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NSU-Prozess
Mihalic: Zschäpe-Aussage unglaubwürdig

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, hat eine Beteiligungen an den Morden der rechten Terrorgruppe in einer Erklärung zurückgewiesen. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic hält die Äußerungen für unglaubwürdig. Es gehe Zschäpe offenbar nicht darum, wirklich reinen Tisch zu machen.

Irene Mihalic im Gespräch mit Bettina Klein | 09.12.2015
    Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss.
    Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Wenn Zschäpe an keiner Tat beteiligt gewesen sei, hätte sie das schon früher mitteilen können, sagte Mihalic im Deutschlandfunk. Die Angeklagte habe nur ausgesagt, was bereits bekannt gewesen sei. Mihalic, die dem NSU-Ausschuss angehört, betonte, sie werde die Rolle Zschäpes noch genauer untersuchen lassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Angeklagt wegen zehnfachen Mordes ist Beate Zschäpe, die meisten davon begangen mit rassistischen Motiven, und heute brach sie nun ihr Schweigen vor Gericht und bestritt eine Beteiligung. Lediglich eine nachträgliche Mitwisserschaft räumte sie ein. Mitgehört am Telefon hat Irene Mihalic. Sie gehört der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag an, ist dort Sprecherin für innere Sicherheit und ist auch Mitglied im jetzt wieder neu eingesetzten NSU-Untersuchungsausschuss. Ich grüße Sie, Frau Mihalic.
    Irene Mihalic: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Wir wollen die rechtsstaatlichen Ebenen schön auseinanderhalten. Dieser Ausschuss, das ist kein Ersatzgericht, sondern soll sich vor allem mit dem Versagen von Behörden und auf politischer Ebene beschäftigen. Aber Sie beobachten das Ganze und haben auch darauf gewartet, ob es für Sie Hinweise gibt zur Arbeit im Ausschuss und zur weiteren Aufklärung. Zunächst mal: Wie hat diese Erklärung, soweit wir den Inhalt bereits kennen - Kameras sind ja nicht zugelassen im Gericht -, auf Sie gewirkt?
    Mihalic: Auf mich hat die Erklärung von Beate Zschäpe sehr unglaubwürdig gewirkt, denn sie stellt sich jetzt selbst als die Unschuldige und die Unwissende dar. Sie behauptet, dass sie immer erst im Nachgang von den Taten erfahren hat. Ich halte es nicht für besonders glaubwürdig, dass sie so viele Jahre mit Böhnhardt und Mundlos zusammengelebt hat und dann von den Taten nichts mitbekommen haben will.
    "Es geht ihr nicht darum, reinen Tisch zu machen"
    Klein: Sie hat aber offenbar so etwas wie eine Lebensbeichte abgelegt, hat unser Korrespondent gerade geschildert, in der sie auch ihre innere Zerrissenheit dargelegt hat zwischen Liebe und Abhängigkeit einerseits und Abscheu andererseits. Weshalb kaufen Sie ihr das nicht ab?
    Mihalic: Nun gut, das muss natürlich auch das Gericht zu würdigen haben, inwiefern ihre Aussage da jetzt glaubwürdig ist oder nicht. Ich persönlich habe da meine Zweifel. Sie ist seit vier Jahren in Untersuchungshaft und sagt dazu nichts aus. Sie hätte dieselbe Aussage auch schon vor vier Jahren treffen können, sich da auch vor vier Jahren schon erklären können. Es bleibt mir ein Rätsel, warum sie das bisher nicht getan hat, wenn sie angeblich an keiner Tat richtig beteiligt gewesen sein will. Und ich finde auch, dass sie jetzt nicht bereit ist, allen Prozessbeteiligten in vollem Umfang die Fragen, die dort im Raum stehen, zu beantworten, zeigt auch, dass es ihr meiner Ansicht nach nicht darum geht, hier wirklich reinen Tisch zu machen.
    Klein: Aber sie hat sich ja, wie man hört, offenbar aufrichtig, wie es heißt, entschuldigt bei den Opfern, bei den Angehörigen der Opfer, und das ist das ja, worauf viele seit Jahren gewartet haben.
    Mihalic: Das ist etwas, worauf viele seit Jahren gewartet haben. Wie gesagt: Ob das alles wirklich glaubwürdig ist, das wird natürlich auch das Gericht zu würdigen haben, das wird das Gericht zu entscheiden haben. Ich persönlich glaube ihr da nicht und gehe immer noch davon aus, dass sie doch tiefer in die Taten verstrickt gewesen ist, als sie heute ausgesagt hat.
    Klein: Welchen neuen Erkenntnisgewinn, Frau Mihalic, hat diese Erklärung nun für Ihre Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss gebracht?
    Mihalic: Im Grunde genommen sehr wenig. Für die Arbeit im Untersuchungsausschuss haben wir uns ja schon eine ziemlich klare Agenda gesetzt. Mit allen vier Fraktionen haben wir den Untersuchungsauftrag gemeinsam erarbeitet. Uns geht es natürlich auch darum, die Hintergründe der Taten noch stärker zu beleuchten, mögliche Netzwerkstrukturen aufzudecken, und da weist unser Untersuchungsauftrag schon in eine klare Richtung. Wir haben natürlich gedacht, dass jetzt vielleicht durch die Aussage von Beate Zschäpe da noch etwas mehr Details offenbart werden, die uns in der Untersuchungsarbeit irgendwie weiterhelfen, nachdem man sie bewertet hat, aber Beate Zschäpe hat hier heute im Grunde genommen nur das gesagt, was ohnehin schon bekannt war, bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Aber das werden wir natürlich jetzt erst noch mal gemeinsam zu bewerten haben, inwiefern das für unsere Untersuchungsausschuss-Arbeit von Bedeutung ist.
    Einsatz von V-Leuten überprüfen
    Klein: Sie hat ganz klar gesagt, sie war nicht beteiligt an diesen Morden. Sie hat erst hinterher davon erfahren und war noch nicht mal Mitglied, oder hat sich selbst nicht als Mitglied betrachtet dieser Terrorgruppe NSU. Inwieweit verändert das möglicherweise doch die Fragen, die Sie zu beantworten haben im Ausschuss?
    Mihalic: Im Untersuchungsausschuss geht es uns ja auch darum herauszufinden, wie rechtsterroristische Strukturen entstehen konnten, wie sie überhaupt entstehen. Wir sehen uns ja auch heute mit einer regelrechten Welle von Taten gegenüber Flüchtlingen beispielsweise ausgesetzt. Es finden ja Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte statt, Übergriffe auf Flüchtlinge und auch auf ehrenamtliche Helfer, alles rechtsextremistisch motivierte Taten, mit denen wir es heute zu tun haben, und es gilt natürlich auch zu beleuchten, ob sich daraus wieder rechtsterroristische Strukturen ähnlich dem NSU entwickeln können. Deswegen muss man natürlich da auch die Hintergründe etwas genauer betrachten und da wird natürlich auch die Rolle von Beate Zschäpe jetzt im NSU-Trio noch mal etwas genauer anzuschauen sein. Wie gesagt: Ihre Aussage halte ich an der Stelle nicht für glaubwürdig, dass sie mit allem nichts zu tun gehabt haben will. Das scheint mir doch jetzt nach vier Jahren etwas spät in der Erklärung.
    Klein: Aber welchen Stellenwert nimmt das ein, dass es auch Personen gibt, die da möglicherweise hineingeraten, möglicherweise auch aus persönlichen Gründen, selbst wenn sie da nicht wirklich hinter stehen?
    Mihalic: Das ist natürlich eine Frage, mit der wir uns im Untersuchungsausschuss insgesamt befassen, wie solche Strukturen überhaupt entstehen. Auch die Frage von der Beteiligung von V-Leuten ist dabei ja auch keine uninteressante. Auch da geht es ja darum herauszufinden, inwiefern wussten sie von diesen Taten, wie nah waren sie am Trio dran. Der V-Leute-Einsatz beispielsweise findet ja heute auch noch in der rechten Szene statt und insofern gilt es natürlich, da herauszufinden, ist dieser Einsatz in irgendeiner Art und Weise von Nutzen, oder bestätigt sich unsere Annahme, dass der Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene vielleicht doch eher noch schädlich ist, dass damit rechtsterroristische Strukturen eher unterstützt und sogar gefördert werden. Das ist natürlich eine Frage, der müssen wir im Untersuchungsausschuss nachgehen, weil das auch ein Licht auf die Beteiligung einzelner Leute in solchen rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Strukturen wirft.
    Entwicklungen der 90er-Jahre nachvollziehen
    Klein: Sie haben die Übergriffe gegen Flüchtlinge in Deutschland angesprochen. Stellen Sie denn einen Zusammenhang her zwischen der Stimmung in Teilen Deutschlands und bei einigen Leuten, auch einem Rechtsruck in diversen Ländern Europas und dem, was wir jetzt von dieser Terrorzelle erfahren haben?
    Mihalic: Was wir ja wissen oder was auch schon bekannt ist, dass sich ja der NSU, also das Trio in den 90er-Jahren begann zu radikalisieren. Es war ja auch die Zeit, als wir diese verheerenden Anschläge in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda gegen Flüchtlinge zu beklagen hatten. In diese Zeit fiel auch die Radikalisierungszeit des NSU. Heute erleben wir ähnliche Zustände, was Übergriffe auf Flüchtlinge, auch Unterkünfte und auf ehrenamtliche Helferinnen und Helfer angeht, und da ergeben sich natürlich schon gewisse Parallelen. Und wir befürchten natürlich, dass sich aus dieser Stimmung heraus wieder eine solche rechtsterroristische Zelle entwickeln könnte, dass es da noch mehr Parallelen gibt, und deswegen haben wir uns ja auch im Untersuchungsausschuss dazu entschlossen, auch zur Untersuchung des NSU in die Zeit bis in die 90er-Jahre zurückzugehen, um diese Entwicklung des NSU genau nachvollziehen zu können, um aus damals für die Ereignisse von heute zu lernen.
    Klein: Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic heute Mittag im Deutschlandfunk nach der Erklärung von Beate Zschäpe heute beim NSU-Prozess in München. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Mihalic: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.