Jeannine Ohlert, Sprecherin der Aufarbeitungskommission, erklärte: "Für uns ist das Urteil natürlich sehr enttäuschend. Wir haben jetzt über anderthalb Jahre gearbeitet. Wir haben mit insgesamt 50 Menschen gesprochen. Und es war uns eben sehr wichtig, dass wir die verschiedenen Perspektiven und Sichtweisen aufnehmen und anerkennen. - Dass das, was da jetzt reingegeben wurde, im Grunde ja nichtig ist, weil jetzt gar nichts mehr damit passieren darf.“
Denn nach dem Urteil muss die Kommission ihre Arbeit einstellen. Unter anderem weil, so Gerichtssprecherin Nesrin Öcal: „Die Aufarbeitungskommission im konkreten Fall nicht die Absicht gehabt hat, den Kläger mit den gegen ihn ermittelten Vorwürfen zu konfrontieren“. Der Kläger, Handballtrainer André Fuhr, hätte keine Gelegenheit gehabt, konkret zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, ergänzte sie.
„Er hätte von uns eine zusammengefasste Darstellung bekommen der Vorwürfe, die gegen ihn vorliegen. Das haben wir ihm auch so mitgeteilt. Aber es wäre halt einfach aus Datenschutzgründen und Gründen der Persönlichkeitsrechten nicht möglich gewesen, ihm die Klarnamen zu geben. Das geht in einem Aufarbeitungsprozess einfach nicht.“ Diese, von Jeannine Ohlert geschilderte Verfahrensweise der Kommission, reichte dem Gericht nicht aus. Die Folge: Das Aus für die Aufarbeitungskommission.
Trainer Fuhr äußert sich nur vage zu Vorwürfen
Das Gremium aus Wissenschaftlerinnen, Betroffenen, einer Juristin und einem Trainer hatte der Deutsche Handballbund vor etwa anderthalb ins Leben gerufen. Der Anlass: Zahlreiche Handballspielerinnen hatten ihrem ehemaligen Trainer André Fuhr unter anderem im Magazin Spiegel vorgeworfen, er habe Grenzen verletzt und seine Macht missbraucht.
Zu den Anschuldigungen hat sich der Trainer bislang nur vage geäußert. In einem Interview mit der Sport-Bild erklärte er im vergangenen Jahr unter anderem, viele Vorwürfe kenne er nur aus den Medien. Zum Teil habe er daran keine oder eine andere Erinnerung. Auch auf eine aktuelle Anfrage des Deutschlandfunks vor der Urteilsverkündung hat sich André Fuhr nicht öffentlich geäußert.
Verfahren nach Trainerordnung einleiten
Auch in einem anderen Punkt ist das Gericht dem Kläger André Fuhr gefolgt: Es hat den Verband auch verurteilt, so Gerichtssprecherin Nesrin Öcal: „ein Verfahren gegen den Kläger einzuleiten, wie es nach der Trainerordnung der Verbandsstatuten des Beklagten vorgesehen ist.“ Also ein verbandsinternes Ermittlungsverfahren gegen André Fuhr.
In der Trainerordnung des DHB heißt es unter Paragraph 12: „Trainer und Übungsleiter sind im besonderen Maße verpflichtet, die Grundregeln des Fairplay und des sportlichen Verhaltens innerhalb und außerhalb der Sportstätten zu beachten. Ein Verstoß liegt insbesondere vor...“ Dann listet die Ordnung Punkte auf.
Einer verbietet etwa, dass jemand „seine Stellung als Trainer oder Übungsleiter missbraucht“.
Würde das auf die in diversen Medien bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den Trainer passen? In einem Handball-Verbandsverfahren könnten die zu befragenden Personen wohl nicht anonym bleiben. Das war aber genau einer der Gründe für den Einsatz einer externen unabhänigen Aufarbeitungskommission.
Würde in einem Verbandsverfahren ein Verstoß festgestellt, wäre eine Sanktion von Verweis über Geldstrafe bis hin zum Lizenzentzug möglich. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß Trainerordnung vier Jahre. Ein Großteil der bisher öffentlich bekannt gewordenen Vorwürfe gegen André Fuhr wären damit möglicherweise verjährt.
Unsicherheit nach Urteil
Natürlich haben Vereine und Verbände nach dem Gerichtsurteil jetzt die Aufgabe: Prüfen - Was steht in unseren Satzungen und Ordnungen? Dürfen wir im Falle eines Falles eine Aufarbeitungskommission ins Leben rufen? Sie dürfen! Denn das Urteil des Landgerichts, so Sprecherin Öcal, war eine Einzelfallentscheidung:
„Die Kammer hatte hier nicht darüber zu befinden, ob allgemein die Einrichtung von Aufarbeitungskommissionen in der Sportwelt zulässig ist oder nicht.“
Das kommt im Sport ganz anders an. Jeannine Ohlert und andere Fachleute, die sich mit Aufarbeitung im Sport befassen, sehen bei Vereinen und Verbänden: „Dass sie jetzt sehr, sehr unsicher werden, weil, selbst wenn es eine Einzelfallentscheidung war, man weiß nicht so richtig, wann passt es denn jetzt zu dem Einzelfall und wann passt es eher nicht dazu. Und von daher würde ich mir tatsächlich auch wünschen, dass da ganz schnell Klarheit geschaffen wird, juristisch auch, unter welchen Bedingungen kann Aufarbeitung weiterhin stattfinden.“
DHB kann Rechtsmittel einlegen
Der Deutsche Handballbund kann nun gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Zwei Tage nach Entscheidung bleibt es vonseiten des Verbandes beim Satz seines Pressesprechers Tim Oliver Kalle: „Der DHB wird das Urteil sorgfältig prüfen und dann im Anschluss an diese Prüfung über den weiteren Rechtsweg, also eine Berufung entscheiden.“
Dafür bleiben jetzt vier Wochen Zeit - und die Aussage von DHB-Präsident Andreas Michelmann, an der er sich messen lassen muss: „Betroffeneninteressen sowie der nachhaltige Schutz anvertrauter Personen dürfen nicht in den Hintergrund treten.“