Trotz der Ausgangssperre rücken die Spanier in der Not zusammen: Seit Samstag öffnen sie im ganzen Land jeden Abend ihre Fenster und applaudieren, so wie hier in Madrid. Beifall für Ärzte, Pfleger und Reinigungskräfte in Spanien.
"Die Leute wissen, das Gesundheitssystem ist völlig überlastet", sagt Fernando Vallespín, Politikwissenschaftler von der Universidad Autónoma in Madrid.
"Die Beschäftigten dort machen sehr lange Schichten, müssen sehr harte Entscheidungen treffen, etwa, wer noch für Beatmungsgeräte in Frage kommt, oder müssen irgendwie Schutzkleidung für sich organisieren. Das alles wissen wir, darum dieses Dankeschön an alle diese Leute, die sich für uns opfern."
Mit dem Alarmzustand sollen alle Kräfte gebündelt werden
Die Spanier sind stolz auf das gute Abschneiden ihres steuerfinanzierten Gesundheitssystems in den Tests der Weltgesundheitsorganisation. Doch auf eine Epidemie war es nach den vielen Kürzungen während der langen Wirtschaftskrise nicht vorbereitet. Mit dem Alarmzustand möchte Spaniens Regierung nun alle Kräfte bündeln, erklärt Politologe Vallespín:
"Das greift in exklusive Kompetenzen der Regionen in der Gesundheitsfürsorge ein. Aber vielleicht wird medizinisches Gerät in einer Region weniger benötigt als in einer anderen. Spaniens Regierung kann mit dem Alarmzustand nun auch private Krankenhäuser anweisen, Kranke aus dem staatlichen Gesundheitssystem aufzunehmen. Außerdem kann die Armee die Polizei jetzt bei der Überwachung der Ausgangssperre unterstützen. Und am Dienstag sollen ja noch die begleitenden Maßnahmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Opfer der Coronakrise bekannt gegeben werden."
Auch die Sicherheitskräfte der autonomen Regionen und die städtischen Polizeieinheiten unterstehen nun der Zentralregierung. Doch trotz des schweren Eingriffs in die föderale Struktur Spaniens – auch im Baskenland und Katalonien ist der Protest eher verhalten. Das Land steht zusammen. Dennoch vermisst Vallespín mehr Solidarität:
Wo bleibt die europäische Solidarität?
"Wir Europäer waren schon innerhalb unserer Nationalstaaten nicht besonders solidarisch: In Italien dachte man lange Zeit, das Coronavirus sei ein Problem des Nordens. In Katalonien glaubte man, die Region abzuriegeln, würde die Katalanen schützen. Und auch die übrigen EU-Staaten riegeln sich voneinander ab. Sie schränken sogar die Möglichkeiten ein, dass wir uns in Europa gegenseitig helfen. Wenn das das Europa ist, das wir haben wollen, dann steht das ganze Projekt in Frage. Vielleicht wollen wir wirklich alle nur einen gemeinsamen Markt und sollten die großen, langfristigen Ziele vergessen, von denen wir träumen, von den Vereinigten Staaten von Europa."
In der Not sähen sich die Menschen in den EU-Mitgliedsstaaten eben immer noch mehr als Spanier, Franzosen oder Deutsche denn als Europäer. Während auf dem Markt Masken, Schutzanzüge oder Beatmungsgeräte nicht mehr zu erhalten seien, hätten Frankreich und Deutschland eine Exportsperre dafür erlassen, berichten spanische Medien seit einer Woche. Auch die EU-Kommission steht in der Kritik, sie habe die Corona-Krise viel zu lange ignoriert. Vallespín meint.
"Das Virus hält uns einen Spiegel vor"
"Das Virus hält uns einen Spiegel vor, und was wir darin sehen, ist nicht besonders schön. Das ist wie im richtigen Leben: Da muss man auch aufpassen, dass man noch gesund aussieht. Wir Europäer haben den Brexit, wir hatten die Finanzkrise, die bei den Griechen begann und die Griechen haben die Flüchtlingskrise. Nicht erst seit dem Coronavirus sehen wir: Wenn ein europäischer Partner ein Problem hat, in der Stunde der Wahrheit, wird ihm die in Sonntagsreden versprochene Solidarität verweigert."
Hilfe kommt dennoch: Am Wochenende spendeten chinesische Händler Madrider Krankenhäusern 100.000 Schutzmasken. Er sei zwar Chinese, lebe aber in Madrid, sagt ein Mann. Nur gemeinsam würden die Menschen diesen Krieg gewinnen.