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Ausbildungsberufe
"Berufsbezeichnungen sind immer auch eine Art Visitenkarte"

Bei der Berufsberatung von Jugendlichen müsse man das soziale Umfeld stärker miteinbeziehen, sagte Friedrich Hubert Esser (BIBB) im Dlf. Dieses spiele bei der Jobwahl eine entscheidende Rolle. Auch müsse gezielt über bestimmte Berufe informiert werden, um deren Image zu verbessern.

Friedrich Hubert-Esser im Gespräch mit Benedikt Schulz | 30.07.2019
Mechatroniker installieren einen Roboter in der Karosseriefertigung des Sportwagenbauers Porsche.
IT-Berufe sind bei Jugendlichen hoch angesehen, Gastro-Berufe hingegen nicht, erklärte der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung im Dlf (picture alliance / Jan Woitas)
Benedikt Schulz: Was will ich mal werden? Wenn Jugendliche sich das fragen – und die Zahl der Möglichkeiten ist ja nicht gerade klein –, dann ist das gar nicht so leicht, darauf eine Antwort zu finden. Natürlich, Berufsberater, Berufsinformationszentren, Schulpraktika, all das hilft dabei, das herauszufinden: Was kann ich, was passt zu mir, was macht mir Spaß – Spaß ist ja auch nicht unwichtig. Aber bei all dem wird ein Aspekt oft außer Acht gelassen: Das Ansehen – wie angesehen ist dieser oder jener Job. Dass das eine wichtige Rolle spielt, ist eigentlich eine recht banale Erkenntnis, aber die kommt bislang nur wenig zum Tragen bei einem Problem, das die deutsche Wirtschaft ja nicht erst seit gestern hat, dass nämlich zu viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, gleichzeitig aber auch zu viele Anwärter auf Plätze leer ausgehen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat vor einigen Monaten schon mal auf diesen Zusammenhang hingewiesen mit einer Studie und jetzt aber noch mal nachgelegt und gemeinsam mit der TU Braunschweig untersucht, welche Ausbildungsberufe eigentlich besonders angesehen sind und welche nicht. Am Telefon ist Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstitut für Berufsbildung. Herr Esser, hallo, schön, dass Sie da sind!
Friedrich Hubert Esser: Ich grüße Sie, Herr Schulz!
IT- und Medienbranche stehen bei jungen Leuten hoch im Kurs
Schulz: Also erst mal die Ergebnisse: Welche Berufe sind denn angesehen und welche so überhaupt gar nicht, gibt es da einen roten Faden?
Esser: Wir haben die Erkenntnis auch aus mehreren Studien, dass die IT-Berufe, die Medienberufe bei den Jugendlichen sehr hoch angesehen sind, hier konkret in unserer neuesten Erhebung die Fachinformatiker, die Mechatroniker, die Kraftfahrzeug-Mechatroniker, Elektroniker, also alles das, was mit IT-unterlegten Kompetenzen zu tun hat. Etwas schwerer haben es – und das ist auch schon eine Tradition –, das sind Berufe wie die, die den Lebensmittelbranchen zugeordnet werden können: Koch, Köchin, die Berufe im Gastrogewerbe, im Hotelgewerbe, Lebensmittelhandwerker sind unsere Sorgenkinder, wenn es um die Frage geht, wie attraktiv sind Berufe für jugendliche Schulabgängerinnen und -gänger.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ansehen der 25 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe (Stand 2017) aus Sicht der deutschen Bevölkerung (Deutschlandfunk)
Sozials Umfeld hat hohen Einfluss auf Berufswahl
Schulz: Wie kommen diese Unterschiede zustande, warum ist jetzt ein Beruf in der Lebensmittelbranche so schlecht angesehen?
Esser: Wir haben herausgefunden, dass gerade das Image der Berufe sehr einschlägig wirkt, und vielleicht ist es einmal sinnvoll, das an einem typischen Prozess deutlich zu machen: Wenn junge Menschen in einer Berufsorientierungsphase sind und einen Beruf suchen, müssen sie zwei Meilensteine anpeilen. Der erste Meilenstein ist die sogenannte Passung des Tätigkeitsprofils – wir sagen Tätigkeitspassung –, das heißt, der junge Mensch überprüft, ist das, was den Kern des Berufes ausmacht, passend zu dem, was meine Neigungen, meine Begabungen, meine Interessen sind. Hat er da einen positiven Abgleich gefunden, ist das schon mal die halbe Miete, aber noch nicht alles. Hinzu kommt die sogenannte soziale Passung, das heißt, der junge Mensch prüft, kommt der Beruf, den ich mir da jetzt ausgesucht habe und den ich an sich ganz gut finde, auch in meinem Umfeld an.
