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Außengrenzen
"Wir müssen zu einheitlichen Standards der Grenzsicherung kommen"

Zu lange habe Europa gezögert, in der Flüchtlingskrise seine Grenzen zu schützen. Davor hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits Ende letzten Jahres gewarnt - und will jetzt die richtigen Schlüsse ziehen. Man sei in Brüssel extrem nervös mit Blick auf den sich ausbreitenden Populismus in der Europäischen Union, sagte Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im DLF.

Ronja Kempin im Gespräch mit Katrin Michaelsen | 15.09.2016
    Die ehemalige Grenzstation der österreichischen Zollwache am Bundesstraßengrenzübergang, Fahrtrichtung Tirol, in Gries am Brenner.
    Die ehemalige Grenzstation der österreichischen Zollwache am Brenner. (imago/Eibner)
    Katrin Michaelsen: Was meint Donald Tusk denn mit einem besseren Schutz der Außengrenzen? Meint er das Konzept der ungarischen Regierung und seinen Verbündeten? Zäune und befestigte Grenzen?
    Ronja Kempin: So explizit habe ich ihn nicht verstanden und das würde ich auch nicht hoffen. Ich glaube, man ist in Brüssel extrem nervös mit Blick auf den sich ausbreitenden Populismus in der Europäischen Union und man strebt nun danach, den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben, auch dass populistische Parteien quer durch alle Länder in der Europäischen Union offenbar im Moment sehr gute Antworten geben können, oder zu geben scheinen. Zumindest Antworten, die die Bürgerinnen und Bürger in Sicherheit wiegen. Und dem will man vorbeugen, indem man jetzt sagt, o.k., laßt uns als demokratische Kräfte sehr viel mehr Einigkeit erzielen und eben durch die Einigkeit Stimmen wie Herr Orbán in Ungarn eigentlich eher wieder an den Rand des politischen Spektrums, des Mainstreams, wenn Sie so wollen, in der Europäischen Union drängen.
    Michaelsen: Aber sind nicht viele der westlichen EU-Staaten klammheimlich ein bisschen froh, wie Ungarn das Flüchtlingsproblem regelt?
    Kempin: Da haben sie nicht Unrecht. Ich würde sagen, einige Staaten verstecken sich natürlich ganz gerne hinter Ungarn. Wenn wir den Blick beispielsweise nach Frankreich richten, wo im nächsten Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen und die jetzige Regierung von Front National eben getrieben ist und gerade in der Flüchtlingskrise beispielsweise Deutschland als einem der wichtigsten Partner in der Europäischen Union nicht beiseite gesprungen ist im letzten Jahr, aus Angst, den Front National im eigene Land noch stärker machen zu können, dann sehen Sie natürlich, dass auch in den einzelnen Mitgliedsländern in der Tat ein gewisses Wohlwollen, sage ich mal, ein unausgesprochenes gegenüber diesem Vorgehen herrscht. Man macht sich selbst nicht die Hände schmutzig, wie man so berühmt-berüchtigt in der Politik sagt, aber man profitiert natürlich indirekt schon von dieser harten Gangart.
    Michaelsen: Sie sprechen vom Wohlwollen und vom heimlichen Profitieren, aber wenn wir jetzt nach Frankreich gucken, die Grenze zwischen Frankreich und Großbritannien wird schwer bewacht, in Spanien gibt es die Grenze, in Ceuta und Melilla schwer abgeriegelt. Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass die Zeit der offenen Grenzen in Europa schon längst vorbei ist?
    Kempin: Ja und nein glaube ich. Ich glaube das Signal, was wir nicht senden dürfen und sollen in Europa aus der Europäischen Union heraus ist genau das, was Sie eingangs gesagt haben, das der Festung Europa. Wir sind als Kontinent sehr stark von der Globalisierung, von einem offenen Waren- und Personenverkehr abhängig. Das würde unsere Lebensgrundlage zerstören, das würde tatsächlich uns auch in unseren sozialen Errungenschaften sehr viel mehr Nachteile bringen, wenn wir uns abschotten würden. Aber es ist in der Tat nicht darüber hinweg zu deuten, dass gerade eben exponierte Grenzstaaten. Wir hier in Deutschland leben eben in der glücklichen Position in der Europäischen Union quasi ein Mittelland zu sein, ohne direkte Außengrenze. Dass aber dort, wo der Druck besonders hoch ist, die Länder, die einzelnen Staaten sich in der Tat im Verlauf der letzten Jahre gezwungen gesehen haben, eben eigenständig ihre Grenzen zu schützen. Schuld daran ist ehrlich gesagt einmal mehr die Zerstrittenheit der Europäer im Inneren, denn wir sind über Jahrzehnte nicht in der Lage gewesen und sind es auch weiterhin nicht, uns über Verteilungsschlüssel Gedanken zu machen. Wir belassen den Druck eben bei den Staaten, wo die Flüchtlinge die Migranten, die Migrantinnen zuerst ankommen.
    Michaelsen: Wir haben jetzt viel über Zäune und gesicherte Grenzen gesprochen. Aber welche Alternative gäbe es denn zu dieser Art von Grenzsicherung?
    Kempin: Nun ich glaube, wozu wir zum Einen kommen müssen, und das war ja auch die Kritik, die wir an Ungarn in den letzten Wochen gehört haben, wir müssen zu einheitlichen Standards der Grenzsicherung kommen. Das hängt bei einer menschenwürdigen Behandlung von Einreisewilligen Personen an, das muss sich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einheitlich gestalten. Wir müssen mit einem einheitlichen Grenzmanagement, einem einheitlichen System auch dazu beitragen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Griechenland als anderes Beispiel, stand, gerade im letzten Jahr im besonderen Maße auch im Brennpunkt, zu sagen, ihr seid nicht in der Lage unsere Grenzen zu schützen. Es reicht aber nicht, nur Forderungen an Griechenland zu stellen, ohne dem Land beizuwohnen. Und dann, das hatte ich eben schon angesprochen, wäre es drittens eben wichtig, dass wir auch intern zu einem vernünftigen Umverteilungsschlüssel von Migrantinnen, Migranten, von Flüchtlingen finden. Es ist fahrlässig letztendlich die Augen davor zu verschließen, was an den Außengrenzen in Griechenland, in Italien, in Ungarn passiert. Da sind natürlich die etwas reicheren, wirtschaftlich besser gestellten Mitgliedsländer in der Mitte Europas, der Europäischen Union gefragt auch hier für Erleichterung zu sorgen.