Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Aufklärung der BAMF-Asyl-Affäre
"Man muss diese Behörde komplett umstrukturieren"

Bei den Vorgängen in der Bremer BAMF-Außenstelle handele es sich um eklatante Sicherheitsmängel, die das Bundesinnenministerium zu verantworten habe, sagte der SPD-Innenpolitiker Mahmut Özdemir im Dlf. Das sei ein Aufsichtsversagen, für das auch Horst Seehofer (CSU) als derzeitiger Innenminister die Verantwortung trage.

Mahmut Özdemir im Gespräch mit Dirk Müller | 29.05.2018
    Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD)
    Mahmut Özdemir (ps / Soeren Stache)
    Dirk Müller: Bremen und die politischen Konsequenzen – unser Thema jetzt mit dem SPD-Innenpolitiker Mahmut Özdemir. Er hat seinen Wahlkreis in Duisburg. Guten Tag.
    Mahmut Özdemir: Schönen guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Özdemir, reden wir über Organisierte Kriminalität?
    Özdemir: Das werden wir wahrscheinlich hinterher einschätzen. Auf jeden Fall reden wir über ein völliges Aufsichtsversagen und anderthalb Jahrzehnte CDU-Innenministerium und deren Versagen und deren Verantwortlichkeiten.
    Müller: Geht das so hoch, dass der Bundesinnenminister in Berlin wissen muss, was in Bremen passiert?
    Özdemir: Ja! Zumindest gibt es hier zwei Varianten. Entweder wurde eine schlechte Aufsicht ausgeübt über eine nachgelagerte Behörde, oder gar keine Aufsicht. In jedem Fall sind beide Optionen schlimm genug und erklärungsbedürftig und rechtfertigungsbedürftig - in der Tat!
    Müller: Jetzt können wir den Innenminister von damals, Thomas de Maizière, ja nicht mehr entlassen. Das heißt, Horst Seehofer hat jetzt den schwarzen Peter. Ist das politisch korrekt?
    Özdemir: Das ist politisch fragwürdig, in der Tat. Aber er ist der Innenminister. Es gibt Wahlen, das liegt in unserer Demokratie. Und ich glaube, dass nicht nur Horst Seehofer jetzt auf der "Anklagebank" sitzt, sondern insgesamt anderthalb Jahrzehnte CDU-Innenpolitik im Innenministerium.
    Müller: Wer soll denn jetzt dafür die Verantwortung tragen?
    "Eklatante Sicherheitsmängel, die ein Bundesinnenministerium zu verantworten hat"
    Özdemir: Auf jeden Fall Horst Seehofer als derzeit amtierender und zuständiger Innenminister. Aber wir müssen auch insgesamt klären, wer in der Regierung insgesamt wann was wusste, oder ob man einfach das BAMF hat laufen lassen. Wir sehen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Sicherheitsbehörde sein muss aus meiner Sicht, weil wir ausländische Menschen ungeprüft oder teilweise auch ohne erkennungsdienstliche Behandlung durch die Bremer Außenstelle ins Land gelassen haben, und das sind für mich eklatante Sicherheitsmängel, die ein Bundesinnenministerium mangels Aufsicht oder mangels gar keiner Aufsicht zu verantworten hat.
    Müller: Aber das läuft doch seit mehreren Jahren schon so, dass einfach keine Zeit war, regelmäßig zu überprüfen, konsequent zu überprüfen. Die SPD hat das doch alles mitgetragen.
    Özdemir: Wir haben im Innenausschuss natürlich auch entsprechende Fragen gestellt und wir haben auch die Umstrukturierung begleitet und haben auch Herrn Weise auf seinem Weg begleitet, der für mehr Transparenz und mehr Controlling sorgen wollte. Das sind Fragen, die zwei Jahre danach geklärt werden müssen, wenn klar wird, dass tatsächlich so ein Versagen oder so eine Vertuschung stattgefunden hat. Das ist schon ein starkes Stück.
    Müller: Aber, Herr Özdemir, das System der Verteilung und wie es auch nur möglich war im Rahmen der Arbeitspotenziale, die zur Verfügung standen, das hat die SPD - jetzt meine Frage - doch auch immer mit gedeckt und befürwortet.
