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Atombombe und Moral
Die Waffe, die nicht sein darf

Mehr als 120 Staaten haben bei der UNO einen Vertrag vorgelegt, um Atomwaffen zu ächten. Auch Repräsentanten aller Weltreligionen unterstützen dieses Anliegen: Die Bombe gilt in ihren Augen als das Böse schlechthin, ihr Besitz als Sünde, ihr Einsatz als Apokalypse. Doch das Wettrüsten geht weiter.

Von Corinna Mühlstedt | 18.04.2018
    Eine explodierende Atombombe
    Ein Atompilz steigt nach der Explosion einer Atombombe 1971 über der französischen Pazifikinsel Mururoa in die Höhe. (picture-alliance / dpa)
    "Wir haben es geschehen lassen, dass durch Atombomben ganze Städte mit ihren Bewohnern zu nichts wurden, dass durch Brandbomben Menschen zu lodernden Fackeln wurden. Dieses furchtbare gemeinsame Erlebnis muss uns aufrütteln, dass wir durch einen neuen Geist eine höhere Vernünftigkeit erreichen, die uns von dem unseligen Gebrauch der uns zu Gebote stehenden Macht abhält."
    1954: Der Arzt und Ethiker Albert Schweizer nimmt den Friedensnobelpreis entgegen. Er nützt die Gelegenheit zu einem leidenschaftlichen Appell.
    Doch seine Worte verhallten während des Kalten Kriegs angesichts der übermächtigen Interessen der Atomindustrie und der Politik.
    Dossier: Atomwaffen
    Internationale Kampagne gegen Atomwaffen
    2017: Die "Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen", kurz ICAN, erhält den Friedensnobelpreis. Sie ist maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung eines Anti-Atom-Waffen-Vertrags, den 122 Staaten im Sommer desselben Jahres der UNO vorgelegt haben:
    In dem Vertrag wird gefordert, Nuklearwaffen völkerrechtlich für unmoralisch und illegal zu erklären.
    "Wir leben in einer Zeit enormer globaler Spannungen. Wenn es einen Zeitpunkt gibt, an dem Staaten Nuklear-Waffen verbieten müssen, dann ist er jetzt gekommen. Der Vertrag, den wir bei der UNO eingereicht haben, ächtet unmissverständlich die schlimmsten Massenvernichtungswaffen, die es je gab. Und er zeigt einen klaren Weg, sie vollständig zu eliminieren", betont ICAN-Direktorin Beatrice Fihn anlässlich der Vergabe des Nobelpreises.
    Beatrice Fihn (zweite von links), Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) bei einer Pressekonferenz in Genf am 6. Oktober 2017 nach dem Empfang des Friedensnobelpreises.
    Beatrice Fihn (zweite von links), Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) (picture alliance / MAXPPP)
    Die internationale Kampagne, die sie koordiniert, wurde vor zehn Jahren in Australien von Ärzten gegründet. Menschenrechtler, Friedensaktivisten und Repräsentanten der Weltreligionen schlossen sich an.
    Heute gehören zu ICAN fast 500 Nichtregierungsorganisationen, die für Millionen von Menschen rund um den Globus stehen.
    "Ein Moment der Panik, eine missverstandene Bemerkung oder ein verletztes Ego können heute rasch zur Zerstörung ganzer Städte führen, zu einem Massenmord an Zivilisten. Aber die meisten Menschen verdrängen diese existenzielle Bedrohung. ICAN fühlt die Pflicht, das auszusprechen und eine Stimme der Zivilbevölkerung zu sein. Denn Atomwaffen sind 'Werkzeuge des Völkermords'."
    ICAN arbeitet eng mit den "Hibákusha" zusammen, den Opfern der US-amerikanischen Atombombenabwürfe vom August 1945 über Japan: Wada Masako war ein kleines Kind als die Bomben ohne Vorwarnung zuerst die Großstadt Hiroshima und dann ihre Heimatstadt Nagasaki trafen.
    "Diese Waffen sind das Böse schlechthin"
    Die Explosionen forderten mehrere Hunderttausend Opfer unter der Zivilbevölkerung: Frauen und Kindern, Senioren, Kranke und Kriegsgefangene. Wada und ihre Mutter überlebten, weil ein Hügel zwischen ihrem Haus und dem Zentrum des Atompilzes stand.
