
Ob der Bürgerkrieg, die schwerkranke Tochter oder die Angst vor Verfolgung Gründe sind, in Deutschland Asyl zu erhalten? Über die Anträge des Syrers Abdul, des Kosovaren Oka und der Pakistanerin Batul werden die Entscheider im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge urteilen. Der Weg ins Asylverfahren beginnt für die meisten Flüchtlinge in Berlin aber in der Zentralen Erstaufnahmestelle des Landesamts für Gesundheit und Soziales. Meldung, Unterkunft, Krankenschein, Taschengeld – für all das sind die Länder und Kommunen zuständig. Die Flüchtlinge müssen für diese Leistungen lange Wartezeiten auf sich nehmen. Vor dem zehnstöckigen grauen Plattenbau in Berlin-Moabit bildet sich schon frühmorgens eine lange Schlange. "Die Schlange sieht auch noch bis 14 Uhr genauso aus. Immer Neue und immer Neue."
In einem Zelt des Arbeiter-Samariter-Bundes vor dem Plattenbau warten die Neuankömmlinge. Es ist eng, kalt und zugig, auf der staubigen Erde stehen ein paar Biertischgarnituren, dazwischen Rollkoffer, Taschen und Rucksäcke. Hinter dem Plattenbau stapeln sich zusätzliche Bürocontainer für die Flüchtlinge, die bereits gemeldet sind. Bis zu 1.500 Personen ziehen hier täglich eine Nummer: "Ich habe 1597. Ab und zu geht 1539 zum Beispiel, dann kommt 5000, dann kommt 2118, also gemischt, das geht nicht in der Reihe."
Nicht jeder, der in Berlin ankommt, bleibt auch in Berlin. Die Bundesländer haben Quoten, die festlegen, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen muss. Laut diesem Königsteiner Schlüssel ist Berlin für fünf Prozent aller Asylbewerber zuständig, auf Nordrhein-Westfalen kommen etwa 21 Prozent, auf Sachsen-Anhalt knapp drei. Die Quote richtet sich nach den Steuereinnahmen und der Bevölkerungsgröße der Länder. Doch ganz gleich, wohin es für die Asylsuchenden letztendlich geht, alle Länder sprechen von Überlastung. Der Leiter der Berliner Behörde, Franz Allert: "Wir machen laufend neue Unterkünfte auf. Das reicht nicht, wir sind schon wieder bei den nächsten. Das ist eine große Problematik, dass wir nicht in angemessenem Umfang Unterkünfte zur Verfügung stellen können."
Wie groß das Problem ist, macht ein Spitzentreffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich. Am kommenden Freitag wird sie mit den Ministerpräsidenten und dem zuständigen Bundesinnenminister de Maizière über den Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen beraten.

"Nun, ich glaube, dass die Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren unterschätzt wurde", sagt Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag: "Dass man teilweise nicht drauf vorbereitet gewesen ist, was tatsächlich hier passiert, welche Entwicklung eintritt, wir hatten ja in den Jahren zuvor sehr geringe Asylbewerberzahlen."
Dabei hat das zuständige Bundesamt die Flüchtlingsströme genau im Blick: Es beobachtet die Situation in den wichtigsten Herkunftsländern, bekommt Informationen vom Auswärtigen Amt, Polizeibehörden und dem Bundesnachrichtendienst. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: "Versetzen Sie sich mal acht Wochen zurück: Hätte einer von Ihnen damit gerechnet, dass der albanische Mittelstand, das Kosovo, sich innerhalb von acht Wochen in Bewegung setzt, und über 23.000 Kosovaren im Bundesgebiet sind? Denken Sie mal eineinhalb Jahre zurück: Hätten Sie damit gerechnet, dass der IS weite Teile des Iraks besetzt? Das sind Schwierigkeiten der Prognose."
Priorisierung heißt das im Fachjargon und ist – statistisch gesehen – erfolgreich. 5,5 Monate dauert das Asylverfahren von der Anhörung bis zur Entscheidung durchschnittlich, deutlich kürzer als noch im Vorjahr.
Schon eine Woche nach der Ankunft hatte er seine Anhörung, erzählt der Syrer Abdul. Seine Chancen auf Asyl stehen gut. Die Pakistanerin Batul dagegen hat das Nachsehen, denn die bevorzugte Behandlung von Asylanträgen aus Bürgerkriegsländern wie Syrien oder Irak geht auf Kosten der anderen Antragsteller. Die warten laut einer Berechnung von Pro Asyl über 14 Monate auf eine Entscheidung. Für den Kosovaren Oka kann die Beschleunigung der Bearbeitungsdauer nachteilig sein, denn seine Chancen auf Asyl stehen schlecht: Flüchtlinge vom Westbalkan gelten nämlich als Armutsmigranten. "Ich habe einen Anwalt, und warte was kommt."
Serbien, Bosnien und Mazedonien wurden von der Großen Koalition aus Union und SPD bereits als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Geht es nach der CSU, soll bald auch das Kosovo auf der Liste stehen. Das heißt: Die Bundesregierung nimmt an, dass in diesen Ländern keine politische Verfolgung droht. Asylanträge dieser Flüchtlinge werden deshalb in einem vereinfachten Verfahren behandelt.
Genutzt hat es bislang nichts: Laut einer Kleinen Anfrage der Grünen ist die Anzahl der Asylanträge aus diesen sicheren Staaten deshalb nicht signifikant zurückgegangen. Trotzdem will das zuständige Bundesinnenministerium noch einen Schritt weiter gehen: Sogenannte Armutsmigranten sollen davon abgehalten werden, einen Asylantrag zu stellen. Das sieht der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vor, der derzeit im Bundestag verhandelt wird. Das Innenministerium erklärt: "Als offensichtlich unbegründet abgelehnte Asylbewerber müssen befürchten, zukünftig an der Schengen-Außengrenze zurückgewiesen zu werden."
Ein älterer Versuch, die Flüchtlinge schon in den EU-Grenzländern abzufangen, ist hingegen weitgehend gescheitert. Dublin III heißt die gültige EU-Vereinbarung, laut der Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie das erste Mal europäischen Boden betreten. Doch viele Flüchtlinge halten sich nicht an die Dublin-Verordnung, etwa 20 Prozent sind – wie der Syrer Abdul – nachweislich über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist. "Es war sehr schwierig und sehr beschämend. In Ungarn hat uns die Polizei aufgegriffen und gesagt, wir müssen unsere Fingerabdrücke abgegeben. Wir haben uns widersetzt, wir wollten kein Asyl in Ungarn beantragen. Sie haben uns gezwungen, sie haben uns geschlagen: Sie müssen Ihre Fingerabdrücke abgeben. Die Polizei in Ungarn ist sehr schlimm, wirklich."

Und fordert einheitliche Standards in der EU. Für die eigenen Standards sieht das Ministerium aber offensichtlich noch Spielraum – nach unten. Der neue Gesetzentwurf präzisiert die Haftgründe für Flüchtlinge, und fügt ihnen neue hinzu: Künftig sollen Flüchtlinge nicht mehr nur zur Abschiebung inhaftiert werden können, sondern auch, wenn sie ihre Identität verschleiern oder einen Schleuser bezahlt haben. Eine weitere Abschreckungsmaßnahme, sagt die linke Oppositionspolitikerin Jelpke: "Dort, wo Flüchtlinge sich versammeln, vor allem auch an der nordafrikanischen Küste, soll man sich gegenseitig erzählen, wie schlimm es in Deutschland ist."
Auch der SPD-Innenexperte Lischka meldet bereits vorsichtig Kritik am Entwurf des CDU-geführten Innenministeriums an, da "sehr viele Menschen, die es bis nach Deutschland schaffen, nur dadurch hier hingekommen sind, dass sie Geldbeträge an Schleuser zahlen mussten."
"Nächste Station: Spandau. Endstation. Bitte alle aussteigen. Attention please."
Manchmal reichen laut Dölz schon grundlegende Landeskenntnisse aus, um die Glaubwürdigkeit zu überprüfen. "Wenn er sagt, er ist von da nach da gegangen, und das sind aber 900 Kilometer Unterschied, dann kann man gleich sagen, ne, das geht aber nicht."
Das Amt schult seine Entscheider für bestimmte Länder: Dölz ist für Russland, Syrien, den Irak, die Türkei, Somalia, Eritrea und die Westbalkanländer zuständig. Landesspezifische Detailinformationen findet sie in einer umfangreichen Datenbank. Und Verbindungsbeamte im Ausland überprüfen für sie vor Ort, ob etwa ein Wohnhaus – wie angegeben – wirklich abgebrannt ist. Bei einem Flüchtling ohne Papiere wird anhand des Dialekts analysiert, ob er tatsächlich aus dem angegeben Land stammt. Ob ein Asylsuchender krank ist, Folter, Vergewaltigung oder Misshandlung erlitten hat, muss im Zweifelsfall ein Arzt attestieren. Egal wie dramatisch die Geschichte der Flucht ist, von Katrin Dölz wird verlangt, dass sie neutral bleibt: "Wenn ich auch anfange zu weinen, dann würden die keine Sicherheit mehr haben. Das ist ja für die eine Sicherheit, dass der da weiß: Ich kann das hier erzählen und der erträgt das, der da vor mir sitzt."

Zu schnell, unvorbereitet und allein gelassen, durch sprachliche oder kulturelle Barrieren missverstanden: Berenice Böhlo kennt die Kritikpunkte am Verfahren durch ihre Arbeit als Asylanwältin. Nur einmal, in einer einzigen mündlichen Anhörung, hätten die Flüchtlinge die Möglichkeit, ihre Asylgründe zu schildern. Doch kaum einer weiß, wie das Verfahren abläuft: "Der Entscheider beim Bundesamt - vollkommen unabhängig davon, ob der nun freundlich ist oder nicht, ob der engagiert ist oder nicht -, der hat unglaublich viel zu tun. Der möchte auch in die Mittagspause, der fragt Sie einmal, gibt es noch weitere Gründe, wollen Sie noch etwas hinzufügen? Und wenn Sie da nicht richtig antworten, dann ist das Interview zu Ende, dann ist die Anhörung beendet."
Richtig antworten kann nur, wer die Fragen versteht. Dafür zuständig ist der Sprachmittler, wie der nicht vereidigte Übersetzer beim Bundesamt heißt. Doch Arabisch ist nicht gleich Arabisch, es gibt viele verschiedene Dialekte. So kann es laut Böhlo zu gravierenden Missverständnissen kommen, wenn der Übersetzer nicht denselben Dialekt spricht wie der Antragsteller. "Und dann steht im ablehnenden Bescheid: Auch auf Nachfrage war der Antragsteller nicht in der Lage, seinen Vortrag detaillierter vorzutragen."
Im vergangenen Jahr wurde ein Drittel der Flüchtlinge anerkannt, ein Drittel abgelehnt. Und bei einem weiteren Drittel hat sich das Verfahren aus formellen Gründen erledigt, etwa weil der Betroffene in ein anderes EU-Land abgeschoben wurde. Aus dem Mund des Bundesamtspräsidenten Schmidt klingen diese Entscheidungen nach einem rationalen Verwaltungsakt. "Es gibt staatliche Entscheidungen, die werden gerichtlich überprüft, und dann steht ein rechtsstaatliches Ergebnis fest."
Die Flüchtlingsanwältin Böhlo hingegen beobachtet mit Sorge eine zweigleisige Entwicklung in den Asylverfahren: "Jetzt wird so ein bisschen eine Diskussion aufgemacht, guter Flüchtling, schlechter Flüchtling. Und ohne mit der Wimper zu zucken, werden 70 Prozent da relativ rausgekickt. Entweder über das Dublin-Verfahren oder sichere Herkunftsländer, oder weil sie nicht zu diesem priorisierten Personenkreis gehören. Und das finde ich als Entwicklung unheimlich problematisch. Wir haben nicht gute und schlechte Flüchtlinge."
Gut und schlecht, das sind keine amtlichen Entscheidungskategorien. Die Aussichten der Flüchtlinge aber treffen sie: Für den Syrer Abdul sieht es gut aus, dass er in Deutschland Schutz bekommen wird. Die Chancen des Kosovaren Oka stehen hingegen schlecht: Trotz der wirtschaftlich katastrophalen Lage, Armut ist ein schlechter Fluchtgrund. Er wird wegen seiner Tochter wohl maximal mit einem krankheitsbedingten Abschiebeverbot rechnen können. Und die Pakistanerin Batul muss wohl vor allem noch eines: Warten.