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Vor den Parlamentswahlen
Portugals konservatives Lager zersplittert

Während dem regierenden Linksbündnis in Portugal der Sieg bei der Wahl am 6. Oktober fast sicher ist, verschärft sich die Krise des Mitte-Rechts-Lagers. Neue rechte Splitterparteien machen der konservativen Volkspartei PSD das Leben schwer. Mancher gibt Parteichef Rui Rio die Schuld.

Von Tilo Wagner | 02.10.2019
Rui Rio, der Vorsitzende der konservativen portugiesischen Volkspartei PSD, bei einer Rede in Lissabon - an seinem Pult steht der Slogan "Portugal Primeiro" ("Portugal zuerst")
Steht in der eigenen Partei in der Kritik: Rui Rio, der Vorsitzende der konservativen portugiesischen PSD (AFP/Patricia de Melo Moreira)
In der Küche des Lissabonner Restaurants "O Comilão" brodelt auf dem Herd ein riesiger Bohneneintopf. Das sei das Leibgericht vieler konservativer Politiker, sagt Gastwirt Secundino Cardoso, der das Lokal vor 40 Jahren aufgemacht hat. Cardoso zählt die Namen ehemaliger Vorsitzender der Mitte-Rechts-Partei PSD auf, die regelmäßig in das Restaurant kommen. Darunter auch: Pedro Passos Coelho, der in den Krisenjahren zwischen 2011 und 2015 Premierminister war und die harten Sparauflagen von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds umsetzte.
"Die einen bauen Mist, die anderen müssen den Stall aufräumen. Wenn die Finanzen schlecht stehen, bringt immer die PSD die Bücher in Ordnung. Aber darunter leidet dann zuerst das Volk, und später die Partei."
So sei das auch vor vier Jahren gewesen, sagt der PSD-Sympathisant Cardoso und rührt in seinem Bohneneintopf. Die konservative Koalition zwischen PSD und einer kleineren Rechtspartei verlor damals 25 ihrer 132 Abgeordneten – und damit auch die absolute Mehrheit im Parlament. Passos Coelho trat schließlich 2018 als Parteichef zurück. Doch die Krise im konservativen Lager hat sich in Portugal seitdem weiter verschärft.
Lissabon , die Hauptstadt Portugals
Warum Portugal den Rechten trotzt
Portugal ist eines der ganz wenigen Länder in Europa, in dem rechtspopulistische Parteien kaum Erfolg haben. Dafür kann dort die Kommunistische Partei noch punkten. Und wer als Protestwähler Unzufriedenheit über die aktuelle Politik signalisieren will, wählt eher ungültig als rechts.
Kritischer Blick auf die eigene Partei
Ein schlanker, junger Mann in dunklem Anzug und Krawatte tritt durch die Eingangstür: João Esteves Lemos ist im "Comilão" ein gern gesehener Gast. Vor über zehn Jahren galt er als ein Shootingstar der jungen Konservativen und schaffte es bis in den Vorstand der Lissabonner Regionalkommission. Doch eine andere Karriere war ihm wichtiger. Als Kolumnist der Wochenzeitungen "Expresso" und "Sol" hat der Jurist in den vergangenen Jahren die Partei mit gleichzeitig wohlwollendem und kritischem Auge beobachtet.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Portugal wählt - Mit der Klapperkiste in den Aufschwung".
An einer Wand des Restaurants hängen Fotos bekannter konservativer Politiker, darunter auch das Bild eines Mannes, der die PSD ganz entscheidend mitgeprägt hat: Aníbal Cavaco Silva war zunächst zehn Jahre Premierminister und zur Zeit der schweren Krise in den Jahren 2011 bis 2014 Staatspräsident.
Cavaco sei eigentlich ein Populist der 80er- und 90er-Jahre gewesen, sagt Lemos: Immer auf Tuchfühlung mit dem Volk und mit einer starken sozialen Ausrichtung der Partei. Doch als die Wirtschaftskrise Portugal fest im Griff hatte, gibt Lemos zu, habe auch Cavaco den Draht zur Bevölkerung verloren.
Der konservative Kolumnist João Esteves Lemos vor einer Wand  imt Politikerfotos in einem Restaurant in Lissabon
João Esteves Lemos ist Kolumnist der Wochenzeitungen "Expresso" und "Sol" und begleitet die konservative portugiesische PSD mit wohlwollendem und kritischem Auge (Deutschlandradio/ Tilo Wagner)
Ehemalige PSD-Mitglieder gründen eigene Parteien
Lemos sucht die Fotowand ab, aber die Bilder gleich mehrerer wichtiger PSD-Politiker hängen nicht mehr dort. Kein Wunder: In der zu Ende gehenden Legislaturperiode haben unzufriedene Führungsmitglieder die PSD verlassen - und ihre eigenen konservativen Parteien gegründet.
"Diese neuen Rechtsparteien könnten eine positive Wirkung auf das konservative Lager haben, wenn sie bei der großen Zahl der Nichtwähler punkten würden. Aber das ist nicht der Fall. Die neuen Parteien holen sich auch keine Stimmen bei den Sozialisten oder den anderen Linksparteien. Nein, nur die PSD leidet darunter, dass unzufriedene Sympathisanten jetzt der Partei den Rücken zuwenden und eine der neuen Rechtsparteien wählen. Das führt zu einer Zersplitterung, und zwar ohne dass die Nichtwähler sich im aktuellen Parteienspektrum endlich vertreten fühlen würden."
Kein Draht zu jungen Menschen
Der konservative Kolumnist hat für den schlechten Zustand seines politischen Lagers einen Schuldigen gefunden: den neuen Parteichef Rui Rio. Als ehemaliger Bürgermeister von Porto könne Rio wegen seiner Wirtschaftskompetenz im industriestarken Norden Portugals, wo die PSD traditionell gut abschneidet, zwar punkten. Aber das reiche nicht, um der Partei auf nationaler Ebene einen neuen Kurs zu geben, sagt Lemos:
"Der PSD-Vorsitzende Rui Rio hat nicht mit der eigenen Partei gesprochen. Er hat keine Rechenschaft über seine Politik abgelegt, er glaubte, immer richtig zu liegen und er hat versucht, die Partei von Porto aus zu führen. Hier ins Restaurant "Comilão" ist er ganz bestimmt nicht gekommen, weil er ja mit niemandem reden wollte. Außerdem hat er außer ein paar guten wirtschaftspolitischen Ansätzen keine neuen Ideen präsentiert: Wie steht die Partei zur Immigration? Zum Gesundheitswesen? Zur Sozialversicherung? Wir wissen es nicht. Und deshalb schafft es die Partei auch nicht, einen Draht zu den jungen Menschen herzustellen."
"Es gibt in Portugal Platz für eine populistische Antwort"
Lemos macht sich keine Hoffnungen mehr. Er rechnet bei den Parlamentswahlen mit einer deutlichen Niederlage. Für die Zeit danach wünscht er sich eine Art portugiesischen Donald Trump:
"Es gibt in Portugal auf jeden Fall Platz für eine populistische Antwort, eine patriotische, liberal-konservative Vision. Wenn wir uns ansehen, wie niedrig die Wahlbeteiligung ist und wie hoch die Anzahl der abgegeben ungültigen Stimmen, dann bedeutet das ein Potenzial für die Rechtsparteien. Gleichzeitig erwarte ich, dass wir in unserem rigiden parteipolitischen System keine Antwort auf die drängenden Fragen der Zukunft finden werden. Und dann dürfen wir nicht vergessen, was der Erfolg des jetzigen Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa zeigt: Die Portugiesen sind bereit für den Populismus."
João Esteves Lemos ist für seine kühnen Thesen bekannt – nicht alle haben sich im Verlauf der vergangenen Jahre bewahrheitet. Aber es macht den Eindruck, dass Lemos in seiner konservativen PSD wieder mehr Verantwortung übernehmen könnte, wenn die Partei einen eigenen, kleinen Donald Trump findet. Bis dahin scheint noch Zeit zu sein. Und João Esteves Lemos bleibt im Restaurant "Comilão" sitzen, und bestellt sich später vielleicht einen Bohneneintopf.