    "Meine Mutter kochte das Mittagessen und ich spielte am Boden, als wir um elf Uhr vormittags plötzlich den Lärm einer Detonation hörten. Die Druckwelle brach Fenster und Türen in Stücke. Ein Sturm aus Asche bedeckte den Fußboden unseres Hauses mit einer 30 Zentimeter dicken Staubschicht. Wir sahen, dass die Landschaft um uns herum plötzlich braun und in orange-gelben Nebel gehüllt war. Dann erkannten wir einen Strom von Menschen, die sich mühsam über den Hügel schleppten, um dem Feuer auf der anderen Seite zu entkommen. Ihre Körper waren schwarz, verbrannt und blutverklebt, ihre Haare standen wie Hörner in die Höhe."
    Wadas Familie und ihre Nachbarn konnten nichts tun, als die Heerscharen von Opfern beim qualvollen Sterben zu begleiten und die Toten zu verbrennen. Die Hibákusha machten es sich seither zur Lebensaufgabe, die Öffentlichkeit vor Nuklearwaffen zu warnen. Der Friedensnobelpreis 2017 würdigte nicht zuletzt auch ihr Engagement.
    Stellvertretend für alle Hibákusha nahm ihn die Japanerin Setsuko Turlow in Oslo entgegen. Sie war 13 Jahre alt, als die Atombombe ihre Schule in Hiroshima traf. 351 Mitschülerinnen starben, so Setsuko. Sie selbst wurde von herabstürzenden Mauerteilen vor der Feuersbrunst im Zentrum der Explosion geschützt.
    "Ich sah eine unvorstellbare Verwüstung und grauenvoll verwundete Menschen: Sie bluteten, brannten, Teile ihrer Körper waren zerfetzt. Fast alle Opfer waren Zivilisten. Leider wollen manche Leute diese Atombombenabwürfe bis heute nicht als das sehen, was sie waren: Kriegsverbrechen. Der Besitz von Nuklearwaffen macht eine Nation nicht groß, sondern lässt sie zurückfallen auf die tiefste Stufe. Denn diese Waffen sind kein notwendiges Übel, sie sind das Böse schlechthin."
    "Moralische Appelle aus der tiefe des menschlichen Gewissens"
    Der Einsatz von Atomwaffen sei aufgrund ihrer enormen Zerstörungskraft in jeder Hinsicht inakzeptabel, warnt auch Francois Bugnion. Er gehört zum Internationalen Komitee des Roten Kreuzes das seit Jahren eine Partnerorganisation von ICAN ist:
    "1945 war der Leiter unserer Delegation in Tokio einer der ersten ausländischen Zeugen der Katastrophe in Hiroshima. Er alarmierte unsere Zentrale in der Schweiz mit einem Telegramm: "Der Zustand ist entsetzlich, die Stadt ist ausgelöscht, Massen von Menschen sterben, Hunderttausende sind schwer verwundet." Er organisierte erste Hilfsaktionen für die Opfer. Einen Monat später forderte das Internationale Rote Kreuz eine weltweite Vereinbarung, die den Einsatz dieser neuen Waffen verbietet."
    Die japanische Stadt Hiroshima nach dem Abwurf der der US-amerikanischen Atombombe "Little Boy" am 06. August 1945
    Die japanische Stadt Hiroshima nach dem Abwurf der der US-amerikanischen Atombombe "Little Boy" am 06. August 1945 (picture alliance / dpa / dpaweb / epa)
    Trotzdem lagern heute nach offiziellen Angaben in aller Welt noch circa 15.000 Atomwaffen.
    Mehr als 90 Prozent gehören zu fast gleichen Teilen den Großmächten USA und Russland. Etwa 1000 weitere Nuklearwaffen verteilen sich nach Schätzungen auf sieben andere Staaten: China, England, Frankreich, Indien, Israel, Pakistan sowie Nordkorea.
    Die Sprengkraft der meisten dieser Waffen übersteigt das Potenzial der Atombomben von 1945 um ein Vielfaches. Aus humanitärer Sicht sei das absolut unverantwortlich, mahnt Francois Bugnion:
    "Das Rote Kreuz hat in Hiroshima gelernt, dass es den Opfern nach dem Einsatz einer Atombombe keine wirkliche Hilfe bieten kann, ohne die Helfer extrem zu gefährden. Eine Atomexplosion verursacht für die Menschen und für die Umwelt Jahrzehnte lang anhaltende Schäden aufgrund der radioaktiven Strahlung, die von ihr ausgeht. Die Folgen reichen weit über die Grenze eines Landes hinaus. Wir kamen daher zu dem Schluss: Man muss verhindern, dass Nuklearwaffen je wieder zum Einsatz kommen: aus humanitären, moralischen und rechtlichen Gründen."
