt wird, hat man da eigentlich keine großen Hemmungen.

    Müller: Das heißt, wenn China dann seine eigenen Probleme bekommt, weil die eigenen Ansprüche und die inneren Konkurrenzverhältnisse auch steigen, ist Amerika dann keine Weltmacht mehr?

    Weggel: Amerika wird sehr schnell keine Weltmacht mehr sein. Spätestens im Jahre 2049 wird China, was BIP anbelangt, an den USA vorbeigezogen sein. Ich behaupte ganz einfach, die amerikanische Weltmacht wird kürzer gedauert haben, wenn man das Jahr 1945 als Ausgangspunkt nimmt, als beispielsweise die portugiesische oder die holländische Weltherrschaft gedauert haben.

    Müller: Herr Weggel, um bei der westlichen Brille zu bleiben, was können wir dagegen tun?

    Weggel: Wir können dagegen nur etwas tun, indem wir an uns selbst arbeiten, indem wir unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen einfach abwarten, dass auf China etwas zukommt – und das wird zukommen, das ist völlig unvermeidlich -, nämlich ein ungeheuerer Kosten- und Aufwertungsdruck. Die chinesische Währung ist um ungefähr 30 Prozent wahrscheinlich unterbewertet. Da muss also etwas getan werden. Insofern hat Bush Recht: Die Chinesen sind unfair. Vor allem kommt auf China ein ungeheuerer Kostendruck zu. Es gibt zum Beispiel dort kaum Sozialversicherungen für älter werdende Leute, und China wird im Jahre 2050 ungefähr 350 Millionen Pensionäre haben. China hat einen ungeheueren Nachholbedarf an Umweltschutz, denn man hat bisher aus der Umwelt gelebt. China hat einen Schutz (sic!) an Arbeitsschutzvorschriften. Schauen Sie nur auf die chinesischen Bergwerke und so weiter. China hat einen ungeheueren Nachholbedarf beispielsweise an Infrastrukturbau. Obwohl China 28 Mal so groß ist als beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland, hat es nur 1,5 Mal so viele Eisenbahnlinien.

    Also noch einmal: Das wird kosten, kosten, kosten. Und das Ganze fällt ja nicht wie ein Taler im grimmschen Märchen vom Himmel, sondern das muss erarbeitet werden. Das kommt auf die Arbeitskosten drauf, und darauf müssen wir warten. Wenn wir das dann durchgestanden haben – und das wird ein Zeitraum von 20 bis 30 Jahren sein -, dann bleiben wir mit auf der Höhe der Zeit, und wenn nicht, dann verlieren wir eben einfach den Anschluss.

    Müller: Viele sagen ja jetzt schon, Herr Weggel, Sie ja indirekt auch jetzt in unserem Gespräch, China ist im Grunde schon die neue Weltmacht oder auch eine weitere Weltmacht. Das brauchen wir nicht weiter zu differenzieren. Aber wenn wir das weiter problematisieren und in den internationalen Kontext einbinden, wie angewiesen ist China wiederum dann auf die Kooperation des Westens?

    Weggel: Ja, sehr stark. Zunächst einmal was die Wirtschaft anbelangt: Ohne die Exportmöglichkeiten in den Westen, in die USA und in die EU, kann der Fortschritt natürlich nicht so schnell gedeihen. Und umgekehrt ist man abhängig von westlichem Management und von westlichem Technologiewissen. Aber auch sonst: Die große Gefahr der künftigen Welt, wenn wir uns rein aufs Politische jetzt konzentrieren, ist die Gefahr, die von Netzwerken ausgeht, sprich Terrorismus, Drogen, Piraterie, Mikronationalismus, größere Umweltschäden. Und da gibt es nur eines: Zusammenarbeit mit dem Westen. Man braucht zunächst einmal eine sachliche Übereinstimmung, dass das Gefahren sind. Und wenn man darin übereinstimmt, dann braucht man auch ein mehr persönliches Näherrücken. Es müssen also auch sozusagen Netzwerke unter den fortgeschrittenen Staaten gebildet werden. Es muss eine Art Weltinnenpolitik bestehen, die sehr viel von – und da kommt man den Chinesen sehr entgegen – von Personalismus lebt. Denken Sie beispielsweise an Asem, was Asien und Europa anbelangt. Denken sie an Apec, was die pazifische Gemeinschaft anbelangt. Denken Sie an ARF, was die Asean-Gemeinschaft anbelangt.

    Es darf nicht mehr in Zukunft allzu stark das nationale Interesse betont werden, sondern es muss mehr betont werden die Wechselseitigkeit. Hier befinden wir uns eigentlich ganz auf der Spur traditionellen chinesischen Denkens. Die künftige Weltordnung muss sein personalistisch, ordnungsbetont, defensiv, und sie sollte vielleicht auch sein pentapolar, das heißt, also nicht allein auf Amerika ausgerichtet, sondern auf fünf große Pole, zu denen neben der EU beispielsweise auch China und die USA natürlich sowieso, Russland und Japan gehören.

    Müller: Blicken wir abschließend – wir haben noch gut eine halbe Minute Zeit – noch einmal nach Innen nach China. Wird es dort in Zukunft, in den kommenden Jahren mehr Liberalisierung geben?

    Weggel: Ja, das ist unvermeidbar. Nochmals meine persönlichen Erfahrungen: Ich habe in Taiwan in den 60er Jahren studiert und habe dort ein außerordentlich autoritäres Regime erlebt. 20 Jahre später ist dort ein authentischer demokratischer Durchbruch erfolgt. Es hat nämlich eines stattgefunden: Die Leute sind wohlhabend geworden. Es hat sich ein Mittelstand herausgebildet und der Mittelstand hat begonnen, partizipatorische Forderungen zu stellen, das heißt also, nach richtigen demokratischen Strukturen zu verlangen. Und das ist etwas, was in der Volksrepublik China unvermeidlich ebenfalls kommen wird. Das Problem in China allerdings besteht darin, dass das Ganze nicht im ganzen Land gleichzeitig stattfinden wird, sondern dass es einen sehr wohlhabenden Küstenstreifen gibt, vor allem ein ungemein fortgeschrittenes Shanghai, das sich mit einem Stadtstaat wie Hamburg ohne weiteres messen kann, dass es aber dahinter – und zwar nur 200 Kilometer dahinter – bereits ziemlich ärmlich ausschaut und dass dort nicht nur Dritte, sondern Vierte Welt liegt. Das heißt, dieser Demokratisierungsprozess wird natürlich an den Integrationskräften der Volksrepublik China außerordentlich zerren.

    Müller: Professor Oskar Weggel war das vom Institut für Asienkunde in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Weggel: Auf Wiederhören.