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Aufs Haupt geschaut

Mehrere Brüsseler Schulen haben ihren Schülerinnen untersagt, im Unterricht Kopftuch zu tragen. Dabei sind in der Hauptstadt Belgiens etwa 40 Prozent der Einwohner Muslime. Insgesamt sind die Regelungen der Schulen uneinheitlich - allein im Stadtgebiet Brüssel sind 19 selbstständige Kommunen zuständig.

Von Thielko Grieß | 05.06.2012
    Für heute ist der Unterricht vorbei, Hanane tritt aus der großen Tür ihrer Schule. Die 21-Jährige geht in die Abschlussklasse des Institut des Filles de Marie, einer katholischen Schule im Stadtteil Saint Gilles im Herzen Brüssels. Hanane ist Muslima und trägt ein Kopftuch.

    "In der Schule ist es nicht verboten, auch im Innern ein Kopftuch zu tragen, gar kein Problem."

    Hanane ist in Libyen geboren, dann in Marokko aufgewachsen, und später ist ihre Familie nach Belgien ausgewandert. Sie lebt nun in Brüssel und arbeitet auf einen berufsvorbereitenden Abschluss hin. Für sie ist das Kopftuch Symbol ihrer Religion. An ihrer katholischen Schule ist das erlaubt, denn nach der Hausordnung ist das Tuch ein bloßer Teil von Hananes Kleidung. Andere Symbole aber, auch solche mit religiöser Bedeutung, sind im Schulgebäude des Institut des Filles durchaus verboten, erzählt die Schülerin:

    "Wir müssen einfach die Regeln befolgen. Zum Beispiel sind Piercings verboten. Und religiöse Zeichen, seien sie nun muslimisch, christlich oder jüdisch, dürfen wir nicht zeigen. Wir müssen sie verstecken."

    Die Schulleitung will sich nicht vorm Mikrofon äußern – zu heikel ist ihr die Diskussion. Ähnlich ist die Situation im Norden Brüssels, im Viertel Schaerbeek. Dort überlegt eine staatliche Schule, die Erlaubnis, ein Kopftuch zu tragen, zu kippen. Warum, sagt die Schulleitung nicht und verweist stattdessen auf die politisch Verantwortlichen – und die sitzen in den Kommunalräten, die in Brüssel für einzelne Stadtteile verantwortlich sind und deutlich mehr autonom regeln dürfen als in Deutschland. Dazu gehört auch die Kopftuchfrage an Schulen. Beispiel Ixelles, ein weiterer Brüsseler Stadtteil, in dem viele Migranten leben. Die Bildungsdezernentin Marinette de Cloedt vertritt eine klare Linie: Kopftuchverbote sind für einen weltanschaulich neutralen Staat wie Belgien unabdingbar.

    "Um neutral zu sein, ist die einzige Lösung, dass überhaupt kein religiöses Symbol sichtbar sein darf, kein Tuch den Kopf oder das Gesicht verdecken darf."

    Das Kopftuchverbot in Ixelles ist seit acht Jahren gültig – in allen Schulen des Stadtteils. Selbst Sikhs, Angehörige einer indischen Religion, die sich die Haare Zeit ihres Lebens nicht schneiden lassen dürfen, müssen in Ixelles Kompromisse machen – weshalb ihr Turban nur klein ausfallen darf. Wenn sich Schüler widersetzen, versucht die Schulpolitikerin de Cloedt es zunächst mit Erklärungen.

    "Ich bitte die Schüler mit den Eltern zu mir. Und wenn sie darauf bestehen, das religiöse Symbol zu tragen, dann können sie die Schule wechseln, kein Problem."

    Allerdings gibt es immer weniger Sekundarschulen, die solche Schüler aufnehmen. In Brüssel sind es nur noch vier. Deshalb melden viele Eltern, die auf dem Kopftuch bestehen, ihre Kinder dort an. Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren aber eine einheitliche Linie durchgesetzt – was sonst im zersplitterten belgischen Föderalismus selten vorkommt: Religiöse Symbole werden aus Schulen verbannt. Die vier Schulen mit Kopftucherlaubnis nutzen Interpretationsfreiräume, weil die entsprechenden Verordnungen nicht eindeutig formuliert sind. Mehmet Saygin hält diese Einschränkung der Religionsfreiheit für einen klaren Verstoß gegen die Grundrechte. Er ist Jurist und Aktivist in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel neutralité.be. Er engagiert sich dafür, Schülerinnen die Wahl zu lassen, was sie tragen wollen.

    "Man muss klar trennen zwischen den Debatten über Geschmack und über Recht. Die Rolle eines Demokraten muss aber doch sein: Das Recht derjenigen zu verteidigen, die ein Kopftuch zu tragen wünschen."

    Das, argumentiert Saygin, sei richtig verstandener Laizismus. Allerdings, räumt der Belgier ein, dürfe ein Kopftuch in der Schule nicht das Gesicht verdecken. Den Schülerinnen an den Schulen, an denen Kopftücher bald verboten sein könnten, und ihren Eltern empfiehlt er den Gang vor Gericht.

    "Das ist tatsächlich der schönste Beweis für politisches Engagement dieser Bevölkerungsgruppe."

    Die Debatte ums Kopftuch in der Schule wird in den nächsten Monaten anhalten, denn im Oktober stehen in Belgien Kommunalwahlen an. Dann will Hanane, die Immigrantin aus Marokko, ihren Abschluss in der Tasche haben. Wird die Hausordnung an ihrer katholischen Schule tatsächlich strenger, müssen dann die jüngeren Mädchen ihre Kopftücher abnehmen.