    Die Atombombenabwürfe über Japan erzwangen 1945 die Kapitulation des Landes und das Ende des Pazifischen Kriegs. Doch um welchen Preis?
    Die Japaner überwanden das Trauma nur schrittweise. Dank des Engagements japanischer Buddhisten entstand 1970 die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" - "Religions for Peace". Zu ihr gehören heute führende Religionsvertreter rund um den Globus: Buddhisten und Christen, Hindus und Juden, Muslime und viele andere.
    Die Weltkonferenz bildet eine der größten interreligiösen Dialog-Plattformen und ist ein aktives Mitglied von ICAN. Der internationale Generalsekretär von "Religions for Peace", William Vendley, unterstützt den neuen Anti-Atomwaffen-Vertrag nachdrücklich:
    "Dieser moralische Appell gegen den Besitz von Atomwaffen kommt aus der Tiefe des menschlichen Gewissens. Nuklearwaffen sind Massenvernichtungswaffen, die keinen Unterschied zwischen ihren Opfern machen. Sie sind damit ihrem Wesen nach das Böse. Der neue Vertrag zur Ächtung dieser Waffen schafft eine deutliche Norm, die besagt: Der Einsatz von Atomwaffen, ihr Besitz oder die Drohung mit ihnen sind moralisch absolut unverantwortlich und nach internationalem Recht illegal."
    "Religions for Peace" bekräftigt, dass führende Vertreter aller Weltreligionen dieser Verurteilung von Nuklearwaffen zustimmen. So erklärt etwa der muslimische Rechtsgelehrte und Professor Ahmet Beheshti aus der iranischen Universitätsstadt Qom:
    "Die Herstellung und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen sind Unrecht. Solche Waffen töten Unschuldige und die Natur. Alle wissen, was in Hiroshima geschehen ist. Chemische Waffen oder Atomwaffen zu erzeugen, ist deshalb aus der Sicht des Islam eine schwere Sünde und verboten."
    Die Kirchen positionieren sich eindeutig
    Der Weltkirchenrat in Genf, der ein breites Spektrum evangelischer und orthodoxer Kirchen vertritt, beschloss schon vor Jahren ökumenisch einvernehmlich, gegen Nuklearwaffen vorzugehen. Auch er gehört heute zu ICAN. Generalsekretär Olav Fykse Tveit, betonte im Januar 2018 gegenüber dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
    "Leider gab es früher immer wieder Christen und Kirchenvertreter, die den Aufbau nuklearer Arsenale unterstützt haben - einige schweigend, andere ausdrücklich. Man erhoffte sich von der nuklearen Abschreckung Schutz. Doch zu einer wirkungsvollen Abschreckung gehört letztlich die Bereitschaft, die Nuklearwaffen im Ernstfall auch einzusetzen. Und genau das ist der entscheidende Punkt. Hier müssen wir heute sagen: Den Einsatz auch nur einer einzigen Atomwaffe in Betracht zu ziehen, ist mit einem christlichen Verantwortungsbewusstsein unvereinbar."
    Olav Fykse Tveit, Generalsekretaer des ökumenischen Rates der Kirchen
    Olav Fykse Tveit, Generalsekretaer des ökumenischen Rates der Kirchen (imago / epd)
    Diese Haltung entspreche ganz der Position der katholischen Kirche, versichert Bischof Silvano Tomasi. Er vertrat den Vatikan bis 2017 bei der UNO und förderte den neuen Anti-Atomwaffen-Vertrag von Anfang an.
    "In der kirchlichen Soziallehre gibt es seit langem eine deutliche Position: Schon zur Zeit der Entwicklung der ersten Atombomben sagte Papst Pius XII, dass solche Waffen der Massenvernichtung ethisch nicht vertretbar sind. Johannes XXIII hat diese Linie fortgesetzt. 1963 betonte er nach der Kuba-Krise in der Enzyklika 'Pacem in terris', 'Friede auf Erden', dass wir dringend für die Abschaffung aller Nuklear-Waffen eintreten müssen."
