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Auf der Suche nach der eigenen Seele

Nordische Architektur hat ihren ganz eigenen Charme. Und das bezieht sich nicht nur auf die bekannten roten Schweden-Häuschen. Eine Ausstellung im dänischen Louisiana Museum geht den Zusammenhängen zwischen nordischem Selbstverständnis, Transparenz und Architektur auf den Grund.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Dass die Umgebung in der Architektur eine Rolle spielt, dass aber umgekehrt auch ein Gebäude einen Ort verwandeln kann, dafür ist das Louisiana Museum selbst das beste Beispiel. Einst ein verlassenes, verwachsenes, ja in der Erinnerung von Museumsgründer Knud Jensen verwunschenes Anwesen, gilt der direkt am Ufer des Öresund gelegene Komplex mit dem umliegenden Skulpturenpark heute als architektonische Perle – weit über die Landesgrenzen hinaus. Und so wundert es wenig, dass gerade dieses Museum sich mit der Architektur des Nordens und ihrem Wesen beschäftigt. Ausstellungskurator Kjeld Kjeldsen:

    "In unserer globalisierten Welt dominiert die Fusion - die Kulturen vermischen sich und verlieren dadurch ihre Eigenart. Und eben diese globale Gleichmacherei regt an zum Nachdenken, erinnert uns daran, dass Unterschiede vielleicht gar nicht so schlecht sind. Die hier repräsentierten Architekten haben dies erkannt."

    Die Ausstellung "New Nordic – Architektur & Identität" geht der Frage nach, wie Architektur das Leben und damit die eigene Identität beeinflusst, wie auch umgekehrt. Nordische Architekten, so postuliert der erste Teil der Schau, haben ihre Umgebung historisch nicht ignorieren können – das raue Klima des Nordens, die dunklen Winter und hellen Sommer, aber auch die vorhandenen Materialien wie Holz und Stein haben das Bauen hier geprägt.

    Jan Gehl, weltweit bekannter Städteplaner, der jüngst in New York dafür sorgte, dass der Broadway am Times Square für den Verkehr gesperrt wurde und so einen ganz neuen Platz im Herzen der Stadt entstehen ließ:

    "Die alten skandinavischen Städte sind geprägt von kleinen, dicht aneinander stehenden Häusern mit vielen Höfen und kleinen Räumen. Diese Art von Architektur passt perfekt zu unserem Klima, denn der Wind geht über die Häuser hinweg, während sich die Wärme in den kleinen Räumen sammelt. Mit dieser Art von Architektur ist es uns in Skandinavien gelungen, ein Binnenklima zu schaffen, dass es sonst nur 1000 oder 1500 Kilometer weiter südlich gibt. Palmen, Weintrauben, Feigen – Dinge, die in Dänemark auf freier Flur nie wachsen würden, lassen sich in diesen Höfen anpflanzen."

    Der interessanteste Teil der Ausstellung aber untersucht die Zusammenhänge zwischen Architektur und öffentlichem Leben, geht der Frage nach, wie sich die Werte der skandinavischen Wohlfahrtsgesellschaften wie etwa Gleichheit, Gemeinschaft, Transparenz in öffentlichen Gebäuden spiegeln und andersherum von diesen bestärkt werden. Kjeld Kjeldsen:

    "Architektur kann ein Mitspieler, aber auch ein Gegner sein. Früher musste man sich zum Teil überwinden, eine öffentliche Institution wie ein Rathaus zu betreten. Hier aber zeigen wir Gebäude, die einladen und deren Architektur wir als dritten Lehrer bezeichnen: Der erste Lehrer, der ein Kind prägt, sind die eigenen Eltern, die eigene Familie. Der zweite Lehrer sind die Pädagogen etwa im Kindergarten. Der Dritte aber ist die uns umgebene Architektur, die einen enormen Einfluss hat auf unser Leben, und wie wir uns entfalten."

    Vielleicht ist es gerade dieser Aspekt, der die Frage nach dem Wesen der nordischen Architektur und ihrem identitätsstiftenden Potenzial beantwortet. Es geht nicht um Gebäude alleine, sondern um ihre Einbettung in die Umgebung – geografisch wie gesellschaftlich. Gute Architektur, so lässt sich die Botschaft dieser Ausstellung zusammenfassen, erkennt das Spezifische eines konkreten Ortes, transformiert ihn und hebt das hier gelebte Leben auf eine neue Ebene. Lene Tranberg, eine der derzeit erfolgreichsten und renommiertesten Architekten Dänemarks:

    "Für mich ist das der Kern unserer Arbeit: Wir Architekten stellen uns der Welt zur Verfügung und müssen diese öffentliche Verantwortung, die auf unseren Schultern liegt, sehr ernst nehmen. Die Räume, die wir erschaffen, prägen das Leben der Menschen, die in ihnen leben."

    Linktipp:
    Die Ausstellung New Nordic - Architektur & Identität im Louisiana Museum ist noch bis zum 21. Oktober 2012 zu sehen.