Montag, 29. April 2024

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Aus für Deutschland bei Fußball-EM
"Eine ganz normale Niederlage"

Nach Einschätzung von "11Freunde"-Redakteur Christoph Biermann ist es der deutschen Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Frankreich trotz ihrer Überlegenheit nicht gelungen, Torchancen zu verwandeln. Frankreich siegte 2:0. "Zwei Fehler haben zu Toren geführt - so einfach war's", sagte Biermann im DLF. Die Europameisterschaft insgesamt findet er enttäuschend.

Christoph Biermann im Gespräch mit Doris Simon | 08.07.2016
    Mesut Özil liegt nach der Niederlage gegen Frankreich auf dem Rasen
    Mesut Özil nach der Niederlage gegen Frankreich (picture alliance / dpa / EPA / Tolga Bozoglu)
    Die Europameisterschaft in Frankreich sei nicht richtig "in die Gänge gekommen", sagte Biermann. Es habe wenig denkwürdige Spiele gegeben und insgesamt "wenig Fußball". Spaß gemacht hätten zum Ende hin allerdings die Fans, etwa die Isländer oder die Waliser, nachdem anfangs die sich prügelnden Russen und Engländer dominiert hätten.
    Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion "11Freunde".
    Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion "11Freunde". (imago stock&people)
    Für das Finale sei nun der Teppich ausgerollt für den Gastgeber Frankreich mit seiner "wunderbaren Offensive". "Ich hoffe, dass es noch ein großes Finale wird", so Biermann.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber ich bin ein bisschen schwer reingekommen in diese Europameisterschaft. Da waren einfach zu viele Mannschaften, zu viele Spiele, ein bisschen unübersichtlich, am Anfang dann auch noch die Ausschreitungen am Rande der Spiele. Aber ganz ehrlich: Ganz zuletzt, da wollte ich eigentlich nicht mehr, dass es aufhört. Das lag natürlich vor allem auch an den schönen Spielen der deutschen Mannschaft, an dem wahnsinnig aufregenden Elf-Meter-Schießen, fast schon so ein bisschen "Sommermärchen". Ich sag das Wort mal. - Jetzt bin ich verbunden mit Christoph Biermann vom Fußballmagazin "Elf Freunde". Guten Tag.
    Christoph Biermann: Guten Morgen.
    Simon: Herr Biermann, wir haben jetzt die zweifelhafte Aufgabe, einen Nekrolog auf die deutsche Mannschaft zu halten, einen Ausblick zu geben. Schade eigentlich, oder?
    Biermann: Ja, aber ich finde, der fällt jetzt nicht so schwer, weil Fußballspiele kann man auch verlieren, und das war jetzt die Art und Weise zu verlieren, wie das auch in Ordnung ist. Die Mannschaft hat ja sehr gut gespielt, war auch überlegen, sie hat vielleicht nicht so viele Chancen rausgespielt, wie das so gefühlt war. Denn wenn man sich das jetzt mal im Nachhinein ein bisschen genauer anschaut, hat vorm Tor ein bisschen Durchschlagskraft gefehlt. Aber ich finde, das ist jetzt im Grunde genommen eine ganz normale Niederlage.
    Simon: Aber für Sie geht das Ergebnis in Ordnung?
    Biermann: Ja, das geht schon in Ordnung. Der deutschen Mannschaft ist es nicht gelungen, aus ihrer Überlegenheit mehr Torchancen herauszuspielen und vor allen Dingen Tore zu schießen. Hinten hat sie zwei Fehler gemacht und die haben zu Toren geführt. So einfach war es letztendlich.
    "Mario Gomez hat gefehlt"
    Simon: Ein Kader hat ja 24 Spieler. Das reicht aber nicht immer aus?
    Biermann: Ja, weil es wäre ja dann doch ein bisschen zu viel verlangt, wenn alle 24 Spieler nun absolut gleichwertig waren. Es war schon schade, dass Mats Hummels gefehlt hat. Es war schade, dass Sami Khedira gefehlt hat. Und interessanterweise - das hätte man vor dem Turnier, glaube ich, auch nicht gedacht - hat vor allen Dingen Mario Gomez als Adressat für die vielen Flanken, die die deutsche Mannschaft gespielt hat und die nicht angekommen sind, hat vor allen Dingen Mario Gomez gefehlt. Ja!
    Simon: Fehlt da nur Mario Gomez, oder fehlt da vielleicht auch noch ein weiterer Stürmer?
    Biermann: Ja, aber man könnte sich jetzt hinsetzen und versuchen, dem Bundestrainer Vorhaltungen zu machen, er hätte doch den und den und den vielleicht nominieren sollen. Aber ehrlich gesagt, da sind jetzt gar nicht andere Stürmer gewesen, die wirklich ernsthafte Kandidaten gewesen wären. Außerdem ist ja eigentlich Thomas Müller auch ein wunderbarer Stürmer. Nur hat der jetzt nach vielen, vielen Jahren ohne jede Krise, ohne jeden Durchhänger so was wie ein Formtief gehabt bei der Europameisterschaft. Aber auch das, finde ich, kann dann einfach mal vorkommen und ist nicht weiter ehrenrührig.
    "Es wird jetzt nicht so große Umbrüche geben"
    Simon: Wie gesagt, die Deutschen können jetzt in Urlaub gehen. Um elf Uhr fliegen die Spieler nach Hause, allerdings nicht geschlossen. Die Maschinen gehen an verschiedene Orte. Fliegt jetzt auch das Team auseinander nach der EM?
    Biermann: Ja, aber es wird sich weiterentwickeln. Es ist ja eine sehr, sehr junge Mannschaft, sogar vom Durchschnittsalter die jüngste Mannschaft aller EM-Teilnehmer gewesen. Das heißt, es wird jetzt nicht so große Umbrüche geben. Möglicherweise wird Bastian Schweinsteiger dann seine Karriere ausklingen lassen, aber auch das ist jetzt noch nicht sicher. Vielleicht auch noch hier und da jemand. Aber insgesamt ist das eine Mannschaft, die so weiterspielen kann und 2018 bei der Weltmeisterschaft in Russland dann versuchen wird, ihren Titel zu verteidigen.
    EM 2016: "sehr wenig Fußball"
    Simon: Soviel schade und Deutsch für den Moment. Was war denn für Sie bis jetzt - es geht ja noch weiter - schön bei dieser EM?
    Biermann: Ehrlich gesagt nicht sehr viel. Als Fußball-Turnier war sehr wenig Fußball. Auch heute, wenn man sich versucht zu erinnern, welche Spiele denkwürdig waren, da kommt man vielleicht auf fünf oder vielleicht zwei, drei mehr.
    Irgendwie ist dieses Turnier jedenfalls aus der Ferne nicht richtig in die Gänge gekommen. Ich glaube, dass es sehr viel Spaß gemacht hat vor Ort mit den Fans, viele begeisterungsfähige Fans, Isländer, Iren, Waliser und so weiter.
    Simon: Die Underdogs?
    Biermann: Die Underdogs, die da eine Menge Spaß hatten und eine Menge Spaß gemacht haben, und am Ende hat ja auch dieser Spaß dann überwogen gegenüber dem, was so als erster Eindruck kam, als sich dann Russen und Engländer geprügelt haben. Das war nett, relativ wenig denkwürdiger Fußball, irgendwie eine enttäuschende Europameisterschaft insgesamt. Das hat jetzt nicht nur was damit zu tun, dass die Deutschen gestern rausgeflogen sind.
    "Jetzt ist der Teppich ausgerollt für die Franzosen"
    Simon: Aber die EM-Sieger der Herzen neben den Deutschen, die Underdogs, die stehen jetzt nicht im Finale. Da stehen Portugal und Frankreich. Ihr Ausblick?
    Biermann: Ich denke, jetzt ist der Teppich ausgerollt für die Franzosen. Sie haben auch wirklich, das muss man sagen, eine wunderbare Offensive und mit Antoine Griezmann vielleicht auch den herausragenden Spieler der Europameisterschaft. Aber Christiano Ronaldo, auf den ja nun das komplette portugiesische Spiel zugeschnitten ist, ist natürlich auch in der Lage, seinen Karrierehöhepunkt in der Nationalmannschaft, also einen etwaigen Europameisterschaftsgewinn hinzubekommen. Aber irgendwie fühlt sich das nicht, bei allem Respekt vor beiden Teilnehmern, nach so einem großen Finale an.
    Simon: Sie sind eher Fußball- und nicht Wirtschaftskorrespondent, aber wenn wir die beiden anschauen: in beiden Ländern wirtschaftliche Nöte und auch sonst Probleme, gerade in Frankreich mit der eigenen Identität. Wem wünschen Sie es?
    Biermann: Ich glaube, am Ende ist es dann so, dass es für beide sehr viel Gelegenheit gäbe, sich zu freuen. Von daher möchte ich da meine Zuneigung nicht verteilen. Es ist mir letztendlich dann auch Wurst und ich hoffe nur, dass es zum Abschluss dann wirklich noch ein großes Finale wird.
    Simon: ... sagt Christoph Biermann vom Fußballmagazin "Elf Freunde". Vielen Dank dafür.
    Biermann: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.