Donnerstag, 28. März 2024

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Assoziierungsabkommen
"Wir kuschen nicht vor Moskau"

Über die Ängste der Russen vor einem unkontrollierten Zustrom zollfreier Waren aus der EU müsse man reden, rät der stellvertretende Vorsitzende der SPE-Fraktion im Europaparlament, Knut Fleckenstein, im DLF. Unabhängig davon hätte das russische Militär in der Ukraine nichts zu suchen.

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.09.2014
    Porträt des EU-Parlamentariers Knut Fleckenstein
    Das Signal sei wichtig, dass es ein Assoziierungsabkommen "mit all den politischen Konsequenzen" geben wird, betonte Knut Fleckenstein (SPD) im Interview mit dem Deutschlandfunk. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die Europäische Union und die Ukraine wollen heute ihr Partnerschaftsabkommen ratifizieren. Angesichts russischer Bedenken wird das in dem Vertrag enthaltene Freihandelsabkommen zunächst bis Ende des kommenden Jahres ausgesetzt. Der Europaparlamentarier Knut Fleckenstein, Mitglied der EU-Russland-Delegation, begrüßte, dass nun Gespräche mit Russland über den Freihandel geführt würden.
    Vorwürfe an EU-Kommission
    Der SPD-Politiker sagte im Deutschlandfunk, bei einem solchen Abkommen müsse auch über Auswirkungen für Dritte geredet werden. Er warf der EU-Kommission vor, dies bisher versäumt zu haben. Trotzdem glaube er "auf gar keinen Fall", dass man das Freihandelsabkommen mit der Ukraine dauerhaft aussetzen wird.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Was ist ein Abkommen wert, dessen Kernstück erst Ende nächsten Jahres in Kraft treten soll, wenn überhaupt' Diese Frage stellt sich beim Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, das heute ratifiziert werden soll. Denn dessen wichtigster Teil, das Freihandelsabkommen, ist auf Eis gelegt, aus Rücksicht auf Moskau. Dazu EU-Handelskommissar Karel De Gucht:
    !Karel De Gucht:!! "Wir haben uns für die Verschiebung entschieden, denn das lässt allen Seiten insgesamt 15 Monate Zeit, über die Situation nachzudenken und die Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und der EU weiterzuführen."
    Heckmann: Der Krieg in der Ukraine, gestartet hatte er mit der Frage, ob die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben soll oder darf oder nicht. Moskau war strikt dagegen. Die Folge: Massenhafter Protest auf dem Maidan, der Sturz der Regierung Janukowitsch, und der Rest, der ist bekannt. Jetzt kehren wir sozusagen an den Ausgangspunkt zurück. Heute nämlich soll sowohl in Kiew als auch in Straßburg parallel das zuvor gestoppte Assoziierungsabkommen ratifiziert werden, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung.
    Am Telefon ist jetzt Knut Fleckenstein. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokraten und Sozialisten im Europaparlament. Er sitzt im Auswärtigen Ausschuss und ist Mitglied der EU-Russland-Delegation. Schönen guten Morgen, Herr Fleckenstein.
    Knut Fleckenstein: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Die Europäische Union ratifiziert heute das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, legt aber das Freihandelsabkommen auf Eis. Kuscht Europa also vor Moskau?
    Fleckenstein: Nein, wir kuschen nicht vor Moskau. Wir haben, glaube ich, als Sozialdemokraten seit auf jeden Fall länger als einem Jahr immer wieder gefordert, dass solche Gespräche geführt werden, weil das eine ist ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, das andere ist die Auswirkung eines solchen Abkommens ja nicht nur auf Moskau oder auf die GUS-Staaten, sondern auch auf die Ukraine selbst, wie Frau Riedel in ihrem Beitrag gesagt hat. Deshalb verstehen wir, dass unsere ukrainischen Partner solche Gespräche führen wollen.
    Heckmann: Aber das Interesse liegt ja offenbar auch aufseiten der Europäischen Union. Die Frage ist allerdings, was ist das Assoziierungsabkommen wert, wenn ein Kernbestandteil, nämlich das Freihandelsabkommen, nicht umgesetzt wird'
    Fleckenstein: Sie haben recht, dass der Zeitpunkt, eine Minute vor zwölf sozusagen diese Gespräche zu beginnen, ein Problem darstellt. Aber mir ist es lieber, diese Kommission lernt spät, als wenn sie nie lernen würde.
    Heckmann: Ist es vor diesem Hintergrund von unserer Seite aus zu akzeptieren, dass Moskau die Ukraine offenbar weiterhin als ihren Vorgarten ansieht?
    "Russische Soldaten, russische Freischärler, russisches Militärgerät hat in der Ukraine nichts zu suchen"
    Fleckenstein: Nein! Das ist überhaupt nicht zu akzeptieren, und deshalb muss man sauber unterscheiden. Russische Soldaten, russische Freischärler, russisches Militärgerät hat in der Ukraine nichts zu suchen. Die Souveränität der Ukraine darf nicht angetastet werden, und diese Haltung haben wir doch aber auch ganz klar bis hin zu den Sanktionen immer gehabt. Aber das andere ist: Wenn zwei sich entscheiden, miteinander ein Freihandelsabkommen zu schließen, dann muss es möglich sein, auch über die Auswirkungen gegenüber Dritten zu sprechen. Das sind zum Teil vielleicht Ängste, die nicht berechtigt sind, zum Teil aber auch ganz handfeste Probleme, und zwar nicht nur für die Russen, die irgendetwas durchsetzen wollen, sondern in erster Linie für die Ukrainer, die etwas verlieren. Und das ist meiner Meinung nach auch nicht eine bösartige Erpressung in jedem Fall, sondern zum Teil einfach ganz objektiv ein Problem, was gelöst werden muss.