Und dieses Umfeld sind vor allem die Eltern, in erster Linie, und die Peers in zweiter Linie. Sehr interessant ist für uns die Erkenntnis: Sollte diese soziale Passung nicht gelingen, das heißt, der junge Mensch bekommt eine negative Rückmeldung, nach dem Motto, ja, das, was du dir da ausgesucht hast, kannst du ja schön finden, aber ich meine, das wäre nichts für dich. Oder die jungen Leute in den Peers sagen, was hast du dir denn da ausgesucht, da gibt es doch viel Besseres. Dann neigen junge Leute dazu, diesen Beruf entsprechend auch nicht wählen zu wollen. Das heißt also, die soziale Passung dominiert die Tätigkeitspassung, und das hat dann etwas weiterführend natürlich auch mit dem Image des Berufes zu tun. Es gibt Faktoren, die auch dieses Image bedingen, das kann man an bestimmten Leitfragen beispielsweise festmachen – welchen Beitrag leistet beispielsweise ein Berufsstand für die Gesellschaft oder welches Vertrauen strahlt ein bestimmter Berufsstand aus.
Es wundert nicht, dass beispielsweise Feuerwehrleute oder auch Krankenschwestern bei jungen Leuten hoch im Kurs stehen. Und dann gibt es auch noch so ein paar andere Faktoren, wie beispielsweise die Höhe des Einkommens, die Frage, welchen Beitrag leistet ein Berufsstand zum Erfolg des volkswirtschaftlichen Ertrags eines Landes, wie viel muss man eigentlich lernen, um in diesem Beruf auch entsprechend unterzukommen, also wie hoch sind die Kompetenzanforderungen. Da wundert es beispielsweise nicht – Stichwort Einkommen oder Kompetenzanforderungen –, dass der Arzt beispielsweise auch ein hohes Ansehen hat. Und so kommt eben das Image eines Berufes zustande und die entsprechenden Auswirkungen auf die Berufswahlentscheidung von Jugendlichen.
Eine Beraterin (r) unterhält sich am 22.11.2012 in Hamburg in der Jugendberufsagentur mit einem Jugendlichen. Als erstes Bundesland hat die Hansestadt eine Berufsagentur nur für Jugendliche eingerichtet. 
Für Jugendliche entscheidet bei der Berufswahl mit, was Freunde und Familie über den angestrebten Beruf denken (dpa / picture alliance / Angelika Warmuth)
Soziales Umfeld bei der Berufsberatung mit in den Blick nehmen
Schulz: Jetzt ist aber die Frage, wie setze ich jetzt an, wenn ich jetzt nun mal das Ziel habe, bestimmte Berufsgruppen einfach sozusagen an den Mann oder an die Frau zu bringen – setze ich dann beim Umfeld an, versuche ich die zu erreichen, die Eltern, die Peers, also die Schulklassen und so weiter, oder muss ich ganz einfach das Image des Berufs verbessern, indem ich zum Beispiel mehr Geld gebe?
Esser: Herr Schulz, Sie müssen beides machen. Wichtig ist die Erkenntnis, das, was Sie eben sagten: Es nützt eben nichts, wenn wir Berufsorientierungsmaßnahmen organisieren, die sich ausschließlich auf den jungen Menschen konzentrieren. Wichtig an der Stelle ist, dass wir auch im Blick haben müssen, dass wir die Eltern, aber auch diejenigen, die den Berufsorientierungsprozess des Jugendlichen beeinflussen, dazugehören, also neben den Eltern und den Peers auch die Lehrerinnen und Lehrer, dass wir die mit einbinden in diesen Prozess. Und hier gilt es an erster Stelle, natürlich erst mal klarzumachen, was steckt eigentlich in den Berufen drin. Wir haben oft auch die Rückmeldung, dass das Wissen um die Modernität, um die Zukunftsgerichtetheit von Berufen bei den jungen Leuten einerseits, bei den Eltern und den anderen andererseits gar nicht so da ist. Und da gilt es eben, erst mal dafür eine ausreichende Transparenz und eine gute Information zu sorgen.
