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Auschwitz-Kommandant Höß
Kaltblütig agierender Verwalter des Massenmordes

Am 27. Januar jährt sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee: Eine Schlüsselfigur in diesem Vernichtungslager war der Kommandant Rudolf Höß - der Publizist Volker Koop hat eine neue Biografie über ihn geschrieben.

Von Niels Beintker | 26.01.2015
    Der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss (Mitte), steht Mitte der 40er-Jahre auf dem Flugplatz in Nürnberg. Er wird zusammen mit einer Gruppe Offiziere nach Polen ausgeliefert.
    Der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höß (Mitte). (picture alliance / dpa)
    Um es gleich zu sagen: Dieses Buch ist eine Zumutung. Nicht wegen seiner Form, seines Stils, sondern wegen der Figur, von der es erzählt. Ein Mensch, der davon träumte, ein – Zitat – "perfektes Konzentrationslager" zu errichten, ein Lager, in dem die Gefangenen gerne sind und in dem sie dann auch gerne sterben, in den Gaskammern. Aus diesem Grund ließ Rudolf Höß auch eine Rhododendron-Hecke vor den Krematorien anpflanzen, schreibt Volker Koop in seiner Biografie eines Massenmörders. Der Weg in den Tod sollte schön sein, so die Idee – eine sehr perverse Logik. Doch Rudolf Höß war kein Psychopath. Sein Leben steht beispielhaft – mit den berühmten Worten von Hannah Arendt – für die Banalität des Bösen.
    "Das Erschütternde und Erschreckende ist schon, dass er morgens – in Anführungsstrichen – zur Arbeit ging, und wenn seine Frau ihn abends fragte, ob es etwas Besonderes gegeben habe, sagte er: Nein, wir haben heute drei Transporte abgefertigt. Das bedeutete im Klartext: 6.000 Menschen umgebracht. Man kann sich nicht vorstellen – jedenfalls ich nicht –, dass nach einem solchen Tagespensum er dann abends mit den Kindern spielte, ausritt und sich anderen ganz normalen zivilen Beschäftigungen widmete. Und am nächsten Morgen ging er wieder an den Arbeitsplatz und hat Befehle ausgeführt."
    "Eine Biografie" nennt Volker Koop sein Buch über den Kommandanten von Auschwitz. Man könnte auch von einem großen biografischen Essay sprechen, denn die Lebensgeschichte dieses willigen Vollstreckers wird zum einen nicht chronologisch erzählt, zum anderen auch in unterschiedlichen thematischen Kapiteln beleuchtet: da die Persönlichkeit von Rudolf Höß, hier der Zyniker, da ein Blick auf seine Mittäter im Konzentrationslager Auschwitz. Für das zuletzt genannte Kapitel wertete Volker Koop erstmals umfassend die sogenannten Charakterstudien aus, ein Dokument, das Höß 1946 und '47 in seiner Krakauer Haft verfasst hatte – und das als Kopie in den Akten der Stasi-Unterlagen-Behörde zu finden ist.
    "Wenn man die Äußerungen von Höß wörtlich nähme, dann wären es die Unzulänglichkeiten von Vorgesetzten und Untergebenen gleichermaßen gewesen, die ihn daran gehindert hatten, das perfekte' Konzentrationslager zu errichten und zu führen. Bemerkenswert ist die immer wiederkehrende Darstellung seiner Ohnmacht. Wer die Beschreibungen liest, bekommt den Eindruck, Höß habe weder als KZ-Kommandant noch als Standortältester Einfluss auf die Auswahl und das Verhalten des SS-Personals nehmen können."
    "Das – oder die Art, wie Höß im Gefängnis in Krakau über seine vorherigen Kumpane schreibt, geben vor allen Dingen ein Bild des Herrn Höß wieder. Denn – und das ist ja der Widerspruch, der sich in vielen Bereichen durch das Leben von Höß zieht – als Kommandant und ab 1944 als Lagerältester hätte er durchaus die Möglichkeit gehabt, in seinem Sinne Ordnung zu schaffen, die Leute versetzen zu lassen. Er hat das nicht getan, sondern er hat diese Leute in der Zeit, in der er verantwortlich war, gewähren lassen. Ich glaube, wenn er diese Mittäter derart charakterisiert, ging es mehr oder weniger darum, vor den Alliierten und den Polen die eigene Schuld, so er sie überhaupt sah, zu relativieren."
    Selbststilisierung zum ohnmächtig Handelnden
    Die Selbststilisierung zum ohnmächtig Handelnden ist eine von mehreren großen Lebenslügen in dieser Biografie. Interessant ist beispielsweise auch der Rückblick auf die eigene Rolle beim sogenannten "Parchimer Fememord", einer Lynchaktion gegen den Landarbeiter Walter Kadow im Frühjahr 1923. Dieser gehörte – wie Rudolf Höß – einem paramilitärischen Freikorps um Gerhard Roßbach an, wurde dann aber, als vermeintlicher kommunistischer Agent, des Verrats an Albert Leo Schlageter bezichtigt und von den eigenen Kameraden brutal ermordet. Entgegen späteren Beteuerungen, so Volker Koop, war Höß dabei einer der Hauptverantwortlichen.
    "Zeugnisse dafür, dass Kadow ein Verräter war, gibt es nicht. Es verwundert kaum, dass Höß [...] – wie so oft – zum Mittel der Lüge griff. Dazu färbte er seine eigene Rolle schön und gerierte sich gar als Märtyrer, indem er behauptete, die Schuld auf sich geladen zu haben, um den eigentlichen Täter zu schützen. Die Ermordung Kadows rechtfertigte er und ging später sogar noch so weit, seine Tatbeteiligung zu leugnen."
    Im März 1924 wurde Rudolf Höß zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt, im Juli 1928 dann aufgrund einer großen Amnestie vorzeitig aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen. Anders als bei einem weiteren bekannten Mittäter bei der Parchimer Mordaktion – Martin Bormann – war die Verurteilung einer Karriere von Rudolf Höß in der NSDAP wie auch im Dritten Reich nicht gerade dienlich, so Volker Koop. 1934 trat er, beeindruckt von Heinrich Himmler, der SS bei, drei Jahre später dann erst wieder der NSDAP, deren Mitgliedschaft er durch das Parteiverbot in den 20er-Jahren verloren hatte. Begehrte Parteiauszeichnungen wie der sogenannte Blutorden blieben ihm verwehrt, vielleicht auch ein Grund für seine zunehmende Radikalisierung und die tatkräftige Unterstützung des NS-Terrorsystems, erst im Konzentrationslager Dachau, dann in Sachsenhausen, schließlich in Auschwitz. Volker Koop hält sich mit psychologischen Spekulationen zurück – eine Stärke eines nüchtern argumentierenden Buches.
    "Für ihn war das Töten kein Mord, sondern die Erfüllung eines Befehls. Das war, glaube ich, das Entscheidende, die Triebfeder für ihn überhaupt: Dass er einen Befehl von Himmler erhalten hatte, nämlich – insbesondere in der Endphase – Juden zu ermorden, auszurotten. Er hat in diesen Juden und den anderen, die dort in Auschwitz umgebracht wurden, nie Menschen gesehen, sondern eigentlich eher Objekte, die es zu vernichten galt. Und hätte er eine andere Aufgabe von Himmler bekommen, hätte er diese genauso – in Anführungsstrichen, auch wenn sich das schlimm anhört - gewissenhaft erfüllt wie die Ermordung von Menschen. Er war an diesen Platz gestellt worden und wollte seine Aufgabe so perfekt wie möglich erfüllen."
    Volker Koop betont in seinem Buch, dass der Kommandant von Auschwitz kein Sadist gewesen sei – vielmehr ein rational agierender Verwalter des Massenmordes, mit einem radikalen Antisemitismus. In den Gesprächen mit dem amerikanischen Psychologen Gustave M. Gilbert 1946 in Nürnberg erklärte Rudolf Höß ruhig und sachlich, das Töten der Juden in Auschwitz habe die wenigste Zeit in Anspruch genommen. Aber das Verbrennen der Leichen habe so viel Zeit gekostet.
    Gestützt auf einen breiten Quellenfundus erzählt Volker Koop anschaulich die Lebensgeschichte eines Mannes, der sich selbst nach dem Ende des Dritten Reiches als willenloses Werkzeug der SS stilisierte und der doch so ganz und gar nicht willenlos gehandelt hatte. Eine sehr deutsche Geschichte.
    Buchinfos:
    Volker Koop: "Rudolf Höß: Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biografie", Böhlau Verlag, 338 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN: 978-3-412-22353-3