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"Auch Abgeordnete dürfen beobachtet werden"

Bei Verdacht auf verfassungswidrige Bestrebungen erlaube das Grundgesetz grundsätzlich die Überwachung von Abgeordneten, sagt der Politologe und Staatsrechtler Martin Morlok. Man müsse aber "sehr genau gucken, unter welchen Voraussetzungen das geschehen darf".

Martin Morlok im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Christoph Heinemann: Die Beobachtung von Abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz sorgt für immer heftigeren Streit zwischen Regierung und Opposition. Der Linken-Abgeordnete Jan Korte bezeichnete die Praxis in der Aktuellen Stunde des Bundestages gestern als antidemokratisch, auch SPD und Grüne forderten Korrekturen. Hingegen verteidigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU die Beobachtung der Parlamentarier. Die einen versuchen, die Arbeit des Verfassungsschutzes zu politisieren, die anderen berufen sich auf Paragrafen. – Mein Kollege Jürgen Liminski sprach mit dem Staatsrechtler Professor Martin Morlok und hat ihn gefragt, ob die Beobachtung von 27 Abgeordneten, also die Arbeit des Verfassungsschutzes, nun ein politisches, oder ein juristisches Problem sei.

    Martin Morlok: Na ganz offensichtlich haben wir in beiden Dimensionen hier Fragen, denen es sich lohnt nachzugehen. Über die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung von Abgeordneten werden wir wahrscheinlich gleich noch reden, aber was die politische Dimension angeht, so muss man doch mal feststellen, dass eine Beobachtung von Abgeordneten gar in diesem Umfang doch eine Art institutionalisiertes Misstrauen gegen Volksvertreter ist, und das ist ja doch eine bemerkenswerte Tatsache.

    Jürgen Liminski: Ist denn der parlamentarische Raum Tabu für den Verfassungsschutz?

    Morlok: Nein! Das muss man ganz klar sagen, das ist er nicht. Wir haben durch unser Grundgesetz eingeführt das Konzept der Wehrhaften Demokratie. Das heißt, wir geben alle Freiheit – mit einer Ausnahme: die Freiheit, die Freiheit abzuschaffen. Und wenn man sich dazu versteht – letzte Konsequenz ist die Möglichkeit eines Parteiverbotes -, dann ist es nur richtig, dass man auch beobachtet, ob es verfassungswidrige Bestrebungen gibt. Allerdings wird man sagen müssen, dass vor dem Parlament hier kein Stoppschild steht, weil nämlich eine Partei, die Erfolg beim Wähler hat, die also Abgeordnete im Parlament hat, die ist ja erst recht gefährlich. Also die Grundsatzfrage ist ganz klar so zu beantworten: Auch Abgeordnete dürfen beobachtet werden. Die Frage ist nur, unter welchen Voraussetzungen.

    Liminski: Nun fordert ein Politiker oder mehrere Politiker sogar, dass ein Gremium des Bundestages darüber entscheiden müsste, ob Mitglieder des hohen Hauses beobachtet werden dürfen oder nicht. Kann, sollte man den Bundestag einschalten?

    Morlok: Also das ist ein sehr bedenkenswerter Vorschlag. Machen wir uns mal klar: Wenn ein Politiker mit einem besoffenen Kopf durch die Gegend fährt und erwischt wird, dann schützt ihn zunächst die Immunität vor einer Verfolgung und der Bundestag tritt zusammen und hebt dann die Immunität auf. Es ist doch ein sehr viel gravierenderer Vorgang, wenn ein Abgeordneter unter Beobachtung gestellt wird wegen des Verdachtes, er verfolge verfassungswidrige Bestrebungen.
    Dafür gibt es nun zwei Möglichkeiten, dass man entweder materiell die Voraussetzungen bei Abgeordneten erhöht, materiell-rechtlich, oder man lässt sich Verfahrenslösungen einfallen. Und beim Bundestag ist das Vorbild der Immunität ja doch sehr genau zu bedenken, dass also der Bundestag über eine Belastung von Abgeordneten nachdenkt. Ob der Bundestag das in seiner Gänze macht, das erscheint mir nun sehr fraglich zu sein. Das treibt ja doch den Spaltpilz in den Bundestag. Und im Übrigen sind solche nachrichtendienstlichen Aktivitäten ja richtigerweise oft auch unter dem Siegel der Geheimheit, und insofern bietet sich ja an, dass die Kommission zur Beobachtung der Geheimdienste mit dieser Aufgabe betrachtet wird.
    Eine ganz andere Möglichkeit wäre, dass man sagt, wir nehmen es heraus aus der Politik und stellen einen Richtervorbehalt auf - nur ein Richter darf so etwas genehmigen.

    Liminski: Nun sind die Abgeordneten gewählt und gehören zur Legislative. Der Verfassungsschutz ist Teil der Exekutive. Haben wir hier einen klassischen Fall von Gewaltenteilung, oder ist das Ganze nur ein Streit, nur eine deutsche Prinzipienreiterei?

    Morlok: Nein! Wir haben eben eine bemerkenswerte Verkehrung der Umstände. Wir haben – so sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus – eine obrigkeitsstaatliche Exekutivlastigkeit. Die Regel ist ja, dass das Parlament die Exekutive kontrolliert, auch die Geheimdienste, und nicht umgekehrt, und insofern ist das öffentliche Aufsehen, die Aufregung darüber, schon eine, in unserer Konzeption der Gewaltenteilung begründete. Das Parlament ist die erste Gewalt im Staat und muss sich nicht eigentlich der Kontrolle der Exekutive unterwerfen – mit der Ausnahme wie gesagt bei verfassungswidrigen Bestrebungen, aber da muss man sehr genau gucken, unter welchen Voraussetzungen das geschehen darf.

    Liminski: Wo liegt denn nun die Beweislast, um die Beobachtung zu rechtfertigen oder zu verwerfen?

    Morlok: Ja, Beweislast ist natürlich ein Wort, das hier fast etwas deplatziert ist. Wir haben Voraussetzungen im Verfassungsschutzgesetz dafür, wann eine Beobachtung begonnen werden darf. Aber diese Voraussetzungen sind sehr weit gehalten, sind sehr konturarm, sodass man eigentlich von einer echten Beweisführung kaum sprechen kann. Das mag bei so vagen Verdächten wie verfassungswidrigen Umtrieben vielleicht notwendig sein, aber ich glaube, die Besonderheiten von Abgeordneten verlangen es, dass man hier weitere Voraussetzungen einführt – wie gesagt entweder materiell-rechtlicher Art, oder verfahrensmäßiger Art.

    Liminski: Man könnte auch auf die Idee kommen, Herr Morlok, zu prüfen oder zu recherchieren, ob der eine oder andere Abgeordnete der Linken für einen fremden Geheimdienst gearbeitet hat, etwa den früheren KGB, der ja keine Unterstützerorganisation der deutschen Verfassung war. Würde das eine Beobachtung sozusagen im Nachhinein rechtfertigen?

    Morlok: Also die Beobachtung durch den Verfassungsschutz will ja aktuelle und künftige Gefahren abwehren. Das ist ja kein Instrument der Strafverfolgung für frühere Taten. Also es muss immer der Blick nach vorne sein. Und ob jemand vor 25 Jahren für den KGB gearbeitet hat, ich glaube nicht, dass das ein hinlängliches Indiz dafür ist, dass er heute das Grundgesetz bekämpft.

    Heinemann: Der Staatsrechtler Professor Martin Morlok im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.