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Auf den Barrikaden
Europa und das Erbe der 68er

1968 verging kaum eine Woche, in der nicht protestiert wurde. Gegen Kapitalismus, Krieg und Kolonialismus. Fast überall in Europa brodelte es. Was bewegte die "1968er" damals – und was ist davon übrig geblieben? Eine Spurensuche in fünf Ländern.

Von Rayna Breuer, Friedbert Meurer, Kirstin Hausen, Florian Kellermann und Hans Günter Kellner | 29.12.2018
    Umringt von Studenten und Polizisten steht der Studentenführer Daniel Cohn-Bendit (M) vor der Sorbonne in Paris und singt die "Internationale". Als Studentenführer maßgeblich an den Maiunruhen 1968 beteiligt, verwies die französische Regierung den deutschen Staatsbürger des Landes. Cohn-Bendit ("Der rote Dany") ist seither in Frankfurt am Main politisch und journalistisch tätig.
    Studentenunruhen in Paris im Mai 1968: Umringt von Studenten und Polizisten steht der Studentenführer Daniel Cohn-Bendit (M) vor der Sorbonne in Paris und singt die "Internationale". (picture-alliance / dpa/epa)
    Der Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit erinnert sich an eine "Revolte, die um den gesamten Erdball ging, und Herzen und Träume einer ganzen Generation eroberte".
    Dabei hatte jede Revolte neben globalen Zielen auch ihren ganz eigenen, nationalen Antrieb. Und nicht selten sind die Träume später zerplatzt. Was bewegte die "1968er" damals – und was ist davon übrig geblieben?
    Die "Gesichter Europas" gehen in fünf Ländern auf Spurensuche, die sonst in Deutschland nicht im Fokus der Erinnerung an 1968 stehen.
    Auf einer Kundgebung am Pfingstmontag, den 03.06.1968, im Universitätviertel in Belgrad in Jugoslawien fordern Studentenführer eine Hochschulreform
    Jugoslawien - Vielvölkerstaat mit Sonderrolle
    Das 68er-Beben war auch in Jugoslawien zu spüren. Die Studenten solidarisierten sich, auch sie waren gegen den Krieg in Vietnam und applaudierten den Protestierenden in Frankreich. Einen Umsturz des Systems wollte die Jugend Jugoslawiens nicht.
    Schüler demonstrieren am 03.12.1968 in Rom für gleiche Bildungschancen und protestieren gleichzeitig wegen des Todes von zwei Landarbeitern, die während eines Streiks bei Auseinandersetzungen mit der Polizei am 02.12.1968 in Sizilien erschossen worden waren.
    Italien - wie gewonnen, so zerronnen
    Die Studenten- und Arbeiterbewegung Italiens hat sowohl am Arbeitsplatz als auch für Frauen Rechte erkämpft. Wenn wir nicht aufpassen, sagt die Feministin Ketty Carraffa, ist bald alles wieder dahin.
    Im März 1968 gingen die Studenten in Warschauf auf die Straße
    Polen - schwierige Geschichte
    Im März 1968 kam es in Polen zu massiven Studenten-Protesten. Die kommunistische Führung stempelte sie als "zionistisch" gesteuert ab. 13.000 Polen jüdischer Abstammung verließen schließlich das Land.
    Die Summerhill School in England beruft sich auf demokratische Grundsätze des Lernens. Sie wurde 1921 von A.S. Neill gegründet.
    England - Summerhill School heute
    Freiheit statt Unterdrückung: Alexander Sutherland Neill steht für einen Erziehungsstil, der besonders um 1968 Furore machte. Der Schotte begeisterte mit seinen anti-autoritären Schriften und seiner "Summerhill School" die Studenten auf den Barrikaden. Dabei ging es Neill gar nicht um grenzenlose Freiheit.
    Oppositionelle Studenten lassen am Abend des 18.05.1968 bei einem Folklore-Konzert in der Fakultät für Wirtschafts- und Politische Wissenschaften der Universität in Madrid Flugblätter auf ihre Kommilitonen niederregnen.
    Spanien - Aufstand in der Diktatur
    In Spanien herrschte Franco mit harter Hand. Der Aufstand der Studenten galt daher auch dem Diktator. Die 68er leiteten die Demokratisierung ein und wirkten mit, als das neue Spanien entstand. Bis heute mischen manche mit in der Politik, ohne Illusionen: Podemos ist nicht 68, sagen sie.
    Eine Deutschlandfunk-Produktion 2018