Ein Topf kocht am 03.03.2014 bei den 22. Regionale Jugendmeisterschaft in den gastgewerblichen Ausbildungsberufen in der Yachthafenresidenz Hohe Düne in Rostock fast über.
Viel Arbeit, schlechte Bezahlung: Gastroberufe haben ein schlechtes Image (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
Schulz: Und was ist jetzt – ganz banal – mit dem Klang des Namens? Kfz-Mechatroniker klingt vielleicht etwas zukunftsgerichteter, als wenn man jetzt einfach sich als Koch bewirbt. Muss man da vielleicht mal mit dem Marketing ansetzen?
Esser: Ja, völlig richtig. Wir sagen immer so schön, die Berufsbezeichnungen sind auch so etwas wie die Visitenkarten, und das hat auch für uns eine ganz gewichtige Wirkung auf Berufswahlverhalten, dass Berufe auch teilweise mit schlechten, ich sag mal, schlecht klingenden Berufsbezeichnungen versehen sind. Man muss wissen, dass Berufsbezeichnungen nicht nur die Aufgabe haben, einen Beruf einzugrenzen beziehungsweise zu definieren und abzubilden, sondern Berufsbezeichnungen werden oftmals auch aus dem Grunde beschrieben oder umschrieben, als dass sie auch gewerbepolitischen Interessen genügen müssen. Wir haben beispielsweise auch das Phänomen, dass mit Berufsbildern und Berufsbezeichnungen Berufe voneinander abgegrenzt werden – denken Sie nur an die Berufe im Handwerk beispielsweise, wo wir unterschiedliche Meisterberufe haben – und der eine Berufsstand in den Bereich des anderen Berufsstand nicht wirken darf. Dafür müssen die Berufe zueinander abgegrenzt werden, und deshalb werden Berufsbezeichnungen auch schon mal nur in dieser juristischen Bedeutung definiert. Da kommt es manchmal eben dann auch zu den Verwerfungen, dass sie sich nicht gut anhören und deshalb auch bei jungen Leuten durchfallen.
"Karrieremöglichkeiten sind auch ganz, ganz wichtig"
Schulz: Was ist denn mit Karriereperspektiven? Also die Möglichkeiten nach der Ausbildung akademisch zu erweitern, ist ja eigentlich keine ganz neue Idee.
Esser: Karrieremöglichkeiten sind auch ganz, ganz wichtig, wenn es um das Image von Berufen geht, aber hier müssen wir auch klar sagen, die Berufe, auch die hier weniger gut in Rede stehen – wie die Lebensmittelberufe oder die Gastroberufe –, haben das Format, erst mal viel zu bieten, wenn es um Karriere geht: Neben der Ausbildung oder auch an die Ausbildung anknüpfend dann die entsprechende Karriereleiter in Richtung Meister und auch über die Meisterprüfung hinaus in die Betriebswirte-Ebene beispielsweise. Wir wissen vom deutschen Qualifikationsrahmen, dass diese Fortbildungen – wir sagen auch dazu die Aufstiegsfortbildungen – zu den akademischen Abschlüssen gleichwertig sind. Das ist das eine, aber das andere ist, Sie sagen es, dass es natürlich auch attraktive und interessante Durchstiegswege in den Hochschulbereich geht. Das heißt, dass beispielsweise die Lebensmittelberufe anschlussfähig sind zu Ökotrophologie, an Fachhochschulen beispielsweise und Universitäten, und das promoten wir auch. Das heißt also, wir müssen beide Wege gehen, sowohl die Möglichkeiten aufzeigen, die wir im beruflichen Bildungssystem haben, bis zum Unternehmer qualifiziert zu werden, über die Meisterprüfung beispielsweise, oder auch wenn man eben den akademischen Weg noch gehen will, dass man hier auch Durchstiegschancen hat und die Berufsausbildung nutzen kann – eine solide Basis für den Beginn eines Studiums.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.