    Özdemir: Wir sind natürlich Teil der Regierung gewesen in dieser Wahlperiode, auch in der letzten Wahlperiode, und haben auch unseren Beitrag dazu geleistet, dass ein BAMF überhaupt mit entsprechendem Personalaufwuchs ausgestattet worden ist.
    Müller: Aber immer noch nicht genug offenbar?
    "Das ist auch die Verantwortung der CDU-Innenpolitik"
    Özdemir: Ja, insgesamt. Wir reden ja das Wort schon den Sicherheitsbehörden, von der Bundespolizei bis zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass wir mehr in Sicherheit investieren müssen und dass ein Innenminister de Maizière und ein Finanzminister Schäuble, der selber auch Innenminister gewesen ist, systematisch Pensionierungen und Neueinstellungen hat schleifen lassen, dass wir in dieser Situation sind, dass wir einen Berg von nicht entschiedenen Anträgen vor uns herschieben, das ist auch CDU-Politik und das ist auch die Verantwortung der CDU-Innenpolitik und Haushaltspolitik.
    Müller: Das ist aber auch vielen neu, Herr Özdemir, dass die SPD mehr für Polizisten und mehr für Sicherheitskräfte in den Bundesländern beispielsweise getan hat.
    Özdemir: Nein, das ist völliger Quatsch. Wir haben in Nordrhein-Westfalen alleine in der rot-grünen Regierungszeit die Versäumnisse von Schwarz-Gelb damals mit über 1.200 Stellen versucht aufzufangen. Das ist eine simple Rechnung, dass man sich angucken muss, wie viele Pensionierungen stehen in den nächsten drei Jahren an und wie viele Polizisten muss man ausbilden. Dem haben wir schon in Haushaltsplänen Rechnung getragen und erst 2013 haben wir als SPD in mehreren Tranchen die Bundespolizei, den Zoll und auch das BKA personell aufgeforstet und werden diesen Weg mit dem Pakt für den Rechtsstaat mit allein 7.500 Stellen für den Bund auch konsequent weitergehen.
    Müller: Aber Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat ja immer argumentiert, dass das Ganze angefangen hat mit Rot-Grün und sie diesen Prozess nur verlangsamt haben.
    Özdemir: Ich glaube, die innere Sicherheit taugt nicht für Schuldzuweisungen an der Stelle.
    Müller: Aber wir reden ja über innere Sicherheit.
    "Man muss diese Behörde komplett umstrukturieren"
    Özdemir: Ja, innere Sicherheit an der Stelle.
    Müller: Das BAMF ist ja auch innere Sicherheit.
    Özdemir: Aus meiner Sicht muss man auch diese Behörde komplett umstrukturieren. Aber man kann jetzt nicht so tun, als wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles schuld gewesen sind, wenn man keine Aufsicht oder eine schlechte Aufsicht ausgeübt hat, und das ist die Frage, die wir heute zu klären haben. Man kann ja nicht sagen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach gemacht und getan und geschaltet und gewaltet haben, weil Herr Weise angeblich gesagt haben soll, Schnelligkeit vor Gründlichkeit und sie müssen jetzt ihre Berge abtragen. Das ist ein Aufsichtsversagen, was wir hier heute zu klären haben, und wir müssen immer wieder auf den Punkt zurückkommen zu sagen, das BMI ist die oberste Behörde, die die Aufsicht über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt. Und wenn es sie schlecht geführt hat, dann ist das genauso schlimm, wie wenn es sie gar nicht geführt hat.
    Müller: Die Strukturen, Herr Özdemir, sind ja, glaube ich, auch unstrittig. Ich frage Sie aber jetzt noch einmal, gerade in der Aufarbeitung dessen und auch in der politischen Verstrickung, sagen wir mal, aller Beteiligten. Wir wollen auch diese Entscheidungsstrukturen jetzt hier im Deutschlandfunk in der Kürze der Zeit nicht weiter ziselieren und auseinanderdividieren. Aber in dieser Auseinandersetzung jetzt, wenn es darum geht, dass eine Aufsichtsbehörde, wo auch immer angesiedelt, ob das in Berlin war oder zwischengeschaltet war, nicht funktioniert hat, ist das dann nicht mehr als nur ein parteipolitisches Problem und ein Seehofer-Problem?
    Özdemir: Ja, absolut! Es ist an dieser Stelle ein Versagen des Bundesinnenministeriums im Ganzen, und das muss man heute aufklären.
    Müller: Und da sind nur Unions-Politiker?
    "Die Regierung hat uns heute anscheinend nicht alles berichtet"
    Özdemir: Ich habe es mir ja nicht ausgesucht, dass die Union seit anderthalb Jahrzehnten immer das Innenministerium als Ressort im Rahmen der Koalitionsverhandlungen gegriffen und ergriffen hat. Da kann ich ja nichts für. Ich hätte natürlich gerne als Sozialdemokrat oder mit Sozialdemokraten dort Verantwortung getragen und diese Behörde samt Strukturen und samt Aufsichtsmechanismen natürlich gerne begleitet. So sind wir als Koalitionspartner im Innenausschuss auf die parlamentarische Kontrolle zurückversetzt worden und mussten natürlich auch über den Innenausschuss stetig nachfragen. Aber Sie wissen genauso, dass die Regierung uns heute anscheinend nicht alles damals im Innenausschuss berichtet hat, dass wir einerseits gezielte Nachfragen stellen konnten, und andererseits hat es kolossives Verhalten gegeben, was dem Innenministerium nicht bekannt war.
    Müller: Herr Özdemir, wenn ich Sie hier noch einmal unterbrechen darf? Das würde bedeuten, dass das Parteibuch darüber entscheidet, wie und was gesagt wird und wie informiert wird.
    Özdemir: Die Frage müssen Sie noch mal präziser formulieren.
    Müller: Sie haben das ja gerade gesagt. Damals wurden diese Informationen im Grunde nicht transparent gebracht von allen möglichen Stellen, die Sie im Innenausschuss gefragt haben. Und es waren alles Stellen, die mit der CDU und mit der CSU verbandelt waren. Parteipolitik ist entscheidend dafür, wie transparent das Informationsverfahren in Deutschland ist?
    Özdemir: Ich weiß jetzt nicht, wie gut die Informationspolitik in Richtung Unions-Fraktion von den Verantwortungsträgern aus den Ministerien war. Aber auf jeden Fall ist das ein gravierender Punkt, der sehr erklärungsbedürftig ist, wenn tatsächlich Informationen zurückgehalten worden sind – ja!
    Müller: Seehofer, Seehofer, Seehofer – das ist das, was wir aus den Reihen der SPD in diesen Tagen immer wieder hören. Wie viel Wahlkampf in Bayern ist jetzt mit dabei?
    "Horst Seehofer trägt dafür eine Verantwortung"
    Özdemir: Ich weiß es nicht und der Wahlkampf in Bayern ist mir, ehrlich gesagt, auch herzlich egal. Horst Seehofer ist als Bundesinnenminister jetzt für die Aufklärung zuständig und wenn er das versucht, mit einem Handy-Wechsel über die Regierungswahlperiode zu erklären, dann ist das, gelinde gesagt, ein Stück aus dem Tollhaus. Das kann man bei Privaten, wenn die ihren DSL-Anschluss oder ihren Handy-Vertrag wechseln, erwarten, aber nicht bei einer Regierung, deren Informationsflüsse nicht stimmen, weil ein Minister ein neues Handy kriegt.
    Müller: Wenn er das nicht schafft, aus Ihrer Sicht vernünftig, befriedigend aufzuklären, fordert die SPD im Kabinett die Ablösung?
    Özdemir: Ja, absolut! Wenn Horst Seehofer das nicht glaubwürdig schafft darzulegen, was im BAMF passiert ist, dann trägt er dafür in der langen Reihe von CDU-Innenministern eine Verantwortung und muss das auch mit einer personellen Verantwortung vergüten, wenn er es nicht schafft.
    Müller: Der SPD-Innenpolitiker Mahmut Özdemir bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Wir haben das Interview kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.