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Aussterben einer Tradition in Portugal
Adeus, Weihnachtsfeuer

Die Wirtschaftskrise in Portugal ist noch lange nicht ausgestanden. Viele Portugiesen haben ihre Heimat verlassen, um anderswo Arbeit zu suchen - im Ausland oder in den Großstädte wie Porto oder Lissabon. Das wirkt sich auch auf die Bräuche aus: Das traditionelle Weihnachtsfeuer steht vor dem Aus.

Von Tilo Wagner |
    Die Standseilbahn "Ascensor da Bica" fährt durch eine Gasse in Lissabon.
    Kein Platz für den "Madeiro": In Städten wie Lissabon ist das traditionelle Weihnachtsfeuer (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Auf dem Kirchplatz in Lardosa drängeln sich die Menschen. An Heiligabend feiert das Dorf im Zentrum Portugals eine uralte Tradition. Unterhalb der Kirchentreppen ist ein riesiger Holzhaufen aufgetürmt: Wurzeln, dicke Eichenstämme, Äste, Baumrinden. Wenn die Sonne untergeht, soll das Weihnachtsfeuer brennen. "Madeiro" nennen es die Portugiesen.
    Auf einer kleinen Mauer sitzen José Barata und António André. Die beiden über Siebzigjährigen unterhalten sich über das Weihnachtsfeuer.
    Das Holz schlugen traditionell die 19-jährigen, junge Männer, die im gleichen Jahr zur Musterung gingen, erzählt Barata. Und es muss Eichenholz sein, ergänzt André:
    "Ein reicher Adliger hat in seinem Testament festgelegt, dass die Jungs aus Lardosa jedes Jahr das Holz von seinem riesigen Grundstück holen dürfen. Zu unserer Zeit, als der Adelige noch gelebt hat, haben wir sogar noch ein bisschen Geld für Rotwein und Sardinen bekommen. Heutzutage gibt immerhin noch das Holz umsonst."
    Nach Jahrzehnten der Landflucht
    Vor fast sechzig Jahren waren die Geburtenjahrgänge in der portugiesischen Provinz noch sehr stark. Mit gut zwei Dutzend Gleichaltrigen habe er damals das Holz geschlagen, erinnert sich José Barata. Diese Zeiten sind vorbei. Von seinen Kindern und Enkelkindern lebt nur noch ein Sohn mit seiner Familie im Dorf, die anderen in Lissabon oder im Ausland. Dadurch ändere sich auch die Tradition, erzählt José Barata. Den Holzhaufen zünden diesmal keine jungen Männer an, sondern Mónica und ihre Freundin Mariana, die einzigen beiden 19-Jährigen aus dem Dorf.
    "Eigentlich holen ja immer die Jungs das Holz und zünden es an, aber dieses Jahr gibt es nur uns beide. Wir wohnen auch nicht mehr im Dorf. Ich arbeite weiter weg in einem Hotel, und Mariana studiert an der Uni in Coimbra. Deshalb haben uns dieses Jahr ein paar ältere Leute aus dem Dorf geholfen."
    Mónica und Mariana setzen mit einem brennenden Scheit den Madeiro in Brand. Hohe Flammen schießen in die Luft, das Holz knistert, es riecht nach Benzin. Die kleine Menschenmenge vor der Kirche bricht in Jubel aus. In den vergangenen Jahren war das Holz nach wochenlangen Regenfällen immer durchnässt und wollte einfach nicht brennen. Diesmal klappt alles. Die Mädchen verteilen hausgekelterten Rotwein. Dorfbewohner und Zugereiste stehen in kleinen Gruppen zusammen, unterhalten sich, Kinder rennen über den Platz. Ortsvorsteher José Dâmaso sieht zufrieden aus:
    "Dieses Jahr waren ja nur die beiden Mädchen da, deshalb haben wir aus der Ortsverwaltung mit angepackt, um das Holz zu beschaffen und hier aufzutürmen. Es ist einfach wichtig für unser Dorf, dass die Tradition am Leben bleibt."
    Woher der Brauch stammt, ist unklar. Manch einer verweist auf die heidnische Tradition der Wintersonnenwende; andere spechen vom Christfeuer, das immer an Heiligabend brennt, um den neugeborenen Jesus an einem warmen Ort zu empfangen.
    "Madeiro" bringt Gläubige und Nichtgläubige zusammen
    Der "Madeiro" hat allem eine soziale Funktion. In Portugal wird an Heiligabend keine Nachmittagsmesse gelesen, in die Kirche gehen die Menschen erst um Mitternacht - wenn überhaupt. Rund 80 Prozent der portugiesischen Bevölkerung sind katholisch, doch nur die Hälfte geht regelmäßig zum Gottesdienst. Das gemütliche Zusammensein vor dem Weihnachtsfeuer bringt Gläubige und Nichtgläubige zusammen, bevor die Portugiesen im Kreis der engeren Familie feiern und am späten Abend die Geschenke auspacken.
    Luís Barata, der Sohn des über Siebzigjährigen, schaut auf den brennenden "Madeiro" und erinnert sich noch einen anderen Brauch:
    "Das ist doch eine schöne Glut, die sehr gut fürs Grillen ist. In meiner Jugend haben wir an Heiligabend immer ein Huhn geklaut. Wir wussten vorher schon, wo wir das Huhn herkriegen. Und nach der Mitternachtsmesse, so gegen zwei oder drei Uhr morgens, sind wir dann in den Hühnerstall, haben das Huhn getötet, gerupft und hier auf der Glut gebraten. Manchmal stand der Bauer, dem das Huhn gehörte, mit uns ums Feuer und wir haben ihm dann auch vom gebratenen Fleisch abgegeben. Erst am nächsten Morgen hat er kapiert, dass es sein Huhn war, das wir geklaut haben."