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Austauschprogramm
Erasmus in der Türkei droht das Aus

Die Türkei soll EU-Gelder für das Austauschprogramm Erasmus veruntreut haben. Als Konsequenz könnte es deshalb ausgesetzt werden. Die Leidtragenden wären Studierende und Universitäten.

Von Gunnar Köhne | 03.04.2014
    Die Türkei soll, so lautet der Verdacht, EU-Fördergelder veruntreut haben. Das Ministerium für Europa-Angelegenheit, dem die Erasmus-Agentur unterstellt ist, soll sich an den 116 Millionen Euro gütlich gehalten haben, die Brüssel im vergangenen Jahr für Erasmus überwiesen hat. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, droht eine Aussetzung des Programms. Für die türkischen Universitäten wäre das ein großer Rückschlag, meint Alper Akyüz, Politikwissenschaftler an der privaten Istanbuler Bilgi-Universität:
    "Zunächst einmal hat die Teilnahme am Erasmus-Programm für uns eine hohe symbolische Bedeutung. Es unterstreicht, dass die türkische Jugend Teil des europäischen Bildungssystems ist. Außerdem ist es von finanzieller Bedeutung: Durch die Fördergelder wird der Austausch von Studenten erst ermöglicht. Und schließlich erleichtert Erasmus türkischen Universitäten die Kooperation mit Forschungseinrichtungen im Ausland."
    Wenn türkische Studenten mit Erasmus ins Ausland gehen, erhalten sie im Schnitt ein Stipendium in Höhe von rund 400 Euro. Ohne diesen Zuschuss hätte der Elektrotechnikstudent Emre Sivasli im vergangenen Jahr nicht für ein Semester an der Technische Universität Berlin studieren können. Der Umgang zwischen Professoren und Studenten sei lockerer als in der Türkei, sagt der 24-Jährige im Rückblick. Er habe gelernt. Noch wichtiger aber sei es, dass auch Jugendliche aus Nicht-EU-Mitgliedsländern die Möglichkeit hätten, einfach mal raus zu kommen:
    "Ich habe gesehen, wie das Leben in Europa ist. Das ist für mich der große Beitrag von Erasmus. Wenn man sich nicht begegnet, dann denkt man: Wir unterscheiden uns von den anderen, weil wir eine andere Religion oder andere Kultur haben. Aber wenn man dann dort ist, dann sieht man: Es gibt gar keinen großen Unterschied zwischen uns!"
    Minister ist inzwischen zurückgetreten
    Die türkische Regierung hat sich zu den Vorwürfen der EU-Kommission bislang nicht geäußert, der für die Veruntreuung mutmaßlich verantwortliche Minister ist wegen anderer Korruptionsvorwürfe inzwischen zurückgetreten. Die Universitäten in der Türkei fürchten, dass Ankara versuchen könnte, die Erasmus-Krise auszusitzen. Angesichts massiver innenpolitischer Probleme ist das Interesse an Europa in der Regierung derzeit ohnehin gering. Leidtragende wären dann deutsche Studenten, die gerne ein paar Auslandssemester in der Türkei verbringen möchten. Mit 3000 Studierenden stellen die Deutschen die Hälfte aller in die Türkei entsandten Erasmus-Teilnehmer. Die Medizin-Studentin Anna Fink wollte immer schon die Türkei kennenlernen - schließlich stammen viele Menschen in ihrer Hamburger Nachbarschaft dorther. Seit einem halben Jahr studiert die 26-Jährige an der medizinischen Fakultät der Istanbul Üniversitesi.
    "Die Organisation ist hier sicher nicht so, wie wir es in Deutschland gewöhnt sind. Es ist schon öfter vorgekommen, dass man zum Unterricht gekommen ist und der Lehrer kam nicht. Allerdings muss ich auch sagen: Wenn man einen motivierten Lehrer hat in der Türkei, dann kann man sehr viel lernen. Weil der Unterricht viel persönlicher ist als in Deutschland. Oft ist der Unterricht in Kleingruppen mit zwei, drei Studenten und einem Professor. Das hat man in Deutschland eigentlich nie."
    Ende der Woche will die EU-Kommission erste Ergebnisse ihrer Untersuchung bekannt geben. Im Mai soll dann über eine Suspendierung des Erasmus-Austausches mit der Türkei entschieden werden.