Dienstag, 23. April 2024

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Außenpolitiker Matern von Marschall (CDU)
"Gesellschaftlicher Ausgleich gelingt einstweilen noch gut"

Umfragen sehen die regierenden Sozialdemokraten in Portugal am Wahlsonntag bei 37 Prozent. Portugal-Kenner Matern von Marschall (CDU) wertet António Costas Erfolg im Dlf als Bestätigung für eine Politik der soliden Staatsfinanzen. Costa müsse aber künftig noch mehr tun. Er ernte die Früchte seines Vorgängers.

Matern von Marschall im Gespräch mit Rainer Brandes | 05.10.2019
31.01.2019, Berlin: Matern von Marschall (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht zu Anträgen ?Für europäische Grundwerte und eine wehrhafte Demokratie" im Deutschen Bundestag. Foto: Christoph Soeder/dpa | Verwendung weltweit
"Man kann sagen, Costa regiert geschickt", sagt der CDU-Mann Matern von Marschall, der in Portugal studiert hat und im Bundestag Berichterstatter über das Land ist (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Rainer Brandes: Sozialdemokraten und Wahlverlierer, das ist inzwischen europaweit fast zu einem Synonym geworden, aber es gibt ein Land in Europa, das sticht heraus: Portugal. Dort wählen die Menschen morgen ein neues Parlament. Und wenn die Umfragen nicht völlig danebenliegen, dann dürften die Sozialdemokraten morgen die strahlenden Sieger sein. Um die 37 Prozent dürfen sie sich erhoffen.
Bisher führt der Sozialdemokrat António Costa eine Minderheitsregierung, jetzt also darf er auf eine stabile Mehrheit hoffen. Das ist die Ausgangslage, und ich kann darüber jetzt mit einem Christdemokraten sprechen, Matern von Marschall. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter, hat in Portugal studiert und ist Berichterstatter für Portugal im Ausschuss für die Europäische Union. Schönen guten Morgen!
Matern von Marschall: Ja, schönen guten Morgen!
Brandes: António Costa, der regiert das Land mit Unterstützung von Parteien, die nennen sich marxistischer Linksblock und grün-kommunistisches Bündnis, das abgekürzt lustigerweise CDU heißt, aber alle Wirtschaftsexperten sagen, der macht einen super Job. Sie auch?
von Marschall: Der macht einen guten Job, aber man muss natürlich auch dazu sagen, er erntet gewissermaßen die Früchte seines konservativen Vorgängers, Passos Coelho, der ja das Land durch diese sehr harten Jahre nach der Krise geführt hat unter dem europäischen Rettungsschirm, der die Reformen zusammen mit der Europäischen Union, mit dem Internationalen Währungsfonds durchgesetzt hat. Und jetzt sind die Erfolge da, und man kann sagen, Costa regiert geschickt. Er versucht, einerseits einigen Gruppen, die ihn unterstützt haben, Erleichterungen zu gewähren, andererseits aber den soliden Pfad, auf dem Portugal sich weiter befindet, nicht zu verlassen. Und das scheint bisher ganz gut zu gelingen.
"Forderungen nach sozialen Verbesserungen werden lauter"
Brandes: Sie sprechen es an, Costa hat unter anderem einzelne Steuern erhöht, hat auch Ausgaben wieder erhöht, aber gleichzeitig bleibt er bei diesem soliden Finanzkurs. Das heißt, warum funktioniert in Portugal gerade, was in allen anderen Krisenländern offenbar nicht klappt?
von Marschall: Ja, es funktioniert einstweilen, muss man dazu sagen. Es ist ja – Sie haben es eingangs erwähnt – bemerkenswert, dass er von den Kommunisten eine tolerierte Minderheitsregierung führt. Es werden natürlich unterdessen die Forderungen nach sozialen Verbesserungen im Lande lauter. Es gab schon fast einen Sturz der Regierung, übrigens aus sozialen Forderungen der Lehrergewerkschaften, die dann teilweise auch unterstützt wurden von den Konservativen. Es ist dann immerhin noch stabil geblieben, aber man wird sicher, wenn Costa weiterregieren kann, in den kommenden Monaten deutlich stärkere Forderungen nach sozialen Verbesserungen erleben, und dann wird das natürlich eine spannende Phase.
Brandes: Aber sind diese sozialen Verbesserungen nicht auch unbedingt notwendig, damit eben die Menschen nicht wieder in Armut abgleiten, was ja in der Wirtschaftskrise passiert ist?
von Marschall: Die sind notwendig, auf der anderen Seite hat Portugal immer schon – und das ist vielleicht auch ein bisschen ein Geheimnis des Erfolges jetzt – ein großes Bewusstsein dafür besessen, wie wichtig eine Wettbewerbsfähigkeit auch im europäischen Binnenmarkt ist. Volkswagen zum Beispiel alleine steht für ein Prozent der Wirtschaftskraft in Portugal. Bosch, Siemens, Daimler-Benz, viele andere haben dort auch jüngst investiert, haben vor allen Dingen Portugal zu einem digitalen Standort gemacht, gerade viele Start-ups haben in Portugal jetzt einen Sitz gefunden.
Also alle diese positiven Entwicklungen will man natürlich nicht gefährden und ist deswegen in Portugal auch zurückhaltend bisher gewesen, was etwa die Anhebung des dort immer noch sehr niedrigen Mindestlohns angeht. Aber sicher wird man sagen, dass wenn die wirtschaftliche Entwicklung weiter nach oben geht – ich sage "wenn", weil die internationalen, die globalen Bedingungen, siehe Handelsstreitigkeiten, Amerika, sind ja nicht ideal –, aber wenn das weiter so geht, dann wird man sicher auch über weitere Verbesserungen, etwa des Mindestlohns, reden müssen.
"Gesamtschuldenquote immer noch sehr hoch"
Brandes: Und im Moment muss man ja sagen, die Arbeitslosenquote, die liegt in Portugal bei 6,7 Prozent, das ist für Südeuropa ein wirklich guter Wert. Was soll man da noch besser machen?
von Marschall: Na ja, sagen wir mal so, die Staatsschuldenquote ist natürlich trotzdem noch sehr, sehr hoch, die liegt bei über 120 Prozent, also die Maastricht-Kriterien, die sogenannten, die sehen 60 Prozent vor. Da ist Portugal also noch sehr weit davon entfernt, auch wenn das Staatsdefizit jetzt dieses Jahr sehr niedrig gewesen ist.
Brandes: Ja, und immerhin schafft es Portugal ja, sich selbst zu finanzieren wieder.
von Marschall: Schafft, sich selbst zu finanzieren, das ist richtig, aber auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Steuerbelastungen auch nicht besonders niedrig sind. Hier wird man wahrscheinlich auch von der Opposition her Forderungen nach Erleichterungen stellen.
Ich will vielleicht auf eines hinweisen: Soziale Spannungen gibt es in Portugal ja unter anderem auch, weil es da ein System sogenannter Gold-Visa gibt, also reiche Ausländer können sich in Portugal einkaufen, zum Beispiel aus China und anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union. Das hat zu einem großen Anstieg der Preise für Immobilien geführt, das führt natürlich gerade auch in Lissabon zu sozialen Verwerfungen. Arme Menschen können sich Wohnungen dort kaum mehr leisten, müssen an den Stadtrand ziehen. Also da gibt es schon Dinge, die auch die sozialen Spannungen verschärfen, und auch da wird man sehen, ob Costa in der Lage ist, angemessen zu reagieren.
Brandes: Und da sagen ja jetzt manche Beobachtende, Costa sollte nach der Wahl lieber mit den Konservativen zusammengehen, um sich nicht von radikalen Linken abhängig zu machen, die, wenn sie richtig in die Regierung kommen und eben nicht nur eine Minderheitsregierung tolerieren, wahrscheinlich noch stärkere Forderungen an ihn stellen werden. Sehen Sie also Chancen auf eine Regierungsbeteiligung Ihrer Parteifreunde?
von Marschall: Ich will das nicht ausschließen, obwohl man sagen muss, dass die Konservativen in Portugal eher sich zersplittert haben, also sie sind jetzt schon mehrere Parteien. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass der Druck von links außen, von den Kommunisten, auf Costa so hoch wird, dass er dem Konservativen Rui Rio entgegenkommen wird. Man muss ja wissen, beide sind Bürgermeister großer Städte gewesen – Rui Rio der Führer der Konservativen von Porto und Costa von Lissabon.
Ich glaube, es sind zwei Männer, die sich an sich auch gut verstehen und grundsätzlich ähnliche Vorstellungen haben. Eine kleine Anmerkung am Rande: Die konservative Partei in Portugal heißt ja Partido Social Democrata, also sozialdemokratische Partei, vielleicht sind die sich gar nicht so weit voneinander entfernt.
"Bei der Neuverschuldung ist Portugal sehr solide"
Brandes: Das könnte durchaus sein. Und Portugal geht ja so etwas wie einen Mittelweg zwischen strenger Austerität und Ausgabenfreudigkeit und scheint damit recht erfolgreich zu sein – darüber haben wir ja auch gerade gesprochen. Kann man also sagen, das ist eigentlich besser als das ständige Beharren auf der schwarzen Null für die Krisenländer, wie wir das immer gerade aus Deutschland fordern?
von Marschall: Das glaube ich nicht. Wir haben ja über das Staatsdefizit, also die Neuverschuldung gesprochen, da ist Portugal sehr solide, ist ja fast bei null. Ich hab gesagt, dass andererseits die Gesamtschuldenquote immer noch sehr hoch ist, aber das scheint schon ein Weg des Erfolgs zu sein. Insofern kann man sagen, dass Costa die von seinem Vorgänger Passos Coelho auf die Spur gebrachten soliden Staatsfinanzen einigermaßen durchgehalten hat. Und das scheint eben doch ein Weg des Erfolgs zu sein.
Brandes: Würden Sie also sagen, Portugal ist damit ein Modell für ganz Südeuropa?
von Marschall: Ja, man kann vielleicht die Dinge nicht vergleichen. Wenn man ins Nachbarland Spanien schaut, dann sieht man ja, dass dort die linke Regierung unter Sánchez gerade nicht in der Lage war, eine Regierung zu bilden, und dass jetzt dort in Kürze schon wieder zum vierten Mal Neuwahlen anstehen.
Es ist vielleicht auch die Fähigkeit, innerhalb Portugals zu Kompromissen und zu, sagen wir mal, einem moderaten Miteinander zu gelangen. Dieser starke Gegensatz, wie wir ihn in Spanien gesellschaftlich erleben, der ist in Portugal noch nicht da, ich hoffe, er kommt auch noch nicht. Man hat noch keine, sagen wir mal, jedenfalls keine rechtspopulistische Partei, aber wenn natürlich Spannungen in dieser Gesellschaft, die latent schon auch da sind, zunehmen, dann wird man das vielleicht auch nicht ausschließen können. Aber einstweilen gelingt der gesellschaftliche Ausgleich noch ganz gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.