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Aufmerksamkeit durch Provokation
Warum Dortmunds brauner Sumpf nicht austrocknet

Es gibt nicht viele Neonazis in Dortmund - aber die wenigen sind sehr laut. Wöchentlich rufen sie zu Demonstrationen gegen Asylbewerber und Flüchtlingsheime auf. Die Rechtsextremisten treten mittlerweile als Partei auf. Sie nennen sich "Die Rechte" und verstehen es, mit gezielten Provokationen immer wieder auf sich aufmerksam zu machen.

Von Wolfram Götz | 19.08.2015
    Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration ziehen am 28.03.2015 durch Dortmund (Nordrhein-Westfalen).
    Vor drei Jahren wurde die Gruppierung "Nationaler Widerstand Dortmund" verboten - kurz danach organisierten sich die Dortmunder Neonazis neu, als Landes- und Kreisverband der Partei "Die Rechte ". (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Es ist ein Donnerstagabend im Mai, in Dortmund-Mengede. Hier, am Rande der Stadt, wird es schon ziemlich ländlich. Der Ortskern ist allerdings weniger idyllisch als vielmehr trist, der Marktplatz: ein Parkplatz. Hier demonstrieren heute die Dortmunder Neonazis gegen geplante Flüchtlingsheime. Wie schon seit einem halben Jahr mindestens einmal in der Woche irgendwo in der Stadt.
    Und wie fast immer haben sich auch Gegendemonstranten eingefunden. Um die 80 sind es, zur Hälfte Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum, etwas älter, mit Regenjacken und Alltagskleidung. Die andere Hälfte sind junge Linke und Autonome, viele mit schwarzen Kapuzen und Sonnenbrillen. Daneben ein Mann im seriösen dunklen Anzug: Armin Jahl. Der Landtagsabgeordnete der Dortmunder SPD hat die Gegendemonstration angemeldet. Armin Jahl hat sein Wahlkreisbüro direkt hier am Markt:
    "Es ist leider nicht das erste Mal, weil die Neonazis, die Partei 'Die Rechte' in Dortmund, immer wieder hier den Mengeder Markt sich aussucht, um angeblich für die Mengeder Bürger und gegen Asylanten zu demonstrieren. Wir lassen das natürlich nicht so stehen und mobilisieren dann und machen auch deutlich, dass Mengeder es nicht so sehen wie die Leute aus der rechten Partei, die ja teilweise nicht aus Mengede kommen, sondern zum großen Teil aus der Umgebung."
    Mit Humor gegen den braunen Sumpf
    Die Antifa versucht es mit Satire. Sie hat einen Klopömpel mitgebracht, so nennt man Siphonreiniger hier im Ruhrgebiet.
    "Irgendjemand hat den Pömpel als Zeichen des Dortmunder Antifaschismus eingeführt. Es gibt die Seite 'Pömpel gegen Rechts' bei Facebook, das kann man nur unterstützen."
    Die Facebook-Seite heißt "Kann dieser Klopömpel mehr Likes bekommen als 'Die Rechte' Dortmund". Sie richtet sich mit Humor gegen den braunen Sumpf in der Stadt. Die Dortmunder Neonazis treten mittlerweile als Partei auf, und sie nennen sich eben "Die Rechte". Auf dem Mengeder Marktplatz treffen sie jetzt auch nach und nach ein. Knapp 40 Rechtsextremisten sind es, die meisten jung und unauffällig angezogen, mit dunklen Jacken, Jeans und Turnschuhen. Auch Frauen sind dabei. Die Neonazis werden schon beim Vorlesen der Demonstrationsauflagen niedergeschrien.
    An der Straße neben dem Marktplatz stehen ein paar Anwohner und verfolgen das Geschehen. Dazugehören wollen sie aber nicht:
    "Das finde ich ein bisschen traurig, irgendwo schade, ne, aber ich kann die Mengeder auch verstehen, die Sorgen, weil es passiert ja eben halt neuerdings immer mehr, ne."
    "Das war jetzt eigentlich ein Zufall, dass wir hier jetzt gerade was essen gehen wollten. Geht es immer noch um die, um die Asylbewerberheime? (Reporter: "Ja") Ok, also ich bin der Meinung, dass wir zum einen die Akzeptanz für hilfsbedürftige Leute einfach haben müssen, dass wir die hier willkommen heißen, das ist unsere Pflicht. Aber natürlich kann ich auch, ja, die Sorgen verstehen, die die Leute haben, aber das ist wahrscheinlich durch Unwissenheit begründet."
    Für Sorgen der Bürger zeigt auch Gegendemonstrantin Gudrun Feldmann Verständnis, die für die SPD in der örtlichen Bezirksvertretung sitzt:
    "Dass das allen nicht gefällt, ist legitim, es darf auch jeder seine Meinung haben. Nur, dass solche Leute hier bestimmen wollen, und hier Politik und Stimmung machen wollen, das lassen wir als demokratische Partei und auch als Netzwerk hier mit Sicherheit nicht zu."
    Die neue Generation Neonazis agitiert politisch
    Die Polizei achtet aber streng darauf, dass sich beide Gruppen auch nicht zu nahe kommen. Dann tritt auf der Seite der Neonazis Michael Brück ans Mikrofon, einer ihrer führenden Köpfe:
    Ein Teilnehmer einer Demonstration zeigt am Samstag (05.09.2009) in Dortmund ein Transparent mit der Aufschrift "national ist asozial".
    In Dortmund stehen sich Gegendemonstranten und Neonazis bei den Demonstrationen meist genau gegenüber. (dpa / picture alliance / Bernd Thissen)
    "Wir machen deutlich, dass es in diesem Stadtbezirk Menschen gibt, die nicht gewillt sind, sich damit abzufinden, wenn Asylheim für Asylheim in dieser Stadt errichtet wird. Und deswegen rufen wir auch immer wieder, 'Abschieben, abschieben, abschieben'."
    Der 25-jährige Michael Brück sitzt auch im Dortmunder Stadtrat. Und er studiert - Rechtswissenschaften. Brück gehört zu einer neuen Generation Neonazis, den sogenannten "Autonomen Nationalisten". Auftreten und Arbeitsweise haben sie von der linksautonomen Antifa kopiert. Diese Neonazis agitieren politisch, und: Sie sind keine Dummköpfe, wie ihnen auch SPD-Mann Armin Jahl zugesteht:
    "Ich sach immer, Intelligenz und Charakter sind manchmal leider zwei verschiedene Dinge. Und die lügen einem frechweg ins Gesicht und sagen: Wir machen Propaganda. Wenn die Zahlen, die wir nennen, auf unserer Internetseite oder die wir veröffentlichen an anderer Stelle, nicht stimmen, dann ist das für uns Propaganda, das gehört für die sozusagen zum Geschäft. Und mit Menschen, die lügen, kann man denk ich auch nicht diskutieren."
    Der "Nationaler Widerstand Dortmund" wurde vor drei Jahren verboten
    Nach gut einer Stunde ist der Spuk auf dem Marktplatz in Mengede vorbei. Besonders viele Neonazis gibt es in Dortmund nicht: Nur 20 bis 30 machen den harten Kern aus, knapp 100 gehören zum Umfeld. Aber sie sind besonders aktiv und gut vernetzt. Bundesvorsitzender der Neonazi-Partei "Die Rechte" ist ein altbekannter Rechtsextremist aus Norddeutschland. Christian Worch hat schon lange enge Kontakte zu den Dortmunder Neonazis. Und er organisiert hier schon seit 15 Jahren Demonstrationen, mit Teilnehmern aus ganz Deutschland. "Die Rechte" sollte ursprünglich als Auffangbecken im Fall eines NPD-Verbotes dienen und Mitglieder aus der ehemaligen DVU gewinnen. Im offiziellen Blog der Partei im Internet heißt es:
    Der größte Aktivposten der Partei DIE RECHTE ist ihr Name. (...) Zum einen ist dieser Name selbsterklärend. (...) Zum anderen ist die Assoziation zu DIE LINKE bewusst und gewollt.
    Die "Rechte", eine Partei wie die "Linke"? Der Parteiblog erklärt, warum:
    Die mauermörderische SED hat es geschafft, sich durch zweimaligen Namenswechsel aus der Schusslinie der Belastung durch ihre Vergangenheit zu nehmen. Sie ist daher in ihrem politischen Segment nicht nur marktführerisch, sondern geradezu marktbeherrschend. (...) Wenn es eine Linke gibt, sollte es folgerichtig auch eine Rechte geben.
    Seit Pfingsten gibt es auch in Bayern einen Landesverband der Partei, geführt von altbekannten Neonazi-Kadern. Der Schwerpunkt der "Rechten" liegt aber in Dortmund, personell und organisatorisch. Denn hier hatte der nordrhein-westfälische Innenminister vor drei Jahren die Gruppierung "Nationaler Widerstand Dortmund" verboten, nach dem Vereinsrecht. Doch schon kurz danach organisierten sich die Dortmunder Neonazis neu, als Landes- und Kreisverband der Partei "Die Rechte ". Seitdem heiße die Strategie der Rechtsextremisten "Provokation", sagt der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange:
    "Man tariert tatsächlich aus, die Provokation so weit zu steigern, dass man so gerade noch unterhalb der Strafbarkeit liegt, um polizeilich keine Angriffsflächen zu bieten. Wir stellen uns allerdings so auf, dass wir sagen, wir achten sehr genau darauf, dass genau diese Grenzen auch eingehalten werden. Und sobald eine Überschreitung erfolgt, wollen wir da auf dem Plan sein."
    "Das ist nun mal so: Der Extremismus ist nicht verboten"
    Die Neonazis stehen also unter ständiger Beobachtung. Polizeichef Lange bereiten die andauernden Demonstrationen dennoch Bauchschmerzen:
    "Aber eine Sorge habe ich schon, dass sich extremistische Lager von rechts und von links gegenseitig in einer Spirale nach oben schrauben. Und dass deshalb Gewalttaten auf beiden Seiten die Folge sein könnten. Hier möchte ich wirklich alle dringend aufrufen, dass ein Protest auch gegen Rechts nur dann wirklich erfolgreich sein kann, wenn er friedlich ausgetragen wird und wenn genau das Gegenmodell erkennbar wird, dass nämlich Demokraten auf der Straße sichtbar Präsenz zeigen, ohne Gesetze zu überschreiten."
    Die Auseinandersetzung mit den Neonazis ist auch in Dortmund schwierig, gerade im öffentlichen Raum. Das gilt für Demonstrationen, aber auch für Diskussionen. Mitte Juni plant der Westdeutsche Rundfunk eine einstündige Livesendung im Radio, gesendet aus dem Dortmunder Rathaus. Drei prominente Teilnehmer auf dem Podium in der Bürgerhalle, das Publikum kann mitdiskutieren. Auch Neonazis sollen zugelassen werden. Dann steht die Sendung plötzlich auf der Kippe. Es gibt Sicherheitsbedenken, aber auch unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Rechtsextremisten tatsächlich bei einer Diskussion über sie dabei sein dürfen. Am Ende beschließt der WDR, die Sendung in das Dortmunder Studio zu verlegen. Scharfe Kritik von Bürgern und Politikern ist die Folge.
    Neonazis als "politische Punkrocker"?
    Abends im WDR-Studio ist die Stimmung angespannt. Hörer sollen jetzt per Telefon mitdiskutieren oder sich per E-Mail einmischen. Aber der direkte Kontakt mit einem Saalpublikum fehlt. Nach und nach treffen die Diskussionsteilnehmer im WDR-Haus ein: Der Dortmunder Oberbürgermeister, ein Rechtsextremismus-Forscher und der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzschutzes setzen sich mit der Moderatorin in das Sendestudio. In der Sendung bringt Verfassungsschützer Burkhard Freier das Problem dann aus Sicht der Behörden auf den Punkt:
    "Wir haben rechtliche Grenzen. Und eine der Grenzen ist zum Beispiel, die man schwer verdauen muss, aber das ist nun mal so: Der Extremismus ist nicht verboten. Das bedeutet, Aktionen von Rechtsextremisten, auch wenn sie noch so widerlich sind in der Auffassung einer demokratischen Gesellschaft, sind nicht verboten, und damit muss die Polizei sie gewähren und noch weiter: Sie muss sie sogar schützen unter Umständen. Das ist in der Öffentlichkeit schwer verständlich zu machen, aber das ist der Auftrag des Staates, die Grundrechte muss er gewähren, aber er muss sie auch schützen."
    Der Politikwissenschaftler Dierk Borstel hat eine etwas andere Sicht auf die Neonazis:
    "Es ist auch ein Stück weit eine Protestbewegung gegen eine sozialdemokratische Prägung, das ist eine andere Generation und da sind auch wir bei etwas sehr Spezifischem in Dortmund: Wir haben relativ wenig andere Protestbewegungen im Jugendbereich. Es sind, eine Kollegin nennt das immer sehr schön, politische Punkrocker."
    Neonazis als "politische Punkrocker"? Das sorgt für Stirnrunzeln bei den anderen in der Runde. Keine Überraschung: Borstel ist als Rechtsextremismus-Experte in Dortmund umstritten. Er plädiert für einen anderen Umgang mit den Neonazis, denn er will sie nicht pauschal ausgrenzen. Dann wird der erste Anrufer zugeschaltet. Er meint, in Dortmund sei jahrelang zu wenig gegen die Neonazis getan worden:
    "Es ist ihnen angenehm gemacht worden. Die durften in ihrem Stadtteil, den sie auch als ihren Stadtteil bezeichnen, Leute vertreiben, ohne dass das irgendeine Konsequenz hatte für sie. Und wenn das keine Konsequenz hat, dann werden die das weitermachen."
    Neonazis versuchen, Journalisten einzuschüchtern
    Oberbürgermeister Ullrich Sierau legt Wert darauf, dass die Stadt daraus gelernt hat und inzwischen ganz anders hinschaut:
    "Wir haben beispielsweise den Nazis auch vermiest, ein Projekt, wo sie ein Gebäude kaufen wollten, das haben wir ihnen sozusagen vor der Nase weggenommen. Und wir haben dort ein Jugendzentrum errichtet, und sie konnten dort ihre Tiraden CUT und ihr Schulungszentrum nicht einrichten."
    Ein anderer Dortmunder Bürger meldet sich. Er meint, man müsse sich inhaltlich mit den Neonazis auseinandersetzen:
    "Arbeitslosigkeit, Flüchtlingssituation – diese Themen greifen sie alle auf, kombinieren sie mit ihrer rechtsradikalen Ideologie und wirken dadurch natürlich attraktiv für Menschen, die das genauso sehen und keinen Anhaltspunkt bei anderen Parteien finden."
    Verfassungsschutz-Präsident Burkhard Freier hält das für gefährlich:
    "Jedes politische Thema, was sie aufgreifen, wird immer mit einem Schuldigen verbunden, dass man sagt: Warum haben wir diese soziale Not, das liegt an Flüchtlingen. Warum haben wir so wenig Wohnungen, das liegt an Flüchtlingen. Das heißt, Sie haben insofern recht, als Rechtsextremisten versuchen, Themen aufzugreifen, die die Gesellschaft interessieren. Aber sie hinterlegen sie nicht mit Inhalten, sondern mit einer rechtsextremen Ideologie – dass das für Jugendliche gefährlich ist oder auch für Menschen gefährlich ist, die sich sagen: Schwierige Fragen beantworte ich einfach damit, ich habe einen Sündenbock. Aber Vorsicht mit dem Thema, sie haben irgendwie inhaltliche Argumente, sie haben keine Argumente, sie haben nur das Thema."
    Am Ende der Sendung sind sich dann doch alle in Einem einig: Es gelte, nicht nachzulassen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Doch die bleibt auch für Journalisten schwierig. Unter anderem deswegen, weil die Neonazis versuchen, sie einzuschüchtern. Zum Beispiel den Internet-Blogger Felix Huesmann. Er ist einer von fünf Dortmunder Journalisten, für die im Internet fingierte Todesanzeigen auftauchten, garniert mit höhnischen Beileidsbekundungen. Auch bei der Arbeit auf der Straße gebe es zumindest versteckte Drohungen, erzählt der Blogger:
    "Ich war als Journalist bei einer Kundgebung der Partei 'Die Rechte' in der Dortmunder Nordstadt unterwegs, Ende Dezember, als da ein Teilnehmer auf mich zukam, meinte, ey, Felix, Deine Straße ist braun, hab ich gehört, ganz klares Ding von, hey, wir wissen wo Du wohnst und wir ham Dich auf dem Schirm, was mich dann nicht besonders geschockt hat, weil, ja, auch Nazis können Google benutzen und das Impressum auf meiner Webseite finden, aber es ist natürlich ein Weg, um Journalisten zu zeigen: Ey, wir ham Dich auf dem Schirm."
    Alltag im Rathaus: Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten
    Ein Mann und eine Frau zeigen am 25.05.2014 vor dem Rathaus in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ein Schild mit der Aufschrift "Dortmund hat keinen Platz für Rechtsextremismus". Eine Gruppe von Männern aus dem rechten Umfeld hatten versucht, das Rathaus am Wahlabend zu stürmen, wurde daran aber von Bürgern gehindert.
    Dortmunder Bürger stellen sich am Abend der Kommunalwahl 2014 einer Gruppe von Rechtsradikalen entgegen, die versucht, das Rathaus zu stürmen. (dpa/ picture alliance / Bernd Thissen)
    Zum Ort der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist auch das Dortmunder Rathaus geworden. Spätestens am 25. Mai des vergangenen Jahres. Am Abend der Kommunalwahl versucht eine Gruppe von knapp 30 Rechtsextremisten, zur öffentlichen Wahlparty ins Rathaus zu gelangen, zu der nicht nur Politiker, sondern auch alle Bürger eingeladen sind. Neonazi-Skinheads und Autonome Nationalisten begleiten den gerade frisch in den Stadtrat gewählten Vertreter der Partei "Die Rechte".
    Zahlreiche Kommunalpolitiker und Bürger stellen sich in einer Menschenkette vor die Rathaustür und blockieren sie so. Es kommt zu Rangeleien, Pfeffersprayeinsatz und Schlägen. Die Polizei muss eingreifen und die Situation auflösen. Anschließend hagelt es Strafbefehle. Gegen die Neonazis, wegen Körperverletzung, die meisten allerdings gegen die Rathaus-Blockierer, wegen Nötigung.
    Inzwischen ist die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten Alltag im Rathaus geworden, bei den Sitzungen des Stadtrates. Neben einem Vertreter der Neonazi-Partei "Die Rechte" belegt hier ein NPD-Mann einen weiteren Sitz. Politisch bewegen können die Rechtsextremisten mit nur zwei von 94 Stimmen zwar so gut wie nichts. Krach schlagen können sie allerdings schon.
    Es fing schon damit an, dass die Partei "Die Rechte" zur Kommunalwahl einen seit Jahrzehnten in Dortmund stadtbekannten Neonazi und Fußball-Hooligan aufgestellt hatte: Siegfried Borchardt, Anfang 60, Spitzname "SS Siggi". Der gab sein Mandat allerdings bald wieder ab, zugunsten von Dennis Giemsch, intellektueller Kopf der Dortmunder Neonazis. Dieser provozierte den Stadtrat mit einer Fülle von Anfragen, unter anderem auch nach der Anzahl der in Dortmund lebenden Juden. Drei Zeilen Text, die bundesweit für Empörung und ein riesiges Medienecho sorgten. Die Neonazis rieben sich die Hände.
    Sarkasmus gegen Rechtsextremisten im Stadtrat
    Mittlerweile hat Michael Brück den Sitz im Stadtrat eingenommen, der Mann, der bei der Demonstration gegen Asylbewerber in Dortmund-Mengede das Wort ergriffen hatte. Mit Brück wechselte auch die Strategie im Stadtrat, die heißt jetzt: Reden, reden, reden. Kein Wunder, dass der Neonazi etwas gegen die Begrenzung der Redezeit im Stadtrat hat, von drei Minuten pro Kopf. Bei der Sitzung im Juni gibt es deswegen gleich zu Beginn eine Debatte zur Geschäftsordnung, zwischen Oberbürgermeister Ullrich Sierau und dem Rechtsextremisten Brück:
    "Das ist ja ein wichtiges Anliegen von uns, dass wir in dieser Stadt ein bisschen toleranter werden, toleranter im Umgang mit kleinen Parteien, toleranter im Umgang mit politischen Minderheiten, die auf dem Weg sind, Mehrheiten zu werden. Und da wär es ja schön, wenn wir heute mal die Drei-Minuten-Regel kippen, dass wir einfach mal testen, wie's läuft, und eine Sitzung haben, wo jeder soviel sagen kann, wie er möchte."
    "Also ich kenn Leute, die finden drei Minuten für Sie schon viel zu viel. Es gibt aber auch Leute, die der Auffassung sind, dass Sie mal zu einer Rhetorikschulung gehen sollten. Und dann gibt es auch noch Menschen, die der Auffassung sind, wenn Sie in der Mehrheit wären, dann hätte die Opposition überhaupt kein Rederecht mehr."
    Anschließend steht das Thema Flüchtlinge auf der Tagesordnung des Dortmunder Rates. Seit nunmehr zwei Wochen demonstriert eine Gruppe syrischer Asylbewerber in der Stadt mit einem Protest-Camp. Sie fordern, das zuständige Bundesamt möge ihre Anträge nicht mehr so schleppend bearbeiten wie bisher. Natürlich meldet sich gerade bei diesem Thema der Rechten-Vertreter und Jura-Student Michael Brück wieder zu Wort:
    "Ja, wo wir gerade bei Artikel 16 Ihres, Eures, wem auch immer sein Grundgesetz waren: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Aber was sind diese Leute, die aus Syrien kommen, politisch verfolgt? Ganz bestimmt nicht. Da wurde beispielsweise ein Camp-Bewohner interviewt über seine Motive, nach Deutschland zu kommen. Und er gab an, weil er in Syrien zum Wehrdienst eingezogen werden sollte, hat er sich auf die Flucht gemacht nach Europa. Also, ich sollte mit 18 Jahren auch, da gab's noch ne Wehrpflicht, zu ner imperialistischen Armee eingezogen werden, die auch Kriegsverbrechen begeht. Und ich hab mich der Sache gestellt, beziehungsweise ausmustern lassen."
    Dafür hat der Dortmunder Oberbürgermeister dann nur noch Sarkasmus übrig:
    "Ich empfehle Ihnen, damit das mal sozusagen Ihren offensichtlich sehr überschaubaren Horizont erweitert, mal nach Aleppo in Syrien zu reisen, um sich mal ein Bild von den sicheren Lebensverhältnissen dort zu machen. Und auf die Art und Weise mal einen Lehrgang zu bekommen, im Hinblick auf die Frage, weshalb die Menschen dort abgehauen sind, fliehen mussten vor Bürgerkrieg, vor Verfolgung, und entgegen dem, was Sie hier als verharmlosende Argumente gebracht haben, aus purer Not geflohen sind."
    NRW-Innenminister sammelt Material für Verbot der "Rechten"
    Inhaltlich ist die Ratsmehrheit ganz auf der Seite des Oberbürgermeisters. Aber der Schlagabtausch mit dem Neonazi sorgt dann doch für manch krause Stirn. Saziye Altundal-Köse von den "Grünen" wünscht sich mehr Zurückhaltung:
    "Das müsste unsere Zielsetzung sein, so eine politische Meinung hier nicht zu dulden. Das können wir, indem wir nicht immer wieder darauf reagieren, wie auch immer. Ich bitte darum."
    Doch das ist Wasser auf die Mühlen des Neonazis:
    "Wir werden so lange provozieren, die Themen ansprechen, die angesprochen werden müssen, bis Sie wieder reagieren. Weil Sie sich so auf uns eingeschossen haben, Sie können uns gar nicht mehr komplett ignorieren. Sie werden über uns berichten, Sie werden zwangsläufig über uns reden müssen, und geben uns damit die Öffentlichkeit, die wir wollen."
    Nach der Sitzung herrscht bei den demokratischen Parteien eine gewisse Ratlosigkeit: Soll man den Neonazi künftig ignorieren, so wie man es bisher mit der NPD getan hat? Thorsten Hoffmann von der CDU plädiert dafür. Er muss im Stadtrat neben dem "Rechten"-Vertreter sitzen. Hoffmann ist nicht nur Ratsherr, sondern auch Bundestagsabgeordneter der Christdemokraten. Er wäre dafür, die Neonazi-Partei "Die Rechte" gleich ganz zu verbieten, so wie vor drei Jahren den "Nationalen Widerstand Dortmund". Eine Partei kann zwar nur das Bundesverfassungsgericht verbieten – der Dortmunder CDU-Mann bezweifelt aber, dass "Die Rechte" tatsächlich eine Partei ist:
    "Sondern eine Vereinigung, eine Nachfolgeorganisation des 'Nationalen Widerstandes' in Dortmund. Und wenn das der Fall wär, dann sind natürlich die Hürden für ein Verbot nicht ganz so groß und das könnte dann der Innenminister machen."
    Für ein solches Verbot sammelt der nordrhein-westfälische Innenminister schon seit langem Material. Bis dahin demonstrieren die Dortmunder Neonazis aber erst einmal weiter.
    Interesse der Bevölkerung ist praktisch nicht vorhanden
    So auch Ende Juni wieder, in Dortmund-Mengede. Bei einer weiteren Kundgebung gegen Asylbewerber, gegen Flüchtlingsheime. Diesmal knallt die Sonne vom Himmel, es ist heiß. Gegendemonstranten sind heute nicht in Sicht. Das Interesse der Bevölkerung: praktisch nicht vorhanden. Trotzdem heißt es anschließend auf der Internetseite der Rechtsextremisten "Die Proteste im Bezirk Mengede werden weitergeführt". Es gibt zwar nicht viele Neonazis in Dortmund. Aber die wenigen sind sehr laut. Und sie verstehen es, mit gezielten Provokationen immer wieder auf sich aufmerksam zu machen – in ganz Deutschland.