    Papst Franziskus steht in dieser Tradition. Ende 2017 bekräftigte er gegenüber den Teilnehmern einer internationalen Nuklear-Konferenz im Vatikan:
    "Wir müssen uns klar machen, dass die Konsequenzen des Einsatzes von Nuklearwaffen für die Menschheit und die Umwelt katastrophal wären. Zudem besteht die Gefahr, dass eine dieser Waffen durch einen Irrtum oder Fehler explodiert. Die Existenz von Nuklearwaffen ist die Folge einer Logik der Angst und gefährdet nicht nur die jeweiligen Konfliktparteien, sondern die gesamte Menschheit. Der Einsatz solcher Waffen ist daher ebenso entschieden zu verurteilen, wie die Drohung mit ihnen und ihr Besitz."
    "Schon die bloße Existenz von Atomwaffen birgt Risiken"
    So überzeugend die Argumente gegen Nuklearwaffen sind, so apokalyptisch das Szenarium ist, das ihr Einsatz auslöst: Die Zahl der Staaten, die solche Waffen besitzen, wächst. Und nicht nur das: Die Atomwaffen-Staaten, - allen voran die USA und Russland -, treiben das atomare Wettrüsten heute neu voran und investieren mehrstellige Milliardenbeträge in die Modernisierung und Erweiterung ihrer Nuklearwaffen-Arsenale.
    Nur knapp ein Prozent des Geldes, das weltweit in Militäretats gehe, stehe für Entwicklungshilfe und humanitäre Projekte zur Verfügung, beanstandet der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm:
    "Wenn man sich vorstellt, wie viel Mal die Welt vernichtet werden kann, mit dem jetzt immer noch vorhandene Bestand von Atomwaffen, dann kann man eigentlich schnell sehen, dass das nicht zu rechtfertigen ist, auch von der Verteilung der Mittel her, dass man Geld in solche Todeswaffen steckt, das dringend für die Verbesserung des Lebens der Menschen, insbesondere der Schwächsten gebraucht würde."
    Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.
    Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Die Atomwaffen-Staaten pochen dagegen auf die Notwendigkeit, mit diesen Waffen ihre "nationale Sicherheit" verteidigen zu müssen. Alle NATO-Mitgliedsstaaten folgen der Argumentation. Es sei höchste Zeit, kritisch zurückzufragen, meint der Ethiker Bedford-Strohm:
    "Zum Beispiel ist eine der Fragen, dass auch der Ersteinsatz von Atomwaffen ja noch nicht einmal ganz klar ausgeschlossen wird. In den jetzigen NATO-Konzepten ist das jedenfalls so nicht klar gesagt. Und da gibt es aus meiner Sicht wirklich keinen denkbaren Fall, wo so etwas gerechtfertigt werden kann. Und das zweite ist, dass natürlich schon die bloße Existenz von Nuklearwaffen Risiken birgt. Wir haben ja schon erlebt, dass es mehrfach Fälle gab, wo die Welt knapp an einem Atomkrieg vorbei geschrammt ist, weil Sicherungsmechanismen versagen, Fehlalarme ausgelöst werden."
    Nach der Kuba-Krise hatten in den 60er-Jahren die meisten Regierungen im sogenannten "Atomwaffensperrvertrag" einer Selbstverpflichtung zur Abrüstung zugestimmt, sie aber keineswegs immer umgesetzt.
    Ethik und Norm als Prämissen für eine Abrüstung
    Der neue Anti-Atomwaffenvertrag, der jetzt bei der UNO ausliegt, werde der alten Vereinbarung neuen Schwung geben, hofft der Botschafter Österreichs bei den Vereinten Nationen, Thomas Hajnosci. Sobald ihn 50 Länder unterzeichnet und ratifiziert haben, tritt er in Kraft. 50 Unterschriften liegen bereits vor. Der Prozess ist im Gang.
    "Der Vertrag baut sehr stark auf dem Atomwaffensperrvertrag auf, und wir haben sehr darauf geachtet, dass er total damit vereinbar ist, weil er ja eigentlich nur eine Durchführung des Artikel Sechs vom Atomwaffensperrvertrag ist, wo es um die nukleare Abrüstung geht. Es war immer klar: Wir brauchen eine Norm, die Nuklearwaffen verbietet, um eine Welt ohne Nuklearwaffen zu erreichen."
    Eine solche Norm sei aber nur dann wirkungsvoll, wenn sie für alle Staaten gleichermaßen gilt, betont der langjährige Leiter der internationalen Atomenergiebehörde, Muhammad El Baradei. An diesem entscheidenden Punkt bedürfe der alte Atomwaffensperrvertrag dringend der jetzigen Ergänzung:
    "Bisher ist einigen Staaten der Besitz von Atomwaffen gestattet und anderen nicht. Das ist absurd. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann beispielsweise Terroristen sich eine Atombombe verschaffen und sie einsetzen werden? Der einzige Weg, solche Risiken zu beseitigen, ist, die Nuklearwaffen zu beseitigen."
    Der ägyptische Diplomat Muhammad El Baradei. Zusammen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) erhielt er 2005 den Friedensnobelpreis
    Der ägyptische Diplomat Muhammad El Baradei. Zusammen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) erhielt er 2005 den Friedensnobelpreis (imago / Independent Photo Agency)
    Die Hoffnung auf den neuen Anti-Atomwaffen-Vertrag ist groß. Fest steht aber: Alle neun Länder, die heute offiziell im Besitz von Nuklearwaffen sind, boykottieren ihn bisher geschlossen, so auch alle NATO-Mitgliedsstaaten. Zu ihnen gehört Deutschland. Friedensnobelpreisträger Muhammad El Baradei zeigt sich daher besorgt:
    "Wenn wir so weiter machen wie bisher, wandern wir mit geschlossenen Augen in die Apokalypse. Meiner Ansicht nach ist die negative Reaktion der Atomwaffen-Staaten und ihrer Verbündeten arrogant und nicht überzeugend. Man sollte von ihnen zumindest seriöse Verhandlungen erwarten, mit dem Ziel durch ausgewogene und vorsichtige Maßnahmen, die Zahl der Nuklearwaffen zu reduzieren, nicht diese negative Reaktion und Blockade. Wir können nur hoffen, dass diese Staaten sich nach und nach eines Besseren besinnen."
    Die internationale Gemeinschaft müsse dringend wieder eine gemeinsame ethische Basis finden, mahnt Izumi Nakamitsu. Sie hat als "Hohe Beauftragte für Abrüstungsfragen" seitens der Vereinten Nationen die Verhandlungen zu dem neuen Vertrag begleitet:
    "Ein nuklearer Konflikt ist heute mehr als eine abstrakte Idee. Die Zahl der Kriege nimmt zu. Es ist für die Menschheit lebensnotwendig, sich auf Normen zu verständigen, die solche Konflikte begrenzen. Der neue Vertrag gegen Nuklearwaffen ist wohl der wichtigste Vertrag, der in den letzten 70 Jahren verhandelt wurde. Denn der Einsatz dieser Waffen hätte für die Menschheit existenzielle Folgen. Die Normen, die der Vertrag setzt, sollten daher von so vielen Staaten wie möglich umgesetzt werden."
    "Man muss Prozesse in Gang setzen, die zu einer Abrüstungsspirale führen"
    Heinrich Bedford-Strohm appelliert an Deutschland, mit gutem Beispiel vorangehen. Denn auch auf deutschem Boden, so der Ethiker, lagern Nuklearwaffen:
    "Es ist wichtig, dass wir uns klar werden darüber, dass auch Deutschland beteiligt ist an der Drohung mit Atomwaffen, und deswegen mitverantwortlich ist, dass Atomwaffen abgebaut werden. Kein Mensch sagt, dass man von heute auf morgen diese Waffen einfach wegwerfen kann. Man muss Prozesse in Gang setzen, die zu einer Abrüstungsspirale führen."
    Das Thema dürfe nicht länger verdrängt werden, betont Nobelpreisträgerin Beatrice Fihn. Der neue Vertrag leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. Vor allem aber stellt er Nuklearwaffen rechtlich auf dasselbe Niveau wie chemische oder biologische Waffen, die von der internationalen Gemeinschaft bereits erfolgreich geächtet wurden.
    "Keine Nation brüstet sich heute noch damit, Chemiewaffen zu besitzen. Keine Nation behauptet, dass es akzeptabel sei, Nervengas einzusetzen. Wir verdanken das dem Umstand, dass internationale Normen festgelegt wurden, die ein neues Bewusstsein schufen. Nun gibt es endlich eine vergleichbare ethische Norm gegen Atomwaffen. Und mit jeder weiteren Unterschrift unter dem Vertrag, gewinnt sie an Gewicht."