Ein Montagmorgen im Berliner Verwaltungsgericht. Kaltes Neonlicht, schmale, niedrige Flure, der Blick fällt auf eine fleckige grünliche Auslegware. Ebrahim Ahmadi starrt aus dem Fenster, gleich beginnt seine Verhandlung. Dolmetscher Ali Ashkpour begrüßt seinen afghanischen Landsmann, wechselt ein paar unverbindliche Worte.
Aufruf über Lautsprecher: "In der Verhandlungssache Aktenzeichen ... werden die Verhandlungsparteien in den Sitzungssaal gebeten, die Verhandlung ist weiter öffentlich."
Die Verhandlung Ebrahim Ahmadi gegen die Bundesrepublik Deutschland beginnt. Das Verwaltungsgericht muss entscheiden, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF den Asylantrag von Ahmadi zu Recht abgelehnt hat - hält doch das Bundesamt die Konversion des Muslims zum Christentum für unglaubwürdig. Verwaltungsrichter Frederic Kahrl:
"Die Frage, die ich zu beantworten habe: Ist jemand, der hier die Taufe erlangt hat, ist der so fest zum christlichen Glauben übergetreten, dass er ihn auch in Afghanistan weiter praktizieren würde oder ihn zumindest leben würde, die ihn der Verfolgung aussetzt. So mal ganz grob gesprochen."
Urteil: nicht Christ genug
Im Fall von Ebrahim Ahmadi ist Verwaltungsrichter Kahrl skeptisch. Hat dieser sich doch sofort nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Taufunterricht angemeldet - also zu einer Zeit, als er noch kaum Begegnung mit dem Christentum hatte. Richter Kahrl fragt besonders streng: Warum haben Sie sich taufen lassen? Was ist das Abendmahl? Beten Sie zuhause? Welche Feste gibt es im Christentum? Lesen Sie in der Bibel? Einen Glaubenstest wolle er allerdings nicht machen.
Er sagt: "Aber ich frage schon etwas zur Glaubensentwicklung nach, zur Glaubenspraxis und auch zum Glaubensinhalt. Einfach, wie stellt der sich dar. Das ist kein Quiz, dass man macht, sondern ich versuche, ein Gesamtbild davon zu gewinnen, wie jemand mit dem, was er sagt, nämlich, dass er jetzt den christlichen Glauben angenommen hat, für sich selbst umgeht und wie eng er mit dem verbunden ist."
Ebrahim Ahmadi tut sich schwer, seine Erklärungen klingen hölzern. "Der einzige Weg zur Erlösung ist Christus" sagt er immer wieder. Und: "Ich wurde wiedergeboren. Ich verließ die Dunkelheit und begab mich ins Licht." Verwaltungsrichter Kahrl weist die Klage ab.
Anlaufpunkt für konvertierte Muslime
Am Sonntag nach der Gerichtsverhandlung fehlt Ebrahim Ahmadi beim Gottesdienst in der Evangelisch-lutherischen Dreieinigkeits-Gemeinde.
Die Kirche ist wie immer in den letzten zwei Jahren bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf der Empore stehen sie dicht an dicht, junge Männer aus Afghanistan und dem Iran. Sie sind aufgrund ihrer Religion geflohen - oder erst in Deutschland zum Christentum konvertiert.
Die freikirchliche lutherische Gemeinde von Gottfried Martens in Berlin-Steglitz ist zum Anlaufpunkt für konvertierte Muslime geworden. Pfarrer Martens kümmert sich quasi rund um die Uhr um sie - er spricht inzwischen Farsi und kennt jede Verästelung des komplizierten deutschen Asylrechts.
"Am Dienstag beginnt der neue Taufunterricht. Ich hoffe, dass ich bis halb vier von der Gerichtsverhandlung zurück bin, das geht um zehn Uhr los, ich hoffe, dass das nicht länger als fünf Stunden dauert."
"Der Staat spielt Glaubenswächter"
Immer öfter verbringt der 55-Jährige seine Tage im Berliner Verwaltungsgericht - hat doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge viele Asylanträge seiner Gemeindemitglieder abgelehnt, die daraufhin Klage eingereicht haben. Gottfried Martens übt grundsätzliche Kritik am Bundesamt und den Verwaltungsgerichten.
"Problematisch bleibt grundsätzlich dieses Unterfangen, sich einen Gesamteindruck über die Ernsthaftigkeit der Konversion verschaffen zu wollen. Wie soll das geschehen? Das ist etwas, was ich für sehr problematisch halte, dass hier der Staat, ohne es genügend zu reflektieren, selber Glaubenswächter spielt."
Bundesamt und Verwaltungsgerichte sollten seinen schriftlichen Eingaben mehr Glauben schenken, fordert Martens, schließlich kenne er seine Gemeindemitglieder besser als jeder andere.
Er sagt: "Das ist sehr viel aussagekräftiger als die künstliche Atmosphäre einer Gerichtsverhandlung oder einer Anhörung beim Bundesamt, die ganz ganz schnell immer wieder in Richtung Glaubensverhören gehen."
"Ich habe mich manchmal an den Kopf gepackt"
So seien eloquente Flüchtlinge, die ihren Wechsel zum Christentum gut begründen könnten, klar im Vorteil. Der Theologe wundert sich auch über so manche positive Asylentscheidung. In einigen Fällen halte er persönlich die Konversion nicht für glaubwürdig:
"Das habe ich wiederholt erlebt und habe mich manchmal an den Kopf gepackt, wer hinterher eine positive Antwort bekommen hat. Wer sich hinterher kaputtgelacht hat über das BAMF, weil es ihm gelungen ist, das BAMF an der Nase herumzuführen, während ganz, ganz treue Christen regelmäßig negative Antworten bekommen."
Martin Mehrdad Nazari sei ein solcher Fall, sagt Martens. Ein Iraner, der in seinem Heimatland bereits Kontakt zu christlichen Hausgemeinden hatte und der sich nach seiner Flucht nach Deutschland habe taufen lassen. Der 55-Jährige und seine Frau haben vor kurzem ihre Klage vor dem Verwaltungsgericht verloren.
Nazari erzählt: "Ich will in Deutschland bleiben. Denn das, was ich im Iran nicht machen darf, das ist hier ganz leicht. Zum Gottesdienst gehen, zum Beispiel, meinen christlichen Glauben mit anderen teilen. Ich will nicht zurückkehren. Ich will mit dem Islam nichts zu tun haben."
Nazari zieht ein Dokument aus seinem Portemonnaie - er ist momentan in Deutschland nur noch auf Zeit geduldet. Das bedeutet: Er erhält Sozialleistungen, darf nicht arbeiten, einen Anspruch auf Deutschkurse hat er auch nicht. Der Iraner sitzt im Hof der Dreieinigkeits-Gemeinde, neben ihm Wäscheständer voller Handtücher, die in der Frühlingssonne trocknen. Es sind die Handtücher der über 30 Flüchtlinge, die inzwischen in der Dreieinigkeits-Gemeinde im Kirchenasyl leben.