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Aufgerüstet für Schwerin

Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern sind die Letzten ihrer Partei, die es noch nie in ihr Landesparlament geschafft haben. Bei der Landtagswahl am 4. September wollen sie mit den Themen Atomausstieg, Massentierhaltung und Gentechnik punkten.

Von Peter Marx | 21.07.2011
    Silke Gajek:
    "Das Holzboot heißt Taifun. Das Boot habe ich von älteren Herrschaften übernommen. Das Boot heißt Taifun und bestimmte Traditionen sollte man weiterführen."

    Der Jollenkreuzer schaukelt leicht, während Silke Gajek das Holzschiff vorstellt, mit dem die Spitzenkandidatin in den Wahlkampf segelt. Einmal quer über den Schweriner See und weiter durch die Kanäle runter zur Müritzer Seenplatte. Fernsehteams beobachten die 49-jährige Wahlkämpferin, wie sie Proviant verstaut und das Großsegel hochzieht, das eine große Sonnenblume ziert. Show oder Wahlkrampf, die Beobachter reagieren unterschiedlich. Silke Gajek ist es egal.

    "Nein, Krampf soll es nicht sein. Es soll Wahlkampf sein. Und das heißt immer ein Stück weit, Arbeit mit Spaß und Freizeit zu verbinden. Ich denke, das kommt häufiger zu kurz. Segeln ist mein Hobby, und von daher kombiniere ich das. Wir fahren in Bantkow ran, in Plate, in Plau treffen wir Kolleginnen, machen Infostände. Auf der Müritz ist eine Aktion mit Kindern geplant, die mir entgegensegeln. Es sind ein paar Aktionen, die vielleicht nicht der übliche Wahlkampf sind."

    Der Wind auf dem Schweriner See ist an diesem Morgen nicht mehr als ein laues Lüftchen. Schlecht für die Seglerin. Wenigstens spürt der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen starken Rückenwind. Erstmals kann es die Partei schaffen in das Landesparlament im Schweriner Schloss einzuziehen, mit acht bis zehn Prozent. Soviel wie noch nie. Damit würde die Partei auch das letzte Landesparlament in Deutschland erobert haben. Silke Gajek zerrt mit aller Kraft das Segel fest, sucht Gründe, warum die Grünen immer wieder an der fünf Prozent-Hürde scheiterten:

    "Da gab es das Jahr 1990 als das neue Forum und die Grünen getrennt gegangen sind. Daneben gab es noch vereinigte Linke mit dem Frauenverband. Also drei Richtungen, wären sie zusammengegangen, eine satte, über zehn Prozent Ansatz gehabt hätten und dann eben Politik machen können. Das ist damals nicht passiert. Daran haben wir lange gekrankt, aber mit der Vereinigung von Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 1993 wurde 1994 nochmals der Versuch gestartet, leider auch nicht so erfolgreich. Und derzeit bin ich der Auffassung, dass es eine Veränderung in der Gesellschaft gibt, die ist auch Mecklenburg-Vorpommern angegangen. Und dieses Jahr bin ich der guten Hoffnung, dass die Bürger das Kreuz an der richtigen Stelle machen."

    Natürlich macht sich in Mecklenburg-Vorpommern der bundesweite Aufwärtstrend für die Grünen bemerkbar, wenn auch nicht so stark wie in anderen Ländern. Silke Gajek:

    "Wir liegen eh immer ein bisschen darunter, und man sagt immer so, die Hälfte. Das war in dem Bereich auch so. Und wir werden sehen, wie sich nach der BDK und der Bundesdelegiertenkonferenz sich das entwickeln wird, also wie die Bevölkerung darauf reagiert. Die Bevölkerung will einen Atomausstieg, und von daher sind die Ergebnisse so, wie sie sind für Mecklenburg-Vorpommern ok."

    Die Zukunft des Atomlagers Lubmin, die Massentierhaltung, die Gentechnik: Das sind die Themen, mit denen die Grünen im Wahlkampf punkten wollen. Dies vor allem in den ländlichen Regionen, wo die Partei bislang kein Bein auf den Boden brachte. Oder ist grüne Politik in einem tiefgrünen Land, gespickt mit Naturparks und Seenlandschaften, einfach nicht vermittelbar? Silke Gajek, die inzwischen das Focksegel anschlägt, hält kurz inne, bevor sie antwortet:

    "Doch. Natürlich ist es ein Land mit grünen Themen. Wenn ich gerade an die Massenviehhaltung denke, die man jetzt hier gerade umsetzen will. Aber vielleicht ist es so, dass man denkt, wenn man in einem grünen Land lebt, dass man dann die Grünen nicht mehr braucht. Problematisch finde ich das, weil sich ja die Grünen nicht nur aus den Grünen zusammensetzen, sondern aus der Bürgerbewegung. Und dieses ist in den letzten Jahren ein Stück weit vergessen worden, vielleicht auch nicht mehr im Alltag zu finden war. Heute sind andere Situationen, wo man merkt, mit Mitbestimmung kann ich etwas verändern. Und von daher gehe ich davon aus, dass die Menschen auch eine Veränderung haben. Allgemein ist aber davon auszugehen, dass wir sowieso eine Veränderung haben des sogenannten Lifestyle. Also Grün ist ja mittlerweile eine Lebensform geworden."

    Silke Gajek springt von Bord, läuft über den schmalen Holzsteg des Schweriner Segel-Klubs und kommt mit zwei Leinen zurück, die sie aus ihrem Bootsschuppen geholt hat. Neue Besucher, neue Führungen durch Schiff mit der schmalen Kajüte.

    Die grüne Frontfrau teilt sich die Spitzenposition auf der Landesliste mit Jürgen Suhr, der aus Greifswald kommt. Sie verstehen sich gut, obwohl sie verschiedene Parteiflügel anführen. Suhr deckt den linken Flügel der Grünen ab, während Gajek aus der Bürgerbewegung der DDR kommt und mit der eigenen Partei gelegentlich hadert. Was dazu führte, dass sie bereits einmal aus der Partei austrat. Unterschiedlich auch das Auftreten der Spitzenkandidaten: der ruhige Suhr mit seinen intellektuellen Attitüden auf der einen, die temperamentvolle Soziologin auf der anderen Seite, was eigentlich gut zu Taifun, dem Namen ihres Schiffes, passt. Silke Gajek:

    "Nee, meinen Sie wegen des Wirbelwinds. Mag ein bisschen sein, aber dann würde es Wirbelwind und nicht Taifun. Nein, überhaupt nicht."

    Die Hobbyseglerin ist bereit zum Ablegen. Noch schnell die Mütze über die langen blonden Haare, dann kann es losgehen. Der Wind frischt leicht auf, aber reicht nicht aus. Der Benzin-Außenbordmotor muss helfen. "Ungrün", sagen Beobachter im Jacht-Klub, doch Silke Gajek sieht das so gelassen wie die Umfrageergebnisse. "Einfach ankommen", heißt ihr Ziel, vorausgesetzt der Motor springt an.

    Mehr dazu:

    Sammelportal Landtagswahlen 2011