Donnerstag, 25. April 2024

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Aussage von Beate Zschäpe
"Das ist eine sehr unglaubwürdige Aussage"

Im Prozess rund um die Morde des sogenannten NSU hat die Angeklagte Beate Zschäpe eine Aussage verlesen lassen. Er habe keine Reue aus ihren Worten herausgehört, sagte "Zeit"-Redakteur Christian Fuchs, Autor "Die Zelle", im Deutschlandfunk. Dass sie nichts von den Morden gewusst habe, habe ihr im Gerichtssaal niemand abgenommen.

Christian Fuchs im Gespräch mit Dirk Müller | 09.12.2015
    Das Namensschild der Angeklagten Zschäpe, steht am 08.12.2015 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München
    Das Namensschild der Angeklagten Zschäpe, steht am 08.12.2015 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Dirk Müller: Die Aussagen von Beate Zschäpe, darüber sprechen wir jetzt mit Publizist und "Zeit"-Redakteur Christian Fuchs, Autor des Buches "Die Zelle", das sich ausführlich mit dem Nationalsozialistischen Untergrund beschäftigt. Guten Abend.
    Christian Fuchs: Schönen guten Abend.
    Müller: Herr Fuchs, war da heute Vormittag etwas von Reue?
    Fuchs: Ich habe diese Reue nicht aus ihren Worten herausgehört. Es gab auf der sachlichen Ebene die Entschuldigung bei den Opfern, aber keiner der Beobachter hat darin eine aufrichtige, ehrliche Reue erkannt.
    Müller: Wir haben viele Stimmen von den Opfern gehört. Die Entschuldigung wird nicht angenommen. Hätten Sie sie angenommen?
    Fuchs: Im gesamten Kontext dieser Aussage, wie sie anberaumt war, wie sie heute abgelaufen ist, dass der Anwalt sie verlesen hat und nicht Frau Zschäpe selbst, dass sie die Opfer nicht angesehen hat, sondern auch selber ihre eigene Aussage mitgelesen hat, dann hätte ich als Opfer das auch nicht als ehrliche Entschuldigung angenommen.
    Müller: Ist der Prozess in irgendeiner Form heute weitergekommen?
    Fuchs: In einigen Punkten Konkretisierungen
    Fuchs: Sie hat in einigen Punkten Konkretisierungen vorgenommen zu all dem, was ihr vorgeworfen wird, zum Beispiel in so Kleinigkeiten, die ihr nicht wehtun, wie sie von dem Selbstmord ihrer beiden Mitstreiter erfahren hat, nämlich durch das Radio. Das war bisher unbekannt. Aber in den ganz großen entscheidenden, relevanten Fragen stehen wir da, wie wir heute Früh auch schon da standen.
    Müller: Und hatten Sie das vorher geahnt, gewusst?
    Fuchs: Das war anzunehmen. Es war anzunehmen, dass Beate Zschäpe natürlich eine sehr taktische Aussage wählen wird, eine Aussage, wo sie nur Sachen zugibt, die ihr sowieso schon ihr nachgewiesen werden konnten oder die verjährt sind. Und genau das ist eingetreten. Sie hat natürlich kein Interesse daran, sich selbst noch zu belasten, oder auch ihre Unterstützer, denn dazu ist überhaupt kein Wort gefallen. Wer waren die Menschen im Hintergrund, die dem NSU geholfen haben, an den acht Tatort-Stätten zum Beispiel. Dazu hat sie überhaupt nichts Relevantes gesagt.
    Müller: Wäre das aus Sicht der Öffentlichkeit, auch aus Sicht der Medien, völlig naiv, zu glauben, dass sie das irgendwann nachliefert?
    Fuchs: Ich gehe nicht davon aus, weil sie kein Interesse hat, das zu tun. Was natürlich jetzt sehr spekulativ ist, dass ein Boulevard-Medium ihr sehr viel Geld dafür anbietet, dass sie dann vielleicht in ein paar Jahren das nachholt, aber ich sehe sie insgesamt als eine sehr taktierende, als sehr Street Wife agierende Person, die eigentlich keine intrinsische Motivation hat, dieses nachzuholen.
    Müller: Lassen Sie mich das mal so formulieren, Herr Fuchs. Ist das eine moralische Erwartung von der Öffentlichkeit, natürlich auch von den Angehörigen, dass Beate Zschäpe vor dem Hintergrund der Dimension des Verbrechens, der Dimension der Mordserie, dass sie auspackt, dass sie die Wahrheit sagt, dass sie alles aufdeckt?
    Fuchs: Prozess ist moralisch sehr aufgeladen
    Fuchs: Absolut. Das war ja schon immer das Problem des Prozesses, dass der sehr moralisch, schon bevor er begonnen hat, aufgeladen war und auch sehr viel erwartet wurde von der Öffentlichkeit. Ich habe damals auch schon davor gewarnt, dass man da nicht zu viel reinpackt. Das kann aber ein Strafprozess auch gar nicht lösen, weil da geht es um die juristische Schuld. Und genau auf dieser Ebene, sehr sachlich, sehr juristisch, hat heute auch Beate Zschäpe reagiert. Für sie geht es darum, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und nicht darum, die Taten wirklich moralisch aufzuklären.
    Müller: Sie agiert, wie jede taktisch clevere Angeklagte mit Beistand reagieren muss, soll?
    Fuchs: Genau, wie es das Rechtssystem in Deutschland vorgesehen hat. Eine moralische Aufarbeitung sollte ja auch eher auf der politischen Ebene passieren, nämlich in den Untersuchungsausschüssen auf Landesebene und im Bundestag, und da gibt es ja jetzt auch eine zweite Runde im Bundestag. Vielleicht können wir da noch mehr erwarten.
    Müller: Sie hat ja auch einige Einlassungen heute ein bisschen detaillierter formuliert oder formulieren lassen, Sie haben das ja auch schon erwähnt, ein bisschen über die Hintergründe verlauten lassen. Nicht genug, wie die Richter, auch wie die Ankläger finden, und auch die Angehörigen. Das was sie geschildert hat, das was wir heute Vormittag in München von Beate Zschäpe gehört haben, kann das sein, dass es so gewesen ist, wie sie es gesagt hat?
    Fuchs: Es spricht einiges dafür. Zum Beispiel bei dem Punkt der großen Frage, warum sie nach dem Morden an den Migranten sich eine Polizistin als Opfer ausgesucht haben, da geht die Generalbundesanwaltschaft ja schon lange davon aus, dass die Täter an der Waffe interessiert waren. Es gab auch eine Datei, die hieß "Aktion Polizeipistole", die auf dem Rechner in Zwickau im Brandschutt gefunden wurde. Das hat sie heute auch bestätigt, dass es Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor allen Dingen um die Waffe ging, weil sie immer Probleme mit dem Durchladen hatten bei ihren alten Waffen. Oder auch der Grund, wie sie erfahren hat, dass ihre Mitstreiter Selbstmord begangen haben, das deckt sich mit allem, was auch Kollegen und wir recherchiert haben, und auch, was die Generalbundesanwaltschaft herausgefunden hat.
    Müller: Viel ist ja noch nicht herausgefunden worden. Offenbar gibt es da noch immer ganz viele Fragezeichen, was den Mord an der Heilbronner Polizistin anbetrifft. Warum ist das so kompliziert?
    Fuchs: Das ist kompliziert, weil bei den Ermittlungen natürlich damals Fehler gemacht wurden und die heute nicht wieder nachgeholt werden können, Zeugen nicht ernst genommen wurden teilweise und es dann zu spät war, nachdem der NSU aufgeflogen war. Und weil es auch keine Augenzeugen gab zum Beispiel von der konkreten Tat. Deshalb ist es so schwierig, da jetzt konkret weiterzukommen für die Polizei.
    Müller: Gehen wir noch mal auf ein Zitat ein, also das, was sie heute hat verlesen lassen. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte." Ganz klar: Sie hat nicht mitgemacht, sie war nicht unmittelbar dafür verantwortlich, hat von den Morden, wie sie sagt, immer erst hinterher erfahren. Kann das sein?
    Fuchs: Unglaubwürdige Aussage zu der Beteiligung an den Morden
    Fuchs: Das ist eine sehr unglaubwürdige Aussage, die ihr eigentlich heute im Gerichtssaal keiner abgenommen hat. Sie hat in einer Drei-Zimmer-Wohnung gelebt mit ihren beiden Mitstreitern und hat ja sogar gehört, wie an dem Bekennervideo zum Beispiel geschnitten wurde. Das hat sie heute sogar selbst zugegeben. Sie war zuständig für das Archiv der Morde. Am Tag nach den Taten ist sie immer zum Bahnhof in Zwickau gegangen und hat dort die überregionalen Zeitungen und die Regionalzeitungen der Orte, an denen die Taten verübt wurden, gekauft. Das haben wir selber damals von dem Zeitungshändler erfahren. Darum ist es sehr unglaubwürdig, dass sie erst Monate später teilweise von den Taten erfahren haben möchte.
    Müller: Weil Sie nicht der vorsitzende Richter sind, kann ich Sie das fragen. Wie lange wird der Prozess noch gehen?
    Fuchs: Ich glaube, gar nicht mehr so lange. Auch die Verteidiger der Nebenklage gehen davon aus, dass spätestens Anfang 2016 ein Urteil gesprochen wird.
    Müller: Der Publizist und "Zeit"-Redakteur Christian Fuchs bei uns hier im Gespräch im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.