    Heckmann: Welche Ängste und welche Probleme sind das, die Sie da adressieren?
    Fleckenstein: Es sind in erster Linie natürlich die Ängste auf der russischen Seite, und damit sind ja verbunden auch die anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, dass über die Ukraine Waren einseitig sozusagen von der EU in diese Länder zollfrei eingeführt werden können, während auf der anderen Seite der Rückweg sozusagen versperrt ist, weil wir kein Abkommen mit Russland oder den anderen Ländern der GUS-Staaten haben, und darüber muss man reden im Einzelfall, wie man das regeln will.
    Heckmann: Darüber muss man reden, sagen Sie. Bisher ist man mit Moskau bei diesem Punkt nicht einig geworden. Was ist denn, Herr Fleckenstein, wenn das so bleibt, dass Moskau da Einwände erhebt? Ich möchte die Frage gerne noch zu Ende stellen. Was ist, wenn das so bleibt? Moskau scheint ja, die Ukraine unbedingt in ihrem Einflussgebiet behalten zu wollen. Sollte es dabei bleiben, sollte man dann auch das Freihandelsabkommen möglicherweise dauerhaft aussetzen?
    Fleckenstein: Am Ende müssen das die Ukrainer entscheiden und insofern glaube ich, dass man es auf gar keinen Fall dauerhaft aussetzen wird. Aber es geht einerseits sozusagen um den Vorhof Russlands; das akzeptieren wir nicht. Das ist die Frage von Krieg und Frieden, von Destabilisierung. Das andere ist die Frage, wie sich ein Handelsabkommen auswirkt, und da muss man mit Dritten reden. Das Problem ist nicht, dass wir uns mit denen bisher nicht geeinigt haben. Das Problem ist, dass wir mit denen bisher nicht gesprochen haben. Das werfe ich dieser Kommission vor. Sie sind sehr spät zu der Einsicht gekommen, dass solche Auswirkungen auf Dritte auch mit Dritten besprochen werden können.
    Heckmann: Was könnte denn das Ergebnis dann dieser Gespräche, dieser Verhandlungen sein? Könnte am Ende dann stehen ein Freihandelsabkommen light?
    Fleckenstein: Es könnte theoretisch sein - ich bin ja nicht Verhandler, aber es kann natürlich theoretisch sein, dass man bestimmte Produkte zunächst mal ausnimmt. Es kann sein, dass man besondere Maßnahmen treffen muss, um die Hersteller sozusagen zu identifizieren, das was der Herr Gahler da im Bericht eben gesagt hat. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Es sind ja über 2.000 Bedenken, die die russische Seite aufgelistet hat. Die Zahl nehme ich nicht so ernst, weil es wird um die Wiederholung immer derselben Sache zu bestimmten Produkten gehen. Aber ich kann es Ihnen nicht genau sagen. Die Gespräche laufen ja erst seit kurzer Zeit.
    Heckmann: Und Herr Gahler sagte auch, es dürfe nichts Wesentliches an dem Freihandelsabkommen geändert werden. Da ist natürlich die Frage: Was heißt "nichts Wesentliches"?
    Wichtiges Signal
    Fleckenstein: Ja, das ist eine gute Frage. Die kann ich Ihnen nicht beantworten. Man darf das glauben, man muss es nicht glauben. Es kann durchaus sein, dass an der einen oder anderen Stelle im Detail auch mal etwas geändert werden muss, weil es dann alle Beteiligten befriedet. Warten wir es doch ab. Wichtig ist, dass wir heute das Signal schicken, ja, dieses Assoziierungsabkommen mit all den politischen Konsequenzen wird es geben und das Freihandelsabkommen einseitig zunächst mal sozusagen für die ukrainische Seite auch, und Ende nächsten Jahres werden wir eine Lösung gefunden haben bis dahin, die hoffentlich auch viele Probleme, die die Russen heute sehen, dann minimiert hat.
    Heckmann: Vorausgesetzt der Waffenstillstand hält bis dahin. Der ist ja weiterhin brüchig. Gestern kamen Meldungen, dass Vertreter der OSZE, die ja diesen Waffenstillstand überwachen, beschossen worden sind. Herr Fleckenstein, wie verlässlich sind die Zusagen aus Ihrer Sicht beider Seiten, den Waffenstillstand einzuhalten?
    Fleckenstein: Wenn ich es richtig verstanden habe, wird er ja überwiegend wirklich eingehalten. Allerdings gibt es immer wieder kleinere Scharmützel, sowohl von Seiten der Separatisten, als auch von Seiten dieser Freiwilligen-Korps, die auf der ukrainischen Seite an der Seite der Armee arbeiten. Ja, ich bin schon der Meinung, der Waffenstillstand hält, auch wenn es an einzelnen Stellen leider im Moment immer mal wieder ausbricht. Und Sie haben völlig recht: Wenn dieser Prozess der Deeskalation nicht weitergeht, dann brauchen wir auch über andere Dinge nicht wirklich verhandeln, weil dann werden wir nicht zu einem Ergebnis kommen.
    Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der SPE-Fraktion im Europaparlament war das, Knut Fleckenstein. Er sitzt auch im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. Herr Fleckenstein, danke Ihnen für das Gespräch.
    Fleckenstein: Danke Ihnen, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.