Hyrisha Krasniqi ist auf dem Sprung - die 18-Jährige will sich bald nach Deutschland aufmachen, um dort als Krankenschwester zu arbeiten. In ihrer Heimatstadt Rahovec hat sie die Krankenpflegschule besucht.
Heute verabschiedet sich Hyrisha mit einer E-Mail von Mitschülern und Freunden, lädt sie zu einer kleinen Feier in ihr Elternhaus ein – nicht auf Albanisch, sondern Deutsch. Denn der Brief ist eine Übungsaufgabe für Hyrisha und 15 weitere Kursteilnehmer an diesem Morgen im "Institut Interpersonnel" auf einer nördlichen Anhöhe der Hauptstadt Pristina. Alle, die hier Deutsch pauken, sind eigentlich Krankenschwestern und –pfleger. Sie bereiten sich ein Jahr lang intensiv auf ihren Arbeitseinsatz in Deutschland vor.
In einer Unterrichtspause sitzt Hyrisha mit ihrem Sitznachbarn Emre Ekrem auf dem Flur vor den Klassenräumen und nippt an einem heißen Tee.
"Ich möchte nach Deutschland gehen und dort arbeiten, vielleicht studieren."
Fernziel Medizinstudium
Der Kurs der beiden hat vor drei Monaten begonnen, ihr Deutsch ist schon ganz passabel - aber Hyrisha erzählt dann doch lieber auf Albanisch:
"Mein Traum ist es irgendwann Medizin zu studieren. Aber vor allem geht es darum, dass man sich hier im Kosovo mit unserer Ausbildung keine Existenz aufbauen kann. Es gibt kaum Jobs, und wenn doch, verdient man zu wenig: 400 Euro vielleicht. Ich will aber auch eine Familie gründen irgendwann, und das ist mit so einem Gehalt nicht möglich."
Und dafür ist die junge Frau bereit ihr soziales Umfeld, Familie und Freunde, erst einmal aufzugeben. Anders ist die Situation von Emre Ekrem. Er ist schon 43, verheiratet, hat drei Kinder. Emre hat vor 20 Jahren Krankenpflege an einer Hochschule in Prizren im Süden des Kosovo studiert. Das ist keine Seltenheit, sondern eher die Regel im Kosovo und auch in Albanien: Die meisten Schwestern und Pfleger dort haben einen Uni-Abschluss.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Bildung im Kosovo - Versagen eines jungen Staates".
Emre kennt Deutschland gut, denn seine Schwester lebt in Olching bei München, auch in Stuttgart, Frankfurt und Lübeck war er schon. Als Krankenpfleger arbeitet er schon seit vielen Jahren nicht mehr, wegen der schlechten Bezahlung:
"Ich bin in der Medienbranche, habe erst bei Zeitungen gearbeitet, jetzt bei einem lokalen TV-Sender in Prizren. Da verdiene ich 700 Euro im Monat, das reicht so gerade zum Leben. Ich will zurück in meinen alten Beruf. Im Kosovo sehe ich da allerdings keine Perspektive."
Ausbildung am Bedarf vorbei
Die Kursteilnehmer müssen nichts für die Vorbereitung auf Einsätze in deutschen Kliniken bezahlen: Die Kosten übernimmt das Dachunternehmen von "Interpersonnel", die deutsche Dekra Akademie. Die Niederlassung in Pristina werde bald die ersten 40 Absolventen nach Deutschland schicken, erklärt Institutsleiter Musa Ahmeti, der an diesem Morgen in seinem Büro ein Stockwerk über den Unterrichtsräumen sitzt. Im Nachbarland Albanien ist "Interpersonnel" schon länger aktiv, von dort habe man bereits 3.000 Pflegekräfte an deutsche Kliniken vermittelt:
"Die Sache ist ziemlich einfach: In Deutschland fehlen pro Jahr rund 10.000 Pflegekräfte, und hier im Kosovo ist es genau umgekehrt. Es gibt bei uns insgesamt zehn Hochschulen, die Schwestern und Pfleger ausbilden. Über 3.000 Absolventen sind das pro Jahr. Aber von denen finden nur rund 150 tatsächlich eine Arbeit im Land, insgesamt gibt es im Kosovo etwa 20.000 arbeitslose Pflegekräfte. Wir schlagen so gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Wir vermitteln diesen Leuten eine gute Arbeit und tun ja auch etwas für den deutschen Arbeitsmarkt. Und wir schaffen eine Alternative zur illegalen Migration ins Ausland."
Was läuft da falsch? Warum gibt es dann überhaupt so viele Studienplätze für Schwestern und Pfleger im Land? Darauf kann oder will Musa Ahmeti nicht wirklich antworten. Der Kosovo sei eben ein Staat mit überdurchschnittlich vielen jungen Menschen, da müsse es schließlich Ausbildungsangebote geben. Ihre Ausbildung wird Hyrisha und Emre, wenn alles glatt läuft, bald nach Deutschland bringen. Emre will seine Familie dann später nachholen. Plant er denn irgendwann wieder zurückzukehren nach Prizren, in seine Heimatstadt? Emre antwortet prompt – und auf Deutsch: "Nein, niemals!"