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Asyldebatte
Entwicklungsminister kritisiert "Aufregungskultur"

Nach Ansicht von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist die Einwanderung aus afrikanischen Ländern nach Europa auch in Folge der Politik der Bundesregierung deutlich zurückgegangen. Die "Aufregungskultur" in Deutschland beim Thema Migration sollte "etwas zurückgefahren werden", sagte er im Dlf.

Gerd Müller im Gespräch mit Silvia Engels | 04.01.2019
    Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, spricht im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Polen
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) meint: "Die Aufregungskultur in Deutschland darf nicht permanent überspitzt werden" (picture alliance/ dpa/ Sadak Souici)
    Mit Blick auf die Vorfälle in Amberg, wo vier junge Asylbewerber in der Silvesternacht Passanten angegriffen hatten, betonte Müller, wer Gewalt anwende, habe sein Aufenthaltsrecht verwirkt. Gleichzeitig mahnte er an, die "Aufregungskultur" dürfe "nicht permanent überspitzt werden". Die Asylbewerberzahlen gingen zurück und bei den Hilfen zu Qualifzierung und Ausbildung der Menschen in den afrikanischen Herkunftsländern gehe es voran. Die Rückführungen nach Algerien, Marokko und Tunesien hätten sich zudem verdoppelt. "Die Länder kooperieren", so Müller. Dass das Mittelmeer ein "Meer des Todes" bleibe, sei dennoch eine Tragödie.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Auf der CSU-Landesgruppentagung im Kloster Seeon sollen viele Themen diskutiert werden, von Europapolitik bis hin zu Brexit und schließlich auch zur Bundeswehr. Einen Akzent will die Partei aber wieder einmal auch zur Asylpolitik setzen. Medien berichteten schon vorab über ein Konzeptpapier, wonach straffällig gewordene Asylbewerber schneller abgeschoben werden sollen, beispielsweise wenn mehrere Bewährungsstrafen hintereinander verhängt wurden. Zudem soll auch direkt aus der Haftzeit abgeschoben werden können, oder unmittelbar danach. Am Telefon ist Gerd Müller, CSU-Vorstandsmitglied und Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Guten Morgen, Herr Müller!
    Gerd Müller: Guten Morgen!
    Engels: Sind das auch Ihre Vorstellungen in der Asylpolitik, wie sie gerade aus dem Konzeptpapier zu vernehmen sind?
    Müller: Diese Themen betreffen die Innenpolitiker, und es ist richtig. Wer keinen Status auf Duldung hat, muss auch wieder zurückkehren in sein Heimatland. Und dazu bieten wir auch Hilfen an. Aufgefordert sind aber ganz besonders die Bundesländer, und ich möchte mal auf einen Akzent hinweisen: Wenn wir Albanien, Mazedonien, Serbien, den Kosovo – das sind vier Länder unter den Top zehn mit den meisten Asylbewerbern in Deutschland ohne Duldung. Und hier versteht niemand, warum wir in diese Länder, die Heranführungsländer an die Europäische Union sind, die abgelehnten Asylbewerber nicht sofort zurückführen. Das ist ein Aufgabenbereich, der sich den Ländern stellt, und hier kann man viel bewegen.
    Aber positiv ist doch, dass im vergangenen Jahr die Asylbewerberzahlen massiv zurückgegangen sind auf jetzt 160.000. Und negativ ist, absolut inakzeptabel, dass das Mittelmeer nach wie vor das Meer des Todes ist, mit 2.200 Toten. Man stelle sich vor, 2018 wären zehn Passagiermaschinen im Mittelmeer abgestürzt. Es ist eine Tragödie, dass wir dies weiterhin hinnehmen müssen.
    "Wer Gewalt anwendet, hat auch sein Aufenthaltsrecht verwirkt"
    Engels: Sie sagen, dass die Zahlen der Menschen, die nach Deutschland kommen, sinken. Zuletzt hatte aber der Fall im bayerischen Amberg wieder Aufsehen erregt, und da ging es ja darum, dass vier Asylbewerber aus dem Iran und Afghanistan auf Anwohner eingeprügelt haben sollen. Sofort gibt es danach wieder diese erregte Debatte um mehr Abschiebung. Wieso ist das nicht in ein vernünftiges, sachliches Maß zu bringen?
    Müller: Gewalt ist inakzeptabel, bei Deutschen, aber auch bei Ausländern und bei Asylbewerbern. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel, und wer Gewalt anwendet, hat auch sein Aufenthaltsrecht verwirkt. Aber die Aufregungskultur in Deutschland – hier darf auch nicht permanent überspitzt werden. Und dann müssen wir auch mal über die Grenzen Europas hinausdenken. Die Zahlen des Zustroms nach Europa gehen zurück. Dies ist auch ein Erfolg der Maßnahmen in den Flüchtlings- und Herkunftsländern.
    Denken wir doch auch einmal an die dramatische Situation im Jemen oder in Syrien, wo in diesem Winter über zehn Millionen Menschen auf der Flucht nach wie vor sind. Und die Bundesregierung hat beschlossen – ich darf und werde dies umsetzen –, dass wir in diesen Ländern den Menschen weiter verstärkt helfen, zum Überleben, aber insbesondere auch den Kindern für Ausbildung und Bleibeperspektive. Dies gilt auch für den afrikanischen Kontinent. Also, wir sind sehr gut vorangekommen und werden diese Maßnahmen weiter verstärken im Jahr 2019.
    Engels: Das steht ja in einem gewissen Kontrast, was Sie jetzt sagen, im Vergleich zu dem, wie Innenminister Seehofer formuliert. Er hat ja angekündigt, Abschieberegeln erneut verschärfen zu wollen. Der bayerische Innenminister Herrmann argumentiert zwar in den vorliegenden Fällen, was Amberg angeht, kämen Abschiebungen nicht in Frage. Was plant denn also Herr Seehofer? Will er die Regelungen so verschärfen, dass demnächst Menschen aus laufenden Asylverfahren abgeschoben werden können oder gar Minderjährige? Und wie passt das zu Ihrer Position, die ja stärker auf Unterstützung setzt?
    Müller: Es gibt keinen Dissens. Wer Gewalt anwendet in Deutschland, hat kein Aufenthaltsrecht. Ich möchte aber den Aspekt darauf lenken, dass wir längst abschieben könnten, nämlich nahezu 50 Prozent der Asylbewerber mit abgeschlossenem Verfahren ohne Duldung in Deutschland kommen aus der Balkanregion. Wir haben Zulauf, erhöhte Zahlen, darüber hinaus aus Russland und der Türkei.
    Engels: Das haben wir ja gehört, aber jetzt hier die Fälle aus Iran oder Afghanistan oder Nordafrika, da kommen immer wieder auch die Themen auf, dass dort die Papiere fehlen, dass man nicht abschieben kann und darf aus den Gründen. Wollen Sie an diesen Grundstrukturen etwas ändern, oder setzen Sie darauf, dass hier die Aufnahmebereitschaft der Länder, die Menschen zurückzunehmen, gestärkt wird?
    Müller: Ich bin dafür, dass wir auf der Basis von Fakten diskutieren. Beispielsweise ist der Zustrom aus den afrikanischen Ländern massiv zurückgegangen, auch in der Folge unserer Politik dort. Und die Rückführung zum Beispiel in die Länder Tunesien, Marokko und Algerien wurde mehr als verdoppelt. Die Länder kooperieren zwischenzeitlich, und das ist wichtig. Und in diesem Jahr – und hier hoffen wir, dass auch die Grünen im Bundesrat zustimmen, müssen diese Länder auch als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Also, nach vorn denken, und die Aufregungskultur in Deutschland etwas zurückfahren. Probleme lösen und konkret angehen, das erwarten die Bürger 2019. Und hier ist die Politik und die Regierung voll handlungsfähig und einig.
    Aber auch Brüssel muss hier seinen Beitrag leisten. Nach dem Brexit – wir haben heute den irischen Premierminister hier – gibt es einen neuen Aufbruch, Zukunft Europa 21, Europa regierungs- und handlungsfähig zu machen, auch in der Flüchtlingspolitik. Da möchte ich einen Aspekt ansprechen: Wir sind in Brüssel immer gelähmt durch die einstimmigen Entscheidungen. Der Lissabon-Vertrag vor vielen Jahren hat aber auch die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit angeboten. Das heißt, wenn zehn oder mehr Länder einig sind, einen Vorstoß zu machen, dann dies eben umzusetzen, wenn es keine Mehrheit gibt. Ich habe in meinem Feld einen ganz konkreten Ansatz, zum Beispiel die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer. Die wollen wir auf dieser Basis umsetzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir in der Flüchtlingspolitik auf diesem Hintergrund einen neuen Ansatz zur Zusammenarbeit in Europa finden.
    Engels: Da macht auch Manfred Weber, der CSU-Europa-Spitzenpolitiker heute einen Vorstoß. In der "Augsburger Allgemeinen" wird er zitiert. Die EU sollte es zur Bedingung machen für Zugang zu ihren Handelsmärkten, dass andere Staaten verpflichtet werden, ihre im Asylverfahren abgelehnten Staatsbürger zurückzunehmen. Das heißt, keine Handelserleichterungen, wenn andere Drittstaaten nicht Menschen zurücknehmen. Ist das ein Weg?
    Müller: Da kann man drüber reden. Ich bin dafür, klare Regeln mit den Staaten, aus denen wir Flüchtlinge aufgenommen haben, auch in der Rückführung, und die Verstärkung der Maßnahmen, auch der Hilfen für diese Länder, Rückkehrende wieder aufzunehmen. Und auch da liegt ein Schwerpunkt. Ich werde in diesem Jahr aus dem Haushalt des Entwicklungsministers circa 250 Millionen einsetzen, um Qualifizierungs-, Ausbildungsprogramme für Kinder, Jugendliche und von Rückkehrern aus Deutschland und aus europäischen Ländern in die Herkunftsländer einzusetzen. Dies gilt auch für Rückkehrer nach Afghanistan, in den Irak, in schwierige Länder.
    Und dann wird sich 2019 auch die Frage stellen, wo wir Farbe bekennen müssen: Wie halten wir es, Deutschland, Europa, mit Syrien. Und wie bringt sich die Europäische Union in den dortigen Prozess des Übergangs von Krieg in die Nachkriegssituation ein? Es gibt Millionen von Syrern – ich denke zum Beispiel, im Umfeld Jordanien, im Libanon –, die seit sieben Jahren auf Zeltplanen jetzt im Winter schlafen und überleben müssen, die wieder zurück wollen nach Syrien. Hier muss sich Europa in den Gestaltungsprozess dieser Nachkriegsordnung aktiv einbringen.
    "Frau Kramp-Karrenbauer hat die volle Unterstützung der CSU"
    Engels: Herr Müller, machen wir da mal einen Punkt, was die Flüchtlingspolitik angeht, und schauen noch etwas grundsätzlicher auf die Entwicklung in der CSU und auf das Verhältnis CDU und CSU. Da betonten ja gestern Landesgruppenchef Dobrindt und Ministerpräsident Söder den Schulterschluss mit der Schwesterpartei. Heute wird aber der CSU-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, Kreuzer, mit der Aussage zitiert, es gäbe zum Beispiel keinen Automatismus für die CDU Chefin Kramp-Karrenbauer in Sachen Kanzlerkandidatur. Die CSU will hier Mitsprache. Trägt so etwas zur Einigkeit bei?
    Müller: Also diese Frage stellt sich in zwei Jahren. Die Regierung ist jetzt aufgefordert, zu arbeiten, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Und hier sind wir in enger Partnerschaft und Freundschaft mit den Kolleginnen und Kollegen aus der CDU. Und Frau Kramp-Karrenbauer hat ja einen hervorragenden Start und hat die volle, uneingeschränkte Unterstützung der CSU, und nicht nur der Landesgruppe. Wir wollen mit ihr und der Kanzlerin gemeinsam zeigen, dass wir jetzt uns auf die Sachprobleme konzentrieren. Personaldiskussionen, Kanzlerkandidatendiskussionen, die führen wir in zwei Jahren, vor den Bundestagswahlen.
    Engels: In welche Richtung wollen Sie denn die CSU gesteuert sehen? Landesgruppenchef Dobrindt hatte ja vorab in der "Welt" gefordert, stärker auch rechts zu steuern. Ihr Ministerpräsident Söder betont dagegen zurzeit Positionen der Mitte. Was haben Sie im Sinn?
    Müller: Wir müssen nach vorne steuern, vorwärts. Wir, die CSU muss die Partei der Gestalter und der Zukunftskompetenz sein. Das Thema zum Beispiel Umbau des Arbeitsmarktes im Zuge der Digitalisierung erfordert Antworten. Antworten, wie wir neue Arbeitsplätze schaffen für die, die Arbeitsplätze verlieren. Wir brauchen darüber hinaus zum Beispiel eine Weiterentwicklung unseres Sozialstaatskonzeptes auf der Basis von längeren Lebenszeiten.
    Die Lebenszeit, das Lebensalter im vergangenen Jahrhundert hat sich nahezu verdoppelt. Wenn wir im 21. Jahrhundert diese erfreuliche Entwicklung auch wieder haben, dann werden unsere Kindern nicht 80, sondern 100 und 120. Sie können und müssen dann auch länger arbeiten. Für dieses und vieles müssen wir jetzt Zukunftslösungen entwickeln. Also, die Aufgabe ist nicht rechts oder links oder Mitte, sondern vorwärts, Zukunftslösungen. Partei der Zukunftsgestalter zu werden. Und das ist keine Frage von rechts, links, Mitte. Und die CSU wird und muss sich breiter aufstellen bei den Themen, bei den Personen und bei den Inhalten.
    Engels: Sehen das denn Ihre Mitglieder genauso? Da gibt es ja dann doch die starke Law-and-Order-Fraktion und die anderen, die stärker sozialpolitische Themen, wie Sie, in den Vordergrund stellen wollen.
    Müller: Wir müssen die ganze Breite der Themen, ein Lösungskonzept anbieten. Beim Thema Klimaschutz steht ein ehrgeiziges Klimagesetz im Jahr 2019 an. Ich werde eine Initiative für faire Lieferketten auf den Weg bringen. Kinderarbeit, Kinderausbeutung zu stoppen in unseren Lieferketten, die in Autos oder in der Textilproduktion laufen. 150 Millionen Kinder in der Welt arbeiten für den Wohlstand in den Industrieländern. Das ist ein Skandal, und das ist weder links noch rechts noch Mitte, wenn ich solche Positionen vertreten. Also vorwärts, Probleme lösen und Zukunftskompetenz